Talk the Walk

Dr. Barbara Heitger von der Beratergruppe Neuwaldegg über die in Change-Prozessen sehr unterschiedlichen Anforderungen an unterschiedliche Managergruppen.

Was sind besondere Anforderungen an Führungskräfte, wenn es um Change-Management geht?

Ich finde es sinnvoll, zwischen unterschiedlichen Führungsperspektiven zu unterscheiden. Zum einen die Executive Leaders, bei denen die strategische und gesamtgestaltende Steuerungsverantwortung liegt. Für diese Topmanager bedeutet Change etwas anders als für die Network Leaders, das sind z.B. Stabsfunktionen und interne Dienstleister wie Human Resources, die eine wichtige Integrations- und Networking-Funktion bei Changeprojekten haben. Und als dritte Gruppe gibt es die stärker operativen Führungskräfte, die Local Line Leader, beispielsweise Business Unit Leiter, jene Manager, die unmittelbar für Wertschöpfung verantwortlich sind.

Für alle drei Perspektiven bedeutet Change etwas anderes. Für den Gesamtverantwortlichen entsteht die Frage des Change Managements vor allem im Kontext der Strategieentwicklung und deren Umsetzung, wenn er sich fragt: Wenn wir das umsetzen wollen, ist dann unsere Organisation richtig gebaut? Müssen wir dann nicht unsere Prozesse redefinieren? Müssen wir nicht andere Steuerungssysteme entwickeln? Für den Executive Leader stellt sich die Frage - brauchen wir Veränderung und wenn ja, welche - eher auf einer strategischen Ebene und somit eher auf der Ebene der Transformation. Hier geht es also vorrangig um eine Veränderung 2. Ordnung, eine Veränderung des Systems im Gegensatz zum Wandel 1. Ordnung, einer Veränderung innerhalb des Systems.

Kommen solche Aufrufe zur Transformation heute wirklich aus der strategischen Ecke oder von außen, vom Kapitalmarkt?

Es kann ja durchaus ein Element einer Strategie sein, dass man auch in Richtung Shareholder etwas tun möchte, etwa um sich vor Übernahmen zu schützen. Natürlich kann man über die Problematik sprechen, inwieweit es sinnvoll ist, im Vorstand Entlohnungsmodelle zu haben, die mit der Entwicklung des Aktienkurses zu tun haben. Das kann die Unternehmenssteuerung beeinflussen, aber ist mehr ein unternehmenspolitisches Thema der Governance und des Aufsichtsrates, welches das Agieren der Vorstände beeinflusst.

Was Sie angesprochen haben, finde ich insofern wichtig, als in der Praxis die Schwierigkeit wächst, das eigene "Publikum" von Veränderungen zu überzeugen. Das hat mit verschiedenen Dingen zu tun: Einerseits sicher damit, dass es eine Veränderungsmüdigkeit gibt, auch aufgrund des nicht enden wollenden Glaubens vieler Manager, dass Veränderungsbereitschaft eine Art Endlos-Ressource in Organisationen ist. Und es hat damit zu tun, dass Veränderungen immer widersprüchlicher werden, nicht zuletzt deswegen, weil die Logiken des Finanz- und Kapitalmarktes andere sind als die Logiken des jeweiligen Branchen-, Waren- oder Dienstleistungsmarktes. Damit gut umzugehen, ist nicht nur eine Herausforderung im Change Management, sondern auch in der operativen Steuerung des Geschäftes.

Der Anspruch, der daraus erwächst, ist vor allem, dass Führungskräfte ein breiteres Wissen brauchen als das klassische Strategie-Know-How und das klassische Change-Management Know-How, weil es vermehrt darum geht, dass sie unterschiedliche "Landkarten" dechiffrieren können müssen. Z.B. was ist die Logik des Kapitalmarktes, was ist die Logik der Branche? Was passiert mit der Globalisierung, Stichwort Demographie, Stichwort Technologieentwicklung, Stichwort Deregulierung usw. Vor allem geht es darum, dass sie die unterschiedlichen Logiken, die in den jeweiligen Landkarten entstehen, so in die Kommunikation bringen können, dass daraus ein Brückenschlag zwischen den Landkarten erwachsen kann und klar wird, worum es dabei eigentlich im Changeprozess geht. Das ist alles andere als trivial.

Was genau meint das?

