"Führen heißt, Verhalten zu beeinflussen"

Christoph Stieg, Geschäftsführer von perfact training, über Führung im Vertrieb, die nicht nur auf quantitative Ergebnisse abstellt, sondern auch auf die Qualität der Ausführung.

Führungskräfte im Verkauf führen meist über Zahlen, reicht das?

Die Zahlen sind ja nur der Endpunkt, die Führung passiert davor. Und da wird die Führungskraft nur erfolgreich sein, wenn sie die qualitativen Aspekte mindestens gleichwertig berücksichtigt und gezielt darauf einwirkt. Wenn es einer Führungskraft nicht nur wichtig ist, was am Ende des Tages erzielt wird, sondern auch, wie das Ergebnis erzielt wird, dann muss sie sich um die Verhaltensqualität ihrer Mitarbeiter kümmern. In anderen Bereichen wie etwa der Produktion ist ja in der Regel das "Wie" vorgegeben. Es gibt einen klar definierten Prozess mit einer Abfolge bestimmter Arbeitsschritte. Hier geht es nur darum, ob die Qualität am Ende stimmt. Im Vertrieb hingegen sind viele auf das "Was" fixiert und vernachlässigen das "Wie".

Was heißt das jetzt konkret?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Viele Unternehmen wollen gerne Kunden über Empfehlungen gewinnen. Also sagen findige Vertriebler, die nach Zahlen führen: "Jeder Verkäufer liefert mir am Ende der Woche zumindest 10 Empfehlungen, d.h. pro Tag zwei." Dann wird am Ende der Woche geschaut, haben Sie die 10 Empfehlungen oder nicht. Damit bekommen Sie zwar irgendein quantitatives Ergebnis, aber Sie haben keine Ahnung, welche konkrete Erfahrung die Verkäufer damit machen. Würden Sie die Verkäufer fragen, würden Sie erfahren, dass die Meisten das sehr ungern machen, weil sie der Überzeugung sind, dass Kunden gar keine Empfehlungen aussprechen wollen. Stellt sich die nächste Fragen: Warum haben die Verkäufer dieses Erfahrung gemacht? Antwort: Weil Kunden üblicherweise auf ungeeignete Weise darauf angesprochen werden. Wir empfehlen Führungskräften nicht nur anzuweisen „bring mir 10 Empfehlungen“, sondern den Verkäufer auch zu fragen: "Wie wirst du den Kunden auf Empfehlungen ansprechen?" Erst in dem Moment, indem die Führungskraft den Mitarbeiter danach fragt, wie die konkrete Ansprache erfolgt, hat sie die Chance, wirklich erfolgreich zu führen, weil sie eine qualitative Veränderung bewirkt.

Sie meinen, Mitarbeiter, die Empfehlungen akquirieren sollen, damit aber bisher keine guten Erfahrungen gemacht haben, schaffen das dann auch nicht und beweisen sich und anderen im Sinn einer selbst erfüllenden Prophezeiung: Das geht nicht!?

Wenn die Führungskraft Erfolg bewirken will, darf sie sich nicht nur damit zufrieden geben, Zahlenziele vorzugeben, sondern sie muss sich auch damit beschäftigen, wie der Mitarbeiter diesen Erfolg herstellen will. Die eigentliche Qualität der Führung ist ja nicht, dass die Führungskraft sagt, unser Ziel ist, mehr Empfehlungen zu bekommen, sondern dass sie dann fragt: "Wie, liebe Kollegen, wollen wir das denn erreichen? Wie sprechen Sie den Kunden konkret darauf an?"

Dann heißt es von Seite des Mitarbeiters: "Das hängt von der Person ab und davon, wie das Gespräch verläuft. …"

Dann sagt die gute Führungskraft: "Nein, es hängt nicht davon ab, wie das Gespräch verläuft. Erkläre es mir nicht, wovon es abhängt, sondern tu es einfach, jetzt und hier. Ich bin der Kunde, und nun bitte mich um eine konkrete Empfehlung. Tu es." An der Stelle kann ich als Führungskraft beurteilen, wie erfolgversprechend das Verhalten des Mitarbeiters ist oder auch nicht.  Die meisten Führungskräfte lassen sich dauernd etwas erklären, was aber uninteressant ist. Die meisten Führungskräfte hören sich ständig irgendwelche Erklärungen von ihren Mitarbeitern an, aber die Erklärung Sie ist völlig unwichtig.

