Theorieüberlegungen zu Beurteilungsgesprächen

In welche Richtung bewegt sich die Forschung im Bereich Leistungsbeurteilung?

Lange Zeit waren die Forscher auf der Suche nach einem Verfahren, das den Störfaktor Beurteiler und Beurteilungsprozess ausschaltet und somit ein "narrensicheres" Verfahren darstellt. Ende der 70er-Jahre zeigten sich jedoch die Grenzen eines solchen nach "Objektivität" strebenden Verfahrens.

Abschied von der "Objektivität"

Die neuere Forschungsperspektive könnte man so beschreiben:

     

  • Der Beurteiler und seine sozialpsychologischen Einflussfaktoren auf den Beurteilungsprozess werden nicht mehr als Störfaktoren betrachtet, sondern als Eigenheiten des Beurteilungsprozesses akzeptiert.
  • Der Beurteiler ist kein passiver Rezipient sozialer Stimuli, sondern aktiver Informationssammler und -verarbeiter.
  • Das "Auge" des Beurteilers sieht manche soziale Merkmale besonders scharf, andere verschwommen und einige liegen außerhalb seines Fokus.
  • Die Aufzeichnung der wahrgenommenen Informationen erfolgt darüber hinaus nicht auf einer unbespielten Kassette, sondern wird in früheren Aufzeichnungen hinzugefügt, von denen sie überlagert wird.

Typische Verzerrungseffekte

Einige der zahlreichen in der Forschung bereits ausreichend beschriebenen Urteilstendenzen sind:

     

  • Der Halo-Effekt: ein (positives) Merkmal überstrahlt ein zweites unabhängiges Merkmal.
  • Der Mistgabel-Effekt: ein negatives Merkmal überstrahlt ein zweites unabhängiges Merkmal.
  • Der Vorrang-Effekt: zeitlich früher gewonnene Informationen überlagern später hinzugekommenen Informationen.
  • Der Neuheits-Effekt: kürzlich gewonnene Informationen werden bei der Eindrucksbildung stärker berücksichtigt.
  • Der Kleber-Effekt: ein längere Zeit nicht beförderter Mitarbeiter wird eher unterschätzt.
  • Der Hierarchie-Effekt: hierarchisch höhereingestufte Mitarbeiter werden eher besser eingeschätzt.
  • Der Kontakt-Effekt: Beurteilungen fallen umso positiver aus, je häufiger der Beurteiler mit dem Beurteilten Kontakt hatte.
  • Der Maßstabfehler: die Orientierung am eigenen Anspruchsniveau führt zu Verzerrungen.

Anders gesagt: Urteile im Rahmen der Personalbeurteilung und damit Urteile über das Leistungsverhalten von Mitarbeitern sind immer durch die Wahrnehmung des Beurteilers "verzerrt". Umso entscheidender ist es für Führungskräfte, sich dieser Effekte bewusst zu sein.

Typische Inhalte eines Beurteilungsgesprächs sind:

     

  • Persönlichkeit, Eigenschaften (Initiative, Kreativität... sind nicht direkt beobachtbar)
  • Verhaltensbewertung
  • Ergebnisbewertung

All diesen Inhalten gemeinsam ist der stark personalisierende Charakter: Die Leistung wird der einzelnen Person zugerechnet, situative Variablen bleiben außen vor. Dr. Günter Lueger, Autor des Buchs "Die Bedeutung der Wahrnehmung bei der Personalbeurteilung" spricht denn auch davon, dass die derzeit praktizierte Form der Personalbeurteilung eine "Institution der Sündenbocksuche" darstellt.

Ein zusätzliches Problem sind die zugrunde gelegten Kriterien und Skalen. Wann ist Leistung übererfüllt, erfüllt, unterfüllt? Woran können die Beteiligten das erkennen?

MbO-Systeme

Im Rahmen des MbO, Management by Objectives, werden Vereinbarungen von Leistungszielen und Verantwortungsbereichen zwischen Mitgliedern zweier hierarchischer Ebenen getroffen, wobei auf allen Führungsebenen operationalisierbare Ziele vereinbart werden, sodass sich ein System von Ober-, Unter, Haupt- und Nebenzielen ergibt. Der Kerngedanke des Verfahrens liegt dabei in der Messung der Effektivität einer Person im Sinnes ihres Beitrags zur Erreichung der Ziele der Organisation. Dabei stehen folgende Schritte im Mittelpunkt:

     

  • Der erste Schritt besteht in der Bestimmung der Ziele einer Periode für ein Individuum (bzw. Gruppe), womit zum einen der erwartete Leistungsbeitrag des Stelleninhabers festgelegt und zum anderen über die gesetzten Ziele Kriterien für die Beurteilung geschaffen werden. Die Ziele sollen dabei zwei Anforderungen erfüllen:
    a) Eindeutigkeit: Ihr Inhalt soll von allen Beteiligten gleich verstanden werden und der Interpretationsspielraum durch möglichst viele objektive Messzahlen eingeschränkt werden
    b) richtiger Schwierigkeitsgrad: Motivation und Persönlichkeitsentwicklung des Mitarbeiters sollen einbezogen werden.
  • Nach Ablauf der Periode wird eine Beurteilung des Leistungsergebnisses sowohl vom Mitarbeiter als auch vom Vorgesetzten vorgenommen und im Rahmen des Beurteilungsgespräches diskutiert, wobei Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt und die Richtung für den erneuten Zielbildungsprozess festgelegt werden.
  • In einem dritten Schritt zeigt der Vorgesetzte Verbesserungs- und Entwicklungsmöglichkeiten auf und legt zusammen mit dem Mitarbeiter die Ziele für die neue Leistungsperiode fest.

Zu den zahlreichen Problemen der Leistungsbeurteilung siehe auch: Schwerpunktthema im Leaders Report 09/2007

Quelle: Günter Lueger: "Die Bedeutung der Wahrnehmung bei der Personalbeurteilung", S 52f; Rainer Hampp Verlag, München, 1993

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