Führen im Vertrieb

Führen im Vertrieb unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von anderen Führungsaufgaben.

Der erste und offensichtlichste Unterschied zur Führungstätigkeit vieler anderer Managerkollegen ist: Außendienstmitarbeiter sind die meiste Zeit über abwesend. Zum Zeitpunkt der Leistungserbringung sind sie üblicherweise auf sich allein gestellt, agieren außerhalb des Unternehmens und müssen daher auch anders geführt werden als Mitarbeiter im Büro oder an der Maschine. Die Frage ist nur - wie anders?

Führen auf Distanz – oder durch Nähe?

Univ.Prof. Dr. Peter Linnert, Geschäftsführer der Sales Manager Akademie, erteilt der weit verbreiteten Idee, als Führungskraft im Vertrieb "auf Distanz zu führen" und sich dabei auf die Vorgabe und Kontrolle quantitativer Ziele zu verlassen, eine klare Absage. "Sie können im Vertrieb nicht nur vom Schreibtisch aus führen, wenn Sie erfolgreich sein wollen. Sie müssen Ihre Leute auch vor Ort führen und das heißt, Sie müssen mindestens 40- bis 50% Ihrer Zeit mit den Verkäufern draußen beim Kunden verbringen." Dass viele Führungskräfte im Verkauf meinen, dafür keine Zeit zu haben, sage zwar viel über überbordende Verwaltung, ihre Prioritätensetzung und das vorherrschende Führungsverständnis aus, ändere aber nichts an der Wichtigkeit des "Führens vor Ort".

Allerdings nicht, um den Verkäufern, wie es nahe liegen würde, zwecks Kontrolle besser auf die Finger schauen zu können, sondern, so Prof. Linnert, um zwei im Vertrieb entscheidende Führungsleistungen erbringen zu können: Erstens die - gern übersehene, aber eigentlich vorrangige – Aufgabe, als Vertriebsführungskraft seinen Mitarbeitern dabei zu helfen, die zahllosen täglichen Frusterlebnisse und Angriffe aufs Selbstbewusstsein zu verarbeiten und die Mitarbeiter wieder aufbauen. Und zweitens die Aufgabe des Beobachtens des konkreten Mitarbeiterverhaltens zum Zeitpunkt der Leistungserbringung mit dem Ziel, gemeinsam Verhaltensweisen zu entwickeln, die den Verkäufern mehr Erfolgserlebnisse bescheren und ihnen helfen, die quantitativen wie auch qualitativen Ziele zu erreichen.

In die gleiche Richtung weist Christoph Stieg, Geschäftsführer von Perfact Training: "Auch Erlebnis ist Ergebnis! Soll heißen: Wenn Unternehmen das Ziel haben, ihren Kunden eine besondere Erfahrungsqualität zu bieten, z.B. das Gefühl, toll beraten worden zu sein, dann hängt das Erreichen dieses Qualitätszieles ursächlich vom konkreten Verhalten des Verkäufers ab. Von dem, was er sagt, von dem, wie er es sagt und von der Art und Weise, wie er gegenüber dem Kunden auftritt. Also muss die Führungskraft den Verkäufer immer wieder vor Ort beobachten, um zu wissen, was tatsächlich passiert. Denn es macht einen großen Unterschied, ob sie selbst sieht und spürt, wie der Verkäufer in dieser Situation agiert oder ob sie sich das nur schildern und erklären lässt."

 Interview mit Prof. Dr. Peter Linnert, Sales Manager Akademie

 Interview mit Christoph Stieg, Perfact Training

Motivation statt Kontrolle

Leicht nachvollziehbar ist auch eine weitere Besonderheit im Vertrieb - auch wenn viele Führungskräfte dagegen protestieren werden: Von der Idee, über Kontrolle wirksam führen zu können, sollte man sich, so der Tipp von Prof. Linnert, im Verkauf besser schnell verabschieden. Denn die zwecks Kontrolle eingeforderten Angaben und Listen der Verkäufer sind in der Praxis kaum überprüfbar, dafür richtet man aber eine höchst widersprüchliche Botschaft an den Außendienst: "Wir wollen, die ihr selbständig und selbstgesteuert arbeitet, aber wir trauen euch nicht über den Weg." Wenn es jedoch über Kontrolle nicht funktioniert, wie dann? Naheliegende Antwort: über Motivation.

