"Management und Leadership sind zwei Paar Stiefel"

Mag. Friedrich Seher, Vorstandsvorsitzender der Vivatis Holding, über die unterschiedlichen Bedeutungen, Aufgabenfelder und Persönlichkeitstypen in Bezug auf Management und Leadership.

Herr Mag. Seher, gibt es aus Ihrer Sicht einen Unterschied zwischen Management und Leadership?

Die etymologischen Wurzeln bei Manager gehen zurück auf das lateinische manus, die Hand, und das italienische maneggiare, handhaben, ein Pferd in der Manage an der Leine herumführen. Das Wort Leader geht, glaube ich, auf das mittelhochdeutsche lead zurück, was soviel heißt wie der Pfad, der Weg, den Weg weisen. Aus meiner Sicht  gibt es also schon von der Begrifflichkeit her einen ganz klaren Unterschied zwischen Management und Führung, wobei es in der täglichen Praxis natürlich einen Graubereich, eine Überschneidung gibt.

Verkürzt kann man sagen: Der Manager konzentriert sich auf die Gegenwart, der Führer eher auf die Zukunft. Manager denken daher eher kurzfristig, Führer langfristig. Manager sind eher Vorschriften- und Regelwerksinhaber, Führer sind eher Visionäre. Manager fragen nach dem Wie, Führer fragen nach dem Warum. Manager kontrollieren Mitarbeiter, Führer stärken sie, bauen sie auf und entwickeln sie. Manager sind grundsätzlich logischer, Führer haben auch ein großes Maß an Intuition. Manager sind sehr fokussiert auf die unmittelbaren Unternehmensbelange, Führer haben auch die großen Themen wie Volkswirtschaft, soziale Belange, etc. im Blick.

Ist das dann nicht fast gleichbedeutend mit der Zuordnung von Führern als dem Top-Management und Managern als dem unteren und mittleren Management, welches das operative Geschäft und die Prozesse am Laufen hält?

Nein, darum habe ich habe ja gesagt, dass es einen Graubereich gibt. Auch das Top-Management kann sich ja nicht nur auf Leadership beschränken. Bei großen Konzernen wird sich das Top-Management voraussichtlich sehr stark auf Leadership konzentrieren, während der Managementanteil gering sein wird, in einem mittelständischen Betrieb mit 150 Mitarbeitern wird der Leader aber auch sehr stark Manager sein müssen. Wie groß die Überschneidung ist, hängt sehr stark vom Unternehmen selbst ab. Aber generell würde ich schon sagen: Je größer das Unternehmen, umso höher ist nach oben zu der notwendige Anteil von Leadership und desto abnehmender der Anteil von Management.

Neben dieser Unterscheidung von Management und Leadership gibt es noch eine andere wichtige Unterscheidung: sich selbst zu führen, Menschen führen oder eine Organisation führen. Wenn ich eine Organisation führe, heißt das nicht auch automatisch, dass ich auch Menschen führe.

Aber wenn ich eine Organisation steuere, gibt es doch immer auch Menschen, die ich führe, nämlich die nächste Führungsebene?

Ja, wenn ich das Top-Management hernehme und hier vier oder fünf direkt zugeordnete Mitarbeiter in der Führungsspanne habe, dann führe ich sie. Aber manage ich sie auch?

Die Geschäftsführer Ihrer Tochterunternehmen werden von Ihnen geführt oder nicht?

Nein. Da führe ich nur die Organisation, ich bin dort Eigentümervertreter. Ich führe die Damen und Herren nicht, nicht in meinem klassischen Führungsverständnis. Ich manage die Organisation im Konzernverbund und nehme Eigentümerinteressen wahr, aber ich führe meine Geschäftsführer nicht. Das ist auch so ausgesprochen. Ich habe daher auch kein jährliches Mitarbeitergespräch, sondern nur ein Feedbackgespräch, weil diese Geschäftsführer wissen müssen, wo sie mit ihrer Organisation stehen, ob die Arbeit anerkannt wird und ob sie Stärken und Schwächen haben. Aber selbst diese Stärken und Schwächen kann ich auch nur aus der Ferne beurteilen, weil ich ja nicht täglich mit ihnen arbeite. Ich kann nur Mitarbeiter führen, die ich beobachten kann und wo ich daher beobachtbares Verhalten als Grundlage meiner Beurteilung heranziehen kann. Sonst kann ich nur mit Vermutungen arbeiten. Oder ich müsste mich bei deren Mitarbeitern über ihre Führungsqualitäten schlau machen, was ich kontrollmäßig zwar auch tue, aber ich führe die Geschäftsführer der Töchter nicht, ich führe meine Mitarbeiter in der Holding.

Wenn Sie Führungskräfte suchen, woran machen Sie dann diese Unterschiede fest zwischen Managen und Führen? Gibt es Positionen, wo sie sagen, da brauche ich eine guten Manager und dort brauche ich einen guten Führer? Sind da die Aufgaben unterschiedlich gewichtet?

Ja, absolut. Und zwar kompetenzorientiert. Es gibt eine Auflistung persönlicher und fachlicher Kompetenzen. Es gibt Positionen, bei denen persönliche Kompetenzen wie Leadershipfähigkeiten sehr stark ausgeprägt sind und es gibt Kompetenzprofile, bei denen Leadership erwünscht, von Vorteil, aber kein Muss sind. Das definieren wir für jede Position.

Was zeichnet dann eine Position aus, in der man viel Leadership braucht?

