Wandel um des Wandels Willen ist auch daneben…

Dr. Kristin Hanusch-Linser, erfahrene Aufbau- und Sanierungsmanagerin und zuletzt für fünf Jahre Geschäftsführerin der Verlagsgruppe Manz, über ihren Ansatz, schnell zu einer brauchbaren Diagnose zu kommen, dann den erforderlichen Wandel einzuleiten und dabei möglichst alle unnötigen Veränderungen auszusparen.

Was heißt Wandel managen konkret?

Jeder Wandel im Unternehmen muss eine Grundlage haben. Daher ist meine erste Frage stets: Woraus leitet sich die Notwendigkeit eines Wandels überhaupt ab? Es muss irgendwo ein Problem geben, bei dem die bisherigen Lösungsansätze nicht greifen. D.h. bevor man sich mit dem Wandel selbst auseinander setzt, muss man sich mit dem zugrundeliegenden Problem auseinander setzen und hier besteht die Kunst darin, zu erkennen ob man überhaupt das richtige Problem erkannt hat oder möglicherweise nur ein Stellvertreterproblem.

Absoluter Klassiker unter den Stellvertreterproblemen ist: Es kommt ein neuer Geschäftsführer und das erste, was er verändert, ist die Optik des Unternehmens. Logo, Markenauftritt, etc., weil das die Veränderung ist, die der Markt und die internen Bezugsgruppen, Eigentümer und Mitarbeiter, am schnellsten wahrnehmen. Nur - gab es dazu wirklich eine Notwendigkeit? Oder war das vielleicht nur durch den Auftrag induziert, dass sich etwas (sichtbares, kommunizierbares) ändern muss. Als neuer Boss herauszufiltern - was ist gut, was behalte ich bei, wie würdige ich die Tradition und wo nehme bereits Erreichtes mit in den Wandel - ist eine anspruchsvolle aber lohnenswerte Aufgabe.

Früher war es ok, einen Job anzutreten, sich einzuarbeiten und wenn man den Eindruck hatte, die Dinge laufen gut, einmal so weiterzumachen wie bisher. Sollte heute  ein neuer Manager so weitermachen wie sein Vorgänger, fragen sich alle: Ist er nicht dynamisch genug, nicht kreativ genug, nicht ambitioniert genug?

Die Grundfrage ist schon, läuft der Laden oder läuft er nicht? Gibt es ein Problem oder nicht. Ein neues Management gibt es ja nicht automatisch nur bei Problemen, sondern auch aufgrund von natürlichen Veränderungen und Abgängen. Sollte es aber wirklich einmal so sein, dass es heißt: Es muss sich etwas ändern, dann muss man sich sehr genau anschauen, wo genau es nicht mehr geht und warum es nicht mehr gut läuft. Ob diese Problemlösungen dann unter Change Management laufen oder eine ganz normale, betriebliche Anpassung sind, ist für mich eine akademische Frage der Definition, denn im Grunde ist Unternehmensführung immer Steuerung des Wandels und der Veränderung und zwar nach vorne.

Wenn man als Manager neu ins Unternehmen kommt, wie erkennt man schnell die Problemfelder?

Der Erstbefund läuft klarerweise über die Zahlen, über Bilanzen und Erfolgsrechnungen. Daran führt kein Weg vorbei. Dazu kommt bei mir immer gleich der genaue Blick aufs Personal. Das halte ich eigentlich für das Allerwichtigste, sowohl bei einer Restrukturierung als auch bei einer Sanierung. Die Kernfrage ist: Sitzen die richtigen Leute am richtigen Platz? Und die zweite Frage ist: Sind die definierten Kompetenzen überhaupt jene, die das Unternehmen braucht?

Sind also die Leute, die derzeit die Aufgaben erledigen, überhaupt die richtigen für die Aufgaben, die ihnen gestellt wurden und umgekehrt? Oft ist der falsch eingesetzte Mitarbeiter für eine andere Aufgabe im Unternehmen ganz besonders wichtig und wertvoll, also keineswegs überflüssig.

