Leading Project: Führungskräfteentwicklung bei Bayer Austria

Wie Bayer Austria ein als Nachwuchsführungskräfte-Programm angedachtes Vorhaben als Motor für unternehmensweites Lernen nutzte.

Der erste Schritt verlief noch nach klassischem Muster: Anfang 2004 beschloss das "Country Council" von Bayer Austria, eine kompakte hochwertige Ausbildung für Potenzialträger ins Leben zu rufen, um für künftige Nachbesetzungen von Leitungsfunktionen, hierarchisch oder in Projekten, gut gerüstet zu sein. Dieses Country Council - bestehend aus dem Geschäftsführer, den drei Teilkonzernleitern und den beiden Servicebereichleitern - definierte ein erstes Anforderungsprofil und lud vier Trainings- und Beratungsanbieter zur Präsentation ihrer Konzepte. Drei der Anbieter präsentierten also ihre Vorschläge, der vierte Anbieter jedoch, Competency Center in Kooperation mit Kaiblinger & Partner, erschien ohne Präsentation, dafür mit einer Fülle noch offener Fragen, die der versammelte Führungskreis - unter Abwägung der jeweiligen Vor- und Nachteile - diskutierte und entschied.

Ziele und Nicht-Ziele

Innerhalb von 2 Stunden wurden auf diese Art wichtige Ziele und Nicht-Ziele als Basis eines Bayer-Nachwuchsführungskräfteprogramms herausgearbeitet und die Weichen gestellt für ein erstes Grobkonzept mit folgenden Eckdaten:

     

  • Statt eines vom Anbieter fix fertig ausgearbeiteten Ausbildungscurriculums sollte das Programm von den beauftragenden Führungskräften unter Einbindung der Teilnehmer selbst erarbeitet und gestaltet werden. Somit bedurfte es eines Steuerungsteams und des klaren (auch zeitlichen) Commitments der dabei mitwirkenden Führungskräfte - im Fall von Bayer - des gesamten Top-Managements!
  • Statt zahlreicher, von Beginn weg fixer Bausteine sollten die einzelnen Bestandteile größtmögliche zeitliche, inhaltliche und methodische Flexibilität zulassen, um auf aktuelle Entwicklungen im Unternehmen adäquat reagieren zu können.
  • Statt nur auf das Lernen von 15 High-Potenzials begrenzt zu sein, sollte das Programm möglichst viele Mitarbeiter der Organisation mit einbeziehen und möglichst viele Führungskräfte dazu bewegen, sich mit dem Thema Führung auseinander zu setzen (sei es als Mitglied im Steuerungsteam, als direkte Vorgesetzte bei der Auswahl und Begleitung von Teilnehmern, als Mentoren oder, oder, oder..).
  • Statt nur den Teilnehmern durch das häufige Zusammentreffen einen Blick über den eigenen Tellerrand zu ermöglichen, sollte eine, wenn möglich, viel weiter reichende Vernetzung der drei, im Alltagsgeschäft kaum Berührungspunkte aufweisenden Bayer-Teilkonzerne vorangetrieben werden. Daher die Entscheidung der Steuerungsgruppe für Methoden wie Mentoring, Projektarbeit und Action Learning, um durch die Art des Settings neben der Lösung konkreter Probleme auch abteilungs- und bereichsübergreifendes Arbeiten zu forcieren und so gegenseitiges Verständnis auf- und Vorurteile abzubauen.
  • Statt routiniertem Abspulen eines normalen Ausbildungsprogramms sollte durch die Art des Vorgehens gleichzeitig auf der "Metaebene" gelernt werden: Wie können wir bei Bayer selbstgesteuerte Entwicklungsprozesse etablieren? Was gilt es bei der Gestaltung solcher Prozesse zu beachten? Wann können wir wo welche Methoden einsetzen und welche Wirkungen erzielen wir damit? Wie bringen wir solche Prozesse bei Abweichungen wieder auf Kurs?

Selber machen, selber lernen

Im Frühjahr 2004 machte sich das gleich nach der Entscheidung zum Selbstentwickeln etablierte Steuerungsteam - bestehend aus dem obersten Führungskreis, einem Betriebsrat, einem später dazustoßenden Vertreter der Teilnehmer und zwei Beratern - an die Arbeit. Neben der Konzeption des Programm selbst ging es in der Anfangsphase vor allem darum, zuerst als Gruppe arbeitsfähig zu werden und die nötigen Vor- und Rahmenbedingungen für das Gelingen solch eines Ausbildungsprogramms zu bedenken und zu gewährleisten.

