"Sie müssen sich den Mitarbeitern stellen"

Der Berater Erich Cibulka, über seine reichen Change-Erfahrungen als HR-Manager bei der Abwicklung der Konsum-Pleite, der Umstellung von max.mobil auf T-Mobile Austria und Transformationsprozesse in der Bank Austria.

In großen Unternehmen wird ja ständig irgendwo etwas verändert. Ist das alles bereits Change-Management?

Ich würde nur den großen Wandel als Change bezeichnen. Die vielen Verbesserungsprozesse und Optimierungen sind normales Tagesgeschäft. Es sollte eigentlich ein Grundmotiv jeder Führungskraft sein, das was man tut, jeden Tag ein bisschen besser zu machen. Sei es, die Kundenwünsche ein bisschen besser zu erfüllen, sei es, bei gleichbleibender Qualität die Kosten zu senken. Das ist daily business. Von Wandel spreche ich nur dann, wenn es eine große Umstellung infolge geänderter Rahmenbedingungen gibt. Das kann intern getrieben sein oder extern.

Wieder eine andere Frage ist, was der Mitarbeiter als Wandel erlebt: den Eigentümerwechsel, das Übersiedeln in ein anderes Büro, neue Aufgaben und Tätigkeiten?

Die meisten Veränderungen gehören heute zum Tagesgeschäft und wenn eine Führungskraft das vernünftig macht - d.h. im Dialog mit den Mitarbeitern - dann dürfte das auch nicht zu einer außergewöhnlichen Belastungssituation führen. Und das tut es meiner Erfahrung nach normalerweise auch nicht.

Und wie steht es nun mit den großen Veränderungen, die über reine Optimierungen hinausgehen?

Bei den großen Veränderungen ist es doppelt schwer, weil oft auch die Führungskräfte lange Zeit mit vielen Fragezeichen leben müssen und häufig selbst Betroffene sind. Mein erstes großes Change-Erlebnis war die Konsum-Insolvenz. Ich habe dort als Ausbildungsleiter gearbeitet und in der Früh auf der Fahrt zu einem Training für Gebietsverkaufsleiter gehört, dass wir insolvent sind. Mein erster Gedanke war, ok, das war es, wozu braucht man jetzt noch einen Ausbildungsleiter? Kurze Zeit später hat man dann den Personalleiter für die Ostregion in Pension geschickt und mich gefragt, ob ich als Personalverantwortlicher die Abwicklung für Ostösterreich machen möchte. Also Management mit Ablaufdatum: Der Letzte dreht das Licht ab! Das waren extrem intensive 1,5 Jahre.

D.h. es war klar, dass die Firma in Konkurs geht und nun ging es darum, das ordentlich abzuwickeln?

Jein, am Beginn haben wir versucht, den Ausgleich zu schaffen und eine möglichst hohe Quote zu erzielen. Es waren damals insgesamt 15 Firmen betroffen, auch alle Produktionsbetriebe. Daher war das Ziel, möglichst viele lebensfähige Einheiten bei den Produktionsbetrieben und im Filialsegment zu finden, die man verkaufen kann. Der Verkauf erfolgte nach dem Motto: Ich verkaufe dir diesen lebensfähigen Teil, aber dafür musst du auch dieses nicht so attraktive Stück nehmen, sonst bekommst du gar nichts.

Einerseits ist es eine eher technische Aufgabe, wie man so eine Stückelung erzielt, aber auf der anderen Seite gibt es natürlich auch die Aufgabe, den betroffenen Mitarbeitern das Vorgehen plausibel zu machen. Meine Aufgabe war diesbezüglich zweigeteilt. Einerseits musste ich diejenigen, die sich in keinen solchen lebensfähigen Einheiten befanden, kündigen und ihnen diese Botschaft schnellstmöglich überbringen, da es bei so einem Ausgleichsverfahren bestimmte enge Fristen zu beachten gilt. Das hat dazu geführt, dass ich teilweise mit Stapeln von Kündigungen in die Filialen gefahren bin, um diese persönlich zu übergeben und so die Fristen einzuhalten. Keine sehr angenehme Situation. Die zweite und etwas angenehmere Aufgabe war, diejenigen Mitarbeiter, die in Bereichen tätig waren, für die wir eine Zukunft gesehen haben, von dieser Zukunft zu überzeugen.

