Kreativ konstruktiv subversiv

Mag. Mathias Weyrer, geschäftsführender Gesellschafter des Beratungsunternehmens C/O/N/E/C/T/A, über die Tendenz der vergangenen Jahre zur Re-Hierarchisierung der Konzerne und sinnvolle wie schädliche Strategien, als Manager mit ungeliebten Vorgaben umzugehen.

Wie geht man als Manager mit den Ansprüchen und Anforderungen des Headquarters um? Taucht diese Frage in Ihrer Arbeit in den Unternehmen auf?

Ja natürlich. Ich hatte vor kurzem einen Manager aus dem oberen Mittelmanagement in einem Seminar, der von den anderen Teilnehmern gefragt wurde, wie er mit widersprüchlichen Zielvorgaben des Konzerns umgeht. Er hat folgendermaßen argumentiert: Man muss verstehen, dass manche Unternehmensziele zueinander widersprüchlich sind. Wenn sich das Unternehmen stark auf ökonomische Ziele konzentriert, kommt es tendenziell auf der Ebene sozialer Ziele zu einem Aderlass. Wird an der Kostenschraube dreht, sind möglicherweise die Qualitätsziele schwieriger zu erreichen, aber auch die ganzen soziale Ziele wie die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Führung, etc.  Das sei eben der Eiertanz.

Dazu fallen mir folgende Interpretationen ein: Die Leute in der Konzernzentrale wissen das auch und achten daher auf Warnsignale. Sie geben Ziele vor und sehen dann bei der Messung und bei Mitarbeiterbefragungen, wo etwas nicht mehr geht oder aus dem Ruder läuft. Dann beginnen die Zentralen nachzujustieren, um das Zerren der Ziele untereinander ein wenig mehr in Balance zu bringen. Mir kommt vor, dass Manager, die das so betrachten, sich mit Vorgaben ein Stück leichter tun, weil sie diese dann relativ ernst nehmen und nicht zu ernst. Daraus ergibt sich die die Frage des Umgangs mit Zielen, wenn man nicht ganz damit einverstanden ist. Lohnt es sich etwa, ein wenig zu taktieren? Man fängt zum Beispiel einmal ein wenig an, eine neue Vorgabe umzusetzen, legt aber nicht allzu viel Energie hinein und wartet einmal ab, ob von oben nachgedrückt wird. Dadurch geht nicht vorschnell Porzellan kaputt, das nicht wieder geklebt werden kann, denn offenen Widerstand zu leisten und laut kundzutun, das sei alles ein totaler Blödsinn, ist zumindest in den Unternehmen, in denen ich tätig bin, nicht zielführend. Auf der Ebene der Persönlichkeit hat das meines Erachtens nach viel mit Ambiguitätstoleranz zu tun, also mit der Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten und gezielt damit umzugehen. Man versucht zum Beispiel in Spannungssituationen, Hinweise zu bekommen, in welche Richtung der Wind weht. Ich nenne das "kontextbezogene Intelligenz". Das heißt zu wissen, was in einem Unternehmen wirklich verbindlich ist und scharfscharf beobachtet wird und wo vielleicht oben noch Spielraum ist.

Also: Was ist fix vorgegeben, was ist verhandelbar? Viele Manager scheinen alle Vorgaben zu schlucken und dann zu schimpfen, statt sie zumindest einmal zu hinterfragen.

Das Problem beim Prozess der Zielformulierung ist folgendes: Wenn man Ziele infragestellen und verhandeln will, wird man langsam. Denn dann muss sich das vorgebende Top-Management auch mit den Argumenten auseinandersetzen und bereit sein, etwas zu verändern, sonst wird es unglaubwürdig. Mein Eindruck ist, dass dazu oft wenig Zeit vorhanden ist und von oben massiver Druck kommt, was stark mit der Shareholder-Value-Idee zusammenhängt. Die Gewinnprognose muss nach außen halten. Die Manager oben reagieren auf diese Außensteuerung und haben im Grunde null Anlass, mit den Leuten weiter unten zu verhandeln, sondern es heißt: "Das ist jetzt so, macht das. Das geht schon irgendwie." Das Gesagte gilt also als gesetzt. Das müssen die Ebenen darunter verstehen und mittragen können - und eben aushalten. Wenn Kritik erlaubt ist, dann nur in Gremien, wo auch ein informeller Spielraum und Abstimmung möglich ist - im Vorstandsgremium, im Bereichsgremium etc. wo diese Ziele auf die einzelnen Bereiche und die unteren Ebenen umgelegt werden. Da geht die Diskussion los, weil man unter sich sein kann und keine Öffentlichkeit hat. In der betrieblichen Öffentlichkeit wird von unten Loyalität eingefordert.