Unter anderem die erfolgskritische Frage der Teilnehmerauswahl: Gefordert war eine gründlich durchdachte, präzise Festlegung der Auswahlkriterien, ein diesbezügliches Briefing der Vorgesetzten und detaillierte Überlegungen zu der nicht minder wichtigen Frage: Wie wird dieses Programm und die Auswahl im Unternehmen so kommuniziert, dass damit nicht mehr Schaden als Nutzen angerichtet wird, indem etwa die Auswahl von den Mitarbeitern wegen schlecht kommunizierter Auswahlkriterien als willkürlich oder unfair erlebt wird.

LINK: Teilnahmekriterien und Erwartungen

Im März 2004 formierte sich die Steuerungsgruppe, bis Ende Juni erarbeitete man in zahlreichen halbtägigen Treffen das Grobdesign des Programms, die Auswahlkriterien, den genauen Ablauf des Auswahlverfahrens, den Kommunikationsprozess – wer wird wann wie worüber informiert - und stellte die Ergebnisse dann im Juli dem erweiterten Managementkreis vor. Bis Herbst 2004 erfolgte die Auswahl der Teilnehmer und als diese feststanden, dann auch die breitflächige Information an die gesamte Belegschaft über Ziele, Inhalt, Ablauf und eigene Beteiligungsmöglichkeiten der neu aus der Taufe gehobenen "Bayer-Akademie".

Die Bestandteile

Die vielen, wie Zahnräder ineinander greifenden Bestandteile der Bayer-Akademie waren:

     

