Drei Krisentypen

Drei Krisentypen, die sich als Organisationskrise oder als persönliche Krise von Führungskräften zeigen können.

Eine wichtige Unterscheidung gleich vorneweg: Die Krisen eines Systems sind nicht gleichzeitig die Krisen seiner Mitglieder. Oder - anders gesagt: In der Systemkrise lässt sich´s manchmal ganz gut überleben und in einem System, das selbst nicht in der Krise ist, kann man dennoch seine persönliche Krisensituation erleben.

Unternehmenskrisen und typische Krisen von Führungskräften – eine Unterscheidung

Ebenen Krise des Unternehmens Krisen des/r Managers/in
Überlebens-Krisen

Aktivität:
schnelles Handeln, Sanierungsmanagement, Krisenmanagement

...sind Ereignisse, die die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens bedrohen: Bspl.: ökonomische Krisen, Liquiditätskrisen, Insolvenzgefahr, Auftragsprobleme, Lieferantenprobleme, Insolvenz wichtiger Partner, Überschätzung der Möglichkeiten des Unternehmens ... sind Ereignisse, die die eigene Integrität und Unversehrtheit bedrohen. Bspl: Arbeitsplatzverlust, Verdienstentgang, Psychische, körperliche, soziale aber auch fachliche Überforderung, Widersprüchliche Erwartungen seitens relevanter Umwelten (z.B. Shareholder, Mitarbeiter), moralische Unverantwortbarkeit, Verlust/Schädigung des Rufes
Steuerungskrisen

Aktivität:
Reorganisation, Prozessverbesserungen, Personalentwicklung und organisationales Lernen

... sind Probleme auf der Ebene Führungs-Struktur, -Instrumente, -Kultur. z.B. Keine oder falsche Entscheidungen, fehlende/nicht adäquate Management-Instrumente, Informationsprobleme, Machtzentrierung oder Machtvakuum ... sind Probleme die mit Anforderungen und Qualifikationen zu tun haben. z.B. Unklare Entscheidungsbefugnisse oder Aufträge, Inhaltliche Überforderung, persönliche Überforderung durch außerbetriebliche Umstände
Veränderungskrisen

Aktivität:
gutes proaktives Change Management

... sind Ereignisse die sich in Veränderungsprozessen ergeben können. z.B. Bewährtes im Kampf mit Neuem, Verflüssigung bestehender Regeln und Strukturen, Neues noch nicht ausreichend vorhanden ... sind Probleme die mit dem Erleben und Gestalten von Veränderungen zu tun haben. Z.B. Angst vor drohenden Verschlechterungen, Gesichtsverlust, Unsicherheiten und Konflikte, Überlastung durch den Mehraufwand an Arbeit durch den Veränderungsprozeß, Neuartige und schwierige Anforderungen

Aufgrund ihrer unterschiedlichen inneren Krisenlogiken und Überforderungskonstellationen sind je nach Typus verschiedene Krisenaktivitäten erforderlich.

1. Die Überlebenskrise

Die Überlebenskrise ist wohl die schwerste Krise, die eine Organisation erleben kann. Wenn es ums Überleben geht, sind schon alle Vorstadien übergangen worden, und man ist quasi beim letzten Rettungsanker angelangt.
Wenn einem Unternehmen die Insolvenz droht und es in seinem Bestand gefährdet ist, ist schnelle Hilfe angesagt. Harte Schnitte werden unausweichlich sein, es herrscht ein Ausnahmezustand, der in der Regel zeitlich begrenzt ist. Ein betriebswirtschaftliches Sanierungs- oder Krisenmanagement wird in Distanz zum normalen betrieblichen Alltag eingerichtet. Häufig werden externe rechtliche und betriebswirtschaftliche Experten eingesetzt, die die Krise diagnostizieren und Lösungsvorschläge erarbeiten. Auf partizipative Prozesse wird weitgehend – oft sinnvoll – verzichtet. Besonders wenn das Top-Management für die Krise verantwortlich gemacht wird, übernimmt der Eigentümer die Regie. Den Unternehmensmitgliedern – Führungskräften wie Mitarbeitern – bleibt die Rolle der Auskunftgeber für Analysten, der Beobachter des Sanierungsprozesses und der Entscheidungsumsetzer.

Ein Ergebnis eines erfolgreichen Sanierungsmanagements mit harten Schnitten kann das Einläuten eines Change Prozesses im Unternehmen sein. Jetzt sind wieder die – noch verbliebenen – Organisationsmitglieder gefragt. Hier werden dann gerne die Prozessberater eingesetzt, um die „geschockte“ Organisation wieder zu reanimieren. Aber erinnern wir uns an die Ergebnisse der Forschung: Überlebenskrisen haben Inkubationszeiten, in denen adäquates Managementhandeln verpasst wurde. Für den Einsatz von Prozessberatung heißt das: wirksamer kann sie sein, wenn sie im Vorstadium der Krise eingesetzt wird, wenn also die Vorzeichen ernst genommen werden.

