Strategieentwicklung aus eigener Kraft

Um die eigenen Strategien schnell und flexibel an veränderte Bedingungen anpassen zu können, müssen sich Organisationen von der bisherigen Form ihrer Strategieentwicklung verabschieden.

Strategieentwicklung ist der Top-Manager liebstes Spielzeug, ihr ureigenstes Betätigungsfeld. Strategiearbeit sei "Chefsache", so lernt man es in den gängigen und renommierten Managementausbildungen und in den Business Schools, wo ein Modell von Strategiearbeit vorherrscht, das wir hier als "klassischen Top-Down-Ansatz" bezeichnen. Dabei steckt das Top-Management als "zuständiges Organ" in periodisch wiederkehrenden Klausuren die Köpfe zusammen und brütet - unterstützt von Spezialisten für strategische Planung und/oder externen Strategieberatern - die Richtung für die nächsten Jahre aus. Diese wird dann in Führungskräfteklausuren an die nachgelagerten Ebenen verkündet, verbunden mit dem Auftrag, in deren jeweiligen Bereichen für die Umsetzung dieser Strategien zu sorgen.

Ein Bereichsleiter eines internationalen Konzerns beschrieb dieses weit verbreitete Procedere kürzlich sehr anschaulich: "Strategieentwicklung lief bei uns über lange Zeit immer gleich ab. Das Top-Management zog sich ein- bis zweimal im Jahr auf eine Klausur zurück und legte dort – unterstützt von einem bekannten Strategieberater - die 'neue' Strategie fest – defacto meist eine Fortschreibung der bisherigen Strategie mit leichten Adaptionen. Dann lud der Vorstand die obersten Führungsebenen ein, die wie in einer Schulklasse zwei Tage von den Vorstandsmitgliedern mit Präsentationen berieselt wurden und erklärt bekamen, was sie im nächsten Jahr zu tun hatten. Manchmal wurden wir sogar nach 'Feedback' gefragt. Gemeint war damit aber kein kritisches Hinterfragen oder eine offene Diskussion, sondern höchstens Verständnisfragen. Die einmal festgezurrte Strategie wurde dann durchgezogen, selbst wenn sie sich während des Jahres immer weiter von der Marktrealität entfernt hat."

Oben entschieden, unten realisiert?

Dieses Verständnis von Strategiearbeit wirft einige grundlegende Probleme auf:

  1. Inhalt und Form: Das klassische Strategieverständnis verkürzt Strategie auf inhaltliche Entscheidungen wie - Wo wollen wir hin? - und übersieht dabei, dass im Rahmen einer Strategieentwicklung zahlreiche, mindestens ebenso wichtige Entscheidungen zur "Form" der Strategiearbeit getroffen werden – Wie gehen wir bei der Strategieentwicklung vor? Wer wird wann wo wie wofür eingebunden? Der klassische Top-Down-Ansatz ist in diesem Sinn nur eine von mehreren Formen der Strategieentwicklung und mit Sicherheit nicht die wirkungsvollste.
  2. Entwicklung und Umsetzung: Das klassische Strategieverständnis trennt Strategieentwicklung und Strategieumsetzung. Das Top-Management legt, zumeist gemeinsam mit Strategieberatern, die Strategie fest, "der Rest" der Belegschaft setzt sie dann um. "Oben" wird entschieden, "unten" realisiert. Oder auch nicht, was übrigens der Normalfall ist. Die üblichen Erklärungen und Schuldzuweisungen sind jedem Manager bestens vertraut: Das Top-Management beklagt sich über die Führungskräfte, welche die neue Strategie "nicht richtig nach unten verkauft haben" und/oder über die "unmotivierten Mitarbeiter", die dem neuesten Geniestreich von oben nicht freudentaumelnd Leben einhauchen, während die Belegschaft darüber sinniert, was den scheinbar weltfremden und abgehobenen Managern "im Wolkenkuckucksheim jetzt schon wieder eingefallen ist". Was jedoch nicht gesehen wird, ist der Umstand, dass ein auf dieser Trennung beruhender Ansatz aufgrund der eingebauten Probleme, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen werden, grundsätzlich nicht nachhaltig funktionieren kann. Guter Wille hin oder her.
  3. Flexibilität und Schnelligkeit: Je häufiger und schneller sich wichtige Marktbedingungen ändern, desto höher ist die Anforderung an die Unternehmen, ihre Strategien, schnell an die veränderten Bedingungen anzupassen. Die übliche Form der Strategiearbeit kann das schlicht nicht leisten, sie ist dafür viel zu langsam und behäbig, egal ob sich das Top-Management jährlich, halbjährlich oder vierteljährlich zu Strategieworkshops zurückzieht. Und vor allem: sie ist zuwenig nah dran an denen, die am engsten mit dem Geschäft und den Kunden verbunden sind. Die unteren Managementebenen und die MitarbeiterInnen. Diese sehen Änderungsnotwendigkeiten naturgemäß schon viel früher als die Unternehmensspitze.
  4. Commitment und Energie der Mitarbeiter: Mehr denn je verlangen komplexe Abläufe und Aufgaben das "Herz und Hirn" der Mitarbeiter, und mehr denn je ist der Anteil von Herz und Hirn, den Mitarbeiter investieren, abhängig davon, ob sie strategische Entscheidungen nachvollziehen können und ob sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen in den strategischen Entscheidungen wieder finden.

