Relationship Marketing: der Beginn einer wunderbaren Freundschaft

Customer Relationship Management hat bei seinem Auftauchen hohe Erwartungen geweckt, die aber in der Folge nur selten erfüllt werden konnten. Derzeit erlebt CRM ein überraschendes Comeback.

"Ich gebe jedesmal freiwillig entscheidende statistische Daten preis. Name, Adresse, Zahlungsweg, Geschäfts- oder Urlaubsreise, Anzahl der Hotelbesuche im Jahr. Was mit diesen Informationen gemacht wird, bleibt mir ein Rätsel. Wissen die Hotelmitarbeiter, wer die Informationen verwendet und wie? Nein. Wird das Angebot verbessert? Nicht dass ich wüsste. Bekomme ich einen speziellen Rabatt? Sicher nicht. Werde ich irgendwie speziell begrüßt, wenn ich wieder komme? Nein. Und selbst wenn? Wenn ein Unternehmen ‚sich erinnern‘ würde, welches Getränk ich das letzte Mal bestellt habe, wer sagt, dass ich es wieder haben wollte? Ich trinke nicht immer einen Soft Drink 'light'."

"Na sicher, die können mich beim Abendessen anrufen, aber ich kann sie nicht am Telefon erreichen. Sie können mir 100 Nachrichten im Jahr schicken, aber ich kriege keine einzige sinnvolle Antwort von ihnen. Sie wollen wirklich mein Freund sein? Na sicher. Gut, also was wollen Sie für mich tun? Oder genauer, was kostet mich das?"

"Ich habe mit der Telefonfirma A begonnen, dann bin ich zur Firma B gewechselt. Ich bekam eine Belohnung von der zweiten Firma für das Wechseln – ich erinnere mich nicht daran, was. Dann bezahlte mich die Firma A, damit ich zurückkäme. Ich war wie ein gejagtes Wild, $50,- hier, $50,- da, $100 um die Firma A ein zweites Mal zu verlassen. Ich war am College zu dieser Zeit, und das Geld war super. Aber es war auch verrückt. Die Verkäufer auf beiden Seiten erzählten mir die ganze Zeit, was für ein wichtiger Kunde ich für sie war, aber wer bezahlt schon dafür, dass du sein Kunde bist? Ich habe zu keiner der beiden Firmen eine Beziehung aufgebaut. Ich hab einfach das Geld genommen."

Susan Fournier, Susan Doubscha und David Glen Mick gaben diese Kundeninterviews bereits 1998 in ihrem Artikel "Preventing the Premature Death of Relationship Marketing" wieder. Schon damals zeichnete sich ab, dass die Versuche von Unternehmen, aktive Beziehungen zu ihren Kunden aufzubauen, in vielen Fällen gefährlich in die Irre gingen. Trotzdem klingen einige der Geschichten, als wären sie gestern erzählt worden. In diesem Artikel verfolgen wir Customer Relationship Marketing zu seinen Wurzeln zurück und gehen dann den wechselhaften Weg bis zur Gegenwart nach, der das Konzept heute zu einer unerwarteten Renaissance geführt hat.

Die Wiederentdeckung der Kundenbeziehung

Traditionelles Marketing hat, ganz im Sinne der sogenannten Mikroökonomie, die Beziehung zwischen Anbieter und Kunde als Transaktionen begriffen: wenn der Preis stimmt, kommen die beiden überein, eine bestimmte Transaktion zu tätigen, führen dieses Vorhaben durch und gehen dann wieder auseinander. Weil beide ökonomisch rationale Menschen und auf ihren Vorteil bedacht sind, werden sie auch beim nächsten Mal wieder rein nach dem Preis entscheiden, ob sie wieder miteinander handelseins werden, oder ob nicht der Käufer diesmal einem anderen (billigeren) Anbieter den Vorzug gibt.

Tatsächlich gibt es Märkte, die genau nach diesem Prinzip funktionieren, speziell Branchen, in denen es um einfache Produkte geht, deren Qualität ohne großen Aufwand prüfbar ist und in denen Service, Logistik etc. fixen Regeln unterliegt. Je komplexer aber ein Produkt wird und je wichtiger die Servicekomponente dabei ist, desto stärker wird der Beziehungsaspekt zwischen Anbieter und Käufer eine Rolle spielen.

Evert Gummesson unterscheidet in „Total Relationship Marketing“ drei Ebenen von Kundenbeziehungen. Die oben beschriebene Standardbeziehung ist bei ihm „Level 1“. Auf "Level 2" kommt regelmäßige Kommunikation dazu; auf "Level 3" kommen gemeinsam genutzte Ressourcen (pooled resources) als strukturelles Element der Partnerschaft dazu. Gummesson stellt heraus, dass Beziehungen auf den oberen Levels Langfristigkeit schaffen und damit beispielsweise die Kosten eines Anbieterwechsels vermeiden. Speziell bei Services ist es unmöglich, im Voraus zu wissen, was genau man kaufen wird; Vertrauen in den Geschäftspartner ist hier essenziell. Darüber hinaus schaffen solche Beziehungen die Möglichkeit, dass beide Partner sich aneinander anpassen, und dass auftretende Probleme schnell und informell gelöst werden.

