Studie: Entweder – oder?

Wie entscheidungsfreudig sind deutsche Manager? Eine Befragung von 560 deutschen Managern durch die "Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft" im Mai 2005 ergab doch einigermaßen überraschende Ergebnisse.

Einige der zentralen Ergebnisse kurz zusammen gefasst:

Führungskräfte glauben an ihre Entscheidungsstärke

Deutschen Führungskräften fällt es leicht, Entscheidungen zu treffen. Zumindest behaupten das 78 Prozent der 560 befragten Führungskräfte. Was noch nicht besonders verwundert, schließlich spricht sich diese Managementkompetenz keine Führungskraft selbst ab Immerhin gehen ja auch 84,7 Prozent der Befragten davon aus, dass man eine gute Führungskraft an ihrer Entscheidungsstärke erkennen kann.

An Selbstvertrauen mangelt es den befragten Führungskräften keineswegs. Nur eine Minderheit von 38,7 Prozent übt Kritik an der Management-Elite und glaubt, dass deutsche Führungskräfte entscheidungsschwach seien. Deutsche Unternehmen leiden nicht darunter, dass sich ihre Führungskräfte nicht entscheiden könnten oder wollten. Zumindest entscheiden sich die befragten Führungskräfte dafür, diese Meinung zu vertreten.

Völlig ausreichend: Der Entscheidungsspielraum deutscher Führungskräfte

Nicht nur, dass sich die deutschen Führungskräfte freudig und bereitwillig entscheiden wollen, sie können es auch, weil ihnen genügend Raum und Befugnis eingeräumt werden. 65,7 Prozent geben an, dass der Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Arbeit zur Verfügung steht, angemessen sei, um richtig entscheiden und einen guten Job machen zu können. 10,6 Prozent räumen sogar ein, dass dieser Rahmen größer als nötig sei. Nur 23,7 Prozent glauben, dass der Entscheidungsspielraum zu klein sei. Es darf entschieden werden in deutschen Unternehmen!

Über zu wenig Wahlfreiheit und Freiraum wollen sich die Führungskräfte nicht beklagen. Auch nicht über zu wenig Hintergründe und Datenmaterial. 87,8 Prozent können sich glücklich schätzen: Ihnen stehen nach eigener Ansicht immer die notwendigen Informationen zur Verfügung, um Entscheidungen am Arbeitsplatz angemessen fällen zu können.

Einbinden und einbinden lassen: Chef und Mitarbeiter im Entscheidungsprozess

Die Führungskräfte fühlen sich nicht nur uneingeschränkt und frei in ihren Entscheidungen, sie beziehen auch gern und bereitwillig ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Entscheidungsprozesse ein – wenn man ihren Aussagen Glauben schenken will: 99,6 Prozent aller befragten Führungskräfte mit Personalverantwortung sagen, dass ihnen die Einbeziehung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Entscheidungsprozesse wichtig sei.

Die meisten Führungskräfte sind immer Führer und Geführte in einer Person: Auch wenn sie selbst Personalverantwortung tragen, sind sie wiederum einer Person unterstellt. Von den 560 Teilnehmern der Umfrage sind das 522. Diese Personen wurden gefragt: "Wie sehr fühlen Sie sich von Ihrer Führungskraft in Entscheidungsprozesse, die Ihren Arbeitsalltag betreffen, eingebunden?" Ergebnis: Nur 6,5 Prozent beklagen, in die Entscheidungsprozesse gar nicht eingebunden zu sein. Die große Mehrheit von 62 Prozent sagt: "Ja, ich bin eingebunden. Meine Argumente werden von der Führungskraft berücksichtigt." 31,5 Prozent sind noch zufriedener und geben zu Protokoll: "Wir entscheiden gemeinsam."

Zu viele reden mit – und kommunizieren zu wenig

Die Führungskräfte entscheiden gern, beziehen ihre Mitarbeiter ein und beklagen sich nicht über zu wenig Entscheidungsspielraum. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Gleichzeitig sind 67,8 Prozent sind der Meinung, dass die Entscheidungsprozesse in deutschen Unternehmen zu komplex seien. Fast ebenso viele (67,2 Prozent) sind der Meinung, dass Führungskräfte in Krisenzeiten dazu neigen, autoritärer zu führen und zu viele Entscheidungen an sich zu reißen.

