Bewusstsein für die Krise schaffen

Wie schaffen Sie es als Manager, im Unternehmen auf breiter Basis das nötige "Krisenbewusstsein zu erzeugen", um sich auf eine drohende Krise frühzeitig vorzubereiten? Denn selbst wenn in den Medien tagtäglich von einer "globalen Krise" die Rede ist, heißt das noch lange nicht, dass sich deswegen gleich jedes Unternehmen von der Krise unmittelbar betroffen fühlt. Im Gegenteil.

Bis ins Frühjahr 2008 betrachteten viele Manager in Europa die Krise am US-Immobilienmarkt vor allem als amerikanisches Problem. Selbst nachdem ab Spätsommer 2008 angesichts der Lehman-Pleite und der Rettungskationen für die Immobilienhypothekenfinanzierer Fanny May und Fanny Mac sowie den Versicherungsriesen AIG erste Schockwellen durch das globale Finanzsystem jagten, herrschte in den meisten Unternehmen die Einschätzung vor "Das betrifft uns nicht – und wenn - dann höchstens am Rande". Auch wenn inzwischen viele Unternehmen ihre Einschätzung revidiert haben, zeigt dies doch einmal mehr: Unternehmen als "selbstgesteuerte Systeme" agieren auf Basis ihrer eingefahrenen Muster. Selbst wenn Sie persönlich als Manager schon längere Zeit dunkle Wolken am Horizont sehen, ein mulmiges Gefühl im Magen verspüren oder ähnlich einem Bodyguard, der ständig aufmerksam die Umgebung beobachtet, frühzeitig "die Gefahr wittern", bedeutet das noch lange nicht, dass das auch vom Unternehmen so wahrgenommen wird. Erst wenn es gelingt, Aktionen zu setzen, die das System genügend irritieren und ein breites Bewusstsein dafür schaffen, dass das Unternehmen in eine große Krise steuert und existenziell bedroht sein könnte, wenn es weitermacht wie bisher, entsteht ausreichend Bereitschaft und Energie zu Musterwechseln.

Gerade dann, wenn die Krise noch nicht genau greifbar ist, also noch als Gefahr erlebt wird, erleben sich Manager, die besonders sensibel auf "schwache Signale" reagieren, häufig als die sprichwörtlichen "Rufer in der Wüste", die kein oder nicht ausreichend Gehör finden. Sind diese schwachen Signale aber erst einmal stark genug und durch harte Fakten und Zahlen untermauert, dann ist bereits Feuer am Dach, Hektik bricht aus, der Zeitdruck ist enorm und Aktionitis verdrängt durchdachtes Vorgehen. Um dies zu vermeiden, bedarf es wirkungsvoller Interventionen, die das Unternehmen dazu bewegen, sich möglichst frühzeitig auf die drohende Krise vorzubereiten. Es geht also für das Unternehmen darum, aus dem Erleben einer Gefahr möglichst schnell in den Modus "Umgang mit Risiko" zu wechseln. Wie aber kann man sich das konkret vorstellen? Eine bewährte Vorgangsweise, um mit schwierigen Situationen chancenreicher umzugehen, wird in dem Buch "Selbststeuerung von Unternehmen" (Exner, Exner, Hochreiter, 2009) beschrieben.

1.Schritt: Erkennen der dominierenden Muster

Am Beginn steht der Blick aus der Bobachterperspektive auf Ihr Unternehmen, um die vorherrschenden Muster der Selbststeuerung besser zu erkennen. Im speziellen gilt es, Antworten auf Fragen zu finden wie: Waren wir als Unternehmen überhaupt schon einmal mit einer Krise konfrontiert? Wenn ja, wann sahen wir uns in unserer bisherigen Unternehmensgeschichte mit Krisen konfrontiert? Wann und wie und von wem wurde diese Situation erkannt? Was wurde als Krise bezeichnet und was nicht? Wie sind wir damit umgegangen? Wie "tickt" das Unternehmen also in Bezug auf Krisenerkennung und Krisenbewältigung? (zu diesem Schritt siehe die früheren Beiträge über "Unternehmensidentität" und "Lebensweg" im Leaders Update 03/2009).

2.Schritt: Bewusstsein schaffen, Entscheidung herbeiführen

Am Beginn steht die Frage: Wie bringe ich das Thema Krise überhaupt ins System hinein? Wie schaffe ich das nötige Bewusstsein, die erforderliche Aufmerksamkeit für die mögliche Bedrohung? Das ist angesichts des erwartbaren Widerstands des Systems durchaus keine Selbstverständlichkeit. Gelingt es, dieses Bewusstsein zu erzeugen, geht es im nächsten Schritt darum, als Unternehmen zu der klaren Entscheidung zu kommen, es tatsächlich mit einer potenziell bedrohlichen Krise zu tun zu haben. Denn erst mit der bewussten Entscheidung "Ja, wir sind als Unternehmen mit einer Krise konfrontiert" wird die Krise samt ihren möglichen Auswirkungen und den daher nötigen Gegenmaßnahmen vom System ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und mit der nötigen Priorität versehen. Selbst wenn die Entscheidung lautet "Nein, wir werden von einer allfälligen Krise nicht erfasst werden", kann die durch bestimmte Aktionen provozierte Auseinandersetzung mit dem Thema dazu führen, im Unternehmen ein gezieltes Krisen-Monitoring aufzubauen, um angesichts neuer Entwicklungen die aktuelle Entscheidung gegebenenfalls schnell revidieren zu können.

