Das Zielvereinbarungssystem nach Hoshin Kanri

So toll es sich in der Theorie anhört, die Mitarbeiter des Unternehmens mittels Zielen in eine Richtung hin auszurichten und so die Kräfte zu bündeln, von stringenten, bis auf Mitarbeiterebene "hinunter gebrochenen" Zielen ist in den Unternehmen weit und breit nichts zu sehen.

Nach einer in den 90er-Jahren durchgeführten Untersuchung von Rolf Berth (Aufbruch zur Überlegenheit, 1994) haben weniger als 10% der von ihm untersuchten Unternehmen so etwas wie "Visionen und Ziele". Viel dürfte sich da in den vergangenen Jahren nicht geändert haben.

Oftmals beschrieben ist der MbO-Ansatz (Management by Objectives), der schon in den 50er und 60er Jahren von Autoren wie Peter Drucker und Georg Odiorne international bekannt gemacht wurde. Im Buch „Praxis des Management“ meint Drucker: "Die Leistung, die von ihm [dem Manager] erwartet wird, wird bestimmt von den Leistungszielen des Unternehmens; seine Leistungen müssen beurteilt werden nach dem, was sie zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Der Manager muss sich darüber im klaren sein, welche Leistungen auf Grund der Zielsetzungen des Unternehmens von ihm erwartet werden und sein Vorgesetzter muss wissen, welchen Beitrag er von ihm fordern und erwarten kann, und ihn danach beurteilen."

Hoshin-Management: wenig bekannt, aber wirkungsvoll

Ein Ansatz, der über MbO hinaus geht und einige Schwachstellen dieses Ansatzes korrigiert, ist das hierzulange noch wenig bekannte Hoshin-Management, im anglo-amerikanischen Raum auch bekannt unter MbP (Management by Policy). Hoshin bedeutet so viel wie Kompass-Nadel.

Hoshin Kanri / Management by Policy / Policy Deployment ist ein unternehmensumfassendes Planungs- und Steuerungssystem,

     

  • das alle Führungskräfte und Mitarbeiter einbindet
  • in einen systematischen und stringenten Kaskadierungs- (Ableitungs- und Abstimmungs-)Prozess,
  • im Rahmen einer gleichzeitigen vertikalen und horizontalen Abstimmung und Vereinbarung,
  • bei dem aus der Vision die übergeordneten Durchbruchziele (breakthroughs) des Unternehmens entwickelt und festgelegt werden, um daraus
  • die wesentlichsten Strategien und Ziele für alle Mitarbeiter (inkl. Führungskräften) abzuleiten,
  • damit das Streben aller Mitarbeiter des Unternehmens auf die gleiche Vision und die gleichen Ziele fokussiert wird.


Ursprünglich entwickelt als Komponente des Total Quality Management, umfasst Hoshin drei Elemente:

Daily Management: sorgt dafür, dass jeder Mitarbeiter klar verständliche Ziele hat, auf die hin das tägliche Handeln ausgerichtet ist.

Cross Functional Management: fokussiert auf horizontale Abstimmungsprozesse zwischen den innerbetrieblichen Kunden- und Lieferantenbeziehungen. Nur wenn die Aktivitäten der unterschiedlichen Abteilungen wie z.B. Marketing, Entwicklung, Produktion, Vertrieb entlang der Prozesskette gut aufeinander abgestimmt sind, kann der Gesamtprozess optimiert werden. Gerade diese horizontalen und abteilungsübergreifenden Abstimmungen und Vereinbarungen fehlen bei klassischen MbO-Prozessen. Die Folge: teils widersprüchliche Ziele, wo die Zielerreichung des einen der Schaden des anderen ist.

Hoshin Management: das wesentlichste, unternehmensumfassende Planungs- und Steuerungsinstrument, mit dem es gelingt, die Aktivitäten des Unternehmens auf die gleichen übergreifenden Unternehmensziele hin auszurichten.
Die Schrittfolge heißt: Von der Vision, über Breakthroughs für 3-5 Jahre, zu Jahreszielen, Zielkaskaden (vertikal UND horizontal), Umsetzung Zwischenreviews und Jahresreview.

Der Gesamtprozess besteht aus zwei Phasen: einer ersten längerfristig angelegten Phase, von der Vision bis zu den Jahreszielen - und mit den Jahreszielen beginnend - der Übergang in Phase 2, dem "Herzen" des Hoshin-Prozesses.

Den Kurs halten oder ändern?

N. KANO, Professor für Management Science an der Universität von Tokio und Mitglied im Deming-Preis-Komitee veranschaulicht den Gesamtprozess kundenorientierter Unternehmensplanung mit einem Schiff (das Unternehmen), das in See sticht.