2. Die Steuerungskrise

Ein Beispiel: Herr Müller, Key Account Manager eines größeren Softwareunternehmens beobachtet, dass in der Region, für die er zuständig ist, ein kleiner Anbieter am Markt aufgetaucht ist und bereits einige auch für das eigene Unternehmen interessante Kunden akquiriert hat. Er hat auch gehört, dass mittlerweile einige Stammkunden laut über einen Wechsel zu diesem regionalen Anbieter nachgedacht haben. Angesichts der ihn beunruhigenden Situation schlägt er vor, in der nächsten Geschäftsführersitzung darüber zu berichten und wird auch prompt eingeladen. Als er seinen Bericht schließt, kommentiert der CEO "Herr Müller, sie sollten hier nicht nur Probleme einbringen, sondern vor allem Lösungen entwickeln."

In Steuerungskrisen heißt es, die internen Steuerungsmechanismen unter die Lupe zu nehmen. Heißt es, Kritiker und Systemnörgler ernst zu nehmen, heißt es, gewohnte Führungs- und Entscheidungsstrukturen zu überprüfen. Dies hat für Manager eine besondere Tücke: es geht nämlich dann auch um sie selbst, um ihr Handeln, das auf dem Prüfstand steht. Dass das nicht leicht ist und Sensibilität erfordert ist klar. Wie steht es eigentlich in Ihrem Arbeitsbereich mit dem Thema "Umgang mit Fehlern"? Berater (leider auch oft systemische Berater) lassen sich hier gerne als "Nestbeschmutzer" einsetzen: Man lädt sie zu einer Organisationsdiagnose ein, Mitarbeiter werden über ihre Chefs interviewt, Führungskräfte über das Verhalten ihrer Kollegen befragt. Heraus kommt oft eine Liste von Qualifikationsdefiziten und Fehlern des Managements, die dann auf einem Diagnoseworkshop präsentiert werden. Dass dies niemanden anturnt, jetzt auch noch begeistert zu den nachfolgenden Strategieworkshops oder Managementseminaren zu gehen, ist verständlich.

3. Die Veränderungskrise

Manchmal sind es Visionen oder Zukunftsbilder, die ein Unternehmen zu einem Veränderungsprozess anstoßen, häufig sind es aber auch handfeste Krisenerscheinungen, die ein Unternehmen zu einem radikalen Wandel zwingen. Solche Veränderungen verlaufen in den seltensten Fällen ohne Konflikte oder Reibungen. Eher trifft schon das Gegenteil zu - zumindest im Nachhinein betrachtet lässt sich dann feststellen: Veränderungen, die keine Krisen beinhaltet haben, haben gar nicht stattgefunden (Senge P et al (1999): The Dance of Change).

Veränderungsprozesse sind also nicht nur Versuche, Krisen durch Reorganisationsmaßnahmen zu bewältigen, sondern sie fungieren häufig selbst als Krisenauslöser. Strukturen und Prozesse geraten häufig sosehr durcheinander, dass niemand mehr weiß: Was gilt jetzt eigentlich? Wohin sollen wir uns verändern und weshalb? Wer ist wofür zuständig? Wen muss ich ansprechen, wenn ich etwas brauche? Wer arbeitet (noch) in diesem Team und darf man das eigentlich fragen? Besonders das mittlere Management ist hier in einer Zwickmühle, befindet es sich doch in einer Transmitterfunktion zwischen den Mitarbeitern, die die Geschäftsprozesse real betreiben und dem höherem Management, das die Geschäftsprozesse „optimiert“. Das mittlere Management wandert in solchen Zeiten oft hautnah an der Vertrauens-Verlust-Grenze: entweder man enttäuscht seine Mitarbeiter oder seine Chefs. Alle zufrieden zu machen, ist nahezu unmöglich in Veränderungsprozessen.

Dass es diese Schwierigkeiten gibt, ist an sich weder ein gutes noch ein schlechtes Zeichen, sondern sie sind Beleg dafür, dass sich Irritation breit macht, eine notwendige Voraussetzung für tatsächliche Veränderungen. Die entscheidende Frage aber wird sein: Wie geht man mit diesen Unsicherheiten um? Welche neuen Strukturen, Prozesse und Umgangsformen werden entwickelt? Werden nach und nach wieder die alten Gewohnheiten etabliert (vielleicht auch weil sich das „alte“ unternehmerische Herrschafts- und Entscheidungsgefüge überhaupt nicht verändert hat) oder kommt es zu neuen Zugängen, Experimenten, Innovationen? Letzteres wäre dann als Lernerfolg aus einer Krisensituation zu verbuchen.

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