"Geschäftsführer können nicht auf Zuruf arbeiten"

Dr. Alfred Veider, Geschäftsführer von Thales Austria, über seine Erfahrungen sowohl im Headquarter als auch als Country Manager, das nötige Verständnis der unterschiedlichen Logiken und Prioritäten und den gekonnten Umgang mit unbotmäßigen Ansinnen.

Sie kennen sowohl die Arbeit in einem Headquarter als auch die Arbeit als General-Manager. Wie kam es zu dem Job in der Konzernzentrale?

Als ich bei Alcatel gearbeitet habe, bin ich für zwei Jahre ins Headquarter nach Paris gegangen, wo ich zentrale Produktstrategieaufgaben für ein bestimmtes Portfolio wahrgenommen habe. Ich fand es extrem nützlich, Management einmal aus dieser Perspektive zu erleben. Ich glaube, man sollte auf dem Weg zum General Manager, falls sich die Möglichkeit ergibt, unbedingt diesen Schritt tun, mit dem Eigentümer im Headquarter zusammen zu arbeiten. Das ist erstens ein Vorteil im CV, vor allem aber ist es vom Verständnis her wichtig, um z.B. professionell mit Regeln, die ein Konzern vorgibt, umgehen zu können. Es gibt bestimmte Gründe, warum bestimmte Dinge so gemacht werden, wie sie gemacht werden. Man mag die Gründe nicht immer teilen oder willkommen heißen, aber man kann sie, wenn man einmal in einem Headquarter gearbeitet hat, besser verstehen.

Was waren Ihre wichtigen Erfahrungen im Headquarter?

Zunächst einmal muss man die Sprache können. Ich habe eine ganz gute Kenntnis der französischen Sprache, aber ich kenne nicht alle Feinheiten. Die Franzosen sprechen viel zwischen den Zeilen, daher muss man erst einmal ein Gefühl dafür entwickeln, was da gerade wirklich besprochen wird, bevor man in der Kommunikation mithalten kann. Die offizielle Konzernsprache war zwar Englisch, aber im Headquarter sprach jeder Französisch. Das zweite ist, dass ein Headquarter immer eine Einheit ist, wo Informationen extrem wertvoll sind. Das Thema Teamgeist in einem Headquarter ist ein ganz eigenes Thema. Was man in einer operativen Einheit als "an einem Strang ziehen" bezeichnen kann, ist klar benennbar. Da geht es um den Unternehmenserfolg und klare Zahlen. Auftragseingang, Umsätze, Ergebnisse. In einem Headquarter geht es um ganz andere Dinge. Das sind ja alles Overheadfunktionen und die versuchen sich durch verschiedenste Methoden zu positionieren. Durch klare, sachliche Arbeit, durch Intrigen und durch Effekthaschereien. Ein Headquarter ist mit vielen intelligenten Leuten besetzt, aber der Teamgedanke ist hier etwas "weiter gesteckt" als in einer operativen Einheit.

Sehen Sie bestimmte Dinge durch den Aufenthalt im Headquarter heute anders als früher?