Gefangene der eigenen Strategie

Inhaltlich können die auf diese "klassische Art" entstandenen und festgelegten Strategien für das Unternehmen sogar passend und von Erfolg gekrönt sein. Doch ihre Form – die Art und Weise, wie eine Organisation zu diesen Strategien kommt– erschwert oder verhindert unserer Erfahrung nach schnelle und flexible Veränderungen der Strategie und ihre Umsetzung. Warum ist dem so? Vereinfacht gesagt bewirkt dieser klassische Strategie-Ansatz:

  • Einige wenige Personen an der Unternehmensspitze denken über Strategie nach – der Rest des Unternehmens erlebt sich als passiver Zuschauer, lehnt sich zurück und wartet auf die "Verlautbarungen" von oben. Damit bleibt ein Großteil der "Weisheit des Systems" samt wichtiger Inputs und Blickwinkel der unteren, marktnäheren Funktionen ungenutzt. Damit einher geht die implizite – und abwertende – Botschaft: "Das brauchen wir alles nicht für unsere Entscheidung. Wir haben schließlich den Weitblick".
  • Die Top-Manager legen auf Basis ihrer Überlegungen die Strategie für die nächsten Jahre fest – die zugrundliegenden Annahmen und Informationen, auf denen diese Überlegungen und Entscheidungen fußen, sind aber diesem kleinen Kreis "Eingeweihter" vorbehalten. Sie werden bei der "Verlautbarung" der Strategie nicht oder höchstens in homöopathischen Dosen mitkommuniziert. Daher können die strategischen Entscheidungen von der restlichen Belegschaft in aller Regel nur schwer nachvollzogen und verstanden, höchstens "akzeptiert" werden. Die für Energie und Motivation entscheidende Frage "Warum hat sich Vorstand für diese Richtung entschieden, warum so und nicht anders?" bleibt unbeantwortet – sie muss es bei dieser Form der Strategiearbeit sogar bleiben. Es ist schlicht unmöglich, den vollständigen Inhalt – und Hintergrund - einer Strategie über klassische Kommunikationsmedien so zu transportieren und "rüberzubringen", dass "Herzblut" entsteht. Die Konsequenz ist: Für den Rest der Organisation bleibt unklar, auf Basis welcher Informationen die zugrundeliegenden Entscheidungen zustande kamen, d.h. worauf geschaut und worauf nicht geschaut wurde, welche Informationen und Daten in die Überlegungen einbezogen und als relevant oder nicht relevant betrachtet wurden und nach welchen Kriterien letztlich entschieden wurde, genau diese Richtung einzuschlagen. Damit fehlt die wichtigste Zutat für den Erfolg der Strategie: "Glaube" an die Strategie, innere Überzeugung und Commitment der Mitarbeiter.
  • Strategien, die mit viel "Pomp und Trara" bekannt gemacht werden (um ihnen den "nötigen Nachdruck" zu geben), lassen sich auch nur mehr schwer ändern, geschweige denn zurücknehmen. Anderslautende Erfahrungen und Blickwinkel von Führungskräften und Mitarbeitern – die bei dieser Top-Down-Vorgangsweise klarerweise frühestens nach der Verlautbarung geäußert werden können - werden noch dazu vom Top-Management schnell als persönliche Kritik und Bedrohung erlebt und daher typischer Weise abgeblockt und pauschal abgewertet: "Es gibt halt immer welche, denen das nicht passt." Oder: "Das ist der typische Widerstand gegen Veränderungen". Kommt es in der Folge zu Problemen bei der Umsetzung, werden diese wie gesagt bevorzugt "schwachen Führungskräften" oder "unmotivierten Mitarbeitern" zugerechnet, aber so gut wie nie mit dem Ablauf und der Form des Strategieentwicklungsprozesses selbst in Verbindung gebracht. Systembedingte Probleme werden personalisiert.
