Managen oder Führen?

Macht die Unterscheidung zwischen Management und Führung Sinn? Hilft sie Unternehmen bei der Klärung wichtiger, deutlich unterscheidbarer Rollen oder impliziert sie eine versteckte Auf- und Abwertung, fördert das Image vom Superhelden an der Spitze und zielt am Wesentlichen vorbei?

Die Diskussion, ob Management und Leadership mit unterschiedlichen Anforderungen und Aufgaben einhergehen, ist nicht neu. Losgetreten wurde sie von dem Psychoanalytiker Abraham Zaleznik, als dieser 1977 als Professor an der Harvard Management School einen Artikel mit dem Titel "Managers and Leaders. Are they different?" veröffentlichte. Vor dem Hintergrund der damals in Amerika sinkenden Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der ausländischen Konkurrenz schreibt er in dem Beitrag gegen den Konservatismus in großen Organisationen an. Er beklagt ihre Risikoscheu und hält ein Plädoyer für mehr Kreativität, Vorstellungskraft und den Mut, neue Wege zu gehen und sich mit chaotischen, nicht geordneten Situationen auseinander zu setzen. Alles Fähigkeiten, die er dem "Leader" zuordnet, den er dem "Manager" gegenüberstellt. Dass damit eine klare Wertung verbunden ist, tritt auch in einem späteren Buch Zalezniks deutlich zu Tage, trägt es doch den bezeichnenden Titel. "Führen ist besser als Managen". Während Leader nach Ansicht Zalezniks über eine inspirierende und motivierende Persönlichkeit verfügen und in der Lage sind, Unternehmen zu transformieren, sieht er Manager als Verantwortliche für die Organisation und die Disziplin im Unternehmen.

1990 machte John Kotter in seinem Artikel "What leaders really do" mit der später oft zitierten Bemerkung von sich reden: "Most US.corporations today are overmanaged and underled." Sein Aufsatz beginnt mit der Feststellung: "Leadership is different from management but not of the reasons many people think. It has nothing to do with having 'charisma' or other exotic personality traits. It is not the province of a chosen few. Nor is leadership necessarily better than management or a replacement for it. Rather, leadership and management are to distinctive and complemantary systems of action."

 John Kotters wichtigste Thesen

The “Great Man Theory”

Wohl kein Zufall ist, dass die Unterscheidung zwischen Management und Leadership in einer traditionell die Leistung des Einzelnen betonenden Kultur entstand und populär wurde. Ihrer Attraktivität auch nicht gerade abträglich ist auch, dass sie den Personen an der Spitze - auch wenn das von den Autoren selbst vielleicht gar nicht immer beabsichtigt war – quasi mythische Eigenschaften zuschreibt - Mut, Kreativität, visionäres Denken -während Manager zwischen den Zeilen schnell das Etikett konservativ, ängstlich, bürokratisch, umgehängt bekommen.

Ein Umstand, den auch Fredmund Malik im Buch "Führen, Leisten, Leben" zu der Kritik veranlasst: "Alles, was die Autoren als schlecht und inakzeptabel erachten – im Sinn von nicht dynamisch, vergangenheitsorientiert und dergleichen – wird von ihnen der Kategorie Management zugeordnet, alles andere dagegen, was man als gut und wünschenswert ansieht, fällt unter dem Begriff Leadership. Sie vergleichen also schlechtes Management mit guter Leadership."

Dass diese personenbezogene, auf persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten abstellende Unterscheidung trotz aller Kritik sich in der Praxis großer Beliebtheit erfreut, hat wohl mehrere Gründe. Sicher kein zeitlicher Zufall ist, dass die Diskussion um Management und Leadership in Europa gerade in den Jahren wieder populär wurde, als auch das Shareholder-Value-Denken über den Ozean schwappte und die seitdem auch bei uns in immer höhere Sphären schießenden Vorstandsgehälter ihre Legitimation suchten. Da kam es gerade recht, die Wichtigkeit von Spitzenmanagern auch theoretisch unterfüttern zu können, indem ihnen besondere, seltene Fähigkeiten ins Stammbuch geschrieben wurden. Selbst wenn es mit der Werthaltigkeit der von oben verkündeten "Visionen" nicht immer zum Besten bestellt war, wie in den vergangenen Jahren auch in Deutschland einige große Konzerne zum Leidwesen ihrer Mitarbeiter eindrucksvoll bewiesen haben – schien das den explodierenden Gehältern und Boni an der Spitze in keinster Weise Einhalt zu gebieten. Schuld war an solch profanen Dingen wie fehlgeschlagener Strategien nach Ansicht der inzwischen meist auf die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden weggelobten "Visionäre" mit Sicherheit nur "die mangelhafte Umsetzung".