Um das Schiff mit gleicher Geschwindigkeit auf Kurs zu halten sind zwei Aktivitäten erforderlich:

     

  • Jede Abteilung (jeder Mitarbeiter) muss ihre (seine) Funktion zuverlässig erfüllen. So z.B. der Maschinenraum, die Radarsteuerung und das Oberdeck. Spezifischen Anweisungen des Kapitäns sind dazu nicht mehr notwendig. Dies entspricht den Aufgaben des Daily Managements.
  • Um dies zu gewährleisten ist es jedoch notwendig, dass die verschiedenen Funktionsbereiche gut koordiniert zusammenarbeiten, weil (z.B. aufgrund von Wellengang und Windbewegungen) das Halten des Kurses mit gleicher Geschwindigkeit nur unter gemeinsamer Abstimmung der Funktionsbereiche (Oberdeck, Maschinenraum etc.) möglich ist, dies entspricht dem Cross Funktional Management.

Um jedoch Kurs und/oder Geschwindigkeit zu ändern (z.B. wegen eines Eisbergs) bedarf es der Instruktion durch den Kapitän. Diese vertikale Steuerung entspricht den TQM-Grundgedanken des Hoshin-Managements.

Um Mitarbeitern in ihrer täglichen Arbeit einen Sinn zu verleihen, ist es wichtig, dass sie – um im obigen Bild zu bleiben – wissen, wohin das Schiff fährt. Übertragen bedeutet dies, dass die Mitarbeiter verstehen lernen, weshalb Kurskorrekturen und andere Veränderungen notwendig werden. Wenn Mitarbeiter das Ziel "der Fahrt" kennen, können sie viel schneller die richtigen Aktionen einleiten bzw. sich auf neue Instruktionen selbständiger einstellen.

Die Probleme bei der Zielvereinbarung entstehen daher schon ganz zu Beginn: bei der Visionsentwicklung, einer Aufgabe des Top-Managements.

Tool: Wie entdeckt man seine Vision? 

Tool: Wie vermittelt man seine Vision?

Das große Manko: horizontale Abstimmung

Das zweite große Problem liegt bei der horizontalen Zielabstimmung zwischen den Beteiligten derselben Ebene. Sie findet so gut wie nie statt. Hier geht es nicht nur darum, sich mit den Kollegen abzusprechen, es geht um verbindliche Vereinbarungen. Das mag mühsam erscheinen, anstrengend und zu Beginn auch zeitaufwändig, es bringt aber genau die Qualität und den „Zug“ in die Zielvereinbarungen, durch die dann auch Resultate entstehen, die den Unterschied machen.

Passiert dieser horizontale Check - zwischen den Bereichsleitern in Bezug auf das primäre Unternehmensziel oder zwischen Abteilungsleitern in Bezug auf das primäre Bereichsziel - nicht, dann kommt es zu dem, was in der Praxis tagtäglich zigfach zu beobachten ist. Es gibt widersprüchliche Ziele, wo die Zielerreichung des einen Bereichs die Zielerreichung eines anderen be- oder verhindert.

Beispiel: Die Schadensabteilung einer Versicherung soll die Schadenszahlungen gering halten, was natürlich Kunden verärgert. Der Vertrieb ist aber dazu angehalten, mit denselben Kunden höhere Umsätze zu erzielen. Am Jahresende heißt es bei den Gesprächen folgerichtig: "Wir konnten unsere Ziele nicht erreichen, weil die Abteilung X dies und jenes nicht gemacht und geliefert hat und die Abteilung Y das und das nicht gemacht hat, was unsere Bemühungen enorm beeinträchtigt hat." Gegenseitige Schuldzuweisungen sind folglich ein gutes Indiz für horizontal unzureichend abgestimmte Ziele.

Enorm hilfreich wäre es folgerichtig, würde die Geschäftsleitung ihre Ziele in einer Sitzung mit dem Managementteam der nächsten Ebene besprechen und dann reihum an die Bereichsleiter die Fragen richten: Welchen Beitrag wird Ihr Bereich zum Erreichen dieses Zieles leisten? Was brauchen Sie dazu von den anderen Bereichen, um diese Leistung auch erbringen zu können? Werden die hier möglicherweise sichtbar werdenden Zielkonflikte in dieser Runde nicht gelöst, setzen sie sich durch die gesamte Organisation nach unten weiter fort. Auch eine Form der Zielkaskadierung, wenn auch keine sehr produktive.

Wird diese Führungsaufgabe hingegen erfolgreich gemeistert, können im nächsten Schritt sowohl Gruppenziele und individuelle Beiträge in der Gruppe vereinbart werden, als auch Individualziele zwischen jedem einzelnen Mitarbeiter und direktem Vorgesetzten.

