"Manches müssen Konzerne lernen auszuhalten"

Ein Manager einer Tochter-Holding über die geänderten Anforderungen in Krisenzeiten, den Unterschied zwischen gestrafften Zügeln und abgeschnittener Luftzufuhr und die Produktion reiner Befehlsempfänger.

Oft gibt es in Konzernen ja mehrere Ebenen, z.B. Headquarter in Übersee, Europa-Headquarter und dann die einzelnen Länder. Von den Headquarters kommen Strategien, Vorgaben, Spielregeln. Wie sind Sie persönlich da positioniert?

Es gibt auch bei uns mehrere Ebenen, allerdings alle in Österreich. Ich bin verantwortlich für die Tochtergesellschaften in CEE, ihren Aufbau, die Umsetzung der Strategie, die Implementierung der Prozesse, etc. Ich bin sozusagen der Katalysator zwischen der Zentrale in Wien und den Ländern. Wir selbst sind als Gesellschaft wiederum Tochter eines Mutterkonzerns. Der ist nicht in Amerika angesiedelt, obwohl es manchmal von der Distanz und vom Informationsfluss her so scheint, sondern in Österreich. In diesem Mutterkonzern stehen wir für einen bestimmten Geschäftsbereich. Eigentlich waren wir sogar ein Enkel mit noch einer Gesellschaft dazwischen, also auf der dritten Ebene, doch die ursprüngliche Mutter wurde als Folge der Wirtschaftskrise inzwischen in die Holding fusioniert bzw. integriert.

Bis zur Krise waren wir in unserem Handeln relativ frei. Wir haben unsere Strategien für das eigene Unternehmen und unsere Töchter im Osten selbst entwickelt und dann in den Ländern umgesetzt, wobei man in einem Konzern natürlich immer mal wieder an gewisse Grenzen stößt. Z.B. waren gewisse Funktionen immer schon in der übergeordneten Holding angesiedelt, also gab es da auch direkte Anknüpfungspunkte. Zudem haben wir uns natürlich auch immer mit der Gesamtstrategie beschäftigt, um abgestimmt vorzugehen. Es war ein sehr vielschichtiger Konzern, wo quasi jede Schicht oder Ebene für sich selbst eine eigene Strategie entwickelt hat. Seit Beginn der Krise 2008 hat sich die Situation aber grundlegend geändert. Z.B. haben sich die Konzernstrategien seit damals sicher 5-6 mal verändert.

Was genau hat sich geändert?

Als ich in das Unternehmen kam, war noch alles in Richtung Expansion gestellt. Wir wollten aufbauen und das Volumen steigern. Das erste Ziel war, in den einzelnen Ländern Tochtergesellschaften auf- und auszubauen, Leute aufzunehmen und Verkaufsstrategien zu machen und umzusetzen. In einigen Ländern gab es bereits Niederlassungen, die aber bislang eher als Erfüllungsgehilfen agiert hatten und kaum in Strategien und Informationsfluss eingebunden waren. Sie haben vor Ort gearbeitet und alle 6 Monate kam mal jemand aus de Zentrale vorbei. Es gab keinen geregelten Austausch, nur eine rudimentäre Steuerung.

Gab es Klagen von den Ländern oder waren die froh, dass sie die Zentrale in Ruhe läßt?

Jedes Land ist anders, man unterschätzt einfach oft die unterschiedlichen Mentalitäten in den einzelnen Ländern. Stark vereinfacht könnte man sagen: Ein Rumäne tickt ganz anders als ein Tscheche. Der Tscheche ist froh, wenn du ihn in Ruhe läßt, der Rumäne freut sich, wenn du mit ihm arbeitest und dem Slowaken mußt du jeden Schritt im Detail vorgeben, er fragt bei geringsten Kleinigkeiten um Erlaubnis. Ähnliche Unterschiede zeigen sich auch bei Strategieverständnis und -arbeit. Aber die passende Strategie allein reicht nicht. Man braucht neben den richtigen Leuten mit dem richtigen Mindset und einer klaren Strategie auch die richtigen Prozesse und Strukturen dazu. Wir haben an all diesen vier Ecken gearbeitet. Heutzutage ist eine Strategie nie fertig. Sie verändert sich permanent. Im Konzern verändert sich vieles, auf den Märkten verändert sich vieles, insofern verändert sich auch die Strategiearbeit selbst.