Ja, natürlich. Es gibt viele Dinge, die man besser versteht. Zum einen die Frage, was macht die Stärke einer internationalen Präsenz überhaupt aus? Eine wichtiges Thema und Lernfeld ist die Optimierung der wirtschaftlichen Tätigkeit bezogen auf die vielen rechtlichen Gegebenheiten in den einzelnen Ländern. Europa ist etwa hinsichtlich der steuerlichen Gesetzgebung immer noch unglaublich unterschiedlich und jeder Konzern muss natürlich versuchen, seine eigenen Ressourcen zu optimieren. Und dieses Optimum für das Ganze gerät nun einmal in Konflikt mit den einzelnen Länderinteressen. Ein anderer Punkt ist die Frage: Wie geht man mit geistigem Eigentum um? Wie schnell ist man z.B. bereit, Technologie abzugeben, zu transferieren, sich zu exponieren? Wie trifft man gute Lizenzvereinbarungen? Das muss auf einer relativ generellen Ebene passieren. Um gewisse Interessen in China oder Indien durchsetzen zu können, muss man als Unternehmen schon eine gewisse Power haben. All das lernt man ganz gut in einem Headquarter. Ein weiterer Punkt ist natürlich, wie man effektive Ziele vorgeben kann, die viele Satelliten betreffen. Das lokale Beste muss nicht unbedingt das globale Beste sein und aus dem heraus stellt sich die Frage: Wie steuert man das Gesamte? Viele Konzerne machen das über Prozess- und Tool-Landschaften, das ist mittlerweile Standard. Es gibt auch bestimmte rechtliche Hintergründe wie die Einhaltung des Bilanzjahres. Wenn Sie nicht in der Lage sind, eine konsolidierte Finanzinformation für den Finanzmarkt an einem bestimmten Tag herauszugeben, sind Sie weg vom Fenster. Daher muss es hart getaktete Phasen in einem Unternehmen geben, in denen Zahlen und Ergebnisse abgeliefert werden. Ein weiterer Punkt ist der Aufbau eines persönlichen Netzwerks. Wenn man die Leute nicht kennt, die die relevanten Entscheidungen treffen, ist man in einem großen Konzern aufgeschmissen. Sie brauchen jemanden, den Sie auch mal direkt anrufen und fragen können: Machen wir das jetzt so oder nicht? Denn ein großer Konzern kann auch ineffektiv werden, vor allem in der Entscheidungsfindung.

Kennen die Mittelmanager die Hintergründe bestimmter Regeln nicht, ist ihnen das egal oder wird einfach nicht genug darüber geredet? Ich habe den Eindruck, viele schimpfen nach oben, solidarisieren sich sozusagen mit ihren Mitarbeitern und fallen damit ein Stück aus ihrer Managerrolle heraus. Oder stehen in deren Fokus eher Dinge wie Zielvorgaben oder Budgetbeschränkungen etc.?

Das sind mehrere wichtige Aspekte, die Sie da ansprechen: Zum einen das Thema Kommunikation, das ist extrem wichtig. Bei uns ist es z.B. so, dass die Intra-Group-Trading-Rules veröffentlicht und für jeden einsichtig sind. Das hilft zumindest mal in einem ersten Schritt, um zu vermitteln, was dahinter steckt. Der zweite Punkt ist das Thema Zielvorgaben: Wir machen unser Budget als Landesorganisation selbst, erstellen ein Budget als Vorschlag und gehen dann zum Eigentümer, um das Budget dort zu fixieren. Selbstverständlich ist es die Rolle des Eigentümers, unsere Ziele zu challengen. Wenn ich einen Vorschlag mache, werden die natürlich immer sagen: Warum sind das 10 und nicht 11 oder 12? Es steht ihnen zu, diese Diskussion zu führen, aber die ist bei uns keineswegs unmenschlich. Ich weiß aber auch, dass es Firmen gibt, die nicht in dieser Situation sind, sondern einfach nur als channel to market agieren und beliebige Vorgaben von oben vorgesetzt bekommen. Dort ist es anders. Wir werden wie gesagt gechallenged und manchmal bekommen auch wir eine Vorgabe, wo wir sagen, wahrscheinlich nicht erreichbar, aber der Eigentümer hat nur die Möglichkeit, das herauszufinden, indem er challengt. Es ist ein wenig wie bei der Kirchensteuer: Wenn Sie nichts sagen, wird sie jedes Jahr erhöht, solange bis Sie schreien.

