"Wissen managen" in der Praxis

"Der einzige dauerhafte Wettbewerbsvorteil basiert auf dem Kollektivwissen, über das ein Unternehmen verfügt, auf der Effizienz, mit der es dieses Wissen nutzt sowie auf der Bereitwilligkeit, mit der es neues Wissen erwirbt und anwendet", formulieren Davenport und Prusak ihr Credo im "Praxisbuch zum Wissensmanagement". Keine rasend neue Erkenntnis, durchaus neu ist aber die Beachtung, die dieses Thema in den Unternehmen erfährt. Aus guten Gründen.

Die vielen Rationalisierungsprojekte der 90er Jahre haben Unternehmen immer wieder deutlich vor Augen geführt, welche fatalen Folgen die Nicht-Beachtung dieser „unsichtbaren Ressource Wissen“ zeitigen kann. Dr. Barbara Heitger von der Beratergruppe Neuwaldegg verdeutlichte das auf einem Symposium in Hernstein anhand zweier Beispiele: So versäumte es eine große Bank im Zuge einer Fusion, ihr „Intellectual-Capital“ mit im Auge zu behalten, mit den zentralen Leistungs- und Wissensträgern zu Beginn des Mergers Gespräche zu führen und ihnen Anreizsysteme zu bieten, damit sie bleiben. Nun gab es in dieser Bank aber eine Wertpapier-Crew mit sieben Personen, die – man höre und staune - die Hälfte des Ertrages dieser Bank erwirtschaftete. Was passierte? Die Fusion ging über die Bühne und eine Woche später hatte das gesamte Team die Firma verlassen.

Gedächtnisschwund

In einem anderen Fall entschied eine Papierfabrik im Zuge einer Reduzierung der „zu hohen“ Personalkosten, einige ältere und daher auch teure Meister zu entlassen. Die Folge war, daß millionenteure Maschinen im Falle eines Schadens oft tagelang stillstanden, ohne dass die Schadensursache eruiert werden konnte. In den Handbüchern und Dokumentationen war dazu nichts zu finden und die zu Hilfe gerufenen Servicetechniker standen oft vor einem Rätsel. Wie sich im Nachhinein herausstellte, hatten die „alten“, erfahrenen Meister die Fähigkeit besessen, am Klang der Maschine mögliche Probleme „herauszuhören“ und entweder bereits präventiv einzugreifen oder im Fall eines doch eintretenden Schadens schnell die richtige Maßnahme zu ergreifen. Fazit: Die gerade entlassenen Meister wurden alle wieder eingestellt.

Ebenso wie den Verlust zentraler Wissensträger erkennen „leane“ Unternehmen heute auch vermehrt das unbeabsichtigte Durchtrennen bestehender informeller Netzwerke, durch die bislang Informationen und Wissen ausgetauscht und verteilt wurden. Die Symptome heißen dann „Informations- und Kommunikationsprobleme“ oder „ständige Projektverzögerungen“ und haben auch damit zu tun, daß sich die noch vor kurzem als „Lähmschicht“ abgewerteten Mittelmanager plötzlich als maßgebliche Wissenskoordinatoren und –integratoren entpuppen. Nur gibt es in den flachen Hierarchien eben nicht mehr viele.

Über Kontinente und Zeitzonen hinweg

Wenn man im selben Raum oder Haus arbeitet, ist Informations- und Wissensaustausch noch relativ einfach möglich, wenn auch hier in der Praxis schon schwierig genug. Agiert ein Bereich oder Unternehmen aber über mehrere Kontinente und Zeitzonen hinweg, werden Koordination und Abstimmung noch einmal eine Potenz schwieriger. Die rechte Hand weiß nicht mehr, was die linke Hand macht, Doppelgleisigkeiten nehmen zu, das Rad wird für jeden Kunden vor Ort neu erfunden, etc.