Nehmen wir das Beispiel der Deutsche Bank und ihren Vorstandsvorsitzenden Josef Ackermann. Betrachtet man das Ganze aus der Sicht Deutschlands, könnte man sagen, wenn man der deutschen Presse folgt, sein Verhalten ist eine Katastrophe, er geht mit dem berühmt gewordenen Victoryzeichen durch die Gegend, verkündet Gewinne und gleichzeitig Personalabbau, etc.
Wenn man aber die Perspektive erweitert und sich anschaut, wie die Weltrangliste der Banken  ausschaut und sieht, dass die Deutsche Bank, die einmal unter den Top Drei war, inzwischen weit abgeschlagen ist, dann sieht die Geschichte anders aus. Und wenn man zudem sieht, dass, wenn sich die operativen Gewinne der ersten drei Banken im Ranking in den nächsten Jahren so weiter entwickeln, jede von ihnen die deutsche Bank beinahe aus der Portokasse heraus übernehmen könnte, dann ist das noch einmal ein anderer Blick.

Eine ganz andere Sache ist die wiederum Art und Weise, wie das kommuniziert wird. Dass die problematisch ist, darüber braucht man nicht lange zu diskutieren. Aber wenn es darum geht, wie man in den unterschiedlichen Landkarten für sich eine Position finden kann, dann muss man sie erstens kennen und zweitens verstehen, wo man sich befindet, und dann geht es drittens darum, abzuleiten, welche Stoßrichtungen von Veränderung sich daraus ergeben.

Ist nicht das noch weithin vorherrschende Bild das des Managers, der die Veränderungsrichtung vorgibt und dann bewegt sich das Unternehmen wie von Geisterhand in diese Richtung?

Ich glaube, gute Manager haben schon lange nicht mehr dieses Maschinenbild. Ich erlebe das sehr unterschiedlich. Es gibt Unternehmen, wo dieses Bild noch vorherrscht, die tun sich aber auch einigermaßen schwer und trennen Veränderungsarbeit häufig von der inhaltlichen Konzeptarbeit. Nach dem Motto, wenn die inhaltliche Arbeit abgeschlossen ist, soll ein bisschen Change gemacht werden. Was natürlich schwierig ist. Denn wenn man davon ausgeht, dass Organisationen, ihre Mitglieder, ihre Einheiten verstehen müssen, worum es geht, wo Kontinuität und wo Veränderung angesagt ist, welches Wissen weiterhin wertvoll ist und welches weniger, welche Beziehungen bleiben, welche verloren gehen und welche neu aufgebaut werden müssen - dann ist klar, dass das alles Zeit braucht.

Dazu kommt, dass nach wie vor der große Teil der Leute häufig zu spät ins Boot geholt wird. Natürlich gibt es auch triftige Gründe, wo die frühe Information und Einbindung blockiert ist, z.B. aus rechtlichen Gründen, etwa bei Übernahmen. Es gibt also auch Situationen, wo die Logiken der beteiligten Systeme verschieden ticken und es nicht geht. Das Problem einer zu späten Einbindung auf breitflächiger Basis ist natürlich, dass die, die sich schon lange damit beschäftigen, dann ganz wo anders stehen als die, die gerade erst davon erfahren oder bisher erst gerüchteweise davon gehört haben. Das führt nicht selten dazu, dass Manager glauben, dass die Veränderung schon fast umgesetzt ist, während die Mitarbeiter gerade erst begriffen haben, dass "die da oben" es ernst meinen und da wirklich eine massive Veränderung auf sie zu kommt. Das ist der eine Punkt.

Und der zweite Punkt...?

Der zweite Punkt ist, dass sich heute in laufende Veränderungen zunehmend wieder neue Veränderungen hineinverflechten. So wie sich Unternehmen verändern, verändern sich auch die Veränderungsprozesse selbst, man kann sie auch als Unternehmen auf Zeit sehen. Da besteht die hohe Kunst darin, zu wissen, wann man Veränderungen in den laufenden Prozess integriert, wann man sich abgrenzt und den Prozess unverändert weiterführt, oder aber als dritte Möglichkeit, wann man überhaupt bereit ist zu sagen, die bisherige Veränderung geht gänzlich in einer neuen auf. Alle Varianten sind möglich.