Deutsche Unternehmen leiden nicht an fehlendem Mut oder fehlender Entschlusskraft ihrer Entscheidungsträger. Es gibt nicht zu wenige, die entscheiden wollen, es gibt zu viele, die entscheiden dürfen. Dieses Bild ergibt sich, wenn man aus den Antworten der Führungskräfte ein Ranking der "Entscheidungsblocker" erstellt. Die meisten Führungskräfte klagen über zu große Konkurrenz im Entscheidungsgetümmel: 83,6 Prozent sind der Meinung, dass Beschlüsse in Unternehmen vor allem dann blockiert oder sogar verhindert werden, wenn zu viele Personen am Entscheidungsprozess beteiligt sind. Den zweiten Platz des Rankings nimmt mit 76,4 Prozent ein artverwandtes und benachbartes Phänomen ein: "Macht und Interessenskonflikte verhindern ein Votum für die beste Entscheidung. "Auf dem dritten Platz: "Entscheidungen werden nicht oder zu wenig kommuniziert."

Das Horrorszenario für die Entscheidungsfindung in deutschen Unternehmen: Zu viele Personen sind im Entscheidungsprozess beteiligt, verfolgen dabei aber eigene Ziele und Machtspielchen und legen keinen Wert auf eine klare Kommunikation der letztlich getroffenen Entscheidungen.

Das Ergebnis des Rankings zeigt aber auch, wie viel Fingerspitzengefühl Führungskräfte aufbringen müssen, um die Entscheidungsfindung im Unternehmen erfolgreich zu managen: Einerseits wollen sie möglichst viele Mitarbeiter in die Entscheidungsfindung einbeziehen, andererseits müssen sie darauf achten, dass Koalitionsbildungen, Machtkämpfe und unausgesprochene Konflikte die Lösungssuche nicht überlagern.

Ranking der "Entscheidungsblocker"

83,60 % Zu viele Personen im Entscheidungsprozess
76,38 % Macht- und Interessenkonflikte verhindern ein Votum für die beste Entscheidung
72,79 % Entscheidungen werden nicht oder zu wenig kommuniziert
64,29 % Entscheidungsbefugnisse sind nicht klar definiert
63,03 % Entscheidungen werden nur halbherzig getroffen
59,74 % Innovationen und Verbesserungen werden zu wenig Augenmerk eingeräumt
55,76 % Unternehmensstrategie ist unklar
49,17 % Zu häufiger Personalwechsel stört den Entscheidungsfluss
48,61 % Zu viele Entscheidungen blockieren sich gegenseitig
49,26 % Entscheidungsbefugnisse für Einzelpersonen sind zu gering

Groß- und Kleinunternehmen leiden gleichermaßen an Inflation der Entscheider

Die Unternehmensgröße hat anscheinend keinen Einfluss auf das Antwortverhalten und das Unbehagen an den langen verschlungenen Pfaden, die Entscheidungen gehen müssen: Egal ob Start-up oder Großkonzern, die Krux der Entscheidung liegt in den Strukturen – nicht im Wollen und Können der Führungskräfte. Jeder Manager für sich wüsste wohl, wie er sich zu entscheiden hätte, und könnte es auch. Im Zusammenspiel der Abteilungen, Teams und Koalitionen bleibt indes so manche Entscheidung hängen oder wird von anderen Beschlüssen gestoppt, torpediert oder egalisiert.

Insbesondere Führungskräfte in kleinen Unternehmen beklagen sich darüber, dass die Entscheidungsbefugnisse nicht klar genug definiert seien. Vielleicht liegt es daran, dass die Unternehmensstrategie zu undeutlich formuliert ist. Immerhin nimmt dieser Kritikpunkt den fünften Platz des Rankings der "Entscheidungsblocker" in der Gruppe der Kleinunternehmen ein.
Je größer das Unternehmen, umso klarer und strenger sind Prozesse und Arbeitsabläufe definiert, umso festgezurrter Befugnisse. Bei Unternehmen mit einer Belegschaft von 100 bis 1.000 Mitarbeitern und bei Konzernen wird das Fehlen einer klaren Unternehmensstrategie weniger bemängelt. Auch der Kritikpunkt, dass Entscheidungsbefugnisse nicht klar genug definiert seien, taucht hier nicht mehr auf. Anscheinend sehen die Führungskräfte in diesem Punkt klar und wollen oder müssen sich nicht beklagen. Dafür tauchen neue "Blocker" auf: Entscheidungen werden nur halbherzig getroffen. Außerdem legt man insbesondere in Großunternehmen zu wenig Augenmerk auf Verbesserungen und Innovationen. Je größer das Unternehmen, umso eindeutiger sind die Entscheidungsbefugnisse für den Einzelnen definiert. Gerade diese klare Auf- und Zuteilung scheint aber mutige Beschlüsse und die Verwirklichung neuer Ideen eher zu verhindern als zu fördern.

