"Gott sei Dank habe ich die Chance ergriffen"

Mag. Hannes Gsellmann über den äußerst ungewöhnlichen Umstieg vom Ferialpraktikanten zum Personalchef von fast 1000 Mitarbeitern und seine Strategie, sich in kurzer Zeit Akzeptanz und Respekt bei Führungskollegen und Mitarbeitern zu verschaffen.

Ausgangspunkt des rasanten Karriereschritts war ein Ferialjob?

Genau. Ursprünglich hieß die Firma ÖSPAG (Österreichische Sanitär und Porzellan AG). Anfang der 70er-Jahre wurde sie dann von den österreichischen Eigentümern mehrheitlich an die Schweizer Laufen AG verkauft, die wiederum seit 1999 im Besitz des spanischen ROCA-Konzerns ist. Laufen war das größte Industrieunternehmen in Wilhelmsburg, meinem Heimatort, daher war es naheliegend, dort während der Ferien mein Geld zu verdienen. Ich habe schon während der Schulzeit und dann während des gesamten Studiums im Sommer dort gejobbt und in der Schicht mitgearbeitet. Es war ein relativ schwerer manueller Job am Hochofen, wo ich die Klosette und Waschmuscheln, bevor sie gebrannt wurden, auf Ofenwagen draufgesetzt habe, so dass möglichst viele gleichzeitig in den Ofen hineinfahren konnten. Dabei habe ich gutes Geld verdient.

Da ich das sechs oder sieben Sommer gemacht habe, war ich dann schon ein richtiger Profi in der Abteilung und wurde auch immer wieder für den Sommer geholt, weil man wusste, dass man mich nicht einschulen muss und ich als vollwertiger Ersatz in der Schicht arbeiten kann.

Wilhelmsburg war ein Produktionswerk, die Unternehmenszentrale von Laufen Austria war in Wien. Es gab zwei Sparten, einerseits Sanitär und Keramik, in der Laufen mit einem Marktanteil von ca. 60 Prozent sehr erfolgreich ist und damals noch als zweite Sparte Hotel-Porzellan, das österreichische Hotelporzellan.

Wie kam es nun zu diesem Wechsel vom Praktikanten zum Personalchef?

Das war im letzten Sommer vor Abschluss meines BWL-Studiums. Eines Tages kam der Werksdirektor auf mich zu, weil der Personalchef, ein klassischer Personalist, der selber die Gehaltsverrechnung gemacht hat und sehr administrativ orientiert war, plötzlich in frühem Alter erkrankt ist. Er fiel fast von einer Woche auf die andere aus und weit und breit war kein Nachfolgeplan in Sicht. Über einen Umweg, einen Freund von mir, der dort im Rechnungswesen gearbeitet hat, erfuhr der Werksdirektor, dass da unten in der Werkhalle einer arbeitet, der gerade mit dem BWL-Studium fertig wird und sich auf Personalwirtschaft spezialisiert hat.

Der Werksdirektor hat mich dann zu sich geholt und gefragt, was ich studienmäßig genau mache. Ich habe ihm das erzählt und erwähnt, dass ich in Kürze fertig werde, worauf er gemeint hat, er hätte großes Interesse, mich als Personalchef aufzubauen. Ich habe mich zuerst sehr gewundert und nicht gleich großartig angebissen. Erstens hatte ich noch keine konkreten Pläne, was ich nach dem Studium machen wollte - ich war damals 24 – klar war mir eigentlich nur, dass ich nicht unbedingt in der Provinz bleiben wollte. Ich hatte die große weite Welt vor Augen und vorgehabt, mir bei irgend einem namhaften Unternehmen in Wien einen Job zu suchen und nicht beim einzigen Industrieunternehmen anzufangen, das ich eh schon immer gekannt habe. Daher war ich nicht wirklich euphorisch, aber der Werksdirektor hat mich dann quasi dazu verdonnert, mir das doch einmal drei Monate anschauen und meine Ferialpraxis im Personalbüro fortzusetzen.

