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Ethik im menschlichen Handeln wird dort sichtbar, wo Entscheidungen getroffen, Handlungen gesetzt und diese verantwortet werden müssen. Führungskräfte sind bei solchen Entscheidungen sehr oft allein. Regeln und festgeschriebene Ethik-Codices können eine Orientierungshilfe sein und einen Rahmen für den persönlichen Handlungsspielraum bilden. Wesentlich jedoch ist es, die persönlichen Grundhaltungen, Einstellungen und Werte bewusst zu haben, sie regelmäßig zu reflektieren und auch immer wieder in Beziehung zu Anderen und in der Auseinandersetzung mit anderen Menschen zu überprüfen. Die Handlungen und Entscheidungen einer Führungskraft stehen im Spannungsfeld zwischen den eigenen Werthaltungen, den Anforderungen der Organisation und der Gesellschaft sowie den einzelnen Personen in den Organisationen. Diese Auseinandersetzung mit Werthaltungen und Einstellungen taucht im Führungshandeln nicht punktuell auf, sondern ist die Grundlage des täglichen Führungshandelns. Ethik ist ein EntschlussUnser Tun hat also dort seine Grenzen, wo der andere, die andere Person anfängt. Es ist immer bezogen auf jemanden und hat Wirkungen auf andere Personen oder auf andere Umwelten. Wenn wir einander Raum geben, Zeit geben, um dieses Bezogensein tatsächlich wahrzunehmen und zu spüren, so ist wohl eine wesentliche Voraussetzung für ethisches Handeln gelegt. Bezugspunkt ist immer der/die andere. Und Voraussetzung ist die Vorentscheidung, sich so oder so zu verhalten, sich für jemanden oder gegen jemanden zu entscheiden. Ethik ist ein Entschluss. Eine Entscheidung, sich so oder so aufgrund von persönlichen Leitideen oder Leitlinien zu verhalten. Ethik und VertrauenVertrauen ist eine wesentliche Basis in einem Unternehmen. Ist die Kultur und die Ethik des Zusammenarbeitens oder des Führungshandelns auf Vertrauen aufgebaut oder auf Misstrauen? Die Effekte sind ganz unterschiedliche: Eine Misstrauenskultur unterstellt z.B. Mitarbeitern den Betrug, die Folge sind umfassende Kontrollinstrumente. Der Teufelskreis, der daraus entsteht, ist, dass die Kontrolle unterlaufen wird, die Kontrollzügel wieder stärker angezogen werden müssen, usw. Die Paradoxie im Vertrauen liegt auch darin, dass man eine Vertrauensbasis am leichtesten schaffen kann, wenn Misstrauen ausdrückbar ist, d.h. wer sich traut, sein Misstrauen auszudrücken, wagt bereits eine vertrauensvolle Geste. Wenn jedoch Vertrauen zur Ideologie wird, lähmt es die Lebendigkeit der Beziehungen. Vertrauen generiert sich immer wieder selbst im Tun. In meinem Tun zeige ich Vertrauen den anderen gegenüber und ich tue etwas so oder so, weil ich Vertrauen habe. Wenn ich als Führungskraft der Meinung bin, meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind unselbständig und faul, werde ich mein Führungsverhalten auf Strenge, ständigen Anweisungen und Kontrollen aufbauen. Wenn ich hingegen der Meinung bin, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in ihrer Arbeit eine Quelle zur Selbstbestätigung und Zufriedenheit sehen und eigeninitiativ sind, werde ich mein Führungsverhalten so gestalten, dass sie in einem Spielraum ihre Eigeninitiativen setzen können, und ihre Kreativität und Verantwortlichkeit in die Arbeit einbringen. Verhalten von Führungskraft und Mitarbeitern bedingen sich gegenseitig (Mc. Gregor, 1986) und auf der Basis von Wertschätzung und gegenseitigem Respekt ist gedeihliche Zusammenarbeit möglich. Waldefried Pechtl, ein guter Freund und Lehrer von mir, sagte einmal: „Es gibt einen wichtigen Grund, etwas zu tun: für jemanden....