Sie kamen, um die Länderorganisation zu professionalisieren, eine klare Linie hineinzubringen, haben eine Strategie entwickelt und die Manager vor Ort dabei miteinbezogen.

Ja, zu der Zeit hatten wir von der Mutter noch Null Vorgabe. Die einzige Vorgabe war ein bestimmtes Volumen in fünf Jahren zu erreichen. Und nachdem wir den Umsatz bei meinem Start nach dem ersten Jahr mit der neuen Mannschaft bereits verdreifacht hatten, ohne noch richtig mit dem Verkaufen angefangen zu haben, hatte der Konzern den Eindruck, ok die können das, und ließ uns daher frei Hand. Wir haben einmal im Jahr unsere Budgets und Vorhaben präsentiert, das wurde abgesegnet, durchgewunken und das war es dann. Es gab zwar laufende Jour Fixes zwischen unserem Geschäftsführer und dem zuständigen Vorstand in der Mutter, aber das entscheidende waren die Strategiepräsentation und das Abliefern guter Zahlen. Das hat sich erst geändert, als in der Mutter erste Probleme aufgetreten sind und es geheißen hat, die Liquidität wird knapp. Dann hat der Konzern plötzlich steuerungsmäßig eingegriffen, und zwar nicht in die Strategie selbst, sondern es begannen systemischen Widerstände. Z.B. wurden über das Risikomanagement einfach neue Kundenprojekte nicht mehr genehmigt. Von einem Tag auf den anderen standen ganze Märkte auf Hold. Also habe ich nachgefragt: Warum wird das nicht bewilligt? Antwort: In diesem Land wollen wir derzeit nichts machen! Warum? Haben Sie die neuen risikopolitischen Grundsätze nicht gelesen? Nein, welche neuen Grundsätze? Lesen Sie die neuen Grundsätze! Es gab also neue Grundsätze, von wem auch immer erarbeitet, die allerdings nicht kommuniziert worden waren. Gut, das kann passieren, ebenso wie die Entscheidung, in der Krise bestimmte Länder nicht mehr zu bearbeiten. Blöderweise hatte ich gerade mit den Leuten eine Strategie entwickelt, die Leute motiviert "Ihr wißt eh, das ist unsere Strategie, das sind die angepeilten Kunden, also Vollgas, da müssen wir hin" und plötzlich gab es ein der neuen Strategie komplett widersprechendes Dokument aus dem Konzern und alles ist gestanden.

Wie hat sich das ausgewirkt?

Einerseits gab es natürlich eine massive Frustration. Zuerst war ich selbst persönlich frustriert. Ich habe grundsätzlich kein Problem, dass so entschieden wird, aber man könnte das auch rechtzeitig sagen – ich weiß, das geht nicht immer, weil sie es selbst nicht immer viel früher wissen und manche Dinge manchmal sehr schnell passieren, gerade in einer Wirtschaftskrise – aber in dem Moment habe ich mir gedacht: Na toll, jetzt arbeiten wir seit zwei Jahren intensiv daran, da Power hineinzubekommen, investieren, es kommt tatsächlich Bewegung hinein und von einem Tag auf den anderen heißt es: Maschine stopp! Zuerst ist es Unverständnis, Frust, Wut, die ganze Gefühlspalette. Das muss man zuerst einmal selbst verarbeiten und dann muss man die eigenen Leute irgendwie motivieren, trotzdem bei der Stange zu bleiben. Die gehen ja ebenfalls durch dieses Wechselbad der Gefühle. Zuerst sind einmal alle gelähmt. Dann überlegt man, wie man diesen Stopp gegebenenfalls umgehen kann. Damit meine ich nicht boykottieren, sondern Alternativstrategien zu entwickeln: Ok, wenn das die neue Vorgabe ist, wie können wir es so machen, dass wir doch noch Geschäfte machen und den Markt bearbeiten können? Also probiert man, im Konzern Lobbying zu betreiben, um den generellen Stopp vielleicht etwas aufzuweichen, sich mit anderen zusammen zu schließen etc.