Mein erster Gedanke war: Im Personalbüro arbeiten Büropraktikanten und die bekommen die ganzen Zulagen nicht, verdienen also locker ein Drittel weniger als ich in der Produktion. Und schließlich mache ich den Sommerjob wegen des Geldes.  Das habe ich ihm auch so gesagt, worauf er sofort geantwortet hat: "Das ist kein Problem, Sie bekommen den gleichen Lohn weiter, aber Sie kommen ins Büro." Also habe ich mein Praktikum im Personalbüro fortgesetzt.

D.h. ein erstes Hineinschnuppern...

Genau. Und im Verlauf dieses Praktikums habe ich mit weiteren Führungskräften Gespräche geführt, die sich aufgrund dessen dann ebenfalls vorstellen konnten, dass ich die Aufgabe übernehme. Das war im Sommer 1990. Das nächste Problem war, dass ich für Januar 1991 einen Einberufsbefehl für 8 Monate hatte. Aber auch erwies sich als kein Hindernis. Der Werksdirektor und der Finanzchef haben gemeint, das würde nichts machen. Sie hätten das gern jetzt geregelt und würden das lieber noch acht Monate als Provisorium durchziehen, dann aber jemanden haben, von dem sie wissen, dass er das fix übernimmt. Da habe ich gemerkt, dass sie mir wirklich vertrauen und ab da reifte dann in mir langsam der Gedanke, dass das wirklich eine tolle Chance wäre. Gott sei Dank habe ich das damals gemacht, denn diese Chance, in einer Funktion anzufangen, die einem zu Beginn eigentlich nicht zusteht, hat man wohl nur selten.

Mitte November, nach Abschluss des Studiums, habe ich sofort dort begonnen, mich eineinhalb Monate eingearbeitet, bin dann zum Bundesheer und nach acht Monaten als neuer Personalleiter wiedergekommen. In dieser Funktion hatte ich Führungsverantwortung für sieben Personen, betreute 700 Mitarbeiter am Standort Wilhelmsburg und koordinierte die Personalagenden für 250 Mitarbeiter an einem weiteren Standort in Gmunden. Eigentlich eine irre Verantwortung, noch dazu in einer Situation, die auch wirtschaftlich nicht einfach war. Denn kurz nach meinem Eintritt begannen dann Restrukturierungsprogramme, bei denen man als Personaler natürlich ordentlich gefordert ist.

Wie arbeitet man sich als frischgebackener Uni-Absolvent in so eine Position ein?

Mein Ansinnen war, es irgendwie zu schaffen, mit dem Personalbereich schnell Akzeptanz zu finden und einen klaren Nutzen zu generieren. Weiterhin die Gehaltsabrechnung zu machen, war zwar nötig, hatte aber keinen Zusatznutzen für die Führungskräfte. Ich habe dann ziemlich schnell gemerkt, dass es im Unternehmen ein Vakuum gab, ein Thema, um das sich keiner gekümmert hat. Das war der gesamte arbeitsrechtliche Bereich. Klassisches Arbeitsrecht, Arbeitszeit, Kündigungsfälle, sämtliche disziplinäre Angelegenheiten – all das hat bis dahin mehr oder weniger der Betriebsrat diktiert, weil der der Einzige war, der sich ausgekannt hat. Konkret lief das dann so ab: Wenn der Vorstand mit dem Betriebsrat über irgendein arbeitsrechtliches Problem geredet hat, hat der Betriebsrat gesagt: "Im Arbeitsverfassungsgesetz steht das und das, daher geht das nicht." Dann hat der Vorstand gesagt: "Aha, ok, dann geht das also nicht." Es fehlte einfach Wissen.

