Was heute reicht, reicht morgen bei weitem nicht mehr

Jürgen Bauer, Direktor der Region Ost im Logistikkonzern Gebrüder Weiss, über das gleichzeitige Managen eines Optimierungsprozesses in Form eines Umzugs und eines radikalen Wandels vom Spediteur zum Logistikdienstleister.

Wie geht es einem als Führungskraft mitten in einem großen Veränderungsprozess?

Ich denke, dass Change vor allem schwierig ist für Mitarbeiter, die in der klassischen Sandwichposition sind. Ich selbst bin mir relativ klar, was ich will und nehme bewusst in Kauf, dass Dinge auch einmal nicht optimal funktionieren. Aber die Mitarbeiter, die weiter unten in der Hierarchie sind, erleben Wandel natürlich oftmals als Vorgaben, die für sie mitunter auch unpopuläre Dinge beinhalten.

Der Wandel, von dem wir hier sprechen ist einerseits der neue Standort....

Nein. Der wirkliche Wandel ist unsere Entscheidung, dass wir tiefer in die Prozesse der Kunden hinein wollen. D.h. es gibt derzeit zwei Prozesse, die eigentlich unabhängig voneinander sind. Das eine ist ein großes Bauprojekt, d.h. ein neuer Standort in Wien samt bevorstehendem Umzug, das andere ist ein Strategieprojekt mit dem Namen NOW 2010 (Neue Organisation Wien). Der Prozess "neuer Standort" hat beginnend mit der Grundstücksuche bis zum Umzug in wenigen Monaten insgesamt vier Jahre gedauert. Die derzeit sieben Standorte in Wien werden nun an einem Standort zusammengeführt, was natürlich die Effizienz erhöht. Wobei klar ist, dass so eine Zusammenführung keine einfache Sache ist.

Der zweite Prozess, NOW 2010, hat folgenden Hintergrund: Je tiefer wir in die Logistikprozesse und Wertschöpfungskette der Kunden eindringen können, desto weniger sind wir von Standardprodukten abhängig, die einem starken Preisdruck unterliegen. Diese Neudefinition des Geschäftes erfordert auch neue Qualifikationen der Mitarbeiter, weil die Komplexität z.B. auch für einen Sachbearbeiter immer größer wird. In kaum einer anderen Branche decken Mitarbeiter ein derart breites Feld an Tätigkeiten ab: Ein Sachbearbeiter erledigt z.B. die Dateneingabe, die LKW-Disposition, die Verrechnung dahinter, hat Kundenkontakt, wo er besonders freundlich sein soll und Lieferantenkontakt, wo er eher emotionslos und cool agieren sollte. Die wenigsten Leute können das alles abdecken. Die geplante Veränderung geht nun in zwei Richtungen: Einerseits die Definition von Standardprozessen, bei denen wir einen noch höheren Qualitätsstandard als bisher erreichen wollen, dabei aber bemüht sind Komplexität herauszunehmen und damit Ressourcen freizubekommen, damit wir andererseits intelligentere Lösungen in Richtung Logistikberater entwickeln und anbieten können.

Diese beiden Veränderungen passierten zufällig gleichzeitig?

Ursprünglich gab es einfach ein Platzproblem. Doch seit wir begonnen haben, uns mit dem neuen Standort zu beschäftigen, ist die Welt ja nicht stehen geblieben. Wir haben beispielsweise heute viel mehr internationale Kunden als früher, was andere Anforderungen mit sich bringt. Denn wenn ein Kunde irgendwo in Europa sitzt, bedarf es einer anderen Betreuung und anderer Kommunikationsformen als wenn er sich vor unserer Haustür befindet. Das passende Stichwort für neue Selbstverständnis bei NOW 2010 heißt: Logistiklösungen. Hier geht es nicht mehr um den klassischen Produktverkauf, mit dem Ziel, für den Kunden eine Ware von A nach B zu bringen, sondern darum zu schauen, wo es beim Kunden Probleme in der Logistik gibt, die wir für ihn lösen können.

Wo ist aus Ihrer Sicht der Unterschied zwischen Optimierung und radikalem Wandel?

Für mich ist das ganz einfach. Die eine Art von Veränderung ist für mich Maria Lanzendorf, der neue Standort. Hier geht es um die Optimierung der Prozesse. Wir haben statt sieben Standorten nur mehr einen, können damit einfacher und schneller größere Mengen verschieben und optimieren damit unsere Prozesse. Damit verbunden sind einige zusätzliche Veränderungen, die diese Optimierung unterstützen, den Mitarbeitern aber auch Vorteile bringen, z B. ein besserer Schichtdienst, modernere technische Hilfsmittel etc. Das alles sind Veränderungen, die größtenteils auf einer relativ sachlichen Ebene stattfinden. Man schaut sich an, was man technisch besser machen kann. Es gibt viele einfache technische Möglichkeiten, die wir am neuen Standort ausnutzen können, auch ohne das Projekt NOW 2010.

