Das Gerede vom ständigen Wandel

Nicht überall, wo Wandel drauf steht, ist auch Wandel drinnen.

Der Personalleiter eines Telekom-Unternehmens führt in seinem Bereich ein neues Zielvereinbarungssystem ein, basierend auf der Balanced Scorecard. Eine heimische Bank übernimmt die Mehrheit an einer osteuropäischen Bank. Ein Speditionsunternehmen, das bisher "Produkte" an den Mann gebracht hat, verändert sein Selbstverständnis in Richtung Logistikdienstleister, der seine Kunden bei der effizienten Gestaltung ihrer Logistikprozesse berät, unterstützt und einen kleineren oder größeren Teil dieser Prozesse übernimmt. Dasselbe Logistikunternehmen führt sieben, in ganz Wien verstreute Standorte an einem einzigen neuen Standort zusammen. Die Tochter eines internationalen IT-Konzerns stellt ihre Organisation von einer funktionalen Gliederung auf eine Geschäftsorganisation um.

Evolution oder Revolution?

Veränderungen prägen inzwischen den Arbeitsalltag in vielen Unternehmen. Und doch ist Veränderung nicht gleich Veränderung, wie jede Führungskraft und jeder Mitarbeiter inzwischen aus vielfältigem eigenem Erleben bestätigen kann. Es gibt Veränderungen, die sozusagen "an der Oberfläche" bleiben - z.B. ein neues Arbeitsmittel, ein veränderter Arbeitsprozess – und allenfalls Unmut über die erforderliche Umgewöhnung oder den erhöhten Arbeitsaufwand auslösen, während andere Veränderungen "ans Eingemachte gehen" und emotionalen Aufruhr verursachen, der durchaus krisenhafte Ausmaße annehmen kann.

Zum einen stellt sich also die Frage nach der Art der Veränderung. Eine sehr sinnvolle und hilfreiche Einteilung stammt von Humberto Maturana und Francisco Varela, die zwischen Wandel 1. und 2. Ordnung unterscheiden: Wandel 1. Ordnung meint eine Veränderung innerhalb des Systems, somit Entwicklung, Evolution, Verbesserung, Optimierung, während der Wandel 2. Ordnung die Veränderung des Systems meint, einen Muster- und Identitätswechsel, somit die radikale Veränderung.

Wandel 1. Ordnung, das "Optimieren" eines bestehenden Systems, gehört – so wird auch in den Managerinterviews klar -  quasi schon zum Alltagsgeschäft. Der Wandel 2. Ordnung, der Musterwechsel, z.B. ein radikal neues Selbstverständnis eines Unternehmens, ist hingegen eine enorm anspruchsvolle Aktion, wie Dr. Ruth Seliger anschaulich beschreibt: Denn dieser Musterwechsel erfordert von Managern zwei schwierige Dinge gleichzeitig: sich selbst und die Organisation zu ändern. Bei dieser Art Wandel kommen die Manager (ebenso wie ihre Mitarbeiter) nicht ungeschoren davon. Manager sind immer auch Mitspieler, nie reine Beobachter, auch wenn sie das häufig genug gerne annehmen würden. Musterwechsel gehen also – so sie gelingen sollen - immer einher mit einem Hinterfragen des derzeitigen Selbstverständnisses der Führungskräfte, sie sind verbunden mit einer Reflexion und gegebenenfalls dem Neudefinieren ihrer Rolle und ihrer Aufgaben. Peter Senge beschreibt das treffend mit dem Satz: "Es genügt nicht, Strategien, Strukturen und Systeme zu ändern. Auch das Denken, das diese Strategien, Strukturen und Systeme hervorbrachte, muss sich ändern." (Dance of Change S. 24)

Dr. Ruth Seliger: "Das ist kein Change, das ist verrückt!"

Des Weiteren stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die verschiedenen Arten von Wandel für das Management dieses Wandels haben. Lassen sich Aussagen im Change-Management überhaupt generalisieren oder sollten verschiedene Führungsebenen nicht besser getrennt betrachtet werden, wie dies Dr. Barabara Heitger vorschlägt, wenn sie drei wichtige Adressatengruppen im Change-Management ausmacht, denen sie jeweils besondere Aufgaben zuordnet: die Executive Leaders, die Network-Leader und die Local Line Leader.

Dr. Barbara Heitger: Talk the Walk

Radikaler Wandel, soviel ist klar, stellt hohe Anforderung an alle Beteiligten. Er ist nicht nur anstrengend und sein Erfolg höchst ungewiss, er braucht auch und vor allem eine für jeden leicht nachvollziehbare Begründung, wenn es gelingen soll, die nötige Veränderungsenergie bei Führungskräften und Mitarbeitern zu mobilisieren. Die Einser-Frage lautet stets: Wozu die ganze Anstrengung?

Am ehesten nachzuvollziehen ist die Notwendigkeit eines radikalen Bruchs in einer existenziellen Krise des Unternehmens. Doch selbst hier sind die naheliegendsten Lösungen keineswegs immer die besten. Abhängig von den tiefer liegenden Gründen der momentanen Probleme kann eine radikale Lösung nur allzu leicht eine brachiale Lösung werden, wenn durch das Zerschlagen bisheriger Strukturen und Prozesse zentrale Kernkompetenzen zerstört werden und das Unternehmen dadurch nachhaltig geschwächt wird. Auch wenn es vielleicht weniger chic sein mag - mitunter kann es durchaus der bessere Weg sein, das bestehende System zu optimieren und zu modernisieren, um schnell und nachhaltig wieder auf die Strasse des Erfolgs zurückzufinden.