Natürlich drängt sich angesichts der derzeitigen, globalen Krisenstimmung die Frage auf: Ist die Krise nicht offensichtlich? Die Antwort ist: Nein keineswegs! Zum einen sind (zumindest derzeit) nicht alle Branchen gleich betroffen – in manchen Branchen herrscht sogar eine richtiggehende "Goldgräberstimmung" vor, etwa in manchen Teilbereichen alternativer Energieerzeugung, zum anderen wähnen sich viele Unternehmen angesichts der zahlreichen, in der Vergangenheit vorgenommenen Reorganisationsmaßnahmen "im Wettbewerb gut aufgestellt" und/oder spekulieren damit, allenfalls gestärkt aus einer etwaigen Krise hervorzugehen. Dann nämlich, wenn schwächere Konkurrenten wegbrechen und damit Marktanteile gewonnen werden können. Was aber können Sie nun konkret tun, um dieses Bewusstsein im Unternehmen zu schaffen?

Ein hilfreiches Modell ist das "Neuwaldegger Krisenbrett", das zur Einschätzung der persönlichen bzw. organisationalen Situation dient. Es setzt die Einschätzung der Krisensituation im eigenen Unternehmen in Beziehung zur wahrgenommenen Krisensituation der relevanten Umwelten. Es erweist sich immer wieder als äußerst nützliches Tool für das Bewusstmachen der Krise, indem z.B. diese Einschätzungen im Managementkreis, aber auch mit wichtigen Kunden, Lieferanten, etc. vorgenommen, diskutiert und damit thematisiert werden. Zudem hilft es, die eigene Unternehmenssituation vor dem Hintergrund verschiedener möglichen Szenarien zu reflektieren und damit wieder ein Stück weit handlungsfähig zu werden.

Leitfragen zum "Neuwaldegger Brett" sind :

1. Standortbestimmung

  • Wie hoch schätzen Sie das Bedrohungspotential für Ihr Unternehmen ein von 0-10 (0: höchste Sicherheit, 10: Totalverlust)
  • Wie hoch schätzen Sie das Bedrohungspotential für Ihre relevanten Umwelten auf einer Skala von 0-=-10 ein? (0: kein Bedrohungspotential, 10: Totalkollaps)
  • Bestimmen Sie Ihre Position in der Matrix. Wie schätzen andere die Situation ein?

2. Reflexionsfragen zur Ist-Situation

  • In welcher Situation befinde ich mich / befindet sich meine Organisation? Bestehen Differenzen zwischen dem, was ich wahrnehme und dem, was die Organisation wahrnimmt?
  • Kennen wir diese Situation bereits von früher oder ist sie neu für uns?
  • Wie würde ich mich/meine Organisation in meinem/ihrem Entscheidungs-, Handlungs-, Kommunikationsverhalten beschreiben? Wie hat sich dieses gegenüber dem Normalzustand bereits verändert?
  • Wie bedrohlich erlebe ich diese Situation? Was bräuchte es, um sie als weniger bedrohlich/noch bedrohlicher zu erleben?
  • Was gibt mir derzeit Sicherheit und Vertrauen?

3. Fragen zu Szenarien

Hier geht es bereits um die Entscheidung für ein bestimmtes Szenario, um dann auf dieser Basis Strategien und Aktionen planen zu können.

  • Was sind mögliche Zukunfts-Szenarien? Welches Szenario erscheint mir in Bezug auf die Krise am wahrscheinlichsten. Für welches entscheide ich mich? (obwohl ich weiß, dass es sich auch wieder sehr schnell ändern kann).
  • Was sind die Indikatoren für das Szenario?
    auf Unternehmensebene: z.B. Marktvolumen, Auftragseingang, Rohstoffpreise,…
    auf Ebene der Umwelten: z.B. Reaktionen der Politik (Regulierung vs. Deregulierung), wer wird gestützt, Kursentwicklungen,…

Sehr hilfreich ist, die Arbeit mit dem "Neuwaldegger Brett" gemeinsam im Führungskreis zu machen und sich ausreichend Zeit zu nehmen, die verschiedenen Informationen und Argumente auszutauschen. Dadurch wird nicht nur eine erste Standortbestimmung des eigenen Unternehmens erleichtert, man generiert auch neue Informationen im System und erhöht das Bewusstsein im Management, zu einer gemeinsamen Entscheidung in Bezug auf die Krise zu kommen und diese auch nachdrücklich zu vertreten.

Weiter zu: Krisenszenarien entwickeln und entscheiden

Autoren: Axel Exner, Hella Exner, Gerhard Hochreiter, Autoren von "Selbststeuerung in Unternehmen", Campus Verlag 2009

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