Zu merken, dass jemand falsch eingesetzt ist, ist eine Sache. Aber das liefert ja noch keine Antwort auf die Frage, wo er denn nun besser oder genau richtig eingesetzt wäre.

Es geht ja nicht nur um das optimale Matching von Job Description und Mitarbeitern, sondern auch darum, ob die vorhandenen Jobs und die Ziele, die derzeit verfolgt werden, auch tatsächlich notwendig und die richtigen sind. Genauso wie es Aufgaben gibt, die im schlimmsten Fall nicht erforderlich sind, gibt es meiner Erfahrung häufig Jobs, die, wenn sie in der Wertschöpfung anders positioniert wären, wesentlich mehr Effizienz brächten.

Ein Klassiker ist Controlling, das in vielen Unternehmen am Ende der Wertschöpfungskette angesiedelt wird. So bekommt man zwar ein sehr genaues Abbild über einen bestimmte Geschäftsprozess, der aber bereits stattgefunden hat. Wenn man das Controlling aber schon am Anfang der Wertschöpfungskette als Steuerungselement mit hinein nimmt, ergibt sich ein ganz anderes Bild und auf dieser Basis kann man in der Folge sehr viel einsparen, vereinfachen, verschlanken und Effizienz neu definieren.

Nehmen wir an, Sie haben ein Produkt, das von der Produktentwicklung definiert wird. Es wird kalkuliert, es wird festgelegt, was als Deckungsbeitrag herauskommen soll, es wird alles fein säuberlich geplant, auf dieser Basis entschieden und durchgeführt und am Ende kommt der Controller und überprüft, ob der Plan tatsächlich der Realität standgehalten hat oder nicht. Möglicherweise waren die Produktionskosten zu hoch, oder der Umsatz blieb weit unter den Erwartungen. Wenn man diesen Controllingprozess aber an den Anfang stellt und bereits zu Beginn sehr klare Kriterien definiert - ab wann produzieren wir, unter welchen Bedingungen produzieren wir, wie sichern wir ab, dass das, was wir uns als Absatz vorgestellt haben, auch tatsächlich erreicht wird – dann vermeidet man viele Fehler, bevor sie überhaupt entstehen. Das kann auch zu sehr kreativen neuen Produkten führen. Genau das habe ich im Verlag gemacht und dadurch bereits im ersten Jahr ein Viertel des bisher üblichen Programms einfach eingestellt. Das hat nicht bedeutet, dass wir sofort Personal eingespart hätten, sondern ganz im Gegenteil, die freiwerdenden Ressourcen haben wir für neue Projekte eingesetzt, statt sie weiterhin für Dinge zu verschwenden, die nichts gebracht hätten.

Nun trifft man als Manager mit seinen geplanten Veränderungen auf Mitarbeiter, die schnell massive Ängste vor Jobverlust oder Überforderung  entwickeln. Was macht man dann?

Erstens kommunizieren, zweitens kommunizieren, drittens kommunizieren. Sagen was man tut und tun, was man sagt, gerade auch in der Auseinandersetzung und Kommunikation mit den Mitarbeitern. Vor allem, sehr genau erklären, warum man glaubt, dass die Situation mit diesen Maßnahmen besser wird. Besser ist für die Produktionslinie, besser für den Mitarbeiter selbst. Genauso muss man klar sagen, was der Preis für diese Besserung ist.