Daher habe ich mich auf das Thema Arbeitsrecht draufgesetzt, zumal ich durch Arbeitsrecht als Wahlfach von der Uni eine gute Basis mitgebracht habe. Dann habe mich da schnell verbreitert und damit in relativ kurzer Zeit Akzeptanz bei den Bereichsverantwortlichen und Vorständen bekommen, weil ich ihnen konkret sagen konnte, welche Optionen sie im Einzelfall jeweils hätten. Die Folge war, dass ich bald beim Betriebsrat gestanden bin und mir gleich einige tief fliegenden Messer eingehandelt habe, allerdings bei gleichzeitiger persönlicher Akzeptanz. Der Betriebsrat hat sich gefreut, dass endlich jemand da ist, mit dem er diskutieren kann.

Plötzlich wurde ich von allen Seiten bei arbeitsrechtlichen Fragen geholt und gefragt. Über diese Spezialschiene habe ich mir die Akzeptanz geholt und dadurch wurde ich schnell als Business Partner anerkannt. Damit ging dann auch vieles andere. Nach dem Motto: "Der bringt mir was, der versteht sein Geschäft, da kann ich mit ihm auf gleicher Ebene auch andere Dinge diskutieren." Davor war Personalarbeit ein Bereich, der vom Image her nichts wert war. Bei Managementsitzungen hatte man den Personaler gar nicht eingeladen, genauso wenig bei strategischen Entscheidungen, jetzt plötzlich war ich in der Runde mit dabei.

Wie haben die Ihnen unterstellten Mitarbeiter reagiert?

Das war am Anfang auch nicht ganz einfach, aber es hat auf der menschlichen Ebene gut funktioniert. Es waren lauter ältere Damen und ein Mann, der nicht viel älter war als ich. Mit dem Mann war es fast am Schwierigsten, da das derjenige war, der sich selbst ein bisschen Hoffnungen auf die Position gemacht hat. Allerdings war er mir gegenüber sehr fair.

Mein erster Gedanke war, dass ich nicht den Fehler machen darf, jemandem etwas wegzunehmen. Wen ich da als junger Hupfer hinein komme und gleich einmal sage, das und das mache jetzt ich, dann schaffe ich sofort böses Blut. Diesen Vorsatz umzusetzen, war allerdings relativ einfach, weil sie bisher nichts anderes gemacht haben als Administration, das aber wirklich gut. Das hieß: Ich konnte all die Dinge machen, die bisher keiner gemacht hat und meinen Mitarbeitern den Rücken freihalten. Dazu kam: Meine Mitarbeiter haben gemerkt, dass das Ansehen der Personalabteilung bei den Führungskräften gestiegen ist und dass es da jetzt einen Personalisten gibt, der auch mit dem Vorstand reden und Dinge durchbringen kann. Das haben sie durchaus goutiert.

Wie lange hat diese erste Phase gedauert, bis sie in das Arbeitsrecht hineingewachsen sind und in der Abteilung alles klar war?

Die ersten 4 Monate nach der Rückkehr. Es gab dann gleich einige konkrete arbeitsrechtliche Fälle, auch einen Gerichtsprozess, die aber alle gut abgelaufen sind. Z.B. hat ein Produktionsleiter einen Arbeiter fristlos entlassen, was aber keine ganz eindeutige Geschichte war. Er kam in der Nacht in die Firma, betrat die Halle und sah, dass die Maschinen gelaufen sind, ohne dass die Mitarbeiter daneben gestanden wären. Die standen draußen und haben etwas getrunken, worauf er einen von ihnen hinausgeschmissen hat.

Mein Job war dann, das Geschehen haargenau nachzuvollziehen, rechtlich vorzubereiten und vor Gericht zu tragen, da die Entlassung vom Betriebsrat beeinsprucht wurde. Ich war überzeugt, dass das tatsächlich eine grobe Pflichtverletzung war und wir das Richtige tun, nur sind solche Fälle vor dem Arbeitsgericht immer schwierig. Jedenfalls haben wir den Prozess, wenige Monate nachdem ich begonnen hatte, erfolgreich durchgefochten und gewonnen, was eher selten ist. Der Produktionsleiter hat mich dann noch mehr geschätzt, nicht zuletzt deswegen, weil er selbst wusste, dass er eigentlich zu schnell gehandelt hat und diese Entscheidung das Unternehmen auch eine Stange Geld hätte kosten können. Nach diesem Prozess begann es dann für mich, leichter zu werden.

