Erhöhen extrinsische Belohnungen die Leistung? Nein!

Ganz im Gegenteil! Warum Sie mit Belohnungssystemen systematisch Motivation zerstören.

Kennen Sie Harry Harlow? Oder Edward Deci? Trotz aller Führungsseminare noch nie gehört? Damit befinden Sie sich in guter Gesellschaft und diese Tatsache sagt viel über das Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaft aus. Denn diese beiden Forscher haben im vergangenen Jahrhundert zwar die wichtigsten Erkenntnisse zur menschlichen Motivation geliefert, dennoch werden diese bis heute totgeschwiegen, sind ihre Erkenntnisse doch das genaue Gegenteil dessen, was Unternehmen bis zum heutigen Tag praktizieren.

Doch der Reihe nach: Harry F. Harlow war – wie der amerikanische Wissenschaftsjournalist Daniel H. Pink in dem Buch "Drive –Was Sie wirklich motiviert" nachzeichnet - Psychologieprofessor an der Universität von Wisconsin und gründete in den 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts eines der ersten Laboratorien, die das Verhalten von Primaten erforschten. Im Jahr 1949 suchte er mit seinen Kollegen acht Rhesusaffen für ein zweiwöchiges Lern-Experiment aus. Für dieses Experiment hatten die Forscher eine einfache mechanische Vorrichtung entwickelt, deren "Lösung" drei Schritte erforderte: a) einen senkrechten Stift herausziehen, b) einen Haken lösen c) einen aufklappbaren Deckel anheben. Für Menschen ist das ziemlich einfach, aber für einen Laboraffen ist diese Aufgabe eine echte Herausforderung.

Phänomen, die nicht zur vorherrschenden Theorie passen

Die erste unerwartete Beobachtung, als die Forscher diese Vorrichtung in den Affenkäfig legten, war, dass die Affen von sich aus begannen, mit der Vorrichtung herumzuspielen, "bevor das Experiment eigentlich startete", dabei anscheinend richtig Spaß hatten und bereits nach kürzester Zeit den Wirkmechanismus herausgefunden hatten. Zur damaligen Zeit stand diese Beobachtung im krassen Gegensatz zur vorherrschenden Lehre, die zwei Antriebe propagierte: Zum einen agieren Lebewesen aufgrund ihrer biologischen Triebe (Hunger, Durst, Sexualtrieb), zum anderen folgen sie dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche. Soll heißen: "Wenn man eine Tätigkeit belohnt, bekommt man mehr davon. Wenn man eine Tätigkeit bestraft, bekommt man weniger davon." Doch keiner der beiden Antriebe war hier am Werk gewesen.

Was Harlow bei diesem Experiment "entdeckte", war ein dritter Antrieb, den er "intrinsische Motivation" nannte. Die Freude an der Aufgabe war Belohnung genug. Doch zuerst dachte Harlow noch, die intrinsische Motivation sei sozusagen ein Unterpunkt von Zuckerbrot und Peitsche. Also wiederholte er das Experiment und belohnte die Affen für die erfolgreiche Lösung. Und nun passierte die zweite Überraschung: Wurde die Tätigkeit belohnt, verschlechterten sich die Ergebnisse, statt sich zu verbessern. Die Affen verloren die Lust an der Beschäftigung mit der Vorrichtung. Anders gesagt: Die Überzeugung – Belohnungen intensivieren das Interesse und steigern die Leistung – erwies sich in dem Experiment als falsch bzw. verkehrte sich sogar ins Gegenteil. Diese radikalen Erkenntnisse hätten schon damals das Potenzial gehabt, die Motivationsforschung in ihren Grundfesten zu erschüttern bzw. auf eine völlig neue Basis zu stellen. Allerdings taten sie das nicht. Vermutlich deswegen, weil Harlow keine Lust hatte, es sich mit der gesamten wissenschaftlichen Gemeinde zu verscherzen. Auf jeden Fall verfolgte er seine Experimente nicht weiter, sondern wandte sich einfach einem anderen Forschungsbereich zu und die eigentlich bahnbrechenden Erkenntnisse rund um die intrinsische Motivation fielen für 20 Jahre in einen Dornröschenschlaf.

Dieser Dornröschenschlaf dauerte bis zum Jahr 1969, als Edward Deci, Doktorand der Psychologie an der Carnegie-Mellon-Universität, nach einem Thema für seine Doktorarbeit suchte und auf Harlows Studien stieß. Er griff die Ideen auf, entwickelte eine neue Versuchsreihe, diesmal mit Studenten, und zeigte einmal mehr, dass die Motivaton von Gesetzen angetrieben wird, die völlig widersprüchlich zu dem waren, was die meisten Wissenschaftler und Zeitgenossen glaubten und propagierten. Was Deci herausfand und durch zwei weitere Studien untermauerte, hieß schlicht und einfach: "Wenn Geld als externe Belohnung für eine Tätigkeit eingesetzt wird, verlieren die Probanden das intrinsische Interesse an der Tätigkeit." Belohnungen können zwar kurzfristig die Leistung fördern, vergleichbar einem Koffeinschub, doch die Wirkung nutzt sich schnell ab und die Langzeitmotivation kann sich verringern. Auf die Wirtschaft umgelegt bedeutet dies:

Die Einführung einer Belohnung führt zu einer Störung der Arbeitsleistung!