Dr. Kristin Hanusch-Linser:  "Wandel um des Wandels willen ist auch daneben"

Was aber, wenn vom "Gefühl der Dringlichkeit" weit und breit nichts zu sehen ist? Wozu ein radikaler Wechsel, so die durchaus berechtigte Frage, wenn ein Rekordergebnis das nächste jagt? Zwar mögen einige Einzelpersonen die drohende Krise bereits in Ansätzen am fernen Horizont erkennen – doch wie schafft man es, die Mannschaft von der Notwendigkeit zu überzeugen, bereits jetzt die Komfortzone zu verlassen und all die mit einem radikalen Wechsel verbundenen Anstrengungen und Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen, wenn eben noch das tolle Unternehmensergebnis gefeiert wurde? So unternehmensspezifisch die Antwort darauf im Einzelnen auch ausfallen mag, bei erfolgreichen Beispielen stechen doch zwei Gemeinsamkeiten ins Auge: Ob eine drohende Krise "erst als schwaches Signal fern am Horizont" erkannt wird oder als bereits vorhandene Marktentwicklung, hängt wesentlich davon ab, wer diese Botschaft wie überbringt: Mit Abstand am wirkungsvollsten sind in dieser Hinsicht unverblümte Schilderungen wichtiger Kunden. Die zweite Gemeinsamkeit heißt: Ohne eingeschworenes Leitungsteam werden Sie dieses "Gefühl der Dringlichkeit" niemals glaubwürdig vermitteln können.

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Es gibt aber noch einen anderen Grund für Argumentationsnotstände, in die gerade große Unternehmen immer häufiger steuern. Das Zusammenprallen unterschiedlicher Logiken von Kapital- und Realmarkt macht es Führungskräften speziell in Konzernstrukturen immer schwerer, Veränderungsprojekte mit Marktveränderungen zu begründen, wobei – wie Barbara Heitger so treffend hinweist - auch der Kapitalmarkt ein für Unternehmen wichtiger Markt ist. Verzichtet das Top-Management aber auf die zugegebenermaßen schwierige Balancierung von Kunden, Mitarbeiter- und Eigentümerinteressen und löst die existierenden Widersprüche einseitig zugunsten der Shareholder-Value-Orientierung auf und lanciert dann auch noch im Jahrestakt groß angekündigte Change-Projekte, um der Börse rege Aktivitäten zu signalisieren, dann ist die Gefahr groß, dass außer jeder Menge Scheinaktivitäten nicht sehr viel passieren wird. Zum einen ist die Motivation der Leute, sich mit vollem Engagement selbst wegzurationalisieren, begrenzt. Doch selbst, wo nicht primär Einsparungen das Ziel sind, sind viele Veränderungsprojekte aufgrund des schon im Normalfall hohen Arbeitsvolumens stets "On-Top-Aktivitäten", d.h. Zusatzarbeit für den Abend oder das Wochenende, was ebenfalls Begeisterungsstürme in Grenzen hält. Dass Change-Management unter diesen Bedingungen eine höchst anspruchsvolle Kompetenz ist, deren Erwerb mit vielen auch unangenehme Erfahrungen einher geht, ist klar.

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Natürliches Wachstum beruht, wie Peter Senge, Vorreiter der lernenden Organisation, immer wieder hinweist, auf einem Wechselspiel zwischen wachstumsfördernden und wachstumshemmenden Prozessen (limiting processes). Insofern stellt sich natürlich auch die Frage: Was kann uns die Biologie über das Wachstum und das verfrühte Ende von Veränderungsinitiativen sagen? Erstens, so Senge, zeigt sie uns, dass die meisten Führungsstrategien von vornherein zum Scheitern verurteilt sind: Viele Führungskräfte, die Veränderungen auslösen, verhalten sich wie Gärtner, die auf ihre Pflanzen einreden: "Wachse! Streng dich an!" anstatt sich um die notwendigen Rahmenbedingungen zu kümmern: ausreichend Wasser- und Nährstoffangebot, ausreichend Raum für die Ausdehnung der Wurzeln, genügend Sonnenlicht, Schutz vor Schädlingen, etc. Statt also den Samen "motivieren zu wollen zu wachsen", wäre es sinnvoller, sich Wissen um wachstumsförderliche und – noch wichtiger - wachstumshemmende Faktoren und Prozesse anzueignen und diese Faktoren und Prozesse dann zu beobachten und wenn möglich zu beeinflussen. Eines der Grundprobleme der meisten Manager, die eine Neuerung durchsetzen wollen, besteht darin, dass sie sich auf die Innovation konzentrieren, auf das, was sie anstreben, statt dass sie sich damit auseinander setzen, wie die Kultur, die Strukturen und Normen auf diese Bestrebungen reagieren werden und so zu berücksichtigen, "wie sich das System zur Wehr setzt". Denn dass sich eine Organisation gegen radikalen Wandel zur Wehr setzt, ist so sicher wie der jährlich Strategieschwenk bei der deutschen Bank.

Autor: Peter Wagner, Leaders Circle

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