Führungswechsel - die ersten 100 Tage, Teil 2

Während im vorangegangenen Beitrag eher die organisationalen Rahmenbedingungen für den Führungswechsel beleuchtet wurden, gibt es auch auf der Ebene der Person von FührungswechslerInnen unterschiedliche Voraussetzungen..

Einstieg ist nicht gleich Einstieg

FührungswechslerInnen bringen je nach Herkunft für ihre neue Aufgabe verschiedene persönliche Gegebenheiten mit. Diese können mehr oder weniger anspruchsvoll sein. Anforderungen, Erwartungen etc. sind unterschiedlich – je nachdem, ob es sich um eine Besetzung aus den eigenen Reihen oder um einen Querwechsel oder Seiteneinstieg handelt.

Personalverantwortliche meinen, dass die Botschaft an SeiteneinsteigerInnen oder QuerwechslerInnen tendenziell stärker in Richtung Veränderung geht als dies bei Besetzungen aus den eigenen Reihen der Fall ist. Dies gilt insbesondere bei der Neuorientierung von internen Funktionen in Unternehmen.

Einige mögliche Szenarien

neue Führungskraft und die Situation, auf die sie treffen kann
SeiteneinsteigerIn von außen Kultur fremd (heimliche Spielregeln unbekannt)
hohe Erwartung an Veränderungen
viel Skepsis von MitarbeiterInnen und KollegInnen
(noch) nicht vorhandene Netzwerke im Unternehmen
Aufstieg aus den eigenen Reihen Du-Ebene/Nähe
Wissen übereinander (eventuell auch Geheimnisse)
Neid „warum er?“
QuerwechslerIn aus dem eigenen Unternehmen MitarbeiterInnen schätzen Erfahrungshintergrund eher gering ein
enttäuschte MitbewerberInnen im Team oder im KollegInnenkreis
internationale WechslerIn fremde Landeskultur/Sprache
kulturell geprägte Führungsleitbilder
Misstrauen: Gesandte/r aus dem Stammhaus (SpionIn)
x-te Vorgesetzte, der/die auf dem Karriereweg „vorbeischaut“
die Frau als Führungskraft Vorurteile: „Frauen sind ...., z. B. Karrieristen“
heimliche männliche Mitbewerber
keine Vorbilder in der Organisation
Berührungsängste
High-Potential hohes fachliches Know how
Misstrauen/Reserviertheit/Vorurteile von Seiten der MitarbeiterInnen: „Theoretiker/ Besserwisser – ohne Praxiserfahrung“
meist gibt es ältere MitbewerberInnen

Es erweist sich als äußerst hilfreich in der Begleitung von Führungswechslern und -wechslerinnen, sich deren Situation zu vergegenwärtigen und Hypothesen über die Auswirkungen auf das neue System zu bilden. Das Führungswechsel-Coaching widmet dieser Phase mit der Identifikation von Schlüsselpersonen und der Klärung der gegenseitigen Erwartungen erhebliche Aufmerksamkeit.

Die Szenarien des Wechsels bergen unterschiedliche Gefahren. Wir haben hier einige Szenarien aufgeführt, ihre typischen Fallen genannt und Vorschläge, worauf FührungswechslerInnen und ihre Coaches achten sollten.