Der dritte Punkt mit den ungeliebten Regeln - ja die gibt es, aber die kann man auch erklären. Beispielsweise gibt es mittlerweile einen europäischen Betriebsrat und viele internationale Firmen haben eine Art sozialpartnerschaftliche Erklärung abgegeben. D.h. wann immer es irgendwo notwendig ist, Personal abzubauen, muss das in einem Gesamtkontext passieren. Daraus ergibt sich ein solidarisches Handeln. Als etwa bei General Motors die Diskussion über Werkschließungen los ging, haben die Belgier sofort gesagt, aber nicht bei uns, die Deutschen ebenfalls und die Franzosen auch. Klar, jeder schützt seine eigenen Leute. Aus dem heraus entsteht dann dieser gnadenlose Kompromiss, über den Kamm in allen Ländern zu sparen. Dann sind alle gleich unzufrieden. Das ist zwar einerseits überhaupt nicht gerechtfertigt, aber die salomonische Lösung, damit der allgemeine Sozialfriede gewährleistet ist. Als lokales Management muss ich einsehen, dass das nicht zu gewinnen ist. Wie wollen Sie die Franzosen davon überzeugen, dass es notwendig ist, in Frankreich 100 Arbeitsplätze abzubauen und in Österreich 100 Plätze aufzubauen? Die werden sagen: Bin ich ein französischer Konzern oder nicht?

Im Mittelmanagement kommt dann alles zusammen. Es gibt z.B. ein Joint Venture, es laufen zahlreiche Projekte, man hat immer wieder neue Strukturen, neue Prozesses, neue Compliance-Regeln, kriegt extrem ehrgeizige Vorgaben, muss vielleicht auch noch Leute abbauen und denkt sich dann: Die spinnen, die Römer! Ist das ein Einzelfall oder grassiert das in den Konzernen?

Nein, dem würde ich wirklich widersprechen. Erstens kenne ich genug Mittelständler, wo das auch der Fall ist. Zum anderen habe ich bei uns im Konzern nicht ständig wechselnde Ansprechpartner und sinnlose Vorgaben. Ich habe ehrgeizige Vorgaben, ja, aber ich habe meine Ansprechpartner und ich kann rationale Argumente vorbringen, die auch gehört werden. Manchmal gewinne ich, manchmal verliere ich. Hinsichtlich des Arbeitens am Anschlag ist es so: Wenn es z.B. heißt: Ihr könnt jetzt nicht weiter wachsen, hiring freeze, dann helfen wir uns so, dass wir mehr und mehr Arbeitspakete nach außen geben. Es hat sich ein ganzer Wirtschaftszweig entwickelt, der gut davon lebt, die Leiharbeit. Das Dritte ist, bestimmte Dinge lassen sich gerade durch die Zahlenverliebtheit der Konzerne vom lokalen Management gut argumentieren: Wenn ich Projekte habe, sind die prozessmäßig untermauert und mit Zahlen unterlegt. Daher tut sich der Konzern extrem schwer, einfach zu sagen: Du mußt jetzt mit x Personen weniger auskommen. Denn dann kann ich sehr genau argumentieren: "Schau her, ich bin schon am Anschlag mit meinen Überstunden und mit der Wochenarbeitszeit, die mir das Gesetz erlaubt, das geht einfach nicht." Es kann mühsam sein, die Argumente zu finden, aber das habe ich im Lauf der Zeit mehr und mehr gelernt. Den Ball würde ich also auch zurückspielen: Wenn sich das lokale Management von einem Konzernmanagement treiben lässt, weil es nicht die Argumente parat hat, bestimmte Ansinnen zu entkräften, dann sollte es schleunigst daran arbeiten. Die Systeme spucken mittlerweile für alles Zahlen aus und die kann man sich auch zunutze machen.

Was würden Sie Manager-Kollegen da konkret raten?

