Wissensmanagement ist kein Selbstläufer

Wie wendet ein Beratungsunternehmen, das andere Unternehmen bei der Etablierung eines funktionierenden Wissensmanagements begleitet und berät, dieses Wissen auf sich selbst an?