Nun gibt es zwei sehr verschiedene Ausgangssituationen. Einerseits marktgetriebene Veränderungen, die Mitarbeitern auch plausibel zu erklären sind. Andererseits kapitalmarktgetriebene Veränderungsinitiativen, bei denen man sich als Führungskraft und Mitarbeiter mitunter denken könnte, dass die nur dazu dienen, Lärm zu erzeugen, um Analysten zu beeindrucken. Wie soll man Mitarbeiter von so einer Initiative überzeugen?

Der Prozess ist in letzter Konsequenz unausweichlich der selbe. Auch dazu ein Beispiel aus meiner beruflichen Vergangenheit: die Umbenennung von max.mobil. in T-Mobile. 99 Prozent der max.mobil. Mitarbeiter haben von dieser Entscheidung zu Beginn rein gar nichts gehalten, inklusive der Top-Manager. Alle waren sich sicher, dass das für die Firma einen beträchtlichen Schaden und Kundenverlust bedeuten würde. Das Argument aus Konzernsicht hieß natürlich "global scales". Aus Sicht des Konzerns war es eine richtige Entscheidung, weil dadurch die Markenführung vereinheitlicht und vereinfacht wurde, auch wenn das für den österreichischen Markt und max.mobil. möglicherweise ein Nachteil wäre. Nur - genau das möglichst zu verhindern, war ja die Aufgabe des Managements.

Ich war damals der Projektleiter für das Change-Projekt, zuständig für die internen Prozesse und den Kulturwandel, nicht aber fürs Renaming und Rebranding. Der Knackpunkt für den späteren Erfolg dieser Umstellung war aus meiner Sicht eine dreitägige Führungskräfteklausur. Von diesen drei Tagen waren die ersten zwei Tage nur der Rückschau und der Aufarbeitung der persönlichen Betroffenheit gewidmet. Und zwar in einer Art und Weise, die der Betroffenheit Platz gegeben, die Gefühle aber nicht hochgekocht hat. Eine absolute Top-Übung in dem Zusammenhang war die Abendeinheit des zweiten Tages, die folgendermaßen ablief: Jeweils eine Führungskraft saß in der Mitte eines Kreises, alle anderen darum herum, und diejenigen, die draussen saßen, stellten über denjenigen, der drinnen saß, Vermutungen an darüber, welche Wünsche, Ängste, Hoffnungen, Befürchtungen diese Führungskraft ihrer Ansicht nach wohl hätte. Z.B.: "Ich glaube, dass er mit dieser Situation dieses und jenes Problem hat." "Ich glaube, dass er das gut findet oder total schlecht findet." "Ich glaube, dass er sich Sorgen macht, weil er Familie hat und gerade ein Haus gekauft hat." "Ich glaube, für ihn ist das super, weil er in der neuen Struktur unheimliche Karrierechancen hat." Usw.

Der Clou an der Sache war: Nachdem keiner selbst gesagt hat, was er denkt, sondern immer nur die anderen "Vermutungen" angestellt haben, musste sich keiner outen und trotzdem waren sämtliche Befürchtungen und Bedenken geäußert worden. Für jede Person zwei Minuten haben dazu vollkommen ausgereicht. Die Person in der Mitte hat sich das angehört und konnte danach, wenn sie wollte, ein bis zwei Sätze Kommentar abgeben, musste das aber nicht. Wenn das eine Gruppe von 15 Leuten durchexerziert, dann sind garantiert alle Sorgen und Befürchtungen am Tisch und gleichzeitig hat sich keiner unmöglich gemacht. Das war perfekt. Nach dieser Abendsession haben wir noch lange Gespräche an der Bar geführt, darüber geschlafen und am nächsten Tag fühlten wir uns in einem unglaublichen Ausmaß von diesem Ballast befreit und haben mit neuer Energie geschaut, wie wir der neuen Situation begegnen und sie zum Guten wenden können. Das war sensationell.
Am dritten Tag ging der Blick nach vorne, mit dem Willen, das Beste aus der Situation zu machen. Plötzlich gab es das Grundgefühl: "Gemeinsam können wir das schaffen". Das war ein unglaublicher Hebel, weil auf einmal die engste Führungsmannschaft, die Top 15, für den Prozess waren. Dann sind wir rausgegangen, haben Ähnliches mit unseren Abteilungsleitern gemacht und plötzlich waren die Top 100 eingeschworen. Dann folgte ein Open Space mit den Top 500 und so haben wir eine Lawine losgetreten.