Einige mögliche Szenarien

Situation des Wechslers mögliche Fallen besser wäre ...
SeiteneinsteigerIn von außen zu schnell zur Sache kommen (Erwartungen von Vorgesetzten erfüllen)
sich selbst unter schnellen Erfolgszwang setzen (vorzeigbare Ergebnisse)
Kontinuitätsbedürfnis unterschätzen
zunächst Beziehungsnetz knüpfen
offene und heimliche Spielregeln erforschen
Ressourcen bei MitarbeiterInnen erkunden
Aufstieg aus den eigenen Reihen mangelnde Balance zwischen Nähe/Distanz
Schwierigkeiten mit dem Rollenwechsel
keine Veränderungsperspektive
Profilierungsdrang
offensiv Rollenveränderung ansprechen und Beziehung/Erwartungen klären
klare Vereinbarungen über den Umgang miteinander
QuerwechslerIn aus dem eigenen Unternehmen beweisen, dass man kompetent ist
ständiger Vergleich mit der ehemaligen Abteilung
Wahrnehmen der Unterschiede und ihrer Funktionalität
neues Netzwerk knüpfen
internationale WechslerIn ständiger Vergleich mit dem Stammhaus
Kulturunterschied ignorieren
bisherige Erfolge und Leistungen nicht anerkennen
häufig von guten früheren MitarbeiterInnen erzählen
Kultur und Unternehmenskultur bewusst kennen lernen und akzeptieren
bewusst mit KollegInnen vernetzen
kein Schnellstart
von MitarbeiterInnen lernen
die Frau als Führungskraft Perfektionismus
große Distanz führt zu blindem Fleck bezüglich eigener Wirkung („kaltes Weib“)
Beziehungspflege als Kumpanei missverstehen
persönliche Beziehung aufbauen ohne privat zu werden
Einbeziehen der MitarbeiterInnen ohne Angst vor Autoritätsverlust
High-Potential Verbergen von Unsicherheit (wirkt arrogant)
auf fachlicher Ebene brillieren
zu hohe Erwartungen an MitarbeiterInnen
Beziehungsnetz als gleich wichtig wie Fachkompetenz bewerten
Schlüsselbeziehungen entwickeln
Mensch sein, Schwächen zeigen

Erfolgreiche Arbeit während der Wechselphase ist das Ergebnis einer wohlüberlegten Vorgangsweise

Der Einstieg erfordert das Ausverhandeln einer Anfangsfrist und die Einstellung, dass nicht jede Erwartung von Vorgesetzten, KollegInnen und MitarbeiterInnen auch gleichzeitig eine Aufgabe für den Führungswechsler oder die Führungswechslerin ist. Wer aber Erwartungen als Aufträge missversteht, wird fremdbestimmt und verliert die Möglichkeit, den Führungswechsel selbst zu gestalten. Es kommt darauf an, die richtigen Dinge zur richtigen Zeit unter den richtigen Voraussetzungen zu tun. Mögliche latente Erwartungen müssen hinterfragt und lokalisiert werden.

Somit ist es erforderlich, dass sich der Rhythmus des Wechslers oder der Wechslerin mit dem Rhythmus des Teams und der Organisation synchronisiert und der Veränderungsauftrag bestehende Strukturen nicht überfordert.

Abb 2: Rhythmus und Wegmarken

Um im Bild des Radrennens zu bleiben - WechslerInnen haben unterschiedliche Etappen unterschiedlich zu gestalten. Die erste Etappe ist die Integration in das Feld der Akteure. Das bedeutet das Führen von genau geplanten Gesprächen mit wesentlichen Personen aus dem inneren und äußeren Umfeld.

In der zweiten Etappe geht es um die Komposition des Teams. Hier wird versucht, die Ressourcen des Teams einschätzen zu lernen. Die fachlichen und sozialen Qualifikationen der einzelnen Teammitglieder müssen entsprechend erkannt und eingesetzt werden. Womöglich schafft erst die gezielte Kombination von einzelnen Elementen eine völlig neue Qualität. Noch bevor Routine und Trägheitsmomente des Teams wieder greifen können, haben WechslerInnen ihre Leute zu einem zielorientierten Team zu formen. Einerseits ist die individuelle Einschätzung der Qualitäten der Teammitglieder voranzutreiben, andererseits gilt es, die einzelnen Fähigkeiten zu einer Gesamtkomposition des Teams zusammen zu führen.

Auch in dieser Phase ist die Kooperation mit HR äußerst hilfreich. HR kennt die MitarbeiterInnen. Die neue Führungskraft tun gut daran, die gewonnenen Eindrücke abzustimmen und im Falle gravierender Abweichungen die eigene Einschätzung noch einmal zu reflektieren. Es geht hier auch um das Kennen lernen der Traditionen und Möglichkeiten und Grenzen innerhalb des Unternehmens.