Gummesson und Kollegen haben also den Wert langfristiger Kundenbeziehungen untermauert – das Bekenntnis zu diesen langfristigen Beziehungen galt bis dahin eher als eine Art sentimentaler Außendienst-Voodoo. Neben die grundsätzlichen Erwägungen des sogenannten „hCRM“ (h steht für human) trat dann aber schnell das (viel massenmarkttauglichere) "eCRM", und diese elektronische Kundenbeziehungsmaschinerie bestimmt unser Bild von Kundenbindung durch große Unternehmen bis heute.

Die Idee vom „real-time enterprise“ machte einen großen Teil der Begeisterung aus, die nicht nur die Marketingleute für (e)CRM entwickelten. Die Vorstellung, dass man jederzeit genaueste Informationen über absolut jeden Vorgang im gesamten Unternehmen (auch und gerade auf der Vertriebsseite und bei den Kundenprofilen) generieren könne, bestimmte einen großen Teil jener 90er Jahre, deren Glaube an das Internet religiöse Züge anzunehmen drohte. Es war also gar nicht im Sinne der Zeit, solche Vorstellungen allzu genau auf Machbarkeit zu überprüfen (die würde sich technisch schon morgen quasi von selbst ergeben) oder darauf, ob man das alles überhaupt brauchte (think big oder lass es gleich bleiben!). In diese Landschaft passte ein Projekt wie "Innovate" bei McDonalds, in dessen Rahmen sogar die Öltemperatur der Fritteusen in den Filialen aus der Ferne überwacht werden sollte, um perfekten Service sicher zu stellen.

Einfachen Kunden wie Ihnen und mir spülte die Relationship-Marketing-Welle jede Menge Post ins Haus, und bald auch eine Reihe unverlangter Anrufe, in den ersten Jahren noch notdürftig als Umfragen getarnt, mittlerweile schon ganz offen als Verkaufsmaßnahme. Niemand ist mit dieser Entwicklung überglücklich, aber in vielen Branchen hat sie sich so sehr durchgesetzt, dass die Unternehmen gar keine Alternative sehen, als auch auf diesem Klavier mitzuspielen.

CRM verbrachte dann einige Jahre in den untersten Beliebtheitsrängen der Managementinstrumente. Vor allem zeigte sich, dass die Unternehmen ihren Kunden mit allen diesen Maßnahmen mächtig auf die Nerven zu gehen begannen. Und das "real-time enterprise", ja, das wurde technisch bald machbar – aber niemand hatte mit dem Preis und mit dem verbundenen Aufwand gerechnet.


Comeback Kid CRM

Umso verwunderter nahm die Fachwelt erst unlängst zur Kenntnis, dass CRM derzeit wieder einen Höhenflug erlebt. In einer Studie zur Zufriedenheit mit Managementmethoden der Consultingfirma Bain & Company landete CRM zuletzt unter den drei besten Methoden; es wird auch in sehr vielen (über 80%) großen Unternehmen eingesetzt. Was war geschehen? Woher das Comeback?

Im Artikel "CRM-Systeme profitabel einsetzen" von Darrell Rigby (übrigens auch Autor der oben zitierten Befragung – aber wir wollen ihm dennoch Glauben schenken) und Dianne Ledingham fällt vor allem die Bescheidenheit ins Auge, mit der CRM mittlerweile auftritt. Erfolgreiche CRM-Projekte sind „in ihrem Umfang begrenzt und in ihren Zielen bescheiden“. Und das ist noch nicht alles, denn „die erfolgreichen Anwender zeigen auch eine gesunde Skepsis gegenüber übertriebenen Behauptungen“ – beispielsweise vor der Vision vom totalen "real-time enterprise". Rigby und Ledingham raten dazu, beim Installieren von CRM-Maßnahmen vier Fragen zu stellen:

1. Ist die CRM-Initiative strategisch sinnvoll?
"Wenn das Ziel nicht wirklich strategisch ist, wird das Unternehmen Probleme haben, die zum Angriff auf eingefahrene Geschäftsabläufe notwendige Energie aufzubringen".

2. Wo gibt es Probleme?
Sinnvolle CRM-Initiativen starten an den "Schmerzzentren", also dort, wo derzeitige Systeme oder Abläufe deutlich am Kundenbedürfnis vorbei agieren oder Ineffizienz verursachen.

3. Brauchen wir perfekte Daten?
Der Traum vom „real-time enterprise“ führt meistens zu überdimensionierten Umbauversuchen für zentrale Abläufe – intelligenter ist es meistens, zu definieren, wo genau perfekte Daten notwendig sind, weil das Unternehmen dort besonders schnell oder besonders exakt sein muss.

4. Was sind die nächsten Schritte?
„Kluge CRM-Anwender ruhen sich nicht auf ihren Lorbeeren aus. Sie unterziehen die Daten, die ihre Systeme liefern, einer strengen Analyse, um neue … Möglichkeiten zu ermitteln, wie sie die Stärke der Technik nutzen können.“

Das könnte in einigen Fällen auch wieder in sehr groß angelegte CRM-Systeme münden – doch hier geht es darum, solche Systeme in kleinen, zielgerichteten Schritten zu entwickeln.