Am Beginn also volle Konzentration auf das Thema Arbeitsrecht und erst ein Jahr später habe ich dann angefangen, langsam mit Personalentwicklungs- und Organisationsentwicklungsthemen zu kommen. Das wäre vorher gar nicht gegangen. Ich konnte zwar mit meinem Chef darüber diskutieren, zumal wir damals auch teure Führungskräfteentwicklungsseminare gemacht haben - allerdings ohne eine klare Konzeption dahinter – aber erst nach ungefähr einem Jahr war die Zeit reif, dem Entwicklungsthema eine neue Richtung zu geben.

Was war Ihre genaue Position? Abteilungsleiter oder Bereichsleiter?

Ich war Abteilungsleiter. Als ich begonnen habe, gab es zwei Vorstände, einen lokalen Werksdirektor und die Bereichsleiterebene. Der Werksdirektor ging dann in Pension, während ich beim Bundesheer war. Danach hat man zwei Vorstandsbereiche gebildet, den Vorstand Sanitär, den Vorstand Geschirr und darunter die Bereichsleiterebene. Ich war im Bereich Finanzen, Organisation und Human Resources angesiedelt. Es gab einen Bereichsleiter und darunter den Personalleiter als Abteilungsleiter, zuständig für die beiden Werke. Die Bereichsleiter Produktion saßen in Wilhelmsburg und mein direkter Chef und die Vorstände saßen in Wien. Ich war der Ansprechpartner vor Ort.

Was waren die größten Herausforderungen in den ersten 100 Tagen?

Das wichtigste überhaupt war im Nachhinein betrachtet den Mund nicht zu voll zu nehmen und zu glauben, als Akademiker komme man und habe etwas zu sagen. In den ersten 100 Tagen hat man eigentlich noch gar nichts zu sagen, sondern man muss zuhören, um ein Gespür zu bekommen, was im Unternehmen abläuft, damit man weiß, was man wo sinnvoller Weise einbringen kann. Als Uni-Absolvent ist man vollgestopft mit Theorie, hat aber keine Ahnung, was man damit im Unternehmen wirklich anfangen kann. Ich würde also auch im Nachhinein jedem Absolventen empfehlen, nicht groß aufzutrumpfen, im Sinn von: "Hier bin ich, ich bin der Spezialist für.. und habe schon so viele Dinge gemacht". Zuerst sollte man einmal genau zuzuhören und beobachten und erst langsam beginnen, den Mund aufzumachen, und zwar nur dort, wo man sich wirklich auskennt. Das habe ich damals gar nicht so bewusst gemacht, sondern weil ich viele Dinge einfach nicht konnte.

Wie ging es den Mitarbeitern aus der Produktion mit dem plötzlichen Wechsel vom blue collar zum white-collar-worker?

Das war ein großer Vorteil für mich. Die vorherrschende Meinung war: "Das ist einer von uns, der weiß, was es heißt, hier zu arbeiten." Wenn ich in der Produktion unterwegs war, gab es immer ein großes Hallo. Wenn es z.B. um Arbeitszeitregelungen gegangen ist oder um die Umstellung des Entlohnungssystems, dann hat es sicher auch deswegen so gut funktioniert, weil die Leute Vertrauen in mich gehabt haben.

Wie ging es dann nach dem ersten Jahr weiter?

Nach etwa einem Jahr hatten wir dann ein großes Restrukturierungsprojekt mit einem externen Berater. In beiden Marktsegmenten ist der Umsatz deutlich zurückgegangen, zumal es am Markt Überkapazitäten in der Geschirrproduktion gab und noch dazu der Tourismus seine erste Krise hatte. Da unser Porzellan sehr hochwertiges und damit teures Porzellan war, haben wir das dementsprechend gespürt. Ab diesem Zeitpunkt haben wir begonnen, zu restrukturieren, das hatte mit Personal- und Organisationsentwicklung nicht sehr viel zu tun.