Nur hat sich dann in dieser Zeit die Krise weiter verschärft. Und dann beginnt in Konzernen eine ganz eigene Dynamik. Es sind Gerüchte aufgekommen, dass das Eigenkapital knapp wird, dass es mit der Liquidität eng wird, dass ein anderer Geschäftsbereich im Konzern bald krachen könnte und meistens bekommt man in genau dieser Phase dann kaum oder gar keine Informationen mehr. Außer aus den die Zeitungen. Natürlich wird man gleichzeitig von den eigenen Leuten gelöchert, was denn nun los ist: Also habe ich einen kleinen Newsletter zusammen gestellt und alle Informationen, die ich hatte, in die Länder geschickt: Was ist gerade passiert, Was steht uns bevor? Worauf müssen wir uns einstellen? Aber das habe ich nicht lange durchgehalten, das war extrem anstrengend und zeitraubend.  Wichtig war mir, den Informationsfluss zu meinen Leuten irgendwie aufrecht zu erhalten. Vieles weiß man selbst nicht genau, um so wichtiger ist, in der Kommunikation authentisch zu bleiben. Also habe ich mitunter gesagt: "Sorry, darüber kann ich noch nicht reden" oder "das weiß ich selbst noch nicht" oder "dazu gibt es noch keine kommunizierte Entscheidung von oben". In dieser Zeit wurden im Konzern verschiedene Szenarien entwickelt, mal hieß es, dieser Geschäftsbereich wird komplett zugesperrt, dann hieß es, das machen wir doch nicht, aber wir ziehen uns aus bestimmten Ländern zurück. So ging das hin und her. Gerade in Krisenzeiten schlagen bestimmte, nicht immer ganz rationale Konzernmuster durch.

Was meinen Sie damit?

Z.B. ist es so, dass unser Geschäftsfeld aufgrund der Art des Geschäfts relativ personalintensiv ist und in einer Krise Headcount immer ein Thema wird. Plötzlich redet man nur mehr über Köpfe. Weist man dann darauf hin, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen werden, weil unterschiedliche Märkte ganz unterschiedliche Personalstrukturen erfordern, wird einem schnell unterstellt, dass man nur blockieren wolle und sich weigere, die neuen Vorgaben umzusetzen. Der Stehsatz ist: "Alle haben gleichermaßen ihren Beitrag zu leisten." In dem Sinn sind wir von der Krise einfach mitgerissen worden. Mir ist klar, dass auch Konzernmanager unter großem Druck stehen, trotzdem sehe ich die Gefahr, dass vor lauter schnell schnell und sparen sparen mitunter ganze Geschäftsfelder und Märkte, die mühsam über Jahre aufgebaut wurden, kaputt gemacht werden. Wenn dann Manager, die näher an diesen Märkten sind, auf Geschäftsfelder hinweisen, die nach wie vor gut klappen, heißt es in dieser aufgeheizten Phase oft: Man hänge am Alten, man wehre sich gegen Veränderung, sei ein Besitzstandswahrer, ein Veränderungsmuffel und im schlimmsten Fall wird man vor versammelter Mannschaft platt gemacht, dass man die Strategie nicht mitträgt. Interessanterweise zählen dann bei den "Erbsenzählern" selbst Zahlen plötzlich nichts mehr, weil sie entweder nicht geglaubt, für irrelevant erklärt oder einfach angezweifelt werden.

