Der schwierige Umgang mit Konzernanforderungen

Wie können Manager auch dann noch professionell mit Konzernvorgaben umgehen, wenn ihnen diese übertrieben, widersprüchlich, geschäftsbehindernd und kaum nachvollziehbar erscheinen?

Als Manager in einem internationalen Unternehmen zu arbeiten, kann durchaus Vorteile haben. Etwa spannende Aufgaben, die Mitarbeit in internationalen Projekten oder die Möglichkeit, Karriereschritte in anderen Ländern zu machen. Eine oft beklagte Schattenseite ist jedoch der potenziell frustrierende Umgang mit Konzernanforderungen. Gerade wenn in Krisenzeiten die Zügel vom Headquarter wieder angezogen werden, entstehen in den einzelnen Ländern und unteren Managementebenen schnell Situationen, durch die eine erfolgreiche Arbeit vor Ort nicht nur erschwert, sondern schlimmstenfalls konterkariert werden kann. Dabei geraten die Manager nicht nur durch das Dauerthema "äußerst ehrgeizige" Zielvorgaben unter Druck, sondern mindestens ebenso durch die kaum mitkommunizierten Hintergründe bestimmter Konzernentscheidungen, die sie dann nach unten verkaufen und umsetzen sollen, ohne diese mangels Wissen aber gegenüber den eigenen Leuten wirklich argumentieren zu können.

Normalfall – Sondersituationen?

Die in den vergangenen zwanzig Jahren gern gebrauchte Unterscheidung zwischen einer Art Normalbetrieb und Spezialfällen wie Merger & Akquisition, großen Reorganisationen, Strategiewechseln, etc. erscheint inzwischen hinfällig. Heute gilt viel eher: Sondersituationen sind der Normalfall! Entsprechend turbulent geht es auch im Arbeitsleben von Country Managern und ihren Managementteams zu, die vielfach als "Mittler zwischen den Welten" fungieren.

Der grundsätzliche Widerspruch zwischen "Gesamtoptimum" und "lokalem Optimum" ist, wenn auch nicht immer leicht auszuhalten, zumindest noch nachvollziehbar. Etwa dann, wenn bei neuen Standortinvestitionen neben ausreichend qualifiziertem Personal eben auch übergeordnete Parameter wie generelle Strategien ("China ist unser Wachstumsmarkt Nummer 1") oder steuerrechtliche Fragen ("Wo in Europa zahlen wir wie viel Steuern?") bei Konzernentscheidungen eine zentrale Rolle spielen. Verschärft wird dieser Widerspruch zwischen Zentrale und Ländern, wenn das Gesamtgefüge ständig in Bewegung ist, weil in immer kürzeren Abständen Unternehmen und Geschäftsbereiche zugekauft, abgestoßen, in neue Regionen expandiert und verlagert wird und sich damit die Gestalt der Gesamtorganisation laufend wandelt.

In den Headquartern selbst zeigt sich dieser Wandel im Gesamtgefüge darin, dass sich dort laufend Personen, Zuständigkeiten ("die Ansprechpartner"), Organisationsstrukturen und Reportinganforderungen ändern bzw. über eine quälend lange Zeit in der Schwebe sind, z.B. bei Fusionen, bei denen sich das neue Ganze erst einmal sortieren muss. Diese Änderungen im Headquarter strahlen natürlich in die zahlreichen Satelliten bzw. Landesorganisationen aus und sorgen dort für Verwirrung. Weiter verkompliziert wird die Orientierung vor Ort durch Matrixstrukturen, durch die die Funktionsverantwortlichen in den einzelnen Ländern direkt fachlich den jeweils Zuständigen im Headquarter oder Zwischenheadquarter unterstellt sind und direkt an diese reporten. Wie schafft man es da angesichts der zahlreichen Schwierigkeiten und Frust-Erlebnisse noch, als Manager professionell zu agieren?