Häufig ist in der Managementliteratur in diesem Zusammenhang die Rede von "walk the talk". Ich finde es in Anbetracht der immer turbulenteren Entwicklungen besser, das umzudrehen: "talk the walk". Man kann sich ruhig anpassen, das Gelände wird immer unübersichtlicher, störungsanfälliger, es gibt immer mehr Störfeuer, weil immer unterschiedlichere Welten berücksichtigt werden müssen. Aber man muss den Beteiligten erklären, warum das jetzt so passiert. Gefordert ist also die kommunikative Kompetenz der Führungskräfte.

Kommen wir noch einmal zurück auf die zu Beginn angesprochenen Gruppen, Executives, Networker, Local Line Manager -  was sind da jeweils die speziellen Herausforderungen?

Der Executive Leader muss einen sehr klaren Radar haben, er muss wissen worauf er achtet und was seine Beobachtungskriterien sind. Er muss so etwas wie eine große Linie entwickeln in der Verbindung dieser unterschiedlichen Landkarten, von denen ich vorher gesprochen habe. Er ist unter anderem auch verantwortlich für die Pflege der Beziehungen zu Eigentümern und Geldgebern. Das ist z.B. etwas wofür die Networker und die Local Line Manager definitiv nicht verantwortlich sind.

Oft genug gibt es innerhalb des Unternehmens Auseinandersetzungen oder auch nicht geführte Diskussionen in Bezug auf die Gesamtstoßrichtung und darum, ein System aufzusetzen, dass es möglich macht, die Change Initiativen sinnvoll, effizient und angemessen vernetzt zu steuern und zu schauen, dass die Kommunikation und die Feedbackschleifen gut gelingen. Das ist überhaupt nicht einfach und trivial. Dazu braucht man einen Gesamtmasterplan und der ist ebenfalls Aufgabe des Top-Managements.

Die Networker hingegen haben die Funktion, die unterschiedlichen Welten, die es im Unternehmen gibt, sinnvoll miteinander zu verknüpfen und mit Querschnitts-Know-How zu unterstützen. Auch und gerade was das Thema Change anlangt. Dazu gehört zum einen eine unternehmerische Funktion, d.h. dass sie sich als Verantwortliche für HR, IT, Kommunikation oder Einkauf etc. überlegen müssen, was diese Stoßrichtungen für den eigenen Bereich bedeuten und wie die eigene Strategie an das angepasst werden muss. Zum anderen müssen sie durch das eigene Angebot auch eine Verbindung schaffen zwischen dem Top-Management-Verständnis und den Perspektiven des Local-Line-Managements. Und dann geht es darum zu überlegen, wie sie den Change-Prozess unmittelbar unterstützen können: durch Change-Know-How, durch Change-Kommunikation, durch IT, also einerseits eine inhaltliche Unterstützung des Neuen, andererseits eine Unterstützung des Change Prozesses selbst.

Die Local Line Manager müssen die oben beschlossenen Initiativen übersetzen. Hier ist der Knotenpunkt, wo die Widersprüche sozusagen ungebremst aufeinander stoßen. Da kommen sie mir oft verloren vor in den Turbulenzen und auch allein gelassen. Sie hören, was die Kunden wollen, bekommen von oben den Zahlendruck, haben immer zu wenig Resourcen, sie müssen abbauen, während sie investieren wollen und werden zusätzlich mit der neuesten Veränderungsinitiative konfrontiert, deren Gründe sie oft nicht übersetzen können, weil wirklicher Diskurs und Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Ebenen eines Unternehmens entweder gar nicht oder nicht in ausreichendem Maß stattfindet. Meist sind das dann sogenannte Townhall-Meetings, bei denen der CEO oder ein anderes Vorstandsmitglied die neueste Veränderungsinitiative ankündigt, kurz erläutert, dann einige Fragen dazu beantwortet und das war es dann.

Verkündigungsmanagement von oben...

Das ist die Gefahr. Der Vorstand muss klar machen, was feststeht und wo Spielräume sind. Das ist alles emotional extrem anspruchsvoll, denn da muss man sehr fokussiert, sehr klar und sehr mutig sein und trotzdem bereit zum Dialog und zur Auseinandersetzung. Das finde ich sehr anspruchsvoll. Wichtig ist, Systeme zu bauen, die das leisten können. Also Settings zu schaffen, wo es möglich ist, offen und konstruktiv miteinander zu reden. Natürlich werden die Anforderungen an die Personen größer, aber vor allem werden sie größer an die Systeme. Das sind Investments, die fallen nicht vom Himmel.

03.2006

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Dr. Barabara Heitger, Beratergruppe Neuwaldegg