  1. 360° Feedback: Vor dem Start und nach Beendigung des Programms wurde je eine Umfrage durchgeführt, deren Fragen sich voranging auf die in den Bayer Führungsprinzipien erwünschten Verhaltensweisen bezogen. Die Ergebnisse des Feedbacks waren nur den Teilnehmern selbst zugänglich, einerseits um auf Ihre wichtigsten Entwicklungsziele im nächsten Jahr zu fokussieren, andererseits zur Selbstkontrolle. Schnell entstand der Wunsch, den Gebrauch dieses Instruments zur Unterstützung selbstgesteuerten Lernens zukünftig allen Führungskräften zu ermöglichen.
  2. Seminarbausteine: Es gab vier vom Hauptthema her fixierte Module sowie weitere vier Themenvorschläge, aus denen die Teilnehmer dann zwei Module auswählen konnten. Somit insgesamt 6 Seminarmodule über einen Zeitraum von 15 Monaten.
  3. Coaching: Die begleitende Coachingschiene beinhaltete zwei sozusagen verpflichtende Teile, ein Orientierungscoaching zu Beginn zur Klärung der persönlichen Lern- und Entwicklungsziele sowie ein Reflexionscoaching am Ende zur Auswertung des bisher Erreichten und der Planung eventuell nächster Schritte. Zusätzlich gab es für jeden Teilnehmer die Möglichkeit, auf Wunsch mehrere weitere Coachings während dieser 15 Monate in Anspruch zu nehmen, um an der Entwicklung der eigenen Führungskompetenzen zu arbeiten.
  4. Mentoring: Bereits vor dem Start der Seminarbausteine fanden der Mentoren- und der Menteeworkshop statt, um Unterstützer (erfahrene Seniormanager) und Unterstützte (die Teilnehmer) auf ihre Rollen vorzubereiten, Sinn und Zweck des Mentorings zu klären und in einem genau geplanten und gründlich durchdachten Verfahren das "Matching" von Mentoren und Mentees durchzuführen.
    Bereits wenige Monate, nachdem das Mentoring für die Akademie-Teilnehmer etabliert worden war, wurde das Konzept von der Steuergruppe aufgegriffen, in einer eigenen Untergruppe überarbeitet und zu einem "Kumpelsystem" für neu aufgenommene Mitarbeiter umgebaut. Die Feuertaufe erhielt das System im Zuge der Übernahme eines Roche-Bereiches, durch den mit einem Schlag 25 Roche-Mitarbeiter bei Bayer Austria integriert werden mussten. Um die bestehenden 17 Mentoren nicht zu überlasten und Mentoring überhaupt auf eine breitere Basis zu stellen, wurden weitere 20 Bayer-Mitarbeiter in Kurzworkshops in Rolle und Aufgaben eines Mentors eingeführt.
  5. Action Learning: das schnelle Nützen von Lernpartnern zum Durchdenken und Lösen aktueller realer – nicht simulierter – Probleme in 1-2 stündigen Treffen war eine weitere im Zuge der Bayer-Akademie eingeführte Methode, die innerhalb kürzester Zeit ins Unternehmen sickerte. Von einigen Vorreitern im Management, u.a. dem Geschäftsführer selbst, aufgegriffen und in der eigenen Abteilung eingesetzt, breitete sich diese Form der Ideenfindung und Problemlösung unter Einbindung interessierter Lernpartner quer durch die Hierarchieebenen im ganzen Unternehmen aus.
  6. Projektarbeit: Die neben klassischen Seminarmodulen bereits am weitest verbreitete Methode des Lernens ist die Durchführung von Projekten. Erfolgsentscheidend war, dass die Projekte tatsächlich vorhandene wichtige Probleme des Unternehmens adressieren müssen. Nur so erlangen sie die nötige Aufmerksamkeit und Beachtung im Management und rechtfertigen den hohen Arbeitsaufwand, zumal hier nicht nur die Teilnehmer als Projektleiter agieren, sondern durch die zahlreichen Mitarbeiter in den Projektteams beträchtliche Ressourcen des Unternehmens gebunden wurden. Erweisen sich hingegen Projektaufträge als Alibithemen, mutiert die viele Arbeit zur Beschäftigungstherapie und die anfänglich vermeintliche Bewährungsprobe wird zum Frusterzeuger Nummer 1. Um dieser Gefahr zu entgehen, wurde vom Führungskreis der Bayer Austria eine Liste wichtiger Projekte definiert, aus der die einzelnen Teilnehmer dann ihre Projekte wählen konnten. Z.B. der inzwischen bereits erfolgreich abgeschlossenen Relaunch des Bayer-Intranets, ein ambitioniertes Personalmarketingprojekt (Was machen wir für unsere Mitarbeiter, um die Besten zu bekommen und zu halten, wie zeigen wir glaubwürdig, wie wichtig uns die Mitarbeiter sind, wie kommunizieren wir diese Aktivitäten und Maßnahmen nach innen und außen?...), ein Gesundheitsprojekt, ein CSR-Projekt, etc.
  7. Checkpointgespräche: Ein Fahrtenbuch begleitete die Teilnehmer durch den gesamten Entwicklungsprozess und hielt alle wichtigen Ziele und Meilensteine fest. Nach jedem Seminar hielten die Vorgesetzten mit den Teilnehmern ein Checkpointgespräch, in dem einerseits Eindrücke und offene Fragen und eigene Erfahrungen des Vorgesetzen mit dem Seminarthema besprochen wurden und andererseits Maßnahmen und Möglichkeiten, das Gelernte im Arbeitsalltag zu trainieren und umzusetzen. Alle Seminarunterlagen und ergänzende Inhalte waren den Vorgesetzen, wie natürlich auch allen anderen interessierten Mitarbeitern jederzeit zugänglich. Da sich aufgrund des Systems schnell Umsetzungserfolge in der Praxis zeigten und die neuen Kompetenzen in den Arbeitsteams auch vervielfältigt wurden, wurden die Checkpointgespräche bei Bayer schließlich für alle Mitarbeiter eingeführt und zu einem fixen Bestandteil des Mitarbeitergesprächs.

Kulturarbeit par Excellence

Statt also wie es sonst häufig in Unternehmen passiert, eine kleine elitäre Gruppe Auserwählter zu einem vom Rest der Organisation isolierten Ausbildungsprogramm zu schicken, gelang es in diesem Fall, Themen , die dem Top-Management wichtig waren, immer wieder aufs Tablett zu bringen, breitflächig zu streuen und über längere Zeit am Köcheln zu halten. Ob "für Bayer Austria zentrale Führungskompetenzen " oder "bereichsübergreifendes Denken und Handeln" – mal tauchten die Themen in den Seminarmodulen auf, dann wieder im Mentoring und Coaching oder in der begleitenden Mitarbeiter-Kommunikation über den Stand der Dinge in der Bayer-Akademie.