Tempo, Tempo, Tempo

Auch wenn es in dieser Allgemeinheit überspitzt klingt, in immer mehr Branchen gilt der Satz: Der erste am Markt gewinnt, alle anderen verlieren. Wer im Pharmabereich statt der durchschnittlichen acht Jahre vom Projektstart bis zur offiziellen Zulassung des Produkts bereits in 7 oder 7,5 Jahren am Markt sein kann, hat stark erhöhte Chancen auf Milliardengewinne und einen satten Marktanteil. Ist die Konkurrenz nur einen Monat schneller, lauft man hingegen Gefahr, die hohen Investitionen kaum mehr hereinzuspielen. Kommt, um ein anderes Beispiel zu nehmen, bei einem Hersteller der neuesten Microchip-Generation das avisierte High-Tech-Produkt einige Wochen zu spät auf den Markt, kann das bereits das Aus für das gesamte Unternehmen bedeuten. Die Kunden wechseln blitzschnell den Lieferanten.

In dem zu Beginn zitierten Credo von Davenport und Prusak stecken aber auch schon die zentralen Punkte, weshalb der angesprochene „Wettbewerbsvorteil durch Wissen“ in der Praxis so schwer zu erreichen ist.

     

  • Die meisten Unternehmen wissen eben nur sehr eingeschränkt, was sie alles wissen. Der ehemalige CEO von Hewlett-Packard, Lew Platt faßte das einmal in den prägnanten Satz: „Wenn HP wüßte, was HP alles weiß, wären unsere Gewinne dreimal so hoch.“
  • In aller Regel ist das vorhandene Wissen im Unternehmen verkannt, schlecht organisiert, lokal begrenzt und der Wissensaustausch von der Unternehmenskultur eher unterbunden als gefördert.
  • Die Verwirrung darüber, worin sich Daten, Informationen und Wissen voneinander unterschieden, führt oft zu großen Investitionen in Technologien, die dann nur selten das liefern, was die Unternehmen erwarten und benötigen.

Daten - Informationen - Wissen

Daten: Die momentane Außentemperatur, der Benzinpreis, die Zahl der Kunden, all das sind Daten. Daten werden von Unternehmen gewöhnlich in technologischen Systemen gespeichert. Daten – oft Unmengen davon - finden sich in der Buchhaltung, in Kundendatenbanken etc. Mehr Daten sind also nicht unbedingt bessere Daten, die „relevanten Daten“ gilt es zu finden. Daten allein beschreiben nur einen kleinen Teil des Geschehens, sie müssen erst in Beziehung gesetzt und interpretiert zu werden, um zu Informationen zu werden.

Informationen: 15 Grad Celsius Anfang Februar in Wien empfinden viele als ungewöhnlich warm für diese Zeit, dieselbe Temperatur zur gleichen Zeit in Sydney würde man dort wohl als Kältewelle interpretieren. Informationen, so Peter Drucker, sind „mit Bedeutung und Zweck versehene Daten“. Information, so eine andere Definition „ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht.“ Eine beiläufige Aussage eines Atomphysikers auf einer Tagung mag für einen mit dem Thema nicht vertrauten Zuhörer nur „Rauschen“, also bedeutungslos sein, der Sitznachbar ist davon möglicherweise elektrisiert. Für ihn stellt diese Aussage vielleicht die bahnbrechendste neue Erkenntnis seit Einstein dar. Ob Daten zu Informationen werden, ist also jeweils vom Beobachter, vom Empfänger abhängig.

Wissen: Wissen umfaßt mehr als Daten und Informationen. Es gründet darauf, geht aber tiefer und ist umfassender. Wissen ist eine Mischung aus strukturierten Erfahrungen, Wertvorstellungen, Fachkenntnissen und Kontextinformationen, die in ihrer Gesamtheit einen Rahmen bilden zur Beurteilung und Eingliederung neuer Erfahrungen und Informationen. Wissen ist weder wohlgeordnet, noch einfach zu erfassen oder leicht zu übertragen. Oft ist es schwer in Worte zu fassen, zu „explizieren“.

Auch wenn mit dieser kurzen Differenzierung noch viele Unklarheiten bleiben, eines zeigt sich bereits deutlich. Vieles von dem, was heute in den Unternehmen und auch von Beraterseite als Wissensmanagement bezeichnet wird, ist bestenfalls Daten- oder bestenfalls Informationsmanagement. Hier keine Unterscheidung zu treffen, kann Unternehmen teuer zu stehen kommen.

03.2000

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