Die Führungsspanne, wie viele Mitarbeiter in welcher Qualifikation man unter sich hat. Das ist ganz entscheidend. Ein Beispiel: Wir suchen gerade einen Business Development Manager, der konzernintern bei M&A mitwirken soll. Diese Position ist eine One-Man-Show. Diese Person hat keine Mitarbeiter und braucht daher keine Leadershipfähigkeiten in Bezug auf Mitarbeiterführung, was sie aber sehr wohl braucht – und das steht im Profil -  es muss ihr gelingen, Teams zu führen. Das ist wieder eine ganz andere Angelegenheit. Diese Person muss nicht einzelne Mitarbeiter führen, sondern Teams. Daher stellen wir beim Bewerbungsprozess ganz gezielte Fragen in Bezug auf die Erfahrungen und den Umgang mit Teams, etc. Aus dem schließen wir, ob diese Person für die Position geeignet ist oder nicht.

Eine häufig angeführte Unterscheidung bei Management und Leadership ist, dass Management sich sehr stark mit organisationsinternen Fragen beschäftigt, während Leadership stark an der Nahtstelle zwischen Organisation und Umwelt operiert.

Ja, da bin ich absolut dabei. Das war auch meine Unterscheidung. Management mit dem Schwerpunkt, interne Regelwerke und Vorschriften umzusetzen, während Führer vor allem die Nahtstelle zur Umwelt, zur Politik, zu den Shareholdern, zu öffentlichen Institutionen etc. im Auge behalten müssen. Ein schlechter Manager beherrscht die Prozesse nicht. Das oberste Gebot für einen Manager ist, die Prozesse zu kennen und zu beherrschen, sie gestalten und verändern zu können.

Prozesse im Sinn der zentralen Leistungsprozesse?

Jawohl. Das muss eine Führungskraft nicht unbedingt. Das korreliert wieder mit der Position. Je höher oben Sie sind, desto weniger Detailkenntnisse haben Sie. Sie brauchen sie auch nicht, aber Sie müssen dafür sorgen, dass die nächste Ebene die Prozesse gut managt.

Ist diese Unterscheidung Management-Leadership in Unternehmen überhaupt ein Thema? Wird darüber in Ihrem Konzern diskutiert?

Ja, absolut. Das ist immer wieder Thema bei internen Veranstaltungen und Diskussionen. Ich halte es für enorm wichtig, dass den Geschäftsführern bewusst ist, dass sie führen müssen und dass sie wissen, was damit verbunden ist.. Dass sie dafür sorgen, dass in ihren Unternehmen die Prozesse ordentlich gemanagt werden, setze ich voraus.

Einer der Aspekte, der stets mit Leadership assoziiert wird, ist die Vision: das Entwerfen einer möglichen Zukunft und die Aufgabe, Richtung zu geben und Orientierung.

Nicht zu vergessen: Impulse setzen. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe eines Führers. Der Manager macht Vorschläge und verändert etwas am Prozess. Das ist eine klassische Managementaufgabe. Aber Impulse für neue strategische Ausrichtungen, für neue Geschäftsfelder, die kommen vom Führer. Mitunter auch von einem Manager mit Führungseigenschaften. Darum meinte ich ja, es gibt eine Überlappung, Es gibt genauso auch Führungskräfte, die hervorragende Manager sind. Nur – Leadership und Management, beides in einem hohen Maß vereint, das sind die Raritäten dieser Welt. Denn das sind ja auch Aufgabenbereiche, die von den Präferenzen her wie Feuer und Wasser sind. Entweder ich bin gut darin, Prozesse zu managen oder jemand, der ständig an Neues denkt, über den Tellerrand schaut, sich mit der Umwelt beschäftigt und Irritationen erzeugt.

Inwieweit fließt diese Unterscheidung bei Ihnen in die Führungskräfteentwicklung mit ein?

Das beginnt schon bei der Auswahl neuer Führungskräfte. Wir haben im gesamten Konzern eine kompetenzorientiertes Auswahlverfahren, wo in der Stellenbeschreibung und dem dazugehörigen Persönlichkeitsprofil jeweils genau definiert wird, wen wir suchen. Es gibt bei uns definierte 38 Kompetenzen wie Durchhaltevermögen, Selbstmotivation, Kommunikationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Innovationsfähigkeit, Kreativität, Marktkenntnisse, Netzwerkerfahrung, Lebenseinstellung, Szenariodenken, vernetztes Denken, visionäres Denken, usw. Je nach Position und Kompetenzprofil sind die zugehörigen Fragen Bestandteil jedes Einstellungsgespräches.

Bei bestehenden Positionen, die wir entwickeln wollen, schauen wir. Wir haben die Frau X, die würden wir morgen gern auf der Position Y, eine Stufe höher, sehen. Was verlangen wir denn für diese Hierarchiestufe? Welche dieser Kompetenzen hat die Frau X schon, welche vielleicht nicht, und wenn sie sie nicht hat, sind wir in der Lage, ihr das beizubringen? Meiner Erfahrung nach hat man es mit im wesentlichen geprägten Menschen zu tun, deren Verhalten und grundlegende Haltung wir nur sehr bedingt verändern können. Deswegen finde ich es wichtig, zwar nicht unbedingt eine scharfe Unterscheidung zwischen den Begriffen zu machen, aber sehr wohl zu wissen, dass Management und Leadership zwei paar Stiefel sind und nicht nur zwei verschiedene austauschbare Worte.

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Mag. Friedrich Seher, CEO Vivatis AG