Tool: Zielvereinbarung in Gruppen

Tool: Zielvereinbarung mit einzelnen Mitarbeitern 

Die Zielkaskadierung

In der Literatur zur Führung mit Zielen findet man immer wieder die fast schon triviale Aussage, dass Ziele von oben nach unten "heruntergebrochen" bzw. abgeleitet werden sollen. Aber was das im einzelnen bedeutet, wird meist nicht explizit definiert. Das wäre allerdings notwendig, um die Zusammenhänge zwischen übergeordneten und abgeleiteten Zielen transparent zu gestalten. Hoshin Kanri bietet dazu einen sinnvollen Prozess, der sich anhand einer Kurzbezeichnung MOST einprägsam beschreiben lässt.

 

M-O-S-T
Mission Vision Unternehmenszweck: Wozu sind wir auf dem Markt, in diesem Kerngeschäft und was wollen wir in diesem Markt erreichen?
Was sind die Produkte und Dienstleistungen?
Was wollen wir in unserem Kerngeschäft erreichen?
Objectives Ziele Was wollen wir jeweils konkret erreichen?
Strategies Strategien Wie kommen wir da hin?
Tactics Maßnahmen Was tut der Zielinhaber konkret bis wann, um ans Ziel zu kommen?

Was sind Strategien, was sind Maßnahmen?

Um Vision mit Leben zu füllen, bedarf es einer Strategie (Strategie im Sinn alternativer Lösungswege): Wie könnten wir das erreichen: Indem wir dies machen oder indem wir jenes machen. 

Strategie steht hier als "Weg zur Zielerreichung". Damit nun aus den übergeordneten Zielen die Ziele für die nächste Ebene abgeleitet werden können, müssen die Strategien der übergeordneten Ebene in Ziele verwandelt werden. Dies geschieht dadurch, dass Strategien konkretisiert, definiert, messbar gemacht werden. Die Frage der nächsten Ebene lautet jeweils: Welchen Beitrag können wir zur Zielerreichung leisten?

Tool: SMARTE-Ziele

Jeder Mitarbeiter legt dann seine eigenen Handlungen (Maßnahmen) zur Zielumsetzung fest. Maßnahmen bedeuten daher die konkrete Festlegung und Durchführung von Handlungen/Tätigkeiten auf der jeweiligen Ebene. Maßnahmen dürfen nicht delegiert und im individuellen Zielvereinbarungsgespräch nicht vereinbart werden, da hierdurch eine viel zu enge Führung stattfände. Maßnahmen brauchen der nächste Ebene nur bekannt gegeben werden, wenn davon deren eigene Handlungen z.B. terminlich abhängen.

Pragmatisch vereinfachend lassen sich Strategien von Maßnahmen dahingehend unterscheiden, dass Strategien Elemente sind, die auf die nächste Ebene delegiert und zu deren Zielen werden und Maßnahmen diejenigen Elemente sind, die der Zielinhaber auf jeder Ebene selbst durchführt.

Wenn, wie es in der Praxis häufig geschieht, Führungskräfte aus ihren Zielen Maßnahmen für die nächste Ebene (statt für sich) ableiten, ist das insofern fatal, da die Führung immer enger wird, je maßnahmenorientierter geführt wird. Führungskräfte neigen in der Praxis dazu, ihren Mitarbeitern zu sagen, "was sie tun sollen", anstatt die viel wirkungsvollere Vereinbarung zu treffen, "was sie erreichen sollen". Erst damit schafft man die Freiräume, dass Mitarbeiter ihre eigenen Ideen einbringen und selbständig agieren können.

Folgendes Beispiel soll das abschließend verdeutlichen:

In einer Geschäftsleitungssitzung eines Unternehmens wurde für den Personalleiter ein Ziel definiert. Entwicklung eines Konzeptes für den Abbau von 200 Mitarbeitern. Der Personalleiter fand, dass dies nur eine mögliche Strategie sei zur Erreichung des übergeordneten Zieles "Einsparung von Personalkosten in Höhe von X Millionen pro Jahr". Nachdem die Zielvereinbarung in diese Richtung geändert wurde, zeigte sich, dass der Kreativität der betroffenen Mitarbeiter und Führungskräfte freier Raum gelassen werden konnte. In diesem Beispiel ergab sich, dass nur ca. 100 Mitarbeiter gekündigt werden mussten, die anderen konnten durch neue Strategien, wie z.B: Qualifzierungsmaßnahmen, Gründung einer Leasingfirma, Entwicklung neuer Geschäftsideen, im Unternehmen bleiben. Wäre das Ziel jedoch der Abbau der 200 Mitarbeiter geblieben, wären völlig andere Strategien entwickelt worden, nämlich nur solche, mit denen der Abbau am besten realisiert worden wäre.

Quelle: "Hoshin Kanri"; Prof. Eduard Jochum, Hochschule für Bankwirtschaft, Frankfurt a. Main, in: Walter Bungard, Oliver Kohnke (Hrsg): "Zielvereinbarungen erfolgreich umsetzen", Gabler Verlag, 2002.

06.2005

...zurück zum Seitenanfang

Teilen: