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1.Vorbemerkung: Reflexion von Führung in OrganisationenReflexion von Führung in einer Organisation hat zwei Seiten. Zum einen hängen Umfang und Qualität, mit denen Führung reflektiert wird, von der persönlichen reflexiven Kompetenz und der Reflexionsbereitschaft ihrer Mitglieder ab. Zum anderen muss der Blick aber auch auf die Bedingungen gerichtet werden, die die jeweils betrachtete Organisation für die Reflexion von Führung zur Verfügung stellt. In dieser Perspektive geht es vor allem um die Kultur dieser Organisation, aber auch um ihre Struktur: Fördert die jeweilige Kultur Reflexion eher oder verhindert sie diese, unterstützen die die Struktur repräsentierenden Regeln und Systeme (z.B. das Konzept des Mitarbeitergesprächs) Reflexion eher oder unterbinden sie Reflexion? Beide Aspekte - der Zugang über das Individuum und der Zugang über die Organisation - werden in diesem vierten Teil der Reihe aufgegriffen. Da Reflexion von Führung in einer Organisation häufig Mut voraussetzt, brauchen ihre Mitglieder, insbesondere aber ihre Führungskräfte, ein hohes Ausmaß an innerer Unabhängigkeit, um sich darauf mit einem sicheren Gefühl einlassen zu können: Reflexion der eigenen (Führungs-)Person und des eigenen (Führungs-)Verhaltens führt nicht selten in das eigene Schattenreich. Bislang nur latent beziehungsweise unbewusst vorhandene schmerzbeladene, beschämende oder kritische Seiten der eigenen Person treten plötzlich ans Licht, sie werden erkennbar. Die Begegnung mit und vor allem das Anerkennen von Seiten, die uns unangenehm sind, fällt auch deshalb so schwer, weil viele Menschen bislang über keine Erfahrungen mit den entsprechenden inneren Auseinandersetzungen verfügen und damit auch keine entsprechende Verhaltenssicherheit besitzen. Hier wäre es von Vorteil, über ein tragfähiges Ausmaß an innerer Unabhängigkeit zu verfügen, die beispielsweise als Selbst-Bewusstsein genügend Orientierung vermitteln kann. Gerade im Prozess des Führens werden tendenziell unbewusste Erlebens- Verhaltens- und Denkmuster angeregt, die soziale Interaktionen betreffen, früh in der eigenen Lebensgeschichte erlernt wurden und deshalb eher schwer zugänglich sein dürften. Besonders herausfordernd einerseits und gleichzeitig in einem positiven Sinne verbindend und kulturprägend andererseits sind Prozesse gemeinsamer Reflexion der eigenen Führungspersönlichkeit im Kreis von Kollegen (*) der eigenen Organisation, zum Beispiel in innerbetrieblich angebotenen Selbsterfahrungsgruppen für Führungskräfte. Aber auch bei Reflexionsprozessen, die die Organisation betreffen, ist Mut nötig. Da systematische Reflexion fast zwangsweise zu Erkennen führt, rücken in der organisationalen Perspektive rasch Machtprozesse in den Fokus der Aufmerksamkeit und werden zumindest ein Stück weit enttabuisiert. Dies führt in der Regel zu erheblichen Widerständen beziehungsweise zu Abwehr von jenen, die dabei von einem potenziellen Machtverlust betroffen sein könnten. Verständlicherweise können bei den Reflektierenden in solchen Situationen Gefühle von Beklemmung oder Angst auftreten. Jenseits von persönlichem Mut setzen organisationsbezogene Reflexionsprozesse in traditionellen Unternehmen oder Institutionen deshalb vom Einzelnen immer eine niedrige Autoritätsabhängigkeit (1) voraus. Aus den skizzierten Gründen werden im abschließenden Teil IV dieser Reihe über professionelle Führung Fragen der reflexiven Kompetenz und der inneren