    Je stärker Strategien durch diese Vorgangsweise "in Stein gemeißelt" sind, desto schwieriger fällt es den "Verantwortlichen" naturgemäß, sie an neue Gegebenheiten anzupassen . Zu einem Abgehen vom festgelegten Kurs kommt es daher erst bei bereits massiven Problemen, somit spät und sehr langsam, da der nächste Strategieentwicklungsprozess ja wieder das übliche "Top-Down"-Stufenkonzept durchlaufen muss. Gerade in den nicht beschrittenen Seitenstrassen, Sackgassen, Suchprozessen und Irrtümern läge zwar ein ungeheures Potential, eine Art "Genpool an möglichen Strategien", doch der kann eben nur dann genützt werden, wenn innerhalb der Strategie auch ein gewisser Freiraum zum Experimentieren vorhanden ist, um der Gefahr der Strategie-Monokultur entgegenzuwirken.
  • Verändern sich die Rahmenbedingungen immer schneller, schlägt das Pendel beim Versuch, die Nachteile dieses Ansatzes zu kompensieren, häufig in die Gegenrichtung aus: ein Strategiewechsel jagt den nächsten, wodurch jede Chance zunichte gemacht wird, dass eine Strategie überhaupt Wirkung erzielt, bevor sie von der nächsten Welle überrollt wird. Ein in neoliberalen Zeiten häufiges Phänomen.

Aus systemtheoretischer Sicht sind Organisationen Kommunikationssysteme, deren zentrale Elemente nicht Personen sind, etwa Manager und Mitarbeiter, sondern die Kommunikationsakte, die diese Personen der Organisation zur Verfügung stellen, damit die Kernaufgabe – die Herstellung von Produkten oder Dienstleistungen – erfüllt werden kann . Daraus folgt: Nicht die einzelnen Menschen, sondern die Neugestaltung der Kommunikation ist der zentrale Motor und Angelpunkt jeder Veränderung. Anders gesagt: Verändert sich die Form der Kommunikation, verändert sich die Organisation. Legt man dieses Bild auf Strategie um, heißt das im Fall des klassischen Top-Down-Ansatzes, dass Kommunikation hier folgendermaßen organisiert ist: Einige wenige Funktionsträger (der Vorstand, die Geschäftsführung, evtl. erste Berichtsebene) tauschen sich in speziellen Kommunikationsforen (Strategieworkshops) über ihre strategischen Überlegungen aus, vielleicht angereichert mit Infos von externen oder internen Experten. Dann kommunizieren sie einen kleinen Ausschnitt dieser Kommunikationsleistung – die Entscheidungen, die festgelegte Strategie – an die Mitarbeiter und handeln sich mit dieser Form eine Reihe von bereits oben angesprochenen Problemen bei der Strategieentwicklung ein: Langsamkeit, mangelnde Flexibilität, Schwierigkeiten in der Umsetzung. Und vor allem: fehlendes Commitment, da für das Verstehen und Identifizieren mit der Strategie wesentliche Informationen und Emotionen nicht ohne Dialog transportierbar sind.