Trotzdem müssen die Leute vor Ort das Geschäft weiterführen und sei es nur, bestehende Projekte zu managen. Die fragen doch: Wie geht es weiter? Wo geht es hin? Was soll ich machen?

Ich sitze mit den Leuten so oft es geht in persönlichen Gesprächen. Das muss man persönlich machen, das geht nicht vom Schreibtisch aus via Telefon oder E-Mail. Deswegen sind die Leute großteils noch bei der Stange. Trotzdem verliere ich immer wieder wichtige Key-Player. Und da es in diesen Märkten oft nur eine Handvoll Leute gibt, die wirklich Ahnung und Erfahrung von diesem Geschäft haben, ist das ein Schwund, den man fast nicht mehr gut machen kann. Dazu kommt: Ich bekomme auch keine guten Leute mehr nach, solange ich keinem eine Perspektive bieten kann, weil ich selber nicht weiß, wie es weitergeht. 

Nach den Erfahrungen der letzten Jahre denke ich mittlerweile, es ist gar nicht so wichtig, welche Strategie man hat oder ob die häufig wechselt, Hauptsache man redet mit seinen Leuten. Sobald mit den Leuten nicht mehr gesprochen wird, werden sie wieder zu reinen Befehlsempfängern. Es ist das Recht des Eigentümers, Entscheidungen zu treffen, auch wenn die nicht allen schmecken. Entscheidend ist aus meiner Erfahrung, ob man den Leuten mitteilt, wie man zu der Entscheidung gekommen ist, damit sie das nachvollziehen können und genau das unterbleibt häufig: Wie sind wir auf diese Idee gekommen und warum haben wir genau so entschieden? Die Entscheider im Konzern haben sich das nicht aus dem Ärmel geschüttelt. Meist gab es intensive Diskussionsprozesse und mehrere Alternativen. Option A, B, C. Die Leute wollen einfach wissen: Welche waren das, warum wurde so entschieden? Da haben Vorstände oft Angst, dass die Leute gleich mitentscheiden wollen. Das ist eine Verwechslung. Die Leute wollen einfach eine Erklärung der Entscheidung und die Hintergründe verstehen.

Was folgt aus diesen Erfahrungen der vergangenen Jahre?

Ich glaube, wir müssen uns geistig drauf einstellen, dass wir heute in Organisationen arbeiten, die mit permanentem Wechsel konfrontiert sind. Die Leute wechseln, die Strategien wechseln, die Märkte verändern sich, sie werden von Jahr zu Jahr dynamischer. Wenn aber Märkte immer dynamischer werden, muss ich mich als Organisation darauf einstellen, dass sich schneller Chancen und Risiken ergeben und verschieben. Wie soll das aber ein fernes Headquarter steuern? Das geht einfach nicht. Der Informationsgap wird trotz aller IT größer und größer. Meiner Meinung wird es immer wichtiger, die richtigen Leute mit dem richtigen Mindset vor Ort zu haben, weil man nur so die nötige Flexibilität erreichen kann. Nur muss ich dann als Konzern auch aushalten, dass die mitreden und gehört werden wollen. Ich muss als Headquarter differenzieren lernen, ob ein "geht nicht" nur Unwillen und Unlust ausdrückt oder ob wirklich gute Argumente dahinter stehen. Dazu muss ich diese Leute aber wirklich kennen und einschätzen können und dazu braucht es persönlichen Kontakt. Dazu kommt: In Konzernen gibt es viele Leute, die laufend Sachen beurteilen, die sie noch nie selbst gesehen haben. Hinzufahren und etwas mit eigenen Augen zu sehen oder eben nicht, macht einen enormen Unterschied. Dieses Spannungsverhältnis von Flexibilität durch Dezentralität und Vertrauen und einer geeigneten Form zentraler Steuerung wird daher weiter zunehmen.

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