Das klingt wie ein Wiederaufleben der klassischen Hierarchie.

Es ist eine zunehmende Konzentration nach oben und die Wahl eines bestimmten Fokus des Managens. Das Top-Management lenkt vorrangig mit abstrakten Größen. Es abstrahiert die Organisation und benennt meßbare Zielvorgaben, die man nach unten gibt und an denen man dreht. Das ist natürlich notwendig. Es gibt aber auch noch eine zweite Ebene, den Umgang mit Menschen, wo ein anderes Ziel im Vordergrund steht, nämlich das Motivationspotenzial der Leute zu aktivieren. Das bedeutet  mit den Leuten zu reden, sich mit ihnen auseinander zu setzen und sie dazu zu bringen, ihre volle Schaffenskraft in die Organisation einzubringen. Die dritte Ebene ist die operative Handlungsebene, wo Manager im Sinne einer Vorort-Präsenz wichtige Projekte anschieben, eine Entscheidung über ein Produkt treffen, etc. Die Kunst ist, die drei Ebenen zu verweben. Gerade in den beiden vergangenen Krisenjahren wurde wieder sehr stark auf das abstrakte Management Wert gelegt. Man hat den Businessplan in Zahlen gegossen und als Projekte nach unten gegeben: massive Kosteneinsparungen, weniger Investitionen in neue Produkte und die Mitarbeiter. Ich glaube, dass in dieser Phase viele Leute emotional verloren gegangen sind und sich Unternehmen auch von ihren Basen weiter entfernt haben.

Dort sitzen dann die Länder-Geschäftsführer mit ihren Managementteams und Mittelmanagern, sehen die Anforderungen und denken sich: Klar können wir Mitarbeiter entlassen, aber dann fehlen uns diese Leute in einem Jahr wieder. Wir produzieren einen massiven Know-How-Abfluss und hauen uns mittelfristig den Markt zusammen. Was sollen diese Manager dann machen? Protestieren oder resignieren und exekutieren? Oder tricksen, indem sie Personalkosten als Sachkosten verstecken, etc.?

Sie müssen sich sicherlich nach der Decke strecken, weil diese Dynamik von oben stark gesteuert wird und tendenziell längerfristig angelegte, nachhaltige Lösungen einem kurzfristig wirksamen Shareholder Value untergeordnet werden. Jedes Tun hat daher Vor- und Nachteile für unterschiedliche Interessensgruppen. Aber natürlich entwickeln die betroffenen Einheiten auch ganz subtile Strategien und Tricks, dem Druck von oben auszuweichen. Nur reden sie verständlicherweise nicht gerne darüber. Sie setzen ihre kontextspezifische Intelligenz ein. Konzernzentralen halten manchmal so lange den Daumen drauf, bis es richtig quietscht. Z.B. haben Autokonzerne teilweise im großen Stil Leute abgebaut und einen Teil kurz darauf wieder als Leiharbeiter reingeholt und dabei zumindest in Kauf genommen, dass es zu Qualitätsproblemen kam. Auf den unteren Ebenen bekommt man den Druck als Manager natürlich am stärksten mit. Dieses System ist aber häufig insofern relativ gut festgezurrt, als Managementebenen bis zu einer gewissen Tiefe mit variablen Gehaltsbestandteilen eben an diese nach außen gerichteten Ziele gekoppelt sind und so ein hohes Interesse haben, diese Ziele umzusetzen. So wird man zumindest persönlich entschädigt. Aber die Grunddynamik bleibt.

Was gibt es für Lösungsansätze, welche Optionen hat der einzelne Manager?