NOW 2010 ist ein Wiener Projekt, das sich an dem Corporate Target orientiert, den Konzern stärker als Logistikdienstleister zu positionieren. Es stellt ab auf die Wiener Gegebenheiten und die Besonderheit, Drehscheibe für das Ostgeschäft zu sein. NOW 2010 ist im Gegensatz zum Umzug ein sehr emotionales Thema, das bei den Menschen unterschiedliche Reaktionen hervorruft. Die Außendienstmitarbeiter sollen in Zukunft als Berater fungieren, anstatt wie bisher gewohnt standardisierte Produkte zu verkaufen. D.h. unter anderem müssen sie sich noch mehr Wissen über Logistikprozesse aneignen sowie Qualifizierungsmaßnahmen zur Erhöhung ihrer Beratungskompetenz absolvieren. Auch für die Disponenten wird sich einiges ändern. Bei NOW 2010 geht es also, wenn man so will, um ein neues Selbstverständnis, eine neue Art, unser Geschäft zu betreiben. Hier kann die Verunsicherung natürlich noch viel größer sein.

Wie geht es Ihnen als Manager bei diesem angestrebten Identitätswechsel des Unternehmens? Da ist ja auch im Management vieles unklar, oder?

Das sehe ich nicht so, denn mein Bild ist sehr klar. Das kommt wahrscheinlich daher, weil ich hinsichtlich des Change Prozesses zwar die Rückendeckung, jedoch keine Weisungen des Vorstandes habe. Ich glaube, so ein Wandel ist viel schwieriger, wenn die Konzernspitze genau vorschreibt, dass es so und so zu tun ist, als wenn das von mir selbst angesteuert ist. Die einzige Unsicherheit ist, dass ich – weil ich schon seit 15 Jahren im Unternehmen bin und die Mitarbeiter kenne - weiß, dass diese Umstellung für viele Mitarbeiter schwierig werden wird. Was mich immer wieder unrund macht sind die Probleme in der vertikalen Kommunikation. Da war ich eine Zeitlang wirklich verzweifelt.

Was meinen Sie mit vertikaler Kommunikation?

Damit meine ich, dass die Botschaften irgendwo in der Hierarchie stecken bleiben. Wenn ich Veranstaltungen mache mit 50-60 Führungskräften und dort sachlich fundierte Informationen gebe, wird das stark interpretiert und danach sagen sie ihren Mitarbeitern vielleicht: Ihr braucht euch keine Sorgen machen, es bleibt eh alles beim alten. Viele Informationen werden einfach nicht 1:1 weitergegeben und bleiben in der einen oder anderen Ebene hängen. Selbst wenn die Infos bis zur Basis durchdringen, kommt oft etwas ganz anderes an. Bei einer Organisation, die auf sieben Standorte verteilt ist und 450 Mitarbeiter hat, Informationen so zu steuern, dass jeder Mitarbeiter einmal im Monat erfährt, wie der Stand des Projektes ist, stellt eine echte Herausforderung dar. Diese Information direkt über die Führungskräfte bis an die Basis zu bringen war eines der zentralen Probleme.

Woran haben Sie gemerkt, dass die Informationen nicht ankommen?

Das merkt man anhand von Gerüchten und in den Gesprächen. Viele Führungskräfte haben dem Umzug 99 Prozent Bedeutung gegeben, und NOW nur 1 Prozent und entsprechend war dann die Verteilung in der Kommunikation mit den Mitarbeitern. Damit hatten viele Mitarbeiter den Eindruck, dass es eigentlich nur um den Umzug geht. NOW ist immer mehr in den Hintergrund getreten, weshalb wir vor kurzem entschieden haben, uns für die nächsten drei Monate voll auf den Umzug zu konzentrieren und dann die Kommunikation über NOW 2010 wieder hoch zu starten. Jetzt, kurz vor dem Umzug kommen die Botschaften nicht an, manche Menschen können diesen Unterschied - hier Optimierung und Umzug, dort Musterwechsel mit NOW 2010 - nicht verarbeiten. Wahrscheinlich ist es auch unfair, das jetzt zu verlangen, denn die Leute sehen im Moment nur den Umzug und die Umstellung der Prozesse.

Agieren Sie als Führungskraft heute anders als noch vor zwei Jahren?

Ich lege heute viel mehr Nachdruck darauf, dass sich die Führungskräfte Feedback holen und kontrollieren, was an der Basis angekommen ist. Die vertikale Kommunikation hatte ich früher nicht so im Fokus. Ich habe bestimmte Dinge getan und vermutet, alle anderen würden es genauso machen. Es war mir nicht bewusst, dass der Informationsfluss ein so großes Problem ist, vor allem über mehrere Ebenen hinweg.