Wie hält man Strategieentwicklung beweglich?

Es drängt sich die Frage auf: Wie könnte es anders gehen? Was genau meinen wir daher, wenn wir davon sprechen, sich als Unternehmen so zu organisieren, d.h. Kommunikation so zu gestalten, dass man seine Strategien systematisch hinterfragen und bei Bedarf schnell und flexibel verändern kann? Das Leitbild einer solchen flexiblen und reaktionsfähigen Organisation ist unserer Meinung nach "der Schwarm". Der Schwarm funktioniert nicht durch hierarchische Anweisungen von oben, sondern dadurch, dass sich jedes Individuum mittels einfacher Regeln in das Ganze einfügt und diese gemeinsame Interaktion das Ganze in dauernder Bewegung hält. Strategisch gesehen: Schwarmqualitäten zu erwerben setzt für uns im Kern folgende Änderungen im Verständnis von Strategiearbeit voraus:

  1. Zum einen verstehen wir Strategieentwicklung nicht als periodisch wiederkehrendes Ereignis, sondern als einen kontinuierlichen Prozess, der vom Management daher auch bewusst organisiert werden muss.
  2. Zum zweiten ist diese Form von Strategiearbeit ein Prozess, bei dem nicht nur eine kleine Gruppe von Managern, sondern wie bereits angedeutet die gesamte Organisation gefordert ist, wachsam zu sein, die wichtigen Umwelten zu beobachten, dabei laufend relevante Informationen zu generieren und diese dann - in unterschiedlichen Formen - zur Verfügung zu stellen, wodurch die Entscheidungsbasis enorm bereichert wird.
  3. Zum dritten plädieren wir dafür, die übliche zeitliche und personelle Trennung zwischen Strategieentwicklung (durch die obersten Führungskräfte plus Experten) und Strategieimplementierung (durch die Führungsmannschaft und Mitarbeiter) aufzugeben, sondern Strategiearbeit als simultan ablaufenden, interagierenden Prozess zu begreifen.
Ad 1: Strategie als Prozess

Eine der typischen Aussagen von Top-Managern, wenn wir ihnen unseren alternativen Zugang vorstellen, ist: "Heißt das, dass jetzt die Mitarbeiter die Strategieentscheidungen treffen sollen?" Die klare Antwort: Nein, das heißt es nicht. Die Entscheidung über die Unternehmensstrategie liegt auch bei unserem Ansatz nach wie vor beim Management. Doch das ist gar nicht der entscheidende Punkt. Viel wichtiger ist das Bewusstsein der Top-Manager, dass die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Strategie nur eine von vielen wichtigen Entscheidungen im Verlauf eines Strategieprozesses ist. Ebenso wichtig sind die zahlreichen Entscheidungen zu Fragen, die "die Form" des Strategieprozesses betreffen, zum Beispiel: Wie gestalten wir den Strategieprozess so, dass wir als Organisation flexibel und schnell auf veränderten Bedingungen reagieren können, statt uns selbst zu behindern?

  • Wann müssen wir dazu in welcher Phase welche Funktionen bzw. Funktionsträger mit einbeziehen, um nicht Gefahr zu laufen, wichtige Erfahrungen und Perspektiven zu übersehen?
  • Welche Entscheidungen müssen wir uns als Top-Manager selbst vorbehalten und was kann und soll in diesem Prozess von anderen entschieden werden?
  • Wie kommuniziere ich mit Mitarbeitern, so dass Sie mit Herz und Verstand bei der Sache sind und über den Tellerrand ihrer Jobbeschreibung hinausschauen?