D.h. eine zelebrierte Verabschiedung, bei der sich die Stimmung mit Hilfe der Intervention gedreht hat in Richtung: "Ich halte die Entscheidung zwar für einen Blödsinn, aber sie ist nun einmal eine neue Rahmenbedingung, mit der wir jetzt arbeiten müssen. Also, wie bekommen wir es gut hin?"

Ja, genau und als dann der Tag der Umstellung kam – der oben beschriebene Prozess lief ja intern, zu einem Zeitpunkt als die geplante Umstellung in der Öffentlichkeit noch nicht bekannt war – waren alle im Haus davon überzeugt, dass das ein Erfolg werden würde, dass wir dadurch keinen Kunden verlieren und dass es uns neue Chancen eröffnen würde, nun Teil einer großen internationalen Community zu sein. Obwohl es angesichts der hohen Identifikation mit max.0676 emotional schwer war, war inzwischen doch jedem klar, dass wir mit max. zwar in Österreich eine große Marke waren, aber damit nie ein global player hätten werden können. Eine weitere Motivation war unser Ziel, in die relativ distinguierte Deutsche Telekom den jungen Spirit – den berühmten "max.geist." - hineinzubringen. Als dann der Markenwechsel offiziell vollzogen wurde, haben wir am Abend eine große Party gefeiert, in alter max.tradition, nun aber bereits in der neuen Firmenfarbe Magenta.

D.h. man braucht ein attraktives Zukunftsbild, auf das man sich zubewegen kann und sei es das Bild, künftig der kreative Stachel im großen Konzern sein zu wollen.

Genau. Man muss aber auch sagen, dass alle, die nur dagegen gehalten haben und runtergebetet haben, was alles schief gehen wird und sich bei jedem Fehler, die natürlich auch passieren, sofort bestätigt gesehen haben, unter die Räder kamen. Als Führungskraft oder Mitarbeiter zu glauben, ich kann meinen Eigentümer davon überzeugen, dass ich gescheiter bin als er, halte ich für leere Kilometer. Ich kann ihm sagen: "Lieber Eigentümer, ich glaube, so eine Entscheidung birgt diese und jene Risiken, hast Du die gesehen und bedacht?" Dann sagt er möglicherweise: "Danke für den wichtigen Hinweis, da muss ich noch einmal darüber nachdenken." Oder aber – und das ist wahrscheinlicher - er sagt: "Ja, ich habe das bereits bedacht und berücksichtigt, und ich mache es trotzdem." Dann ist das seine Entscheidung. Das ist das Recht des Eigentümers. Wenn er es machen will, dann macht er es. Er muss dann die Verantwortung übernehmen, wenn es nicht geht, aber wenn ich als Führungskraft nicht damit leben kann, bleibt mir nur: love it, change it or leave it.

Das frühere Bild von Wandel hieß stark vereinfacht: stabile Zeit, Krise, Veränderung, wieder stabile Phase. In den 90er-Jahren wurde das Bild dann zunehmend zu: Eine Veränderung löst die andere ab, Wandel als Konstante.

Von den Ursachen her sehe ich zwei Gründe. Der eine hängt mit der Shareholder Value Thematik zusammen, der andere mit der Globalisierung, d.h. mit den immer größer werdenden Räumen bzw. Einheiten. Die heute schon typische Erfahrung ist: Ich beginne im Unternehmen eine größere Umstellung, bin nach zwei Jahren gerade mitten drinnen und zack – neue Rahmenbedingung, z.B. neuer Eigentümer -  und damit beginnt ein neues Spiel. Diese Übernahmen gab es früher nicht in dieser Intensität und Häufigkeit. Dazu gesellt sich das Quartalsdenken.