Ich selbst bekomme von der Unternehmensleitung immer alle Informationen, die ich brauche. Es wird nichts verschwiegen, nichts beschönigt, aber auch nichts schlechter gemacht, und diese Infos gebe ich weiter. Aber klar ist auch, wenn man den Prozess von oben antreibt, sieht man das anders, als wenn man das weiter unten serviert bekommt. Wobei das Positive an dem Projekt NOW 2010 ist, dass es nicht angreifbar ist. Damit meine ich, dass es nichts darin gibt, wo jemand bisher gesagt hätte, das ist ein Blödsinn, das kann nicht funktionieren, warum machen wir das. Es gibt sicher persönliche Ängste im Sinn von: Was wird da mit mir passieren, wie wird mein neuer Job ausschauen? Aber es ist sehr gut gelungen, das Gefühl von Dringlichkeit hinüber zu bringen, obwohl wir die vergangenen drei Jahre jeweils das beste Jahresergebnis der Geschichte hatten.

Wie haben Sie das geschafft?

Die Erstpräsentation vor den Führungskräften war einfach relativ klar und eindeutig. Begonnen hat sie mit dem besten Jahresergebnis in der Geschichte und der Frage, was damit passiert, wenn 10 Großkunden wegfallen, um so zu zeigen, wie schnell das Ergebnis drehen kann. Dann folgten Infos zu der Frage, wie sich die großen internationalen Konkurrenten aufstellen. Diese Konzerne betreuen zunehmend global accounts, d.h. wir kommen vielleicht an bestimmte Firmen künftig gar nicht mehr heran, obwohl wir das beste Angebot haben. Ich habe also einige Beispiele gebracht, wo Headquarters bereits entschieden und dabei Gebrüder Weiss nicht berücksichtigt haben. Also einige Negativbeispiele, relativ dramatisch aufgebaut und mit fiktiven Medienberichten gewürzt, z.B. der Schlagzeile: "Gebrüder Weiss in Konkurs". Dann folgte die Frage: Was können wir nun dagegen tun? Dazu hatte ich einen internationalen Top-Kunden von uns eingeladen, den größten, den wir haben. Die dortige Logistikleiterin hat das Unternehmen Gebrüder Weiss aus ihrer Sicht geschildert. Das war für viele ein Schock, oder zumindest ganz anders als erwartet, als sie beispielsweise gesagt hat, Gebrüder Weiss ist die beste Firma weltweit, die sie haben - in reaktiven Anpassungen. Wir machen alles ganz schnell, aber es gibt kein proaktives Mitgestalten. Sie hat darüber berichtet, was aus Kundensicht heute reicht, aber in Zukunft nicht reichen wird.

Das war enorm hilfreich, denn jeder Mitarbeiter hört immer wieder: Wir sind in diesem Jahr wieder europaweit bei den Spediteuren die Nummer 1 bei der Qualität. Aber das wird jetzt schon erwartet und reicht nicht aus, um künftig vorne zu bleiben. Dass ihnen ein Kunde solche Dinge sagt, hat sehr geholfen. Dadurch ist es gelungen, das Gefühl von Dringlichkeit zu erzeugen. Dazu kommt, dass ich Wien in einer schwierigen Situation übernommen habe und wir seit einigen Jahren wieder Spitzenzahlen schreiben. Dadurch gibt es wahrscheinlich auch ein gewisses Vertrauen in die Führung, dass ich nicht einen totalen Blödsinn machen werde. Wenn jemand von außen neu kommen und NOW 2010 starten würde, würde das sicher mehr in Frage gestellt werden, als wenn man als Leiter bereits einiges verändert und damit Erfolg gehabt hat.

Wenn das Management merkt, dass das tolle Zukunftsbild nicht die Wirkung entfaltet, die man erhofft hat und es in der Belegschaft eine Menge Unruhe gibt - worauf kommt es Ihrer Erfahrung nach in so einer Situation an?

Bei uns gibt es eine sehr gute Bindung der Gruppenleiter zu ihren Mitarbeitern. D.h. wenn die Gruppenleiter gut aktiviert sind, ziehen auch die Mitarbeiter mit. Es wird immer einzelne Mitarbeiter geben, denen das überhaupt nicht taugt, aber die gibt es auch in den normalen Veränderungsprozessen. Das werden aber meinem Gefühl nach nicht viele sein.

Zuerst muss man versuchen, möglichst objektiv festzustellen, warum etwas bei einem Mitarbeiter nicht funktioniert. Ist es ein technisches Problem, fehlt die fachliche Qualifikation oder will er es nicht? Wenn er nicht will, ist das für mich ein klassisches Führungsthema. Dann muss man herausfinden, warum er nicht will. Letztendlich gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man findet einen gemeinsamen Weg, oder die Wege werden sich trennen. Auf Gruppenleiterebene kann man allerdings nicht lange zuschauen, wenn es nicht funktioniert. Wobei es von allen Gruppenleitern ein klares Commitment zu NOW 2010 gibt und wenn diese Ebene funktioniert, gibt das den nötigen Rückhalt.

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