Eine Variante wäre, er redet mit seinem Chef und lotet etwaige Spielräume aus. Eine andere Variante ist, er geht es taktisch und abwartend an, bis oben rauskommt, das es so nicht umsetzbar ist. Dann muss oben  umgeplant werden. Entscheidend ist dabei, ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Zahlen wirklich unumstößlich sind und wo man straffrei ein Ziel nicht erreichen kann, d.h. man muss die politische Großwetterlage verstehen. Wenn ich weiß, dass mein Chef für die und die Geschichte einsteht, dann werde ich da eher nicht verhandeln oder taktieren. Bei einem anderen Thema hingegen kann es durchaus Sinn machen, einmal abzuwarten und zu schauen, was passiert. Vielleicht hat der Chef eine Idee gehabt, kontrolliert es aber nicht nachdrücklich und das Ganze schläft wieder ein. Oder es ändert sich die Großwetterlage und das Topmanagement entscheidet etwas anders. Das ist einer der Selbstregulationsmechanismen in Organisationen. Ich finde das auch deswegen zu vertreten, weil dieser Mechanismus auch die Intelligenz von Organisationen ausmacht. Von oben gibt es einen Input und die Organisation denkt nach und macht das Beste draus.

Natürlich ist es in den Coachings Thema, dass Führungskräfte sagen: "Ich verstehe das nicht. Was wollen die jetzt schon wieder? Wie soll ich damit umgehen, das ist doch ein völliger Käse. Was soll ich da jetzt machen? Die haben anscheinend keine Ahnung von unserer Situation vor Ort." Mir fällt ein Beispiel ein, wo ein Manager einen sehr aufwändigen Bericht über die Aktivitäten seines Bereiches erstellen mußte, samt genauen Berichtsanforderungen, was alles drinnen stehen mußte. Seine Überzeugung war: "Wenn wir das so machen wie gefordert, ist ein zu großer Teil unserer Kapazitäten gebunden. Das ist völlig widersinnig und bringt überhaupt nichts." Wir haben dann darüber geredet, was die Berichte an Kriterien enthalten müssen, damit das oben erst mal durchgeht. Dabei kam heraus, dass man das Ganze wesentlich kürzer machen kann als ursprünglich gedacht, wenn er sich auf einige wichtige Eckdaten konzentriert und diese jeweils mit einem Kommentar versieht. Das hat er gemacht und das hat so funktioniert. Wenn man so einen Weg einschlägt, sollte man sich aber auch eine Nachfolgestrategie überlegen: Welches Risiko gehe ich damit ein und was tue ich im Fall des Falles, z.B. wenn die Qualität des Berichts moniert wird?

Was liegt zwischen Ohnmacht und Auflehnung und Verweigerung?

Kreativ konstruktiv subversiv zu sein. Also nicht destruktiv, nicht die Organisation blockieren, sondern den Motor vielleicht langsamer laufen zu lassen und vorrauschauend fahren, Schleichwege und Abkürzungen nehmen, die gar nicht auf der Fahrtroute stehen. Und darauf setzen, dass die vielleicht auf den ersten Blick subversiv wirkenden Verhaltensweisen  letztendlich dem Unternehmen nützen, weil bisher nicht mitgedachte wichtige Aspekte und Interessen damit berücksichtigt werden. Organisationsdynamisch steht folgendes dahinter: Widersprüche erzeugen auf Dauer gesehen einen Gegen-Widerspruch. Eine autoritäre Führungskultur produziert das Aufkommen von antiautoritären Strömungen. Eine einseitige Befehlsausgabe produziert Selbstorganisation. Denken Sie nur daran, was z.B. täglich in Spitälern passiert: Dort sind die Krankenschwestern strukturell in der schwierigen Situation, zwischen den Fachärzten zu stehen, die die Therapie jeweils aus ihrer Expertise heraus vorgeben. Sie müssen dann kreativ, konstruktiv und taktisch entscheiden, wie sie die Widersprüche im Sinne des Wohles des Patienten auflösen und mit den  unterschiedlichen Behandlungsanweisungen umgehen, ohne sie zu konterkarieren. Die Ärzte setzen sich in der Regel ja nicht zusammen und diskutieren über den Patienten. So haben letztendlich alle was davon.

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