Mehrere Aspekte bieten sich hier an:

  • Verständnis für die Anforderungen des großen Ganzen
  • Argumentieren und verhandeln, danach Akzeptanz als gegebene Rahmenbedingung
  • Den eigenen Gestaltungsspielraum sehen und nützen
  • Hinterfragen der eigenen Bilder über Steuerung von oben und unten

Verständnis hilft

Auch wenn es verführerisch und im ersten Moment emotional entlastend sein mag, Veränderungen und Verzögerungen "da oben" zu kritisieren und zu beklagen und Entscheidungen aus dem Headquarter, die die eigene Arbeit vor Ort beeinflussen, als "unverständlich" zu bezeichnen und "den Erbsenzählern da oben" vorzuwerfen, "von den Anforderungen des Marktes anscheinend keine Ahnung zu haben", hilft das doch nicht weiter. Im Gegenteil: Äußern Manager ihren Frust auch noch vor ihren Mitarbeitern und stimmen in deren Jammern und Schimpfen mit ein, tun sie sich damit selbst keinen Gefallen, signalisieren sie ihren Mitarbeitern damit doch implizit die eigene Ohnmacht, was das Vertrauen in ihre Führungsfähigkeiten massiv untergraben kann.

Hilfreicher ist es, zu verstehen und nachzuvollziehen, welchen Zwängen die Kollegen im Headquarter unterworfen sind und welche Überlegungen bestimmten Regeln, Entscheidungen und Vorgaben zugrunde liegen. Drei Möglichkeiten bieten sich besonders an: Ein Weg, das eigene Verständnis für die Arbeitsweise eines Headquarters zu erhöhen ist natürlich – falls sich die Möglichkeit ergibt - einmal selbst für einige Zeit in einem solchen zu arbeiten. Ein zweiter Weg ist die Pflege des eigenen Netzwerks im Konzern (z.B. mittels vorhandener Kontakte aus bereits absolvierten internen Führungskräfteentwicklungsprogrammen), um sich bei jenen Kollegen zu informieren, die das bereits gemacht haben und hier über Hintergrundwissen (im Gegensatz zu Gerüchten) verfügen. Ein dritter Weg ist das Gespräch mit dem eigenen Vorgesetzten oder auch die viel zu selten genutzte Variante, selbst aktiv zu werden und die zuständige Person aus dem Headquarter z.B. zu einem Managementmeeting oder Kaminabend einzuladen. Der Grund des häufigen Zögerns (auf beiden Seiten) liegt meist in der Angst begründet, dass dann die oben getroffene Entscheidung infrage gestellt wird bzw. die unterstellten Manager mitentscheiden wollen. Dabei geht es vielen Managern nur darum, diese besser verstehen und dann gegenüber den eigenen Leuten besser argumentieren zu können.

Argumentieren und verhandeln

Vorgaben durch das Headquarter an die Länder werden typischerweise an den lokalen Geschäftsführer – bei Matrixorganisationen teilweise auch direkt an die direct reports – adressiert und dann üblicherweise im Managementteam besprochen. Die Geschäftsführung vor Ort fungiert gewissermaßen als Puffer, der die Vorgaben für die Landesgesellschaft "übersetzt": Wie können wir das erreichen? Was müssen wir dazu gegebenenfalls verändern? Was bedeuten diese Vorgaben für die einzelnen Bereiche?

Auch wenn der Begriff "Vorgabe" eine Art Einbahnstrasse suggeriert, entspricht dies doch keineswegs immer der Praxis. Zum einen ist es ihnen vielen Konzernen üblich, dass die Landesgesellschaft ihre eigenen Strategien, Pläne und Budgets erstellt, die dann im Headquarter "gechallenged" werden. Zum anderen ist keineswegs gesagt, dass jeder Vorgabe blind gefolgt werden muss. Schließlich sind Geschäftsführer für ihr Tun und Lassen gesetzlich verantwortlich und damit auch haftbar, wobei keineswegs vorausgesetzt werden kann, dass die jeweiligen Vorschriften im Headquarter immer bekannt sind. Daher kann es sich bereits als äußerst wirkungsvoll erweisen, im Gespräch über die neuen Vorgaben das passende Dokument aus der Tasche zu zaubern, um dann en passant darauf hinzuweisen, dass das so nicht zu machen sei. Wird dann trotzdem darauf beharrt, hilft sehr wahrscheinlich folgender Satz weiter: "Kann ich das bitte schriftlich haben?"