Wenn es der neuen Führungskraft dann auch noch gelingt, in der dritten Etappe mit dem Ziel der Ausrichtung der eigenen Person Ziele und Visionen des Unternehmens mit der eigenen Person in Einklang zu bringen, ist ein wesentlicher Schritt getan. Die Reflexionsarbeit an den eigenen Kompetenzen mit Hilfe unterschiedlicher Führungsmodelle hilft der Führungskraft bei der Ausrichtung der eigenen Person und ermöglicht einen Abgleich mit den Werten und Visionen der Organisation.

In der vierten Etappe ist das Ziel die Gestaltung von Zukunft. Es gilt, ein attraktives Ziel zu vermitteln. Zukunft gestalten heißt verändern und wer verändern will, braucht dazu das Team. Es werden die Themen gesammelt, die einer Veränderung oder Entwicklung bedürfen. Es gilt weiters die Stabilitätsziele zu definieren, die notwendig sind, um den Veränderungsprozess zu treiben - wer Brücken baut, braucht feste Ufer.

Diese erarbeiteten Zielfelder benötigen eine Verankerung, um darauf aufbauend die notwendigen Veränderungen initiieren zu können, um den Mitarbeitern klare Verantwortungen für den Veränderungsprozess zu geben. Schließlich soll jedes Team noch wissen, welchen Beitrag es zum Erfolg des Ganzen leistet. Zielfelder und Veränderungen müssen effektvoll kommuniziert und sichtbar inszeniert werden. Die Formulierung einer „Botschaft“ bietet sich an.

In der Anfangsphase hat die neue Führungskraft idealerweise viel gefragt und viel bekommen. Das gilt es, nach den ersten 100 Tagen rückzuspiegeln. Ausgewählte Eindrücke, eine Zusammenfassung und Verdichtung in Form einer symbolischen Reflexion der Arbeit sollte gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der neuen Führungskraft erfolgen. Ein Tagesworkshop mit Eventcharakter ist hier ein guter Meilenstein.

Bergwertung: Führungswechsel in der Fusion

Im folgenden Beispiel war die Ausgangssituation ähnlich schwierig wie die Überquerung des Großglockners beim Radrennen. Der neue Chef hatte den Bereich IT aus den beiden IT-Bereichen der bestehenden Unternehmen mit neuer Ausrichtung zu gestalten – also nicht nur Handeln innerhalb eines bestehenden Rahmens, sondern Fusion mit allem, was dazu gehört: unterschiedliche Kultur, neue Ziele, Unsicherheiten, Widerstand, Leistungsabfall, Neubeginn … Der gesamte Prozess des Wechsel bewegte sich im Spannungsfeld zwischen Abbau und Aufbau.

Die Stimmung und Leistungsbereitschaft der betroffenen Unternehmensbereiche zeigte in dieser Phase vorübergehend einen Einbruch. Der neue Leiter des Bereiches war mit den Befindlichkeiten von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen konfrontiert, die praktisch in jedem gravierenden Veränderungsgeschehen zu Tage treten.

Abb. 3: Stimmung in den Bereichen im Zeitverlauf

Die nachfolgende Grafik zeigt die unterschiedlichen Aktivitäten die zeitgleich zu steuern waren. Sie zeigt auch Anhaltspunkte für Zusammenarbeit zwischen HR und neuer Führungskraft in einer ähnlich gelagerten Situation.