Unabhängigkeit in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit thematisiert: Wie innere Unabhängigkeit Voraussetzung für vorbehaltlose, professionsentsprechende Reflexion ist, so setzt die Entwicklung innerer Unabhängigkeit beim erwachsenen Menschen ihrerseits (vorbehaltlose) Reflexion voraus. Ihre volle Steuerungswirkung auf organisationaler Ebene können reflexive Prozesse trotz hoher individueller innerer Unabhängigkeit und reflexiver Kompetenz der Organisationsmitglieder aber nur dann entfalten, wenn die jeweilige Organisation günstige kulturelle und strukturelle Rahmenbedingungen für Reflexion bietet. 2. Die Bedeutung von Reflexion für FührungGegenstand von Führung sind immer einzelnen Personen und/oder soziale Systeme (2). Beide können als "nicht-triviale Maschinen" (3) für Überraschung sorgen, es existiert kein universelles Steuerungswissen, das man analog naturwissenschaftlichen Theorien prognosesicher anwenden könnte. Damit wird jede Führungsentscheidung zu einer "Einzelanfertigung" mit grundsätzlich ungewissem Ausgang. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, jede (wichtige) Führungsentscheidung oder -handlung mit einer validen Situationsdiagnose zu beginnen. Anders als etwa in der Medizin bedeutet "Diagnose" hier jedoch nicht das Feststellen eines Defizits, sondern vielmehr, die Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beschreiben und zu bewerten mit dem Ziel, sie erst einmal zu verstehen (die Leitfragen lauten ganz einfach: "Was ist los?" Und: "Wie würden andere Beteiligte diese Situation beschreiben?"). Verstehen einer sozialen Situation setzt - von einfachen Standardsituationen einmal abgesehen - stets Reflexion voraus. In der individuellen Perspektive vollzieht sich Führung über die Person der Führungskraft. Dabei ist jede Führungshandlung als soziale Interaktion auch geprägt von den kognitiven, gefühlsmäßigen und verhaltensbezogenen Mustern der jeweiligen Führungskraft sowie von ihrem Führungsverständnis (4). Da Führungssituationen immer aus einer Interaktion von Führer und Geführten resultieren, sind sie immer auch geprägt von persönlichen Anteilen des Führenden. Im Sinne professioneller Führung sollte dem Führenden im Zweifelsfall dabei in großem Umfang klar sein, wie er mit seinen persönlichen Mustern und seinem Führungsverständnis die jeweilige Führungssituation mit beeinflusst. Um zielorientiert führen zu können, ist deshalb - wie bereits mehrfach in dieser Reihe angesprochen - unabdingbar, dass Führungskräfte Zugang zu ihren Mustern haben und Klarheit bezüglich ihres Führungsverständnisses. Beides setzt intensive Reflexionsarbeit voraus (5). In der organisationalen Perspektive geht es vor allem darum, Reflexion für die Steuerung beziehungsweise Führung sozialer Systeme zu nutzen. Drei Aspekte erscheinen hier besonders wichtig: Damit in einer Organisation Reflexion auf persönlicher wie auf kollektiver Ebene stattfinden kann, bedarf es einer Kultur, die Reflexion zumindest zulässt, besser aber fördert. Dies begründet sich darin, dass ernst gemeinte Reflexion immer dazu tendiert, Bestehendes in Frage zu stellen und damit unbequem werden kann. Unbequem vor allem für die Gewinner des Ist-Zustandes. Angesprochen sind damit erneut vor allem klassische Machtstrukturen, wie sie in Hierarchien üblich sind (9). Reflexive Prozesse führen häufig zu einer Thematisierung organisationaler Tabus und sind somit geeignet, Abwehrreaktionen auszulösen. Widerstand gegenüber Macht-Veränderungen (über Machtverteilung und -gebaren in offiziellen Kommunikationskontexten zu sprechen ist in vielen Organisationen tabuisiert) und Angst vor generellem Tabu-Bruch. Es ist deshalb eine wesentliche Aufgabe des Top-Managements, die Entwicklung einer Kultur zu fördern, in der Reflexion die Norm ist, denn nur so kann die notwendige Erwünschtheit von Reflexion auch glaubhaft kommuniziert werden. Im Hinblick auf Führungslernen wurde in dieser Reihe die Bedeutung von Reflexion bereits mehrfach betont: Man lernt Führung vor allem dadurch, dass man führt und dann die erzielten Resultate systematisch reflektiert. 3. Reflexive Kompetenz – die individuelle SeiteReflexive Kompetenz (11) kann heute als wesentlichste Voraussetzung für das Management komplexer Situationen gelten. Sie fokussiert auf die Bereitschaft und die Fähigkeit von Führungskräften, professionell Reflexionsprozesse einzuleiten und durchzuführen. Dabei geht es um die Reflexion der eigenen Person und des eigenen Verhaltens (beispielsweise: "Warum ist Führung für mich wichtig und welche Bedeutung hat Macht für mich?" Oder: "Wie reagiere ich auf Ablehnung?") ebenso wie um das Herstellen einer reflexionsorientierten Kultur im eigenen Führungsbereich. Hierzu gehört das Ermöglichen von Offenheit gegenüber Reflexion z.B. durch das offensive Anbieten von persönlichem Coaching oder reflexionsbasiertem Lernen ebenso wie durch konstante Bereichsentwicklung. Zu dieser professionellen Kompetenz gehört auch zu wissen, wie Reflexionsprozesse zu gestalten sind und wo aus Gründen der Professionalität systemexterne Dritte einzubinden sind, z.B., um so genannte blinde Flecken besprechbar zu machen (12). Nicht zuletzt aufgrund ihrer hohen Bedeutung für professionelle Führung sollte reflexive Kompetenz Gegenstand jeder Evaluierung von Managern auf individueller Ebene sein, zum Beispiel in Management Appraisals (13). Im Rahmen der Managementdiagnostik ist die oben qualitativ umrissene persönliche Eigenschaft "reflexive Kompetenz" durch Verhaltensanker zu beschreiben, die sich auf beobachtbares Verhalten beziehen (14). Reflexive Kompetenz ist eine vielschichtige Variable, die in großem Umfang durch Lernen entwickelt werden kann. Intensiver Selbsterfahrung in Einzel- und Gruppensettings kommt hier eine ebenso große Bedeutung zu wie der systematischen Auseinandersetzung mit Theorien, hier vor allem Persönlichkeitstheorien (zur Erinnerung: Führungsinstrument Nr. 1 ist die eigene Person) sowie Führungs- und Organisationstheorien (siehe unten). Erst systematische Reflexion eröffnet den Zugang zu eigenen Mustern und vor allem zum eigenen Führungsverständnis - beides Konzepte beziehungsweise Konstrukte, die - wie in Teil I dieser Reihe gezeigt wurde - wesentliche Elemente professioneller Führung sind. 4. Reflexive Kultur - die organisationale PerspektiveDamit Reflexion als organisationales Steuerungskonzept nachhaltig wirken kann, ist eine ausgeprägte Reflexionsorientierung der betrachteten Organisation nötig. In einer solchen Kultur ist Reflexion nicht nur legitimiert, sondern sie wird vom Management auch offensiv gefordert und gefördert. Geht man von Scheins Drei-Ebenen-Modell der Kultur aus (15), so sind in einer reflexiven Kultur im Hinblick auf die äußere Ebene (Artefakte und Symbole) Konzepte wie Coaching oder Intervision (16) gut etabliert, Ansätze und Methoden der Organisationsentwicklung sind Standardkonzepte der Unternehmens - oder Bereichsführung. Sitzungen, die länger als eine Stunde dauern, werden mit einer Feedback-Runde abgeschlossen, persönliche wechselseitige Feedbackgespräche sind fester Bestandteil des Führungsprozesses. In der Weiterbildung findet man vor allem reflexionsbasierte Lernformen wie Action Learning, gruppendynamische Veranstaltungen usw. Wichtige Entscheidungen werden nur nach kollegialer Beratung getroffen. Reflexion ist hier aber nicht nur ein natürliches Phänomen der organisationalen Alltagskultur, sondern sie ist auch auf der nächsttieferen Kulturebene der Normen und Werte verankert. Die entsprechenden Normen verlangen einerseits angemessene, permanente Reflexion des eigenen Verhaltens sowie ebenfalls die laufende Reflexion aller Aspekte der Unternehmens- beziehungsweise Organisationsführung (Strategien, Systeme, …) und belohnen offenes, Vertrauen schaffendes Handeln. Erst Denken - zum Beispiel in Form von Beratung mit Kollegen - dann Handeln, ist ein zentraler Wert. Theorien haben ebenso Platz wie Intuition. Darüber hinaus ist Reflexion als Grundprinzip auch in den basalen Glaubenssätzen der Organisation verankert (die tiefste Ebene in Scheins Modell). In derartigen Kulturen ist (angemessene) Reflexion im Alltag so selbstverständlich, dass die jeweiligen Organisationsmitglieder nicht auf die Idee kämen, es könnte auch anders sein. 5. Reflexion – grundsätzliche ZugängeReflexion meint die Beschreibung einer Handlung, eines Gefühls, eines Gedankensystems aus einer neuen Perspektive. Die rein phänomenologische Erfahrung wird ergänzt um eine distanziertere Sichtweise, wodurch der Gegenstand der Reflexion von einer (logisch) höheren Ebene aus (neu) verstanden werden kann. Dieses Erkennen des Ist-Zustandes ist bekanntlich eine wesentliche Voraussetzung für seine Veränderung. Wenn man sich nach der Reflexion eines Geschehens oder Tatbestands entscheidet, nichts zu verändern oder zu tun, hat die daraus folgende Beibehaltung des Status Quo dann jedoch eine andere, nämlich eine bewusst gewählte Qualität: Man übernimmt explizit die Verantwortung dafür, dass ein Zustand so bleibt, wie er gerade ist. Grundsätzlich kann Reflexion auf unterschiedliche Art erfolgen. Wichtig dabei ist aber immer, dass ein zusätzliches, anderes, Referenzsystem einbezogen wird, von dem aus die reflektierte Beschreibung erst möglich wird. Im Hinblick auf die Führungspraxis bieten sich hier vor allem folgende Zugänge an: Feedback durch andere, Theorien und Diagnoseverfahren wie Tests im weitesten Sinne oder analoge Verfahren. Theorien LINK: Bewusstsein Standard-Verfahren Feedback-Prozesse Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Zugänge kann die reflexive Kompetenz einer Führungskraft als umso höher gelten, 6. Reflexionsbereitschaft als SchlüsselvariableReflexive Kompetenz kann sich nur dann entwickeln und entfalten, wenn Führungskräfte (und auch die jeweilige Organisation) über eine deutliche Reflexionsbereitschaft verfügen. Diese ist auf individueller Ebene lebensgeschichtlich vordeterminiert, frühe positive Erlebnisse mit Reflexion tragen zu einer tendenziell höheren Reflexionsbereitschaft bei. In der personenbezogenen Perspektive baut diese auf einer grundsätzlich positiven Einstellung gegenüber Reflexionsarbeit, auf einer hohen diesbezüglichen Motivation sowie auf Offenheit gegenüber Neuem und Fremden auf. Die Reflexionsbereitschaft einer Führungskraft dürfte umso höher sein, je mehr Sinn sie im Prozess der Reflexion grundsätzlich sieht und je nützlicher sie die Ergebnisse von Reflexion im eigenen Führungsalltag erlebt. Gerade die heute typischen überfordernden Führungs- und Entscheidungssituationen können zu einem "Aufweichen" der bei Führungskräften noch oft beobachtbaren Widerstandshaltung gegenüber Reflexion beitragen. Neben Vertrauen ist gerade Reflexion ein wesentliches Medium zur Komplexitätsreduktion in Entscheidungssituationen, Reflexionsbereitschaft wird zu einer Schlüsselvariable im Hinblick auf nachhaltig erfolgreiche Führung. 7. Wege zur Entwicklung persönlicher reflexiver KompetenzAuf einer vornehmlich kognitiven Ebene kann die Entwicklung persönlicher reflexiver Kompetenz insbesondere durch das Lernen führungsrelevanter Theorien geschehen. Dies umso mehr, wenn das Lernen in Gruppen mit anderen Führungskräften erfolgt und damit Diskurse über das Gelernte möglich werden. Dieser Aspekt dürfte insbesondere dann greifen, wenn in der gemeinsamen Diskussion die jeweilige Theorie auf die eigene Führungspraxis bezogen wird. Entwickelt wird dabei vor allem ein neuer Blick auf Führung in Organisationen. Auf einer emotionalen beziehungsweise affektiven Ebene erfolgt die Entwicklung reflexiver Kompetenz durch intensive Selbsterfahrung mit dem Ziel, eigene Muster zu erkennen. Therapie-nahe Ansätze, einzeln oder in Gruppen, können hier eine geeignete Lernform sein (zum Beispiel Skriptanalyse). Der Fokus dabei ist Reflexion der eigenen Person (Führungsinstrument Nr. 1) und auch, tragfähige Hypothesen darüber zu entwickeln, wie die eigenen kognitiven, affektiven und verhaltensmäßigen Muster in die Welt wirken und welche Rückwirkungen gegebenenfalls zu erwarten sind. Zum Lernen reflexiver Kompetenz im Hinblick auf soziale Prozesse bieten sich interaktionsorientierte Selbsterfahrungsgruppen an, beispielsweise Gruppendynamikseminare. In dieser Perspektive liegt das Ziel im Erkennen und Verstehen sozialer Prozesse. Schwerpunkte dabei sind Beziehungsgestaltung sowie Macht und Vertrauen. Begleitend zur Führungspraxis erfolgt die Weiterentwicklung reflexiver Kompetenz idealerweise durch Coaching-Prozesse sowie kollegiale Beratung. Weitere Wege zum Ausbau der eigenen reflexiven Kompetenz sind insbesondere auch das Führen eines Lerntagebuchs zum Thema eigene Führungspraxis: Hier werden emotional signifikante Führungsepisoden am Ende jedes Arbeitstages schriftlich aufbereitet und Hypothesen über ihre Entstehung und mögliche Konsequenzen formuliert. 8. Wege zur Entwicklung einer reflexiven OrganisationskulturDie Entwicklung einer spezifischen Organisationskultur kann als eine der schwierigsten Managementaufgaben gelten. Dies deshalb, weil sich Kultur als emergentes Phänomen (20) nicht in einem engeren Sinn steuern lässt. Dennoch kann durch das Setzen gezielter Interventionen die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich eine Kultur in die jeweils gewünschte Richtung verändert, positiv beeinflusst werden. Eine der wesentlichsten Interventionen liegt dabei immer darin, dass das Top-Management mit seinem (Führungs-) Handeln die neue Kultur für die Mitarbeiter glaubhaft selbst repräsentiert. Es geht hier also darum, dass die Geschäftsleitung selbst eine reflexive Kultur vorlebt. Dies kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass auch Sitzungen der Geschäftsleitung ab einer bestimmten Dauer grundsätzlich mit einer Feedback-Runde abgeschlossen werden, und dieser Standard dann wie in einer Kaskade auf nachgelagerte Führungsebenen übertragen wird. Auch können beispielsweise Strategien in Großgruppenveranstaltungen mit einer sehr großen Anzahl von Mitarbeitern kritisch diskutiert werden. Eine weitere kulturprägende Intervention besteht darin, Schlüsselpositionen mit Personen zu besetzen, die selbst die neue Kultur in großem Umfang verkörpern. Darüber hinaus wären alle formalen Führungsinstrumente wie Potenzialanalyse, Performance Appraisals, Mitarbeitergespräch und andere als flankierende Maßnahme reflexionsorientiert zu gestalten (21). Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der betrieblichen Fort- und Weiterbildung zu. Für viele Bildungsthemen bieten sich reflexive Lernformen (sieh oben) offensichtlich an und man kann hier ebenfalls auf bewährte Handlungsmuster wie beispielsweise Action Learning und Lerngruppen zurückgreifen. Jenseits dieser Einzelmaßnahmen kann auch der (riskante) Versuch eines "echten" Kulturentwicklungsprozesses (22) eingegangen werden. Wichtig dabei ist in jedem Falle, ein Prozess-Design zu wählen, das selbst stark von reflexiven Elementen geprägt ist. Die neue Kultur kann so schon im Prozess ihres Entstehens gelernt werden. Da - wie oben skizziert - bei den für die Organisationsentwicklung typischen gemeinsamen Reflexionsprozessen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch sensible Themen zur Sprache kommen, setzt die Entwicklung einer reflexionsorientierten Kultur grundsätzlich die Bereitschaft des (Top-) Managements voraus, im Rahmen der Kulturentwicklung und Kulturpflege auch tendenziell tabuisierte Fragen beziehungsweise Sachverhalte im gemeinsamen Diskurs zu behandeln. 9. Exkurs: Mustererkennung ohne therapeutisch-klinischen AnspruchIn der gesamten Reihe wurde immer wieder die Bedeutung der Bewusstheit über eigene Muster für die Profession Führung angesprochen. Während es im Rahmen klinisch-psychotherapeutischen Handelns oft darum geht, neurotische Muster zu erkennen und in meist längerfristigen Prozessen zu verändern (zu "heilen"), fokussiert die Professionalisierung von Führungskräften vor allem darauf, die eigenen Muster kennen zu lernen und ein realistisches Bild davon zu entwickeln, wie sie sich im konkreten Einzelfall auf das eigene Führungshandeln auswirken. Es wäre sicherlich utopisch und unangemessen, zu fordern, Führungskräfte müssten ihre zum Teil auch neurotischen (zum Beispiel narzisstischen) Muster überwunden haben, das heißt "austherapiert" sein, um professionell führen zu können. In der Praxis geht es vielmehr darum, sich der eigenen Muster und deren Wirkungen so weit bewusst zu sein, dass beispielsweise dysfunktionale Wirkungen des eigenen Führungshandelns antizipiert und somit innerhalb einer bestimmten Bandbreite auch gesteuert werden können. Wenn die eigenen Muster in großem Umfang der Profession Führung widersprechen (beispielsweise im Fall sadistischer Verhaltenstendenzen), sollte ein Berufswechsel in eine entsprechende Fachfunktion erfolgen. Es geht im Zuge der Professionalisierung vor Führung also eher um das Erlernen eines gelungenen, angemessenen Umgangs mit den eigenen Mustern, als um Persönlichkeitsveränderung in Richtung einer "idealen" Führungskraft. 10. Innere Unabhängigkeit als Voraussetzung und Ergebnis reflexiver KompetenzFührung in komplexen (23) Situationen verlangt neben einem hohen Ausmaß reflexiver Kompetenz auch eine ausgeprägte innere Unabhängigkeit. Diese weist als Person-bezogene Variable drei interdependente Ebenen auf. Gerade im Hinblick auf die Professionalisierung von Führungskräften besteht zwischen innerer Unabhängigkeit und reflexiver Kompetenz ein enger Zusammenhang: Ein hohes Ausmaß innerer Unabhängigkeit erleichtert und fördert die Entwicklung reflexiver Kompetenz, gleichzeitig sind reflexive Kompetenz und Reflexionsbereitschaft eine wesentliche Voraussetzung für den Erwerb beziehungsweise den Ausbau innerer Unabhängigkeit beim erwachsenen Menschen. Dieser Zusammenhang wird im Folgenden kurz vertieft: Mit innerer Unabhängigkeit sind zwar auch kognitive Kompetenzen wie die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte rasch gedanklich durchdringen zu können und auf ihre wesentlichsten, handlungsrelevanten Aspekte zu reduzieren, angesprochen. Der Kern dieser "Variablen" liegt aber eher im Bereich meist unbewusster emotionaler und verhaltensmäßiger Muster. Hervorzuheben wäre hier einerseits die Frage nach der eigenen Autoritätsabhängigkeit. Dies deshalb, weil Hierarchien alte, in der Kindheit erworbene Gehorsams- und Unterwerfungsmuster aktivieren. Gerade in Führungspositionen sind aber mutige "Erwachsenen-Entscheidungen" nötig (also eben nicht kindlicher Gehorsam). Zum anderen steht das eigene Selbst-Bewusstsein im Zentrum des Konstrukts. "Selbst-Bewusstsein" beschreibt dabei nichts anderes als ein möglichst klares, vorbehaltloses Kennen des eigenen Selbst beziehungsweise der eigenen Person mit ihren Mustern, Licht und Schatten sowie vor allem auch ihren Grenzen (allerdings lassen sich diese nur über Erfahrung ermitteln. Oder mit anderen Worten auf einer tieferen Ebene ausgedrückt: Das Gehirn weiß grundsätzlich nicht, was es nicht weiß). Was die Entwicklung reflexiver Kompetenz angeht, befindet man sich hier in einem gewissen Dilemma. Gerade Führungskräfte mit einer bereits hoch entwickelten inneren Unabhängigkeit sind aus plausiblen Gründen eher in der Lage, sich auf Reflexion der eigenen Person einzulassen: Niedrige Autoritätsabhängigkeit erleichtert das Ansprechen auch unangenehmer oder tabuisierter organisationaler Themen, ein ausgeprägtes Selbst-Bewusstsein erlaubt auch einen offenen, kritischen Blick auf die eigene Person mit all ihren kognitiven, affektiven und verhaltensmäßigen Tendenzen. Die Entwicklung innerer Unabhängigkeit erfolgt bei Erwachsenen aber vor allem über reflexive Lernformen, die für Menschen mit noch niedriger innerer Unabhängigkeit jedoch eine Herausforderung darstellen. Hellmer/Smetschka zeigen anhand eines konkreten Beispiels aus der Praxis, wie innere Unabhängigkeit für die Managemententwicklung (26) operationalisiert werden kann (27). 11. Abschluss der ReiheZum Abschluss dieser vierteiligen Reihe laden wir Sie nun ein, sich mit Ihrer eigenen Führungspraxis reflexiv auseinanderzusetzen. Im Hinblick auf Ihre Führungspersönlichkeit bitten wir Sie, folgende Fragen für sich zu klären und ausführlich schriftlich zu beantworten:
Was die Führungskultur "Ihrer" Organisation angeht, orientieren sie sich bitte an folgenden Leitfragen:
Und als letzte Fragen dieser Reihe: Wie schätzen Sie Ihre Professionalität im Bereich Führung ein? Wie würden Sie sie beschreiben? Nun wünschen wir Ihnen viel Erfolg bei Ihrer weiteren Entwicklung. Anmerkungen: (*) Mit der männlichen Form ist immer auch die weibliche gemeint – nur aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung wird auf die gleichzeitige Verwendung beider Geschlechter verzichtet. (1) Vgl. hierzu Kehrer, A.: Zur Gehorsamsbereitschaft in Organisationen, in Sandner, K.: Politische Prozesse in Organisationen, Berlin/Heidelberg: Springer 1989, S. 119 – 129 ![]() |
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