"Es knirscht noch nicht genug"

Dr. Reinhard Sprenger über das Spannungsverhältnis von Individuum und Organisation aufgrund veränderter Werte und Anforderungen.

Herr Dr. Sprenger, was genau heißt nun Flexibilisierung der Organisation?

Die Aussage kann ich streng genommen auch nicht machen, denn sie wäre wieder individuell. Natürlich gibt es Trendaussagen darüber. Also wenn Sie sich die Diskussion über Life Balancing anschauen, dann gibt es sicher viele Menschen, die mit Hingabe ihren Job machen, aber zunehmend ihre persönlichen Bedürfnisse berücksichtigt sehen wollen. Und da gibt es sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Die Frage ist immer, ob sich auch die Organisation ein Stück weit verändert, um dem Rechnung zu tragen. Es geht im wesentlichen darum, den gesamten organisatorischen Ablauf dermaßen zu flexibilisieren, dass es nur eine einzige Regel gibt und das ist die Ausnahme. Das ist, wie wir alle wissen, nur begrenzt möglich. Allerdings sind die Bereiche der Phantasie nicht annähernd ausgeschöpft.

Da kommt sofort der Einwand, dann muss man die Organisation um die Leute bauen und das wird unproduktiv.

Man muss ja nicht glauben, dass Unternehmen Veranstaltungen betriebswirtschaftlicher Rationalität sind. Das ist ja eine Illusion. Es geht ja sehr viel mehr um Dominanz, Macht, Eitelkeiten, etc. Deshalb ist es keine Frage von Sinnhaftigkeit oder Praxistauglichkeit, sondern der Macht.

Um was geht es denn eigentlich? Auf der Ebene der Leistungsbereitschaft wollen die Unternehmen Commitment, auf der Ebene der Leistungsfähigkeit wollen sie Kreativität, auf der Ebene der Leistungsmöglichkeit wollen sie unternehmerisches Verhalten. Und um das zu erreichen, erfinden sie eine Fülle von Methoden und Instrumenten, die das vorgeblich unterstützen. Meine These ist, dass wenn ernsthaft und seriös Commitment und Kreativität und Unternehmertum gewollt ist, Sie es auf diese Art eben nicht. Denn alle diese Instrumente atmen den Geist des egalisierenden Unternehmens. Und ist Überwachen, Disziplinieren, Gleichschalten. Auf eine versteckte Weise.

Vordergründig sieht das so aus, als wäre das hoch partizipativ und sogar individualisierend. In Wirklichkeit hat die Organisation, die Struktur nur Kreide gefressen und versucht in irgendeiner Weise den Einzelnen doch wieder ans System anzuflatschen. Häufig ist man schlicht blind für die Spät- und Nebenwirkungen, dass nämlich Kontrolle, Macht und Misstrauen prolongiert werden.

Jetzt scheitert ja der Anspruch ich akzeptiere den anderen so wie er ist, ja schon  in den privaten Beziehungen geschweige denn in den Unternehmen. Welche konkreten Schritte könnte denn ein Manager nun setzen?

Zunächst einmal existiert in den Köpfen vieler Manager, glaube ich, immer noch diese Steuerungsillusion. Sie glauben immer noch, ein Unternehmen sei steuerbar. Was ich sagen kann, ist, dass Unternehmen beeinflussbar sind, aber sie sind nicht steuerbar. Wie Unternehmen reagieren, ist nicht vorauszusehen. Sondern sie reagieren sprunghaft, in jeder Weise unkalkulierbar. Zunächst gilt es aus meiner Sicht einmal, aufzuhören zu glauben, man könnte ein Unternehmen steuern.

Der zweite Punkt ist, ich glaube, wir müssen Abschied nehmen von jeder Form der Großidee. Ich glaube, dass was ansteht ist Veränderung im Kleinen, in der Nachbarschaft. Also nicht darauf zu warten, dass oben was passiert und die großen Programme abgefackelt werden, sondern wenn Sie Veränderung wollen, haben Sie nur Chancen in Ihrem Mikrokosmos. Da können sie sozusagen trotzdem, gegen die Großideen was tun. Das bedeutet, da wo Zusammenarbeit, die Qualität des gemeinsamen Weges spürbar ist, für Veränderung zu sorgen und das können Sie auch tun.

Komme ich genau damit nicht sofort in Konflikt zur Organisation? Wieder eine Individualisierung des Problems?

Da haben wir ja genau wieder den Konflikt. Sehr wichtig scheint mir zu sein, dass wir Unternehmen insofern öffnen, dass wir die Flächentarife in jeder Weise öffnen, insbesondere die geistigen Flächentarife. Das würde bedeuten, dass ich als Linienverantwortlicher sagen würde, meine Bedürfnisse sind die und die, und ich erwarte von Dir, liebe Personalabteilung, dass du etwas tust, das mir in meiner Linienaufgabe hilft. Und das bedeutet z.B. was die Elemente der Einkommensgerechtigkeit angeht, im Sinn der Flexibilisierung, dass ich eben nicht den Arbeitsplatzwert priorisiere, sondern stattdessen den Arbeitsmarktwert, d.h. finde ich 10 Leute die mir die Aufgabe erledigen, oder finde ich 10.000 Leute, die das können? Unabhängig davon, wo der jetzt hierarchisch eingesetzt ist. Und diese eine Regelung kann in dem einen Teil des Unternehmens funktionieren, in dem anderen aber nicht. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Genau das gilt es zu flexibilisieren, also hier eine Lösung zu machen und dort eine andere. 

Letztlich bin ich Marktradikaler: Letztlich wird der Markt entscheiden, was funktioniert. Unternehmen ändern sich nicht aufgrund guter Absichten. Sondern der Markt wird das schon richten. Wenn ich keine guten Leute mehr bekomme, und weit stärker, wenn ich sie bekomme aber nicht halten kann, werden sich die Dinge ganz von allein ändern. Solange es aber diesbezüglich noch nicht genug knirscht, werden sich die Dinge sehr langsam entwickeln. Wenn das Knirschen einmal laut vernehmbar ist, werden sich die Dinge aber sehr schnell entwickeln.

Herr Dr. Sprenger, vielen Dank für das Gespräch.

11.2000

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