Hier geht es um die wichtige Unterscheidung von "Form" der Strategieentwicklung und "Inhalt" der Strategien. Das traditionelle Rollenverständnis legt Top-Managern nahe, dass es ihre Aufgabe sei, "im Vollbesitz der an der Spitze zusammenlaufenden Informationen quasi allwissend sagen zu können, wo es lang geht und das Unternehmen in die richtige Richtung zu steuern." Ein anderes Rollenverständnis weist Top-Managern hingegen eher die Aufgabe zu, "zu wissen, wo man hinschauen muss", d.h. die Aufmerksamkeit der Organisation bewusst so zu lenken und die notwendigen Kommunikationsleistungen gekonnt so zu steuern, dass vielfältige Informationen generiert, verarbeitet und berücksichtigt werden können. Natürlich gehört es auch zu ihren Aufgaben, "große Richtungsentscheidungen" zu treffen, nur ist das allenfalls ein Teilaspekt in einem wesentlich umfassenderen Strategieprozess, dessen konkrete Ausgestaltung stark vom jeweiligen Strategieverständnis abhängig ist.

Ad 2: Strategie als Prozess der gesamten Organisation

Eine ebenfalls häufig von Managern geäußerte Befürchtung lautet: "Wir können doch nicht ständig alle Mitarbeiter einbinden und mitreden lassen." Diese Befürchtung ist verständlich, doch unbegründet. Denn es geht nicht darum, "ständig alle Mitarbeiter zu beteiligen", also keine Beteiligung als Selbstzweck, sondern darum, Prozesse so zu gestalten, dass die "wichtigen Funktionen" an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit eingebunden werden, um das in der Organisation vorhandene Wissen bestmöglich nutzbar zu machen.

Die Leitfrage ist: Wie gelingt es, eine Vielzahl von Ideen, Vorstellungen und Perspektiven zu einer gemeinsamen Ausrichtung zu bündeln und dabei gemeinsames Commitment zu erzeugen? Darüber zu entscheiden, ist hier die wesentliche Topmanagement-Aufgabe. Machen wir den Unterschied, den wir hier verdeutlichen wollen, an einem konkreten Beispiel fest. Auch in klassischen Strategieprozessen werden Mitarbeiter insofern "eingebunden", als hinzugezogene Strategieberater Mitarbeiter häufig mittels Befragungen als Informationsquelle nutzen, um Daten und Informationen zu sammeln, die dann aber von den Beratern interpretiert und aufbereitet werden.

Setzt hingegen die Steuerungsgruppe ein Team von Mitarbeitern ein - einen "Mikrokosmos" , der je nach Fragestellung gemischt und quer durch die Hierarchien und Funktionsbereiche zusammen gesetzt wird - dann werden die Mitarbeiter zu aktiv handelnden Personen: Sie selbst beobachten, tragen Infos zusammen (u.a. auch Studien von Beratern), analysieren und bewerten diese, erarbeiten Konzepte und Vorschläge und präsentieren diese in geeigneten Kommunikationsforen (z.b. in einer Führungskonferenz). Bei diesem Vorgehen kommt es im Unternehmen nicht nur zur aktiven Nutzung und Einbeziehung der an vielen Orten vorhandenen Erfahrungen und strategischen Überlegungen, die nun durch die beteiligten Führungskräfte und Mitarbeiter einfließen, sondern es passiert vor allem eines: eine breitflächige Auseinandersetzung mit strategischen Fragestellungen, mit denen sich die Mitarbeiter hochgradig identifizieren und für die sie sich daher auch wesentlich mehr engagieren. Schließlich waren sie selbst daran aktiv beteiligt.