Welche Rolle spielt in so einer Restrukturierung der Personalist?

Zum einen musste ich die Maßnahmen als Führungskraft mittragen, nicht mit persönlicher Begeisterung, aber es gab ja tatsächlich betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten. Die haben auch die Betriebsräte durchaus verstanden. Als Personalleiter ging es mir dann vor allem darum, Modelle zu finden, die sozial verträglich und für das Unternehmen leistbar sind und in absehbarer Zeit auch wirklich zu Kosteneinsparungen führen. Ich war also vor allem damit beschäftigt, Sozialpläne zu entwickeln und diese mit dem Betriebsrat auszuhandeln.

Wir haben ein Modell entwickelt, wo wir gesagt haben: "Wir müssen 120 Personen reduzieren, von 770 auf 650 Mitarbeiter. Beim Betriebsrat liegt eine Liste auf, in die sich jene freiwillig eintragen können, die einvernehmlich gehen wollen. Im Gegenzug gewähren wir diesen Personen eine ordentliche finanzielle Abgeltung in Höhe der doppelten gesetzlichen Abfertigung. Wir behalten uns jedoch vor, dass wir Stopp sagen können, wenn sich zu viele melden und wir behalten uns, dass wir mit bestimmten Personen, die wir nicht auf dieser Liste haben wollen, gesondert verhandeln können."

Das haben wir dann gemeinsam mit dem Betriebsrat kommuniziert. Im Endeffekt sind wir auf die gewünschte Zahl gekommen - nur durch freiwillige Meldungen. Bei denen Mitarbeitern, die wir nicht auf der Liste haben wollten, war dann wirkliche Führungsarbeit nötig. Daher sind wir viel mit den Führungskräften zusammen gesessen und haben gemeinsam definiert, wer die Schlüsselpersonen sind, wen wir unbedingt brauchen, mit wem die Führungskräfte daher schon im Vorfeld reden müssen, um ihnen klar zu machen, dass sie bei uns einen Fixplatz haben und für das Unternehmen wichtig sind. Diesen Prozess haben wir auch koordiniert.

Einerseits galt es, diese Lösung rechtlich vorzubereiten, sie in Verträge zu gießen, durchzurechnen und mit dem Betriebsrat zu verhandeln, andererseits war es wichtig, die Führungskräfte auf die Gespräche mit den Mitarbeitern vorzubereiten, damit uns nicht die falschen Leute abhanden kommen.

Wenn man das das erste Mal macht, wie kann man sicher sein, dass man keinen Blödsinn macht?

Gar nicht. Wir haben intern sehr viel darüber diskutiert und ich habe sehr viel mit dem Rechnungswesen zusammen gearbeitet. Natürlich wurde das Ganze dann auch über die Vorstände abgesegnet. Ich war quasi der Vorbereiter.

Woher weiß man überhaupt, was es hier für Möglichkeiten und Modelle gibt, wie man das Thema angeht und was man da alles beachten muss? Wo haben Sie die Informationen herbekommen?

Von der Wirtschaftskammer, von der Rechtsabteilung unseres Dachverbands. Phase 1 war Einarbeiten, Phase 2 war Restrukturierung, Phase 3 hieß: Wiederaufbauen des Vertrauens. Allerdings hatten wir nicht den großen Aufschwung, sondern im Gegenteil - der Markt ging langsam aber stetig nach unten. Trotzdem gab es dann die Möglichkeit, bestimmte Dinge zu tun. Z.B. haben wir begonnen, Mitarbeiterbefragungen zu machen, daraus Schwerpunktthemen zu definieren und Projekte aufzusetzen. Wir haben bei der Führungskräfteausbildung auf der Meisterebene angesetzt und von Akkord- auf Zeitlohn umgestellt, um aus der Kostenfalle rauszukommen, dass jede Mehrleistung sofort in mehr Bezahlung mündet, wodurch der Produktivitätsfortschritt für das Unternehmen nicht nutzbar war. Hier haben wir ein faires Modell entwickelt, das für niemanden einen Verlust und für viele einen Gewinn gebracht hat, aber eben auch vorweggenommen hat, dass eine künftige Mehrleistung nicht mehr im selben Ausmaß abgegolten wird.