Früher hat man gesagt, ein Strategieprozess dauert 1-2 Quartale, dabei legt man sich tunlichst auf 3-5 Jahre fest, sonst sind das keine Strategien, sondern Jahresziele. Dann passt man die Organisation der Strategie an, die Anpassung selbst dauert 3-4 Quartale. Und dann schwingt die Kultur nach. Wenn man den Kulturwandel begleitet, geht er rascher, wenn nicht, dauert er länger, so zwischen zwei und vier Jahren als ungefähren Richtwert. Dann hat man am Ende des Zyklus die passende Kultur zur Strategie. In diesen Rhythmen ging es dahin. Heute scheint dieses Bild fast schon antiquiert zu sein, zumal die Strategien kaum mehr inhouse gemacht werden, sondern den Konzernen immer häufiger von den Analysten "nahegelegt" werden. Und von den Headquartern tropfen sie dann nach unten.

Hinter vielen internen Änderungen steht letztlich eine Änderung des Geschäftsmodells. Im Bankenbereich heißt so eine Änderung z.B.: der Wechsel vom Volumen zum Wert. Dahinter steht wieder der Shareholder Value mit der Frage: Wie viel Return on Equity (ROE) bekomme ich aus welchem Geschäft? Die Kapitalmarktlogik sagt also: Es gibt in Banken einige typische Geschäftsfelder - wie viel holt ihr da heraus, wie viel holen die anderen heraus? Im Analystengespräch lautet die entsprechende Frage "Herr Finanzvorstand, wie kann es sein, dass die Bank Y im Segment 'Small and Medium Enterprise' einen ROE in Höhe von X erzielt und Sie nicht?" Wenn einem dann keine gute Antwort einfällt, schichtet der Fond möglicherweise sein Geld um. Das ist schlecht für die Performance, also ist man als Manager unter Druck, sich mit diesen "best of ..." zu beschäftigen. Damit wird alles immer einheitlicher und der Wettbewerb verschärft sich dauernd.

Auch wenn viele Manager so tun, als würde sie der Wandel nicht betreffen, höchstens ihre Mitarbeiter, so sind sie doch Mitspieler, d.h. die Veränderung wirkt auf sie zurück.

Dazu mehrere Punkte: Zum einen sind Führungskräfte heute viel offener, über solche Dinge nachzudenken, darüber zu reden und das zuzulassen als noch vor einigen Jahren. Heute ist es fast schon selbstverständlich, jedenfalls viel alltäglicher, dass man als Führungskraft überlegt, wie Dinge bei den Mitarbeitern ankommen, wie sie artikuliert werden müssen und wie sich dann die Betroffenen dazu stellen. Damit ist auch üblicher, dass Führungskräfte darüber nachdenken, wie sie Vertrauen aufbauen können, wie sie ihre Leute überzeugen können. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass auch die Mitarbeiter heute sehr viel selbstbewusster sind und sich bestimmten Dingen nicht mehr einfach unterwerfen. Heute funktioniert "order and command" vielfach nicht mehr. Wenn ich die Überzeugung meiner Leute nicht gewinne, dann habe ich gar nichts. Denn sie sind dann nicht nur nicht überzeugt, sondern dagegen. Dazu kommt ein dritter, immer wichtiger werdender Aspekt vor allem bei jungen Mitarbeitern, nämlich die Einstellung: Der rote Faden ist mein Leben. Und nicht mehr: Der rote Faden ist die Entwicklung meiner Firma.

Gegenargument der Führungskräfte: Ich weiß, es ist wichtig, aber dazu fehlt mir die Zeit.