Abb. 4: Aktivitäten von Führungswechsler und HR im Zeitverlauf des Prozesses

Die Zusammenarbeit mit den HR-Dienstleistern erweiterte sich in diesem Fall ausgehend vom Führungswechsel auch auf die Unterstützung des Führungswechslers bei der Umsetzung der Aufbau- und Abbaupläne. So waren Themen in den Workshops in diesem Fallbeispiel:

     

  • Rolle der Führungskraft im Prozess, in den ersten 100 Tagen
  • Strategische Bereichsziele (einschließlich Vorgaben Projektziele/Migration), Selbstverständnis, Führungsverständnis
  • Resümee, Bilanz Sozialplan, Projekt Chance
  • Klären gegenseitiger Erwartungen bezüglich Führung und Zusammenarbeit

Derart durchdrungen ist der Führungswechsel nicht immer. Gleichzeitig gibt es aber so etwas wie einen „Normalfall“ nicht. Jeder Wechsel ist anders. Die Möglichkeiten von HR, in der Phase des Wechsels aktiv mitzuwirken, sind jedoch vielfältig. Die nachfolgende Matrix zeigt dies.

Rollen von HR im Meilenstein-Konzept für Personalfachleute

FW = FührungswechslerIn, FK = Führungskraft/Vorgesetzte, HR = Human Ressource, ex.B. = externe/r BeraterIn

Vielfach sind FührungswechslerInnen in dieser Phase zu zurückhaltend mit der Aushandlung von Begleitprozessen und manchmal fehlt Ihnen Wissen über die Möglichkeiten der Unterstützung in der Phase des Wechsels (im neuen Unternehmen). Sie möchten den Job übernehmen und verlassen sich im Zweifelsfall auf sich, anstelle von Anfang an Kooperation mit HR zu suchen.

So sehen wir es häufig als entlastend, wenn die bewusste Prozessgestaltung und -begleitung für die ersten 100 Tage sozusagen zum Standard gehört. Sie wird dann weder dem Zufall überlassen, noch leidlich denjenigen genehmigt, die es einfordern oder „nötig haben“ könnten.

Perspektiven und Kommentar

Die berühmten 100 Tage werden in Zukunft sehr unterschiedlich interpretiert werden. Zum einen reichen sie nicht und setzen FührungswechslerInnen unnötig unter Druck, wie Michael Träm meint (Führung braucht Zeit. Der Mythos der ersten 100 Tage, Econ Verlag, München 2002). Gerade für die strategischen Themen müssen sie von den FührungswechslerInnen erkämpft werden. Zum anderen lassen die operativen Themen keine 100 Tage zu. Operative Handlungsfelder müssen rasch identifiziert werden. Führungskräfte an neuen Positionen müssen diese Widersprüchlichkeiten balancieren und letztlich selber entscheiden. Die Herausforderung ist, dass sie es schaffen, nicht selbst getrieben zu werden, sondern aktiv zu gestalten. Dabei können interne Dienstleister wie HR durch Reflexion mit dem Führungswechsler oder der Führungswechslerin, durch Kenntnis dessen, was im Unternehmen möglich ist und was nicht, durch Instrumente zur Umsetzung, durch Coaching- und Workshopangebote einen wichtigen Beitrag für den erfolgreichen Führungswechsel leisten.

Die Verweildauer von Führungskräften wird noch weiter abnehmen – zeigt der eine Trend. HR-Verantwortliche setzen sich vermehrt für eine Ausdehnung der Verweildauer ein, weil sie erkannt haben, dass in ihren Unternehmen zu viel Know-How auf der Strecke bleibt und zu viel Zeit damit verbracht wird, Neue einzuarbeiten – zeigt ein anderer Trend.

Wenn wir also der Hypothese folgen, dass interne Dienstleister – in diesem Fall HR – wesentliche Beiträge zur Wertschöpfung des Unternehmens leisten und Steuerungsfunktion haben, dann zeigt sich der sensible Prozess des Wechsels an der Spitze von Bereichen oder des Gesamtunternehmens als einer, bei dem es sich auszahlt, das Management und den/die FührungswechslerIn aktiv und intensiv zu beraten und zu unterstützen.

03.2005

...zurück zum Seitenanfang

Teilen:

Autor: Judith Kölblinger, geschäftsführende Gesellschafterin der Firma Komunariko