Verkäufer wollen vor allem eines: Erfolg haben! Und der bemisst sich nicht nur am Geld, sondern mindestens ebenso in Prestige und Anerkennung. Johann Brouwer, Verkaufsleiter in der Landesdirektion Wien der Wiener Städtischen Versicherung über einige Tasten auf der Motivationsklaviatur: "Viele Vertriebsmitarbeiter werden durch Ranglisten und durch Belohnungen wie die Teilnahme an bestimmten exklusiven Veranstaltungen extrem angespornt. Andere wiederum geben sich auch damit zufrieden, dass von der Führungskraft Lob kommt. Teil eines erfolgreichen Teams zu sein beflügelt ebenfalls sehr viele KollegInnen. Und natürlich haben viele den sportliche Ehrgeiz, bei den Besten dabei zu sein." Was auch immer die jeweilige Motivation ist, es braucht also Führungskräfte, die sich erstens intensiv genug mit ihren Mitarbeitern auseinander setzen, um zu erkennen, was wen innerlich antreibt und die dann einzelne Person dabei unterstützen, ihre jeweiligen Stärken bestmöglich einzusetzen. Führung im Vertrieb erfordert somit wahrscheinlich noch mehr als in anderen Unternehmensbereichen eine höchst anspruchsvolle Vielfalt an Rollen wie Führer, Coach, Mentor und Psychotherapeut.

Stars stehen über den Dingen – solange sie dürfen

In jedem Vertriebsteam gibt es einige Top-Verkäufer, viele Normalleister und einige Nachzügler und speziell die Stars werden gern mit Glacehandschuhen angefasst. Damit verbunden ist ein weit verbreitetes Problem: Diese Stars haben im Normalfall einen guten Draht in die Chefetagen und den wissen sie auch zu nützen. Wenn ihnen etwas nicht passt, gehen sie eben gleich direkt zum Oberboss. Entsprechend groß ist im Vertrieb die Gefahr, als unmittelbarer Vorgesetzter übergangen zu werden und damit auch gegenüber der restlichen Mannschaft als "lahme Ente" zu erscheinen und nicht mehr ernst genommen zu werden. Eine der besonderen Herausforderungen des Top-Managements im Vertriebsbereich liegt daher darin, den eigenen Führungskräften den Rücken zu stärken, indem das Verhalten dieser "Diven" mittels Redelegation unterbunden und auf das Einhalten von Regeln bestanden wird, ohne aber – und darin liegt die Kunst - den Verkaufsstar zu vergraulen. Dr. Gerhard Matschnig, Vertriebsvorstand der Zürich Versicherung über seine diesbezüglichen Erfahrungen: "Ich habe den Leuten immer einen Kaffee angeboten und ihnen zugehört, aber auch klar gemacht, dass die Entscheidung bei der zuständigen Führungskraft liegt. E-Mails habe ich gleich an die zuständige Führungskraft weitergeleitet, mit dem Vermerk: "Zur Entscheidung". Mit der Zeit hat sich dann herumgesprochen, dass es nichts bringt, an mich ein Mail zu schicken, weil ich sowieso das weiterleite."

Können Sie verkaufen?