Kritik ist tatsächlich erlaubt, sogar erwünscht

Ein vielleicht kleines, aber für diesen Prozess typisches Detail war folgende Begebenheit: Die zum damaligen Zeitpunkt auf zwei Standorte aufgeteilte Organisation fasste den Beschluss, alle Bereiche an einem Standort zu konzentrieren. Für einen Teil der Mannschaft war also Umziehen angesagt. Ein Umzug der geplant und realisiert werden musste, somit klassisches Projektmanagement. Gerade zu dieser Zeit absolvierten die Teilnehmer das Modul Projektmanagement und planten ihre eigenen Projekte. Mit neuem Wissen ausgestattet entdeckten die Teilnehmer eine Reihe von Schwächen und Mängeln beim Umzugsprojekt und - kaum vom Seminar zurück – hielten sie mit ihrer Kritik gegenüber dem Top-Management nicht hinter dem Berg. Die Offenheit wurde zu Beginn zwar etwas überrascht zur Kenntnis genommen, aber auch geschätzt und genutzt, indem die Akademie-Teilnehmer aufgefordert wurden, ihrer Kritik auch konkrete Verbesserungsvorschläge folgen zu lassen. Diese wurden gegenüber dem Managementteam präsentiert, von diesem akzeptiert und realisiert, was mit Sicherheit zum letztlich guten Gelingen des Umzugs wesentlich beitrug.

Der größte Nutzen spielte sich wohl in den Köpfen der Leute ab. Und zwar auf allen Ebenen. Zumal sich in diesem Fall das Top-Management entschlossen hatte, sich bei der Erarbeitung und Steuerung des Programms in hohem Maße selbst zu engagieren, statt sich, wie in vielen anderen Firmen üblich, auf die Rolle des Promotors zurückzuziehen. Das damit gesandte Signal an die Belegschaft: "Qualität in der Führung ist uns so wichtig, dass wir uns selbst darum kümmern. Führungsqualität ist Chefsache." Der Glaubwürdigkeit der bereits im Vorfeld geleisteten Arbeit an der Mission, und dem damals neuen Leitbild aus der Konzernzentrale hat mit Sicherheit dabei geholfen.

LINK: Wer wurde wie eingebunden?

Welche Wirkungen wurden damit erzielt?

     

  • Eine Fülle konkreter kleinerer und größerer Problemlösungen durch Action Learning und Projekte.
  • Eine ständige Thematisierung des Themas Führung und der bei Bayer als zentral angesehenen Führungskompetenzen samt Beobachtungskriterien: "Woran erkennen wir das überhaupt?" über einen Zeitraum von fast 2 Jahren
  • Ein Nachdenken über Führung auch auf den oberen und obersten Managementebenen. Sei es durch Mitarbeit in der Steuerungsgruppe, Vorgesetztenaufgaben wie Nominierung und Auswahl von Teilnehmern, den regelmäßige Feedbackgespräche (Checkpoints) und/oder der Übernahme einer Mentorenrolle.
  • Der gezielte Aufbau abteilungs- und bereichsübergreifender Beziehungen, mit der Absicht, Vorurteile und Kommunikationsbarrieren abzubauen und die Zusammenarbeit zu verbessern. Sei es durch Mentoring, sei es mit Hilfe des Action Learnings mit der expliziten Aufforderung, bewusst und gezielt Kollegen aus anderen Bereichen mit anderen Blickwinkeln zum Mitdenken einzuladen oder durch Projekte, mit der Möglichkeit, die Teammitglieder auch aus anderen Geschäftsbereichen rekrutieren zu können.
  • Meta-Lernen: Wie adaptiert man bereits im Unternehmen eingesetzte Methoden so, dass sie die aktuelle Herausforderungen bestmöglich unterstützen? Beispiel Mentoring: Das ursprüngliche Mentoring-System wurde 2005 bereits adaptiert und für weitere Aufgabenstellungen genützt. Einerseits als eine Art Patensystem bei der Einführung neuer Mitarbeiter, andererseits als Kumpelsystem bei der Übernahme von Roche-Bereich zur bestmöglichen Integration der übernommenen Mitarbeiter.
  • Aufbau von Prozess-Know-How, das dem Unternehmen bei der nächsten, bereits vor der Tür stehenden Herausforderung - der Integration von Schering - unmittelbar zu Gute kommt.
  • Und zum Drüberstreuen eine Erweiterung des Methodenrepertoires auf breiter Ebene: Die Akzeptanz des Instruments Coaching hat deutlich zugenommen; Im Zuge der Akademie wurde erstmals ein 360° Feedback durchgeführt; Neu war auch der Einsatz des "Fahrtenbuchs" und der "Checkpointgespräche"; Ebenfalls neu und inzwischen in breitem Gebrauch ist Action Learning, genauso wie Mentoring in Form des Kumpelsystems bei der Einführung neuer Mitarbeiter.

Bayer Akademie - Projektevaluation

Info: Was sind "Leading Projects"?

Autor: Peter Wagner, Leaders Circle

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