Entscheidend ist, was die Leute konkret tun. Als Führungskraft geht es darum zu erfahren, d.h. selbst die Erfahrung zu machen, wie die Leute das im Einzelnen tun. In welcher Qualität wird das ausgeführt? Da erfahre ich schlicht und einfach dadurch, dass ich mitgehe und die Mitarbeiter beobachte oder indem ich das mit ihnen durchspiele: "Lieber Mitarbeiter, ich bin jetzt dein Kunde, wie fragst du mich nach einer Empfehlung?" In dem Augenblick, in dem die Führungskraft beginnt, sich auf Qualität zu konzentrieren, beginnt der Erfolg. Denn jetzt wird der Mitarbeiter nicht auf Druck missmutig und ohne Überzeugung irgendwie 10 Stück herbeischaffen, sondern er beginnt, es plötzlich mit Qualität und damit auch mit mehr Spaß zu tun, weil er mit Hilfe der Führungskraft einen Zugang gefunden hat, hinter dem er tatsächlich steht.

Aber wenn ich als Verkäufer die Überzeugung habe, die Kunden wollen das nicht und es ist mir unangenehm, dann werde ich es trotzdem nicht gern und gut machen.

Wenn Sie als Verkäufer einen neuen Weg finden, wie Sie das formulieren können, machen Sie auch eine bessere Erfahrung und das wiederum verändert Ihre Einstellung. Das ist der Weg, den die Führungskraft gehen muss. Ein Beispiel: Die Führungskraft sitzt mit den Mitarbeitern im Meeting und sagt: Nächstes Thema, wie ihr wisst, wir wollen mehr Empfehlungen. Jetzt ist die Frage: Bleibt sie bei der Stückzahl oder kümmert sie sich darum, dass die Verkäufer eine bessere Erfahrung machen. Im letzteren Fall sagt sie:, "OK Kollegen, wie lauten eure Empfehlungsfragen?" Dann sagt möglicherweise einer der Verkäufer: "Ich gebe dem Kunden immer zwei Karten und sag ihm, wenn er zufrieden ist, soll er mich weiter empfehlen." Danke sehr interessant. Dann sagt ein anderer: "Na ich frage den Kunden, ob er mich empfehlen will." Dann hat die Führungskraft schon ein erstes Abbild der konkreten Verhaltensqualität ihrer Mannschaft. Und dann weiß sie es selber besser oder erarbeitet mit der Runde gemeinsam Verhaltensalternativen oder sie organisiert ein Training.

Wenn sie es selbst besser weiß, wird sie vielleicht sagen: "Liebe Kollegen, mit diesen Ansprachen werdet ihr entweder keine Empfehlungen akquirieren, oder wenn ihr Druck macht, vielleicht einige zusammenbekommen,  aber es wird für den Kunden eine negative Erfahrung sein und für euch auch. Daher schlage ich vor, wir probieren einige andere Formulierungen: Mein Vorschlag: ‚Lieber Kunde, wie zufrieden sind Sie mit unserer Zusammenarbeit? … Das freut mich. Wer von Ihren Geschäftsfreunden möchte auch davon profitieren? ... Wollen Sie mich an […] empfehlen?’ Probiert es einmal so." Die Mitarbeiter dürfen diese Formulierungen praktisch ausprobieren. "Gut, diese Woche probieren wir das und nächste Woche tauschen wir uns über die Erfahrungen aus und tragen die besten Ansprachen, Fragen und Formulierungen zusammen." So, jetzt hat er sich wertschöpfend um Qualität gekümmert. Wenn das eine Führungskraft im Vertrieb wirklich tut, ist sie vorne weg. Denn das tun die wenigsten. Die meisten Führungskräfte würden sagen, "wir müssen das Empfehlungsgeschäft mal wieder forcieren, also probieren wir es wieder". Also wird probiert, der Außendienst kommt zurück und meint: Das geht nicht, das funktioniert nicht. Die Kunden wollen uns nicht weiter empfehlen. Dann kommt die Marketingabteilung mit der neuesten Kundenbefragung und dort lauten die Antworten der Kunden auf die Frage, ob sie das Unternehmen empfehlen würden zu 50%’ja, selbstverständlich’! Also kommt aus der Marketingabteilung der Wink: Die Kunden sagen, sie würden uns empfehlen, warum tun sie es nicht? Offensichtlich machen die Verkäufer was falsch. Dann gibt es eine Schulung – das ist gut und wertvoll, aber zu wenig. Wenn sich jetzt auch die Führungskräfte um die Qualität der Mitarbeiter-Kommunikation kümmern würden, dann kann man sich diesen Kreislauf ersparen.

Sie reden von der Qualität des Verhaltens. Woran machen Sie die Qualität fest, an der Wirkung, am Ergebnis?

Am Ergebnis ja, aber auch am Erlebnis und natürlich an der Wirkung – Beurteilung der Wirkung einer Formulierung oder Frage – und an der Auswirkung – also bezogen auf das obige Beispiel an der Anzahl akquirierter Empfehlungen. Die durch das andere Verhalten gemachte neue Erfahrung ist auch ein Ergebnis. Für den Verkäufer ebenso wie für den Kunden.

06.2006

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