“ Scham und Schuld als SignalEthik entwickelt sich immer aus einer Beziehung von Menschen zueinander in einem herrschaftsfreien Diskurs und Dialog. Das heißt in einem Dialog, in dem es kein oben und unten gibt, keiner dem einen unter- oder überlegen ist. Hier heben sich auch die Funktionen und Hierarchien auf. Wie die Angst ein wesentliches Signal für eine psychische Gefahr darstellt und das Schmerzempfinden uns vor Verletzungen schützt, so weist uns das Schuld- und das Schamgefühl auf eine Überschreitung/Übertretung bzw. Gefährdung verinnerlichter Werte hin. Werte wiederum sind in unseren Grundhaltungen und Einstellungen gespiegelt, die im Laufe unseres Lebens aus der Fülle von Erfahrungen als Charakterstruktur entstehen. Sie definieren und bestimmen unseren Umgang und unsere Kommunikation mit anderen Menschen. Es bleibt uns mitunter nicht erspart, aus unserem Gefangensein und der seelischen Isolation herauszutreten und uns so mancher schmerzlichen und unerfreulichen kritischen Frage nach eigenem Verschulden bzw. Handeln gegen jemanden zu stellen. Im Zuge dieser Reflexion stellen wir mitunter fest, dass wir uns im (Führungs)handeln weit von unseren Gefühlen und unseren Beziehungen wegentwickelt haben, dass wir orientiert an Zahlen und getrieben von Erfolgs- und Machtorientierung die Balance verloren haben: Denn eine wesentliche Gefahr im Führungsalltag ist die Versachlichung. Kets de Vries spricht von "seelischem Analphabetentum". Höfliche Leute in grauen Anzügen, die immer das Richtige sagen und alle Situationen unter Kontrolle haben. Aalglatte Wesen, die niemanden an sich heranlassen und niemals eingestehen würden, dass sie manchmal Angst haben und vielleicht gar das eine oder andere Mal gescheitert sind, ja, dass sie sich manchmal schwach und hilflos fühlen. Die ReflexionVoraussetzungen für eine lebendig bleibende Ethik ist die permanente Auseinandersetzung mit sich selbst und den eigenen Handlungen. Dazu gehört die Bereitschaft, das eigene Tun immer wieder einer kritischen Reflexion mit anderen zu unterziehen, Stellung zu beziehen. Für Führungskräfte heißt das, die Einsamkeit und die Grenzen der Vorstandbüros zu überwinden und sich mit anderen Kollegen, "Leidens"genossen, "Erfolgs"genossen mitunter unangenehmen Fragen zu stellen: Welche Leitideen liegen meinem Handeln zugrunde oder einfach gesagt: "Was habe ich mir dabei gedacht?" Sich auch bei schwierigen Fragen von jemandem begleiten zu lassen, um Rat zu fragen und sich vielleicht gelegentlich die Frage zu stellen: Wie würde ich mein Handeln einem 10-jährigen Kind erklären und welche Antworten würde ich auf seine Fragen geben, warum ich etwas so und nicht anders getan habe? Ethische Prinzipien in das eigene Handeln fließen zu lassen, heißt eigentlich, kontinuierlich diese handlungsleitenden Prinzipien zu reflektieren und an ihnen zu arbeiten. Ethik und MoralIn seiner jetzigen Verwendung ist Ethik die Ebene des praktischen Lebensvollzuges. Das Handeln. Moral sind die in einer Gruppe geltenden faktischen Verhaltensnormen. Der Unterschied zwischen Ethik und Moral, liegt vor allem darin, dass mit Ethik keine Gesetze- "du sollst"-Vorstellungen - definiert werden können, bei deren Befolgung oder Nichtbefolgung es diese oder jene Strafe gibt. Ethik liegt in der Handlung selbst und ist immer bezogen auf andere, denn jede Handlung hat Auswirkungen auf die anderen. So gesehen ist Ethik ein Verhalten, mit dem ich mich für meine Handlungen ver – Antwort - lich mache. Das heißt, ich bin jemandem gegenüber in Bezug auf meine Handlungen Antwort schuldig. "Verantwortung für" meint: Ich muss mich den entscheidenden Fragen stellen, die in einem Ressort oder in einer professionellen Funktion beantwortet werden müssen (z.B. Fragen der Ressourcensteuerung, Überforderung,...). Qualifikation (ich kann), ziel- und wertorientiertes Handeln (ich will), sowie Klärung und Ausfüllen eigener Zuständigkeiten (ich muss) stimmen im besten Fall überein. "Verantwortung bezogen auf" meint, die Verantwortlichkeiten anderer Ressorts und Funktionen im Unternehmen zu kennen und bezogen darauf verantwortlich zu handeln. Verantwortung in einer Organisation funktioniert nur in einem System komplementärer (zueinander passender) Verantwortung. Unternehmensethik sollte daher "prospektiv-entwerfend" sein, d.h. Prinzipien für den Umgang mit zukünftigen Herausforderungen parat haben, z.B. in Zeiten der Internationalisierung und Globalisierung Prinzipien des Umgangs mit anderen Kulturen entwerfen, die