Aufgaben und Fähigkeiten von Personen ....

Es gibt aber auch noch einen anderen, durchaus nachvollziehbaren Grund für die Popularität der Unterscheidung, auf die Mag. Friedrich Seher, Vorstandsvorsitzender der Vivatis Holding hinweist: die Möglichkeit, mit Hilfe dieser Unterscheidung unterschiedliche Aufgaben im Management herauszuarbeiten und diese so zum Gegenstand der Diskussion im Führungskreis zu machen. In eine ähnliche Kerbe schlägt Marcus Buckingham, Autor mehrere Bücher über "exzellente" Führungskräfte, der Managern und Leadern auf Basis mehrerer Studien unterschiedliche Kernaufgaben zuweist, zu deren Erfüllung auch sehr unterschiedliche Fähigkeitsprofile nötig seien.

Management und Leadership stehen in diesem Sinne stellvertretend für bestimmte von der Organisation zu leistende Aufgaben. Die typische Zuordnung zu unterschiedlichen Managementebenen findet ihre Erklärung aber neben etwaigen außergewöhnlichen persönlichen Fähigkeiten möglicherweise auch in dem profanen Umstand, dass Unternehmen nach wie vor vorwiegend hierarchisch strukturiert sind. So weist Mag. Heinz Jarmai von der Beratergruppe Neuwaldegg darauf hin, dass bestimmte Führungsaufgaben, die sich vor allem "an der Grenze zwischen Unternehmen und Umwelt" abspielen, in hierarchischen Unternehmen zwar traditionell an der Unternehmensspitze angesiedelt sind, in dezentral organisierten Unternehmen oder Netzwerkorganisationen aber bereits an wesentlich mehr Stellen anzutreffen und damit auf mehr "Leader" verteilt sind.

 Mag. Seher: "Management und Leadership sind zwei Paar Stiefel"
 Marcus Buckingham: Exzellente Manager, exzellente Führer
 Mag. Jarmai: Leadership: Angst und Faszination

... oder Funktion einer Organisation?

Einer der prononciertesten Kritiker des personenorientierten und heroisierenden Konzepts von Management und Leadership ist Dr. Rudolf Wimmer, Professor an der Universität Witten/Herdecke. Er stellt dem mit diesem Ansatz transportierten Bild heldenhafter Führer, die an einer Organisation wie an einem Werkstück herumdoktern, um sie "passend zu machen und ihr die richtige Richtung zu geben" ein Führungskonzept – kein Führungskräftekonzept! - gegenüber, bei dem Führung als eine immanente Funktion von Organisation verstanden wird. Eine Funktion, die dazu dient, in dem Sozialkörper Organisation bestimmte wichtige Dimensionen bearbeitbar zu machen, die für das Überleben der Organisation entscheidend sind.

Am Beginn steht hier eine grundsätzliche Frage, die personenorientierte Ansätze gerne unter den Tisch fallen lassen: Wozu braucht es eigentlich Führung? Was ist die Aufgabe von Führung in einer Organisation? Oder anders gefragt: Was würde in Organisationen passieren, wenn es Führung – theoretisch angenommen – nicht gäbe? Wenn sie – wie das Ergebnis dieses Nachdenkprozesses ja lauten könnte – dazu da ist, dafür zu sorgen, dass ganz bestimmte Themen in einer Organisation bearbeitet werden, dann kann man sich - in einem zweiten Schritt - natürlich auch fragen, wer diese Aufgaben wie wahrnehmen könnte und welcher Voraussetzungen es dazu auf persönlicher ebenso wie auf organisatorischer Ebene bedarf.

Vielleicht braucht es, damit Führung die benötigten Impulse setzen und die erhoffte Wirkung erzielen kann, ja Voraussetzungen, bei denen man den Blick statt nur auf die Helden auch einmal auf die sie umgebende Organisation richten sollte. Im Sinn des Satzes "eine gute Theorie eine praktische Sache" könnte das der eigenen Wirksamkeit als Führungskraft durchaus förderlich sein.

 Prof. Wimmer: "Führung sorgt für Impulse"

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