Schwierig wird es dann, wenn man nicht argumentiert und nicht kommuniziert. Selbst bei einer an sich kleinen Veränderung wie dem Einsatz des Controllers am Anfang des Prozesses, wie ich es gemacht habe, haben die betroffenen Mitarbeiter Anspruch auf Erklärung. Denn wenn der Controller bisher z.B. als Aufpasser wahrgenommen wurde, denkt natürlich jeder, aha jetzt kommt der Aufpasser schon an den Anfang, was hat das zu bedeuten? Also muss man den Sinn dieser Maßnahme erklären, z.B. dass dadurch Fehlerquellen minimiert werden und so die Erfolgsquote erhöht wird und dass der Controller so zu einer Hilfe und Unterstützung wird, statt wie vorher nur als Aufpasser zu fungieren. Aber eben nur dann, wenn er bereits am Anfang des Prozesses dabei ist. Genau das muss man den Mitarbeitern erklären. Daher bin ich auch der festen Überzeugung, dass gutes Management eine hoch kommunikativer Aufgabe ist und dass Steuerung viel weniger durch irgendwelche Strategieprozesse passiert als durch das Involvement der Mitarbeiter in die Kommunikation. Dahinter muss aber eine erkennbare und kommunizierbare Strategie liegen.

Kommunikation in welcher Form?

Am Wichtigsten ist es authentisch zu sein und ehrlich zu sagen, worum es geht. Ich habe immer sehr früh und sehr deutlich meine Überlegungen und Maßnahmen kommuniziert. Besonders letztere sollten jedem im Unternehmen bekannt sein, was nicht immer ganz einfach ist, weil Sie auf der anderen Seite keineswegs wollen, dass das dann sofort nach außen transportiert wird. Sie können aber nicht von den Leuten erwarten, dass sie mit niemandem darüber sprechen. Interessanterweise weiß der Markt oft früher, wie es um das Unternehmen steht, als das Unternehmen selbst.

Also: Jeder Mitarbeiter, egal wo er sich in der Hierarchie befindet, sollte wissen, wo das Unternehmen gerade steht. Eine gemeinsame Sicht der Dinge und  eine realistische Einschätzung der Situation kann Wunder wirken. Daher sollte man, wo immer möglich, wichtige Kennzahlen im Unternehmen kommunizieren. Das ist in einem börsennotierten Unternehmen meist leichter als in einem Familienbetrieb.. In diesem Fall muss man sich mit den Eigentümern einigen, was man bekannt gibt: das Ergebnis oder eine Ergebnisrelation, Einzelergebnisse oder nur Gesamtumsatz? Man muss gemeinsam mit dem Eigentümer Kenngrößen definieren, die kommunizierbar sind. Meine Erfahrung ist, dass Mitarbeiter gar nicht so viele Informationen brauchen, um zu spüren, wie es um das Unternehmen steht. Engagierte Mitarbeiter haben sowieso ein sehr hoch entwickeltes Sensorium über den jeweiligen Zustand des Unternehmens, die brauchen oft gar keine Details zum Zustand selbst, sondern vielmehr das Gefühl, dass es jemanden gibt, der den Ernst der Situation erkannt hat und jetzt mit ihnen daran arbeitet, den Zustand zu verbessern.

Weiß man als Manager immer, was zu tun ist oder fühlt man sich nur verpflichtet, immer so zu tun?

In der Anamnese, der ersten Erfassung des Problems, ist es sehr ratsam und hilfreich, Schlüsselmitarbeiter einzubinden und ihnen sehr aufmerksam zuzuhören. Da bekommt man schon ein sehr schnelles und klares Bild, woher die Probleme kommen und meist auch wertvolle Lösungen mitgeliefert. Es gibt sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen, daher hilft es, mit möglichst vielen Schlüsselpersonen zu reden, hierarchieunabhängig. Was sehen diese Mitarbeiter, was meinen sie, was getan werden müsste, um etwas positiv zu verändern? Das ist ein sehr billiges und effektives Instrument, um ein klares Bild zu bekommen. Dazu kommen noch Gespräche mit den Kunden.

Bei der Synthetisierung des so entstandenen Bildes im Sinn von Ist-Zustand und Soll-Zustand und der Entwicklung einer Strategie, um zu dem Sollzustand zu kommen, kann man dann nicht allzu viele Leute einbinden. Man kann es machen, wenn man Zeit hat, aber nicht in einer Krisensituation, wo es um Schnelligkeit geht. Mein persönlicher Zugang ist der, dass ein großflächiger Wandel nie ausschließlich von einer Person an der Spitze gesteuert werden kann, sondern dass man dazu ein sich ergänzendes Steuerungsteam zusammenstellen muss. Also eine erste Analyse: Woran krankt es? Dann erste Ideen, was ist zu tun, welche Aufgaben sind primär zu erfüllen? Und dann die Zusammenstellung eines Steuerungsteams an der Spitze, mit Kompetenzen, die sich möglichst gut ergänzen.

Was braucht man für Kompetenzen im Team an der Spitze?

Kochrezept für eine optimale Teamzusammensetzung habe ich keines. Ich habe mir als Leitungsteam immer Ergänzungen in genau jenen Kompetenzen geholt, die ich nicht mitbringe. Insofern ist die Voraussetzung, dass man sich als Führungskraft darüber im Klaren ist, was man gut und was man weniger gut kann.

Wenn es um einen Wandel geht, bei dem man das Gefühl hat, dass sich die grundlegende Identität ändert, z.B. wenn ein Verlag beschließen würde, sämtliche gedruckten Werke aufzugeben und nur mehr auf das elektronische Buch zu setzen, dann unterscheidet sich das doch von einer Optimierung bestehender Prozesse, oder?

Natürlich. Aber der Knackpunkt liegt in der Frage: Ist der radikale Wandel überhaupt das richtige Instrument, die richtige Antwort? Im Fall des Manz-Verlages wäre ein radikaler Wandel mit Sicherheit das falsche Instrument und Signal gewesen. Was wir damals gewählt haben, waren sehr rasche innerorganisatorische Veränderungen, teils durchaus grundlegende Veränderungen im Selbstverständnis der Mitarbeiter, aber sicher kein radikaler Wandel nach außen hin.

Was war das zugrunde liegende Problem?

Die Performance hat nicht mehr gestimmt. Der Fachinformationsmarkt war zu der Zeit sehr rezessiv und man hat nicht rechtzeitig gegengesteuert. Auf so einem Markt hätte es keinen Sinn gehabt, sich ein Ziel zu setzen wie "Wir wachsen um 30%". Dass wir trotzdem stark gewachsen sind, haben wir nicht erreicht, weil wir uns das so vorgenommen haben, sondern weil wir dahinter Maßnahmen gesetzt haben, die dann diesen Effekt zeitigten. Wären wir auf Wachstum fixiert gewesen, hätten wir möglicherweise ganz andere und damit die falschen Maßnahmen gesetzt. Die Herausforderung war, die elektronische Schiene so aufzusetzen, dass sie das Stammgeschäft absichert und ausbaut und nicht kaputt macht.

Wenn Sie Manager suchen würden, die einen Wandel managen sollen, worauf würden Sie achten?

In erster Linie würde ich darauf schauen, ob die Person ein guter Kommunikator ist oder nicht. Ob sie glaubwürdig und authentisch kommunizieren kann. Das wäre mein erstes Kriterium.

Wie kommuniziert man notwendigen Wandel, ohne Angst vor Überforderung zu verbreiten?

Man kann wie gesagt sehr viele Ängste herausnehmen, wenn man die eigenen Absichten und Ziele gut erklärt, nur kommt einem der Zeitdruck immer wieder in die Quere. Die meisten Manager fühlen sich ständig getrieben und gehetzt und kaum ist das eine Problem erledigt, wartet schon das nächste. Daher nimmt man sich kaum die Zeit, innezuhalten, mit den Leuten zu schauen, was man bereits gemeinsam erreicht hat und das dann ordentlich zu feiern und zu würdigen. Da braucht es nicht viel. Mitarbeiter wollen vor allem zwei Dinge: sie wollen erstens im Bilde sein und zweitens das gemeinschaftliche Erlebnis in der Gruppe. Sie wollen von der Spitze als Orientierungsinstanz eine klare Ansage haben: ja das haben wir gut gemacht oder das haben wir schlecht gemacht. Wenn man das als Geschäftsführung unterlässt, leidet auch die Orientierung. Ich bin schon wieder beim Thema Kommunizieren.

03.2006

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