Der Punkt ist: Es macht einen gewaltigen Unterschied für die Haltung, das Engagement und das Commitment der Mitarbeiter, ob das Management diese Fragen „irgendeinem“ Berater oder Marktforschungsinstitut vorlegt, das dann die Mitarbeiter befragt, oder ob man eine Gruppe eigener Mitarbeiter als "Forscherteam" einsetzt und beauftragt, das zu erheben, zu verdichten, zu analysieren, Folgerungen und Vorschläge zu entwickeln und diese zu präsentieren. Denn dann sind das "ihre eigenen" Beobachtungen, Schlussfolgerungen und Vorschläge und nicht irgendetwas von oben oder außen "Vorgesetztes". Sie sind eingebunden und beteiligt und plötzlich ist die Strategie nichts fernab Entwickeltes, kaum Nachvollziehbares, sondern etwas, an dem man selbst mitgewirkt, mitgedacht und sich aktiv auseinandergesetzt hat. Energetisch ein völlig anderer Zustand.

Ad 3: Entwicklung und Implementierung als Einheit sehen

Dieses veränderte Strategieverständnis bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Rollenverständnis des Managements: Es obliegt ihm eben nicht nur die Letztentscheidung über die eingeschlagene Richtung, sondern auch die Steuerung des Weges, auf dem verschiedene Optionen unter immer wieder zu entscheidender Einbeziehung wechselnder Mitspieler und Funktionsträger entdeckt, analysiert, weiterverfolgt oder vorerst zurückgestellt werden.
Dabei geht es um Fragen wie: An welcher Stelle des Prozesses tun wir gut daran, den Prozess "zu öffnen", um neue Informationen und Blickwinkel zu erhalten? Wann sollten wir den Prozess verengen, damit das Ganze nicht auseinanderdriftet und zu komplex wird? Auf Ebene des Mittelmanagements und der Mitarbeiter wiederum weben sich die strategischen Überlegungen durch ihre Einbindung auf vielfältige Art und Weise in den Alltag hinein. Das "Umsetzungsproblem" verschwindet.

Klassische Strategieentwicklung vs. Strategieentwicklung aus eigener Kraft

Die nachfolgende Tabelle stellt die wichtigsten Unterschiede zwischen klassischem Strategiemodell und "Strategieentwicklung aus eigener Kraft"  stichwortartig gegenüber.

klassisch/ vorherrschend aus eigener Kraft
Ziel
  • Wettbewerbsposition stärken
  • Unterscheidbarkeit in Außenwahrnehmung verbessern
  • Wettbewerbsposition stärken
  • Unterscheidbarkeit in Außenwahrnehmung verbessern
  • Fokus
  • Zukunft vorhersagen und darauf Pläne aufbauen
  • Schlüssiges, konsistentes, widerspruchsfreies Strategiekonzept
  • Beweglichkeit der Organisation erhöhen
  • Energie und Commitment aller Führungskräfte und Mitarbeiter
  • Kerntätigkeit
  • Umfelder des Unternehmens analysieren und Inhalt der Strategie konzipieren
  • Ständiger aktiver Austausch über relevante Entwicklungen der Organisation und ihrer Umwelten
  • Rolle von Führung:
    oberste Leitung
  • Oberste Leitung (und externe Strategieberater) entwickeln
  • Oberes Management verkündet und kontrolliert Erfolg der Strategie
  • Oberste Leitung entscheidet die Form der Strategieentwicklung.
  • Bringt Expertise ein und hält das Ganze im Blick
  • Trifft, wenn nötig, Richtungsentscheidungen
  • mittleres, unteres Management und Experten
  • Inhalt der Strategie verstehen und herunter brechen
  • Umsetzung kontrollieren
  • Führungskräfte und Experten aller Unternehmensteile und -ebenen übernehmen von Anfang an Mitverantwortung für Inhalt der Strategie
  • Rolle der Berater
  • Grundlage für Inhalt der Strategie zur Verfügung stellen („Inhaltliche Expertise“)
  • Sparringspartner für Führung
  • Außenperspektive einbringen
  • Form für Strategieprozess zur Verfügung stellen („Prozess Expertise“)
  • Sparringspartner für Führung
  • Außenperspektive organisieren
  • Form:
    sozial
  • Inhalt der Strategie wird oben (und von Beratern) entwickelt
  • Zentrales Disksussionsforum: Vorstandmeetings, bzw.- Workshops mit Beratern
  • Alle haben Einfluss auf den Inhalt der Strategie durch Einbringen unterschiedlicher Perspektiven und Informationen
  • Zentrales Diskussionsforum: Mikrokosmen (unterschiedliche repräsentative Querschnittsgruppen der Organisation bis hin zu Großgruppen)
  • zeitlich
  • Hintereinander und einmalig:
  • Trennung zwischen Entwicklung des Inhalts der Strategie (oberste Leitung) und kaskadenartiger Implementierung
  • Gleichzeitig und Kontinuierlich:
  • Durch Einbindung der Führungskräfte und Experten in die Entwicklung des Inhalts der Strategie verschmelzen Entwicklung und Implementierung
  • Die Roadmap – die Vorgangsweise anhand eines konkreten Beispiels