Abgesehen davon, dass Leute ausgeschieden sind, wurden bei der Restrukturierung auch Prozesse verändert?

Das Interessante war, dass das mehr oder weniger von selber geht. Vom Berater haben wir da keine Unterstützung bekommen. Die verbliebene Mannschaft hat sich mit den Führungskräften selber organisiert. Die Prozessveränderungen waren nicht vom Berater vorgeschlagen, sondern das Prinzip war wohl eher: "Nimm einmal Kapazität weg und dann schau, ob du mit der verbliebenen Kapazität das Gleiche machen kannst." Traurigerweise hat das tatsächlich funktioniert, wobei es natürlich eine wirkliche Knochenarbeit war. Aber die Grundfrage lautete: Wie machen wir dasselbe mit weniger Leuten?

Mein Part waren dann neue Arbeitszeitmodelle, eine Antwort auf die Frage, wie bekommen wir Ausfallszeiten herunter, ein Projekt zur Mehrfachqualifikation der Mitarbeiter, damit sie mehrfach einsetzbar sind usw. Das waren Inputs von meiner Seite. Leider ging der Abwärtstrend die nächsten Jahre so weiter. Ich habe in der Zeit, überspitzt formuliert, mehr Kündigungen unterschrieben als irgend etwas anderes getan.

Nachdem ich dann nach fünf Jahren den Eindruck hatte, dass das noch länger so weitergehen wird und ich gerne auch einmal eine positive Personalarbeit gemacht hätte, bin ich dann gegangen.

Was haben Sie danach gemacht?

Der Wechsel war 1995. Durch einige teils seltsame, teil skurile Ereignisse bin ich dann schlussendlich bei der neugegründeten Personalberaterfirma Phönix eingestiegen und so in die Beratung gekommen. Bei Phönix war ich fünf Jahre, in denen wir rasant gewachsen sind. Im Jahr 2000 bin ich dann ausgestiegen und habe die Geschäftsführung der Österreich-Tochter des Schweizer Beratungsunternehmens IME übernommen, das spezialisiert war auf den Bereich Management Diagnostik, mit ein bisschen Headhunting und Development. Ein Jahr später kam es dann in der Schweiz zu einer Situation, die mit uns gar nichts zu tun hatte. Der Schweizer Eigentümer hat sein stärkstes Team, das Züricher Finanzteam, aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen von heute auf morgen gekündigt und sich damit beinahe sein eigenes Grab gegraben, denn das Team stand für 70% des Umsatzvolumens. Innerhalb von einem dreiviertel Jahr ist der Umsatz dort in den Keller gerasselt, die gekündigten Leute haben sofort eine eigene Firma aufgemacht und plötzlich war das florierende Unternehmen in einer schwierigen Situation und ist von ehemals 40 Beratern in der Schweiz auf gerade einmal 4 geschrumpft. Da die Schweizer Eigentümer aufgrund der Verträge vollen Zugriff auf die österreichischen Konten hatten und das für mich keine angenehme Vorstellung war, habe ich dann die Notbremse gezogen und gekündigt. Kurze Zeit später wurde das Büro in Wien zugemacht. Ich habe noch mit den Mitarbeitern das Geschäft ordentlich runtergefahren und alles ordnungsgemäß abgewickelt. Das war Ende 2001. Ein Freund von mir hat das mitbekommen und mich dann zu Strametz & Partner gelotst.

Herr Mag. Gsellmann, vielen Dank für das Gespräch.

06.2005

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Mag. Hannes Gsellmann, Strametz & Partner