Solidarität (zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen) auf eine neue Basis stellen, etc. Umgekehrt werden individuelle Handlungen sehr häufig mit organisationalen Zwängen begründet und sind damit der individuellen Verantwortung entzogen. Jede ethische Begründung muss sich von der Person und ihrer Würde herleiten. Institutionen kommt eine entscheidende Rolle zu, indem sie diese Würde fördern und verwirklichen. Die Wertethik in einer Organisation muss also immer wieder überprüft werden und neu gestaltet werden. Werte und ethische Grundhaltungen werden am besten mit Geschichten transportiert und nicht mit Regeln. Das heißt, darauf zu schauen, welche Geschichten (Mythen) werden in unserem Unternehmen erzählt und wie werden sie erzählt? Ethik beginnt dort, wo man an seine Grenzen stößtEthik beginnt dort, wo ich als Führungskraft Entscheidungen treffe, zu etwas oder jemandem "Ja" oder "Nein" sage und diese Entscheidungen in konkretes Handeln umsetze, dort wo ich dann allen, die mich fragen, ver-Antwort-lich bin, wo ich an die Grenzen meiner persönlichen Haltungen und Einstellungen komme, mitunter auch gegen den Mainstream. Es ist unmöglich, keine Entscheidung zu treffen, ich kann mich nur für das Warten entscheiden. Das Streben nach Selbstverwirklichung, bzw. ethisches Handeln verlangt die Fähigkeit, mögliche und unmögliche Entscheidungen zu treffen und zu leben. So wie Josef Rosenthal, der sich später Joseph Rovan nannte und als französischer Historiker bekannt wurde, in einer sehr berührenden Geschichte seines KZ-Aufenthaltes konkrete Menschlichkeit erlebte: Ein junger Russe war bei einem Fluchtversuch aufgegriffen worden. Zur Abschreckung wurde er auf dem Appellplatz an den Pranger gestellt und zu 50 Stockhieben verurteilt. Doch infamerweise vollzogen die KZ-Schergen die Strafe nicht selbst, sondern delegierten sie an einen Mitgefangenen. Ein Blockältester wurde gezwungen, die grausame Rache zu üben und seinen Kameraden mit Schlägen zu misshandeln. Aber er weigerte sich: „Das tue ich nicht, ich schlage keinen Mithäftling“. Der Mann kam aus Deutschland, ein Kommunist, der 10 Jahre Lagerhaft überlebt hatte und 1945 auf seine Befreiung hoffen durfte. Dennoch widersetzte er sich. Dieser Widerspruch war vollkommen zwecklos und bewirkte nichts, sodass ein anderer zum Stock griff und auf den jungen Russen einprügelte. Trotzdem blieb der Mann bei seinem Nein. Niemand sah in nachher jemals wieder, es steht zu befürchten, dass er seine Weigerung mit dem Leben bezahlte (Ruzicka, 2003, S.26). Dieser Mann hat selbst noch im Angesicht des Todes seine ethische Grundhaltung gelebt. Mitunter sind wir heute viel eher gefordert, ein mutiges Nein zu sagen, zu verzichten, als dem Glauben und der Versuchung einer „Alles-ist-möglich“- Ideologie einer erfolgesverwöhnten, spaßorientierten Wellnessgesellschaft zu verfallen. Ethisch sein heißt ethisch handelnFührungskultur entsteht durch Führung, Ethik entsteht implizit durch Handeln. Wir können uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die konkrete Handlung das Bild schafft und nicht die guten Vorsätze. Die Verinnerlichung von Prinzipien geschieht nicht, indem man über sie spricht, sondern indem man andere erlebt, wie sie den Grundsätzen gemäß handeln und es beispielhaft und nachahmenswert empfindet. So wie das Kind nicht die Regel selbst erlernt, sondern das Verhalten der Erwachsenen dabei beobachtet und implizit verinnerlicht. Auch im Bewusstsein, dass jegliche Vorgabe von Regel oder Norm eher einer Moral als einer Ethik entspricht, sind Ethikkodices, wie sie von Unternehmen entwickelt und entworfen werden, doch ein Rahmen und eine Orientierung. Sie ersparen aber den Organisationen wie auch den dort tätigen Führungskräften nicht, sich ständig mit Werteklärung auseinander zusetzen und die Ethik kraft Handlung immer wieder implizit sichtbar und spürbar werden zu lassen. Eine Wert-volle Reflexion
Autorin: Dr. Carola Kaltenbach ist Mitglied der Firma TAO, www.tao.co.at |
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