Zusammengefasst: die zentralen Thesen

  • Kundenbeziehungen bestehen meistens nicht aus einmaligen Transaktionen, in der allein der Preis die Beziehung bestimmt
  • Unreflektiert eingesetzt wird CRM zur Quelle vieler sinnloser Kontaktversuche von Unternehmen zu seinen Kunden, und führt zur Entwicklung aufgeblähter interner Systeme
  • Zum Launch einer CRM-Initiative ist es daher nützlich zu fragen, wo der strategische Sinn liegt, wo die "Schmerzzentren" in der Kundenbeziehung liegen, wie perfekt welche der resultierenden Daten sein sollen und welche jeweils nächsten Schritte sich aus der ersten Initiative ergeben können.


CRM, unser ständiger Begleiter?

Auf gewisse Weise kämpft CRM ständig mit sich selbst: je mehr Unternehmen dieses (im Zuge der Digitalisierung immer billigere und effizientere) Toolset entdecken, desto mehr steigt die schiere Menge an Kontaktversuchen, die uns täglich erreichen – und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass uns ein einzelner solcher Versuch gar nicht mehr erreicht, während uns die Häufigkeit nervt und die Wahrscheinlichkeit senkt, dass wir überhaupt auf irgendeine Avance positiv reagieren. Man muss kein Prophet sein, um sich vorzustellen, wie diese Entwicklung weitergeht.

Umso entscheidender wird das Verhältnis oder Missverhältnis zwischen CRM einerseits und Kundenservice, Reklamationsbehandlung etc. andererseits werden: paradoxerweise sparen ja derzeit viele Unternehmen bei Letzterem, indem diese Bereiche ausgelagert werden, nur mehr auf Englisch oder überhaupt elektronisch zugänglich gemacht sind etc. Wer ständig unverlangt vom Vertriebspersonal kontaktiert wird, es aber im Falle eines Falles nur mit allergrößter Beharrlichkeit schafft, einen kompetenten Servicetechniker ans Telefon zu bekommen, der wird sich vom nächsten Anruf eines (vielleicht ebenfalls ausgelagerten) CRM-Mitarbeiters schlicht und einfach verschaukelt fühlen.

Dazu kommt die Macht der Blogs, also jener Internet-Tagebücher von Menschen, nach denen wir uns vielleicht auf der Straße nicht umdrehen würden, die aber virtuell Meinung machen oder kleine Bewegungen oder Aufstände auslösen können. Horacio Falcão erzählt im Artikel „Keep Your Customers Cool“ (World Business, Nov.-Dez. 2006) von der Geburt der "Dell-Hellers". Ein frustrierendes Erlebnis eines Journalisten, der einen Laptop gekauft hatte, hat ausgereicht, um eine ganze Bewegung tausender unzufriedener Kunden auszulösen – von der über das Internet weitere Hunderttausende erfahren haben.

Einigen Unternehmen gelingt es mittlerweile umgekehrt, das Internet für ihre Kundenbindung aktiv zu nutzen. Bevor Kritiker Blogs schreiben, setzt sich lieber der CEO (oder in manchen Fällen wohl eher seine PR-Berater) hin und schreibt selber. Eine steigende Anzahl von Unternehmen launcht auch Websites, auf denen Kunden und/oder Interessierte ihre Produkte und Services diskutieren etc. Mit etwas Optimismus kann man sich eine Welt ausmalen, in der uns die Technik dabei hilft, dass Unternehmen und Kunden einander auf Augenhöhe begegnen und versuchen, Bedürfnisse und Produkte, Services und Lösungen gut aufeinander abzustimmen. Bis dahin wird Ihr und mein Postfach noch das ein oder andere Mal bis an seine Grenzen gefordert sein.

Wenn Sie gebeten werden, eine CRM-Strategie zu entwickeln,

  • backen Sie kleine Brötchen! Konzentrieren Sie sich frei nach Rigby und Ledingham auf die Schmerzzentren und die Frage, wofür Sie genau wie gute Daten und Abläufe brauchen.
  • denken Sie daran: was immer Sie unternehmen werden, wird Ihren Kunden ihre Zeit stehlen – also stellen Sie sicher, dass sich der Kontakt für die Kunden lohnt (und nicht nur für das Unternehmen, das kann jeder)!
  • achten Sie auf ein Gleichgewicht zu den Kundenservice-Funktionen, insbesondere zur Reklamationsbehandlung, ggf. Call Centers etc.
  • besetzen Sie das Internet, bevor dies ein unzufriedener Kunde tut – aber fragen Sie sich auch dabei, was Sie genau dort tun wollen, und um welchen Preis.

Autor: Mag. Stefan Doblhofer, MBA
Quelle: Der Artikel erschien im Buch: "Management Navigator", Goldegg Verlag, 2008.

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Mag. Stefan Doblhofer MBA