Die meisten Organisationen haben Systeme in Hinblick auf menschliches Leistungsvermögen und individuelle Arbeitsleistung entwickelt, die auf veralteten, ungeprüften und mehr auf Volksempfinden denn auf Wissenschaft basierenden Annahmen beruhen. Stichwort: Belohnungs-, Incentive- und Provisionsmodelle. Folgt man Harlows und Decis Erkenntnissen, bewirken diese Systeme das genaue Gegenteil dessen, was sie propagieren: Sie verringern bzw. zerstören langfristig die intrinsische Motivation der Mitarbeiter. Trotzdem halten die Unternehmen stur an ihren Belohnungsmodellen und Anreizsystemen fest. Warum nur? Wahrscheinlich deshalb, weil sich an bestimmten Grundannahmen in den Köpfen der Manager seit gut 100 Jahren nicht viel geändert hat. Arbeit, so war schon Frederick Winslow Taylor, der Begründer des "wissenschaftlichen Managements" vor rund 100 Jahren überzeugt, bestehe hauptsächlich aus einfachen, nicht besonders interessanten Aufgaben. Der einzige Weg, Menschen dazu zu bringen, diese Aufgaben zu erledigen, bestünde folglich darin, ihnen die Arbeit mit angemessenen Anreizen schmackhaft zu machen und sie dabei genau zu überwachen. Vergegenwärtigt man sich die damalige Zeit mit riesigen Fabriken, in denen die Mitarbeiter an langen Fließbändern immer und immer wieder denselben Handgriff ausführten, verwundert Taylors Idee nicht. Nur hat sich seit der Fließbandarbeit und den Massenmärkten zu Zeiten Frederic Taylors vor hundert Jahren vieles geändert. Nur in einem sehr spezifischen Bereich können solche Belohnungssysteme tatsächlich die gewünschte Wirkung erzielen, nämlich da, wo es um simple, nervtötende, sogenannte algoritmische Tätigkeiten geht.

Algorithmische Tätigkeiten – heuristische Tätigkeiten

Verhaltenswissenschaftler teilen unsere Tätigkeiten gern in zwei Kategorien: algorithmisch und heuristisch. Bei einer algorithmischen Aufgabe gibt es ein bestimmtes Verfahren zur Lösung. Eine heuristische Aufgabe ist das genaue Gegenteil. Gerade weil es für sie kein Verfahren gibt, muss man mit verschiedenen Möglichkeiten experimentieren, um eine neuartige Lösung zu entwickeln. Die Arbeit an der Kasse eines Supermarkts ist meist algorithmischer Natur ebenso wie bestimmte Arbeiten in der Buchhaltung, dem Rechtswesen oder der Computerprogrammierung, die auf ein Datenblatt, eine Formel, eine Reihe von Schritten reduzierbar sind, welche die richtige Lösung ergeben. Eine Werbekampagne zu kreieren ist hingegen eine heuristische Aufgabe. Dabei muss man etwas Neues schaffen. Der springende Punkt ist: Der Anteil an heuristischen Tätigkeiten im Arbeitsleben hat in den vergangenen Jahrzehnten enorm zugenommen und während extrinsische Belohnungen und Bestrafungen bei algorithmischer Arbeit, bei Routinetätigkeiten funktionieren können, basieren heuristische Tätigkeiten stark auf Harlows drittem Antrieb. Anders gesagt: Intrinsische Motivation fördert Kreativität, extrinsische Motivation schadet ihr. Edward Deci: "Belohnungen untergraben nicht die eigentliche Motivation der Menschen bei stumpfsinnigen Aufgaben, weil es hier wenig bis gar keine eigentliche Motivation zu untergraben gibt." Sollten Sie in Ihrem Unternehmen aber viele Aufgaben haben, bei denen eigenständiges Denken und Handeln Ihrer Mitarbeiter gefragt ist, drücken Sie mit den üblichen Belohnungssystemen auf eher kontraproduktive Art folgende Überzeugungen aus:

  • Mitarbeiter sind faul und müssen erst durch Anreize zur Arbeit bewegt werden.
  • Die Aufgabe des Mitarbeiters ist lästig (andernfalls bräuchte es wohl keinen Anreiz).

Dieses alte, aber immer noch in den Unternehmen dominierende Motivationsdogma basiert auf der Annahme, dass Arbeit grundsätzlich keinen Spass macht. Das ist nachweislich falsch. Zudem konnte Deci schon vor 40 Jahren in seinen Experimenten zeigen: Bestimmte Belohnungen, die bei an sich schon interessanten Tätigkeiten als Motivation eingesetzt werden, dämpfen die Motivation und schmälern dadurch die Leistung. Genau die Mechanismen, die eigentlich die Motivation steigern sollen, können sie in der Praxis massiv dämpfen:

  • Taktiken, die zur Steigerung der Kreativität eingesetzt werden, können diese einschränken.
  • Programme zur Förderung von guten Taten können diese gänzlich verschwinden lassen.
  • Belohnung und Bestrafung können negatives Verhalten auslösen, anstatt es zu verhindern, was wiederum zum Aufkommen von Betrug, Abhängigkeit und gefährlich kurzfristigem Denken führen kann.

Nimmt man die Forschungserkenntnisse von Harlow und Deci über intrinsische Motivation und die negativen Auswirkungen von Belohnungen auf Leistung ernst, kommt man um einen Paradigmenwechsel nicht herum. Noch sind solche Organisationen Einzelfälle, wenn auch sehr erfolgreiche, doch ihre Zahl und der Variantenreichtum an innovativen Lösungen nimmt zu.

Link:  Wie fördert man selbstbestimmte Arbeit?

Quelle: Daniel H. Pink: "Drive –Was Sie wirklich motiviert", Ecowin, 2010, 259 Seiten; 21,90 Euro

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