Die Roadmap

Wie Sie den Strategieprozess gestalten können, um die "Weisheit" der eigenen Organisation zu nutzen.

Lassen Sie uns die alternative Gestaltung eines Strategieprozesses anhand eines konkreten Beispiels verdeutlichen: Der Telekommunikationsmarkt ist einer dynamischsten, kurzlebigsten und am heißesten umkämpften Märkte überhaupt. Ausgangspunkt der veränderten Strategiearbeit eines großen Bereichs dieses Telekom-Unternehmens war die Vision "Kopf und Herz der Kunden zu gewinnen" als griffige Beschreibung des Ziels, in den Augen der Kunden klar führend zu sein und sie so auch langfristig als Kunden zu behalten. Gesucht war nun zweierlei: Einerseits eine konkrete Strategie, um diese Vision mit Leben zu erfüllen, andererseits aber auch eine neue Form der Strategieentwicklung, um künftig schneller auf wichtige Veränderungen im Verhalten von Kunden und Mitbewerbern aufmerksam zu werden und immer wieder flexibel darauf reagieren zu können.

Wichtig dabei: Das Topmanagement entscheidet die Form des Prozesses, also die Kommunikationsräume und –teilnehmer. Alle Führungskräfte liefern die Entscheidungsgrundlage für den Inhalt der Strategie und ihrer Implementierung. So wird die bremsende und kräfteverschleissende Trennung zwischen Entwicklung und Implementierung aufgehoben.

Strategieentwicklung aus eigener Kraft – Die Road Map

"Getting started": In einem Workshop mit dem Top-Management des Retail-Bereiches wurde die grundlegende Entscheidung getroffen, eine neue Form der Strategienentwicklung zu probieren. Dazu wurde ein Steuerungsteam mit Vertretern aus dem Top-Management, Führungskräften und Experten eingerichtet, das den folgenden Prozess steuern und organisieren sollte, d.h. wichtige Entscheidungen auf diesem Weg treffen sollte. Dazu gehörte auch die Beantwortung der Frage: Welche Blickwinkel, welche Funktionen sollten im nächsten Schritt – der Bildung einer " Forschungs- und Entwicklungsgruppe" – unbedingt repräsentiert sein?

"Creating a common View": Auf Basis der im ersten Schritt definierten Kriterien wurde ein "Mikrokosmos" zusammengestellt, eine Gruppe mit Vertretern der unterschiedlichsten Unternehmensbereiche, mit dem klaren Auftrag, alle Infos zusammenzutragen, die in Hinblick auf die Vision wichtig und hilfreich sein könnten. Um ein Gefühl für das "Situationspotenzial" zu bekommen – die in der Situation wirkenden Kräfte – wurde der „Strategieradar“ eingesetzt. Damit wurde der Blick sowohl nach außen - Wonach rufen die Welt, die gesellschaftliche Entwicklung, der Markt, unsere Kunden? - als auch nach innen gerichtet: Was können wir besonders gut? Was sind unsere Ressourcen, unsere Stärken? Beginnend mit der Auswertung bereits vorhandener Zahlen entstand eine breite Datenbasis aus Studien, Kundenbefragungen, Mystery Shopping, Flash-Interviews vor den Outlets, Mitbewerberanalysen, Mitarbeiterzufriedenheitsanalysen und –befragungen und vielem anderen mehr. Die gesammelten Daten wurden von der Forschergruppe analysiert, aufbereitet - und dann in einem Zwischenschritt wieder dem Top-Management präsentiert, um das Material gemeinsam anhand von Leitfragen wie – wo stehen wir derzeit, welche Stoßrichtungen wären grundsätzlich möglich –in erste, mögliche Szenarien und strategische Optionen zu gießen.

Instrument: das Strategieradar

"Getting comitted": Auf einer anschließenden Großveranstaltung  mit allen Führungskräften und Key Playern präsentierten Mitglieder der Forschergruppe – anstatt wie sonst üblich das  Top-Management – den Kollegen die bisherigen Ergebnisse und Überlegungen, um die Organisation entsprechend der Vision zukunftsfähig zu machen. Die Vorschläge, ebenso wie zugrundeliegenden Annahmen, wurden erneut kritisch hinterfragt, ergänzt, angereichert und geschärft: Stimmen die Annahmen, haben wir irgendwelche Optionen übersehen, was davon können wir derzeit überhaupt leisten?

