Krisenszenarien entwickeln und entscheiden

Ist die grundlegende Entscheidung, mit einer Krise konfrontiert zu sein, einmal getroffen, ist es nötig, sich im Management auf ein bestimmtes Szenario festzulegen, auf dessen Grundlage dann die nötigen Aktionen geplant werden.

Die klare Entscheidung für ein bestimmtes Szenario hat den großen Vorteil, nicht ständig aufs Neue über die Ausgangsprämissen zu diskutieren und damit die Aktionsplanung und –umsetzung zu verzögern. Gerade in der Krise, die immer mit Zeitdruck zu tun hat, ist rasches Entscheiden bei hoher Ungewissheit wichtig. Gleichzeitig braucht es die Bereitschaft, diese Entscheidung, falls dies aufgrund neuer Entwicklungen erforderlich ist, nach kurzer Zeit auch wieder zu ändern.

Die Frage nach Szenarien für die Gesamtwirtschaft oder der Gesellschaft überhaupt sind für Manager im Allgemeinen schwer zu beantworten. Hier hilft es, auf die Arbeiten und Ansätze von Wissenschaftlern und Zukunftsforschern zuzugreifen. Ein nützliches Hilfsmittel zur Abschätzung der Entwicklung des gesamten Wirtschaftssystems ist ein von Matthias Horx vom deutschen "Zukunftsinstitut" entwickeltes Modell von 4 möglichen Szenarien für das Jahr 2013 anhand der beiden Koordinaten:

  • Optimismus versus Pessimismus bezüglich der Entwicklung der Weltwirtschaft bis 2013,
  • Zunahme der Regulierung versus Zunahme der Deregulierung bis 2013.

Leitfragen dafür sind:

  • Was halten Sie für das wahrscheinlichste Szenario?
  • Mit was für Auswirkungen rechen Sie bei diesem  Szenario?
  • Worauf soll/kann man sich vorbereiten?

Im Fall der Unternehmensgruppe Pfeiffer lautete die Überzeugung von Management und Eigentümer bei ihrem Strategieworkshop im Herbst 2008 sinngemäß: "Unser Unternehmen ist bereits 146 Jahre alt. Wir haben zwei Weltkriege überlebt, die Zeit nach dem Krieg ohne Geld der Banken überstanden und zahlreiche weitere Krisen erfolgreich gemeistert. Den Lebensmittelhandel trifft das nicht so stark, ein in der Größenordnung  erwartbarer Umsatzrückgang wäre zwar nicht erfreulich, aber keine existenzielle Krise." Doch obwohl nach wie vor die Überzeugung herrscht, dass die Krise das eigene Unternehmen nicht besonders stark treffen wird, gibt es inzwischen – nach einer Auseinandersetzung mit dem Thema in dieser Strategieklausur - ein hohes "Krisenbewusstsein". Die intensive Auseinandersetzung mit dem "Neuwaldegger Krisenbrett" und der vom deutschen "Zukunftsinstitut" entwickelten Szenarioanalyse für das Jahr 2013 führten zu der Entscheidung, ein Frühwarnsystem zu etablieren. Die einzelnen Geschäftsführer aus der Holding und den Tochterunternehmen verfolgen permanent jeweils spezifische interne und externe sowie "harte" und "weiche" Entwicklungen. Im Rahmen der monatlich stattfindenden Geschäftsführerrunde werden die Beobachtungen ausgetauscht und anschließend gemeinsam entschieden, wie die "Krisenampel" gestellt werden soll: rot: Krise ist da, gelb: Vorsicht Handlungsbedarf, grün: keine Krise.

Auch beim Kranhersteller Palfinger AG war die dominierende Unternehmenslogik lange Zeit, dass eine mögliche Krise nicht allzu radikale Folgen haben werde. Als Weltmarktführer sei man bestens aufgestellt und fit genug, um auch starkem Gegenwind zu trotzen. Erste Warnsignale wie das bereits 2007 vom US Area Management berichtete Aufschaukeln der Immobilienkrise in den USA waren anfänglich "zu schwach", um das Gesamtsystem ausreichend zu irritieren. Obwohl die dominierende Seuerungslogik im Unternehmen  sehr an Informationen von relevanten Umwelten orientiert war und  bereits viele "Reflexionsräume" und schnelle Entscheidungswege vorhanden waren, brauchte es dennoch einige Zeit, bis sich die nur als schwache Signale wahrgenommenen Krisenindikatoren ihren Weg ins Unternehmensbewusstsein bahnen konnten. Auch in diesem Fall galt es daher, im System zuerst einmal irritierende Aktionen (Verdichtung der Kommunikation, Verstärkung der gemeinsamen Reflexion und Aufbau von Entscheidungsdruck) zu setzen.  Dies geschah  wesentlich im Rahmen des monatlichen Strategieteams (zusammengesetzt aus Vorstand und mehreren Aufsichtsratsmitgliedern). Dazu dienten neben dem verstärkten Hereinholen unterschiedlichster Informationen (Factfinding) auch der Blick auf den bisherigen Lebensweg, vor allem die Erinnerung an eine existenzbedrohende Krise in den 1970-er Jahren. Die intensive Diskussion möglicher Auswirkungen der Bankenkrise auf die Liquidität der Kunden und Lieferanten, aber auch die eigene Liquidität, der dramatische Rückgang der Auftragseingänge und viele andere Informationen aus Umwelten führten zu einem gesteigerten Krisenbewusstsein. Als Ausgangspunkt für die Strategie und Aktionsplanung konnte man sich auf ein Unternehmensszenario einigen. Auf dieser Grundlage  wurden wichtige Steuerungsentscheidungen (wie wird das Unternehmen in der Krise gesteuert, was ist der Unterschied zu sonst) getroffen und die Planung und Umsetzung entsprechender Aktionen eingeleitet, statt einfach den eingeschlagenen Weg beizubehalten.

Wichtig zu betonen ist hier nochmals der Unterschied zwischen System und Person. Ist hier die Rede davon, dass das System an der dominierenden Logik festhält und mögliche Krisensymptome nicht erkennt oder ausblendet, heißt das also keineswegs, dass nicht einzelne Personen – seien das nun Vorstände oder andere Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Eigentümer, Betriebsrat, Gewerkschaften, Analysten – frühzeitig Bedrohungen wahrnehmen und sich darüber Gedanken machen und mit Kollegen austauschen. Nur heißt das eben noch lange nicht, dass dieses Bewusstsein deswegen auf Systemebene verankert ist. Erst wenn es durch gezielte irritierende Aktionen gelingt, genügend Energie zu mobilisieren und ausreichend Bedrohungspotenzial aufzubauen, kommt es zu neuen Steuerungsentscheidungen, –prozessen und -systemen, dem Überdenken der Strategie, der Planung und schließlich der Durchführung neuer Aktionen.

Weiter zu: Aktionen in der Krise planen und umsetzen

Autoren: Exner, Exner, Hochreiter: "Selbststeuerung in Unternehmen", Campus Verlag 2009

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