"Frischgefangene" Führungskräfte im Vertrieb steigen heutzutage immer öfter als Assistent des Verkaufsleiters in den Vertriebsbereich ein. Mit der fehlenden Verkaufspraxis fehlt es ihnen dann aber auch an der nötigen fachlichen Autorität in ihrer Mannschaft. Die typische, etwas spöttische Frage erfahrener Verkäufer an den/die Neue/n lautet denn auch: "Na, schon mal es verkauft? Gehen Sie einfach mal mit mir mit, dann lernen Sie, was das geht!" Dabei geht es nicht darum, selbst der beste Verkäufer sein zu müssen, sondern darum, "selbst im Graben gestanden zu sein" und damit bewiesen zu haben, in diesem Geschäft bestehen zu können. Fehlt diese Feldkompetenz, zeitigt das einige typischen Folgen: Unter anderem bevorzugen solche Führungskräfte das Führen über Systeme und drehen lieber endlos an allen möglichen Schrauben, "um das System richtig einzustellen", als sich intensiv mit den einzelnen Mitarbeitern auseinander zu setzen, die Stärken jedes/r einzelnen herauszufinden und ihm/ihr zu helfen, durch den gezielten Einsatz dieser Stärken den Erfolg zu steigern. Pointiert gesagt: Solche Führungskräfte neigen dazu, lieber am System zu arbeiten als mit den Menschen (wahrscheinlich auch, weil sie mangels eigener Verkaufspraxis die Angst haben, dass etwaige Vorschläge und Hilfsangebote als "praxisfremd" verunglimpft werden).

Bei einer anderen Entwicklung haben diese Führungskräfte, so sie sich halten können, wiederum gewisse Startvorteile: Die Tendenz geht in vielen Firmen klar weg vom hemdsärmeligen, umsatzorientierten Mannschaftsführer hin zum betriebswirtschaftlich gedopten Profitcenterleiter, der den Spagat schaffen soll zwischen dem Tageszahlen-Erfolgsdruck (auf den die Firmen ungern verzichten) und dem Anspruch, mittel- und langfristige Pläne zu entwickeln und zu realisieren.

Mag. Horst Grottenthaler, Geschäftsführer der Horizont, der Weiterbildungstochter der Wiener Städtischen Versicherung, spielt auf dieses Problem der zeitlichen Taktung an, wenn er meint: "Der Anspruch, mittel- und langfristig zu denken wird im Vertrieb ganz besonders auf die Probe gestellt, da hier Führungskräfte häufig unter einem besonderen Tageszahlen-Erfolgsdruck stehen. Wenn noch dazu mit Hilfe der heutigen IT-Systeme Tagesumsätze bereits am nächsten Tag verfügbar sind und das – wie z.B. im Lebensmittelhandel – mitunter dazu führt, dass schlechte Tagesergebnisse sofort den Anruf der nächsthöheren Ebene nach sich ziehen, dann verschärft sich dieses Dilemma zusätzlich. Gleichzeitig muss man sagen, dass die heutigen Führungskräfte im Vertrieb viel weniger patriarchalisch agieren im Sinn von 'ich bin der Chef, den man fragen muss, wenn man Kunden einen Rabatt geben will' als noch vor einigen Jahren. Inzwischen sind diese Leute wirkliche Manager, die – wenn ich unsere Versicherung als Beispiel nehme - ihr Gebiet planen, analysieren, wo es noch weißen Flecken gibt, wo sie Mitarbeiter rekrutieren müssen, wie ihre Verkaufszahlen ausschauen und die bei einer Neueinführung überlegen, wie sie sich in ihrem Gebiet so organisieren, dass ihre Mannschaft beim Startschuss bereits mit voller Kraft anfängt, damit sich 14 Tage später bereits erste Erfolge zeigen, während das früher Monate gedauert hat."

Die Liste an Besonderheiten ist keineswegs erschöpfend. Aber schon jetzt ist klar, dass Führungskräfte vor ganz besonderen Anforderungen stehen, wie auch die beiden Praktikerinterviews anschaulich belegen.

 Interview mit Dr. Gerhard Matschnig, Vertriebsvorstand der Zürich Versicherung

 Interview mit Johann Brouwer, Verkaufsleiter in der Wiener Städtischen Versicherung

Autor: Peter Wagner, Leaders Circle

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