Richtig ist: Das Darüber-Reden, um Dinge verständlich zu machen und Verständnis zu schaffen, das braucht Zeit. Ich kann nicht anordnen, dass der andere versteht. Gleichzeitig läuft der Alltag heute mit einer enormen Geschwindigkeit und die Terminkalender sind voll bis obenhin. Das bedeutet im Klartext: Jede Umstellung, jede Sondermaßnahme ist eine On-Top-Thematik. Und zwar für alle. Für die Führungskräfte genauso wie für die Mitarbeiter. Entweder man schneidet sich dafür tagsüber die Zeit heraus oder man macht es am Abend oder am Wochenende.

Wir haben heute oft das Problem, dass wir in der Organisation Veränderungen durchführen wollen, dafür aber vorgelagert Training für die Mitarbeiter durchführen müssen. Nur ist es kaum noch möglich, die Zeit zu finden, wo wir die Mitarbeiter für Schulungen herausziehen können. Ein weiteres Problem ist: Je öfter Adaptierungen, Transformationen oder große Systembrüche stattfinden, umso öfter kollidieren die verschiedenen Projekte. Hier eine Adaptierung, da eine Anpassung, dort ein neues Systemrelease - diese Dinge kommen oft aus verschiedenen Ecken des Unternehmens, haben auf den ersten Blick scheinbar nichts miteinander zu tun und treffen dann unvermutet beim selben Mitarbeiter zusammen.

Muss man also als Führungskraft in einer großen Organisation mit mehreren widersprüchlichen Logiken leben oder könnte man, wenn man das mehr thematisieren würde, vielleicht die eine oder andere unnötige Aktion verhindern? Oder fällt das unter die Kategorie unrealistisch?

Eine wirklich gute Frage. Ich habe darauf nicht die richtige Antwort. Ich kenne ja auch eine Reihe von Kollegen, mit denen ich mich immer wieder treffe und da wir uns alle schon lange kennen, reden wir dort sehr offen. Die meisten stehen heute genau in diesem Dilemma. Das Grundgefühl ist häufig "Ich bin ein Jongleur, habe viele Bälle in der Luft und in dem Moment, wo ich einen fangen und in der Hand behalten würde - d.h. eine Sache einmal konzentriert bearbeiten und zu einem Abschluss bringen würde - fällt alles in sich zusammen." Wenn man privat darüber spricht, sagen die meisten, ja mir geht es auch so, aber wenn Sie das in einem Meeting sagen, kommt sofort der Satz, "Don´t bring me problems, bring me solutions". Die Frage ist: Wie soll ich alleine Lösungen bringen für ein gemeinsam erzeugtes Problem? So wartet gewissermaßen jeder auf den anderen und keiner fängt an.

Wenn Sie Change-Manager suchen, woran machen Sie das fest?

Ich muss sagen, ich habe noch nie einen Change-Manager gesucht. Ich wäre noch gar nicht auf die Idee gekommen, das als Berufsbezeichnung zu verwenden.

Aber wenn Sie z.B. vorhaben, einen Bereich zu reorganisieren und dafür gerade eine neue Leitung suchen, worauf schauen Sie dann? Fragen Sie beispielsweise: Wer hat das, was wir machen wollen, woanders schon bewerkstelligt? Wer hat das schon einmal durchexerziert?

Ja, genau. Wenn man jemanden braucht, der unter bestimmten Rahmenbedingungen beschusssicher ist, dann wird das am ehesten jemand sein, der schon einmal gezeigt hat, dass er so etwas aushält. Wenn man also ein strategisch entscheidendes Projekt hat, wird man das niemandem geben, der bisher in ruhigem Fahrwasser gearbeitet hat, selbst wenn er dort perfekte Zahlen liefert. Denn der würde möglicherweise die Gefahren und Klippen und die Herausforderungen solch eines Prozesses nicht antizipieren können. Natürlich ist immer die Frage, wie Menschen das erste Mal zu so einer Erfahrung kommen. Üblicher Weise über Projekte, deren Schwierigkeitsgrad sich dann steigert und wo das Unternehmen beobachten kann, wer hier ein besonderes Händchen entwickelt.

Inwieweit spielt Change Management eine Rolle beim Recruiting?