Eine andere wichtige Argumentations- und Schützenhilfe liefert oft genug ausgerechnet der so häufig beklagte  Zahlenfetischismus der Konzerne. Vorausgesetzt das Management vor Ort kennt seine Zahlen genau! Was keineswegs immer der Fall sein dürfte. Zeigen die Aufzeichnungen über Kapazitätsauslastung und Überstunden etwa, dass man bereits am Rande des Erlaubten operiert, ist das zumindest einmal ein durchaus nicht so leicht von der Hand zu weisendes Argument gegen ein überfallsartig von oben hineingekipptes großes Projekt, das zahlreiche Manntage binden würde.

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Den eigenen Gestaltungsspielraum sehen und nützen

Nicht alles wird so heiß gegessen wie gekocht. Nicht jedes Ziel ist gleich wichtig. Daher bedarf es der Entwicklung eines gewissen Gespürs dafür, welche Zielsetzung nicht verhandelbar ist, weil z.B. der Job des eigenen Chefs oder seines Chefs davon abhängt und welche Zielsetzung auf der Prioritätenskala weiter unten angesiedelt ist bzw. in einigen Monaten wahrscheinlich völlig anders bewertet werden wird. In der Praxis gibt es eine Vielzahl von Taktiken, um solche weniger wichtigen Ziele etwas "zurechtzubiegen", "abzuschwächen" oder "kreativ anders zu lösen". Sei es, abzuwarten, nichts zu tun und zu beobachten, ob von oben überhaupt nachgefasst wird, sei es, das Vorhaben mit halber Energie bzw. "weniger Resourcen" voranzutreiben (gegebenenfalls mit dem Hinweis, sich voll auf Priorität 1 konzentriert zu haben" oder sei es, die Pro-Forma-Kriterien zu erfüllen, ohne deswegen gleich bislang bewährte Prozesse zu kippen. Das heißt dann so schön: "Den Anforderungen wurde genüge getan". Eine andere häufig angewandte Lösung, um z.B. trotz hiring freeze neue Aufträge nicht ablehnen zu müssen, ist die zumindest temporäre "Vergabe nach außen" durch Beschäftigung von Leiharbeitern oder die Beauftragung von  Subunternehmern.

Auch in turbulente Zeiten gilt vielerorts – wenn auch mitunter etwas abgeschwächt – die alte Manager-Weisheit: "Solange wir erfolgreich sind und die versprochenen Zahlen abliefern, lassen uns die Leute vom Headquarter weitgehend in Ruhe." Ganz oben richtet sich die Aufmerksamkeit primär auf "Abweichungen und Ausreisser" in den Excel-Sheets, auf die "Problemkinder", die man sich dann gerne eng an die Brust nimmt (was diese dann eher als Würdegriff empfinden). Zudem beziehen sich Konzernvorgaben häufig auf das Was, während das Wie, die genau Ausgestaltung, oft den Länderorganisationen überlassen bleibt.

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Hinterfragen der eigenen Bilder über Steuerung von oben und unten

Es ganze Reihe von Studien legt nahe, dass Steuerungs- und Veränderungsimpulse weit weniger oft top-down passieren als angenommen. Häufig gehen wichtige Impulse vom Mittelmanagement selbst aus, indem hier Neues ausprobiert und experimentiert wird, erfolgreiche Lösungen dann von anderen Einheiten aufgegriffen und über das Headquarter weiter verbreitet werden. Konzernanforderungen wirken in diesem Sinn so wie Anforderungen des Marktes als Rahmenbedingung, die es zu berücksichtigen und auf die es mit der eigenen Organisationseinheit kreativ zu antworten gilt.

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