"Decision making ": Keine Organisation verfügt über unbegrenzte Ressourcen, also ist es Aufgabe des Managements, eine Letztentscheidung zu treffen, aus den vorhandenen Optionen auszuwählen, Prioritäten zu setzen und die Ressourcen auf eine Stoßrichtung zu konzentrieren. Nur erfolgt diese Entscheidung diesmal auf Grundlage einer breiteren Daten- und Informationsbasis, eines intensiven Dialogs mit zahlreichen, in den einzelnen Phasen eingebundenen Mitarbeitern und eines erhöhten Bewusstseins für die aktuell vorhandenen Kompetenzen und Stärken. Durch Entscheidung Komplexität zu reduzieren heisst dann nicht mehr für viele unverständliche Dinge zu entscheiden, sondern einen klaren, nachvollziehbaren Rahmen zu setzen.

"Getting it done": Beteiligung von Mitarbeitern ist nicht gleich Beteiligung. Damit werden in der Praxis höchst verschiedene Ansätze in einen Topf geworfen, weshalb der Begriff inzwischen auch bei vielen Managern und Mitarbeitern eher unangenehme Gefühle hervorruft. Zum einen hat jeder von uns in der Vergangenheit wohl schon Situationen erlebt, wo aufgrund "ausufernder" Beteiligung Themen ewig besprochen und zerredet wurden und keineswegs automatisch zu besserer Ergebnisqualität geführt haben, eher zum Gegenteil. Zum anderen haben die meisten von uns "Beteiligung" oft auch in seiner Anwendung als Feigenblatt erlebt, bevorzugt bei Veränderungsprozessen, wo die Akzeptanz bereits getroffenen Entscheidungen und das Engagement für bestimmte Ideen mittels Schein-Beteiligung erhöht werden sollte. Nach dem Motto: "Sie dürfen zwar einen Kommentar abgeben, haben aber sonst nichts mitzureden."

Beteiligung, wie wir sie hier meinen, heißt jedoch, bewusst verschiedene Funktionen mit ihren Aufgaben, Kompetenzen und Sichtweisen als wertvolle Ressource ernst zu nehmen und als fixen Bestandteil im Prozess zu nutzen. Dadurch erhöht sich einerseits die Aufmerksamkeit und Wachsamkeit der Organisation für wichtige Veränderungen in ihren Umwelten, während gleichzeitig Strategieentwicklung und –umsetzung direkt miteinander verzahnt werden. Die Strategie entsteht aus dem Unternehmen heraus und wird für die Mitarbeiter nachvollziehbar. Strategieentwicklung aus eigener Kraft eben.

"Monitoring": Diese regelmäßigen Überprüfungen umfassen weit mehr als nur den Gegencheck, ob man noch im Plan liegt oder nicht. Durch die Arbeit mit immer wieder neu zusammengesetzten "Mikrokosmen" - kleinen Gruppen als Querschnitt durch die gesamte Organisation - wird im Lauf der Zeit nicht nur ein beträchtlicher Teil der Mitarbeiter unmittelbar in den Strategieprozess einbezogen. Diese Gruppen halten auch den Prozess lebendig, indem sie immer wieder neue Fragestellungen in den Blick der Organisation rücken. Dadurch können gezielt Themen in den Fokus der Aufmerksamkeit gebracht und bearbeitet werden, die gerade als besonders wichtig erscheinen, die aber bei der klassischen Strategiearbeit oft als nachrangig abgeblockt werden. Konkretes Beispiel: Gut eineinhalb Jahre nach Beginn des neuen Strategieentwicklungsprozesses empfahl ein "Mikrokosmos", das Thema Cross- und Up-Selling in den Blick zu nehmen, startete dafür eine kleine Forschungsphase, erarbeitete einige konkrete Instrumente, wie das Cross- und Up-Selling künftig besser funktionieren könnte und präsentierte diese Vorschläge auf der nächsten Großveranstaltung. Die ausgeteilten Unterlagen wurden rege diskutiert und bereits ab dem nächsten Tag schossen die Cross- und Up-Selling-Umsätze um bis zu 200 Prozent nach oben – und hielten dann dieses neue Niveau bis heute. Unserer Überzeugung und Erfahrung nach sind solche Umsatz- oder Ergebnissprünge nicht zu schaffen, wenn dies von oben oder außen (durch Berater) der Mannschaft "aufgetragen wird", sehr wohl aber, wenn diese Vorschläge von Kollegen kommen, die selbst daran mitgearbeitet haben. Man könnte diesen Unterschied in der Energie mit den Selbstheilungskräften eines Körpers vergleichen– am wirkungsvollsten und nachhaltigsten passiert Heilung, wenn die körpereigenen Regenerationsmechanismen ihre volle Wirkung entfalten können.

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