    Resumèe

    "Strategieentwicklung aus eigener Kraft" ist:

    • ein kontinuierlicher Prozess: Management und Mitarbeiter beobachten und denken ständig mit und das (Re-)Aktionspotential wird ständig gestärkt.
    • Ressourcenbasiert: die konsequente Nutzung und gleichzeitige Weiterentwicklung und Stärkung der vorhandenen Kompetenzen und Erfahrungen
    • Ergebnisoffen: kein Prozess, um fertige Konzepte und Ziele zu legitimieren, sondern ein Prozess, in dem neue, aktuell wichtige Themen schnell aufgegriffen und bearbeitet werden können  bzw. in laufender Abstimmung unterschiedlicher Perspektiven gezielt Optionen entwickelt, überprüft und angepasst werden
    • Erweitertes Führungsverständnis: Führung bleibt in der Verantwortung, denkt aber viel mehr über "Meta-Entscheidungen" nach: Wie muss hier wann wer welche Entscheidungen treffen, damit wir unsere Strategien nachhaltigen machen und gleichzeitig schnell und flexibel anpassen können?
    • Sinnzentriert und sinnvoll: Sinn entsteht in dieser Form der Strategieentwicklung im Gehen, da viele an der Entstehung beteiligt sind und nicht mehr mühsam der Sinn von Entscheidungen im Nachhinein kommuniziert werden muss. Es entsteht Einsicht, wo sonst Unverständnis, Widerstand oder Unklarheit herrscht.

    Dass Strategien, wie Manager häufig beklagen, "unten nicht ankommen", hat wenig mit den handelnden Personen, aber viel mit der gewählten Form der Strategieentwicklung zu tun. Beginnen Manager, sich als Gestalter des Strategieprozesses zu verstehen und die hier nötigen Prozessentscheidungen genauso wichtig zu nehmen wie inhaltliche Entscheidungen, dann schaffen sie damit die Basis, Strategien künftig so flexibel und schnell anpassen zu können und wirksam werden zu lassen, wie dies heute erforderlich ist.

    Die Autoren:
    Mag. Lothar Wenzl ist geschäftsführender Gesellschafter von TRAIN Consulting, Mag. Oliver Schrader ist Partner von TRAIN Consulting

    Fußnoten:
    1) Vgl Brown, Shona L. und Eisenhardt, Kathleen M., Competing on the edge , 1998, sowie Mintzberg, Henry, Die Strategie Safari, 2007
    2) Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1997; Soziale Systeme, 1984
    3) Nahezu alle Studien über Strategien gehen davon aus, dass die Entscheidung, ob Strategien erfolgreich oder nicht erfolgreich sind, zu mehr als 80% in der Umsetzungsphase fällt und nicht an der Qualität des Strategiepapiers liegen - vgl. Porter: What is strategy?, in Harvard Business Review, S.75, 1996; et al
    4) Dannemiller, Tyson, Associates: Whole Scale Change: Unleashing the magic in organizations, 2000

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    Mag. Lothar Wenzl, Geschäftsführer TRAIN Consulting
    Mag. Oliver Schrader, Partner TRAIN Consulting