Absage an die Intuition: Deutsche Führungskräfte sammeln lieber Informationen und vertrauen dem Verstand

Gute Entscheidungen brauchen Zeit. Das sagt der Volksmund. Die befragten Führungskräfte sehen das größtenteils anders. Weniger als die Hälfte (42,6 Prozent) schenken der Volksweisheit Glauben und wollen Entscheidungen möglichst schnell treffen. "Ich überlege - mein Bauch entscheidet", soll der Wirtschaftspionier Max Grundig einmal gesagt haben. Die befragten Führungskräfte allerdings möchten sich nicht voll und ganz auf ihre Intuition verlassen. Nur jeder fünfte Manager gibt an, meistens spontan aus dem Bauch heraus zu entscheiden. Noch weniger, 14,3 Prozent, bekennen sich dazu, dass ihnen bei Entscheidungen das Gefühl wichtiger sei als der Verstand. 27,9 Prozent sagen: "Je schneller ich mich entscheiden kann, umso besser."

75,59 % Ich entscheide mich erst dann, wenn ich glaube, alle relevanten Informationen zu besitzen.
40,14 % Verstand ist mir bei Entscheidungen wichtiger als Gefühl.
27,16 % Je schneller ich mich entscheiden kann, umso besser.
18,75 % Ich frage mich immer, wie andere Personen an meiner Stelle entscheiden würden.
18,39 % Ich entscheide meistens spontan und aus dem Bauch heraus.
14,29 % Gefühl ist mir bei Entscheidungen wichtiger als Verstand.
14,29 % Ich habe ein ganz persönliches Verfahren entwickelt, um Entscheidungen zu treffen.
4,62 % Ich schiebe Entscheidungen so lange auf wie möglich.

Statt dem eigenen Gefühl trauen die Manager lieber ausführlicher Datenanalyse. Gefragt nach ihren persönlichen Entscheidungsriten antworten die meisten (75,9 Prozent): "Ich entscheide mich erst dann, wenn ich glaube, alle relevanten Informationen zu besitzen." Dazu suchen sie Rat bei Mitarbeitern, Freunden und Bekannten: Keine der Führungskräfte gab an, ganz für sich ohne Rat oder Hilfe entscheiden zu wollen oder zu können. 68,5 Prozent beziehen von Fall zu Fall andere in ihre Entscheidungen ein. 31,5 Prozent tun dies grundsätzlich.

Wenn Führungskräfte andere in den Entscheidungsprozess einbeziehen, dann zumeist von vornherein – um möglichst viele Standpunkte und Meinungen zu sammeln. Dies tun 77,7 Prozent. Wesentlich weniger (35,2 Prozent) beziehen auch im Kern des Entscheidungsprozesses andere ein, damit die Entscheidung von mehreren Personen getroffen und getragen wird. Auffallend wenig Manager legen auch dann Wert auf Kontakt, Austausch und die Meinung der anderen, wenn ihre Entscheidung längst getroffen wurde – um diese ‚abzusichern’. Dies tun nur 13,6 Prozent.

Vielleicht haben die Führungskräfte hier, ohne es zu ahnen, bereits eine Antwort auf die Frage gegeben, warum sich in deutschen Unternehmen so viele Entscheidungen gegenseitig blockieren, aufheben oder entkräften: Weil die Führungskräfte oft nur kommunizieren, dass sie sich zu etwas entschieden haben – aber nicht, wie sie zu der Entscheidung gekommen sind. Zwar beauftragen sie am Anfang des Prozesses viele Akteure mit Informationsbeschaffung und Entscheidungsvorbereitung. Die Kommunikation stoppt aber meist abrupt, sobald die Entscheidung getroffen ist. Dabei trägt jeder Abschluss eines Entscheidungsprozesses bereits den Keim der nächsten Entscheidungsaufgabe in sich: "In einer Welt von interagierenden Teilsystemen muss man in interagierenden Teilsystemen denken, wenn man Erfolg haben will", rät der Kognitionspsychologe Dietrich Dörner. Jede Entscheidung beeinflusst verschiedene Merkmale des gesamten Systems – umso wichtiger sind die Kommunikation und die Übermittlung von Informationen, die über die reine Tatsache, dass etwas entschieden worden ist, hinausgehen.

Die gesamte Studie zum Nachlesen finden Sie im "Servicebereich" der site: http://www.die-akademie.de

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