Erstens ist es total wichtig, dass Sie eine eigene Finanzabteilung haben, die alle Ihre Steuerungsparameter im Griff hat. Das machen viele Geschäftsführer vollkommen falsch. Ich kenne viele kleinere GmbHs, die wissen gar nichts von ihren Parametern. Entweder haben sie die Buchhaltung überhaupt ausgelagert oder sie haben sie im Haus, aber keine aktuellen Zahlen. Ich würde jedem anraten, sich einen guten Finanzexperten an die Seite zu holen. Das Zweite ist, möglichst viele Ihrer Informationssysteme so zu verschalten, dass Sie das Thema Auslastung und Kapazitätsmanagement im Griff haben. Sie müssen den Nachweis führen können, dass die Leute über das Jahr ausgelastet sind und die Arbeit über das Jahr effizient verteilt ist, sonst haben Sie gegenüber dem Konzern keine Chance. Ich sammle darüber hinaus auch alle anderen Arten von Informationen, sei es juristisch, von Wirtschaftsprüfern, Steuerbehörden, etc., alle Argumente, die ich schriftlich und sachlich festhalten kann. Wenn dann jemand sagt, warum machen wir das nicht so, lege ich ihm, wenn es sachlich fundierte Einwände gibt, das Blatt vor und sage: Deshalb! Das ist eine mühsame Arbeit, aber die ist notwendig.

Ein anderes Thema sind Matrixstrukturen, durch die jeder im lokalen Managementteam woanders hin reportet und die Verantwortlichen auf Konzernebene im schlechtesten Fall alles andere als einig sind, wodurch widersprüchliche Ziele vorgegeben werden. Was macht man da im lokalen Managementteam?

Das sehe ich etwas anders. Zunächst ist es so: Wenn Sie Geschäftsführer einer Gesellschaft in einem Land sind, dann haben Sie gewisse gesellschaftsrechtliche Kompetenzen. Sie sind Vertreter dieser Firma und haben bestimmte Kompetenzen und Pflichten. Sie stehen persönlich für das korrekte Handeln dieser Firma. Das ist ein starkes Argument, nicht nur nach außen. Ich muss als Geschäftsführer nicht alles machen, nur weil der Konzern das will, ich darf es gar nicht. Das wird von lokalen Managern viel zu selten eingesetzt. Es funktioniert meiner Erfahrung nach sehr gut, bei bestimmten Dingen zu sagen: "Nein das mache ich nicht. Ich will eine schriftliche Anweisung. Das widerspricht dem österreichischen Gesetz." Das unterschreibt Ihnen niemand! Man ist als Geschäftsführer verantwortlich für das, was in dem Land passiert. Das legale Argument ist manchmal sehr zu Ihrem Vorteil. Das nutzen viele Manager aber nicht, wahrscheinlich weil sie die gesetzlichen Regeln gar nicht kennen. Fakt ist: Für die gesellschaftsrechtliche Funktion ist nicht der zuständig, der mir etwas anschafft, sondern ich selbst als Geschäftsführer. Wenn hier Dinge widersprüchlich sind, dann will ich eine schriftliche Anweisung haben, sonst mache ich es nicht. Der Konzern kann natürlich sagen: Wenn du das ohne Anweisung nicht machst, nehme ich mir den nächsten Manager. Da muss man stark genug sei, zu sagen, dann gehe ich. Wir haben z.B. einen Rechtskundigen, einen Wirtschaftsanwalt, und wann immer eine Frage auftaucht, bei der wir uns nicht genau auskennen, lassen wir die zunächst einmal klären. Ein kleines Gutachten ist schnell ein Auftrag gegeben und kommt auch schnell. Damit gehe ich zum Konzern und sage: So schaut das bei uns aus, ich will eine schriftliche Anweisung. Die bekommt man nicht. Das muss man einsetzen, und das wirkt auch. Sie können als Geschäftsführer nicht einfach auf Zuruf arbeiten, denn am Ende sind Sie selbst verantwortlich und können sich nicht einfach damit entschuldigen, dass Ihnen das jemand anderer angeschafft hat.

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Dr. Alfred Veider, Geschäftsführer der Thales Austria GmbH