Es ist eine wichtiger werdende Qualifikation, aber eben nicht losgelöst von der bisherigen Funktion. D.h. ich würde keinen Changemanager suchen, sondern z.B. einen Vertriebsleiter mit bestimmten Change-Qualitäten. Als ich damals angesprochen wurde, zur Bank zu wechseln, war mein Lebenslauf der Anlass, dass sie genau mich gefragt haben und nicht jemand anderen. Ich hatte die Downsizing-Erfahrung aus dem Konsum und die Wachstums- und Transformationserfahrung aus der T-Mobile. Und die Anforderung an mich in der Bank war dann: Du musst zur selben Zeit in Österreich optimieren und Kosten senken, in Osteuropa wachsen und das Ganze in einem gemeinsamen Transformationsprozess auf die Reihe bekommen. D.h. sie haben zwar einen HR-Manager gesucht, aber die wesentliche Qualifikation war nicht, dass ich einen Kollektivvertrag lesen kann, sondern dass ich ganz bestimmte Dinge schon einmal gemacht habe.

Ich nehme an, die bisherigen Erfahrungen haben geholfen, aber eine Bank tickt doch anders als ein Telekomunternehmen. Inwieweit kann man die Erfahrungen überhaupt übernehmen?

Teil, teils. Es gibt ein paar Grundphänomene und Spezifika. Wenn man sagt, wichtig ist, den Leuten das Warum und Wieso klarzumachen und wichtig ist, sich bewusst von Altem zu trennen, um bereit zu sein für Neues – dann sind das Grundwahrheiten, die manchmal schon wie Binsenweisheiten klingen. Aber in der speziellen Situation heißt es dann doch wieder jeweils etwas anderes. Als ich mir beispielsweise überlegt habe, wie ich Mitarbeiter am besten ansprechen und überzeugen kann, dann hieß das bei T-Mobile: Der typische Mitarbeiter ist 28 Jahre, hat dort seinen ersten Job begonnen, ist Techniker und tendenziell risikoreich. In der Bank hingegen war der typische Mitarbeiter 43 Jahre, seit 25 Jahren im Unternehmen und hat das Unternehmen gewählt, weil Sicherheit für ihn eine große Rolle spielt. Ich hatte mit beiden Mitarbeitertypen dasselbe Phänomen zu bewältigen, aber sie reagierten sehr unterschiedlich, daher muss dasselbe Thema sehr unterschiedlich kommuniziert und bearbeitet werden. In einem Umfeld mit dem Slogan "no risk, no fun" konnte ich von Chancen und Möglichkeiten sprechen und das zog bei den Leuten. Wenn man hingegen in einer Bank über Chancen und Möglichkeiten redet, kommen sofort Fragen wie: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit? Was ist, wenn das nicht klappt, habe ich ein Rückfahrticket? Usw. Das ist eine ganz andere Story. D.h. gewisse Anforderungen waren zwar sehr ähnlich, liefen aber völlig unterschiedlich ab.

Was heißt das praktisch?

Ein Learning war auf alle Fälle, dass der Zeitbedarf, um eine Haltung, eine Einstellung oder einen Glaubenssatz zu verändern, in einem konservativen Umfeld ein viel höherer ist. Bei jeder großen Veränderung muss man bei den Führungskräften eine kritische Menge an Überzeugten zusammen bekommen. In einem Umfeld, das sich grundsätzlich schnell bewegt und für neue Entwicklungen empfänglich ist, kann man so eine Welle schneller erzeugen als in traditionellen Systemen. Einer der wichtigsten Faktoren, um dabei erfolgreich zu sein, ist, sich als Führungskraft den Mitarbeitern zu stellen. Das heißt, sich wirklich vor sie hinzustellen, und klar zu sagen, was Sache ist, was gerade passiert und was das für sie bedeutet. Selbst wenn der Inhalt unangenehm ist – die Leute würdigen es, wenn die Führungskraft Stellung bezieht. Für sich genommen sind das oft kleine Maßnahmen, die aber für das Gelingen oder Scheitern solcher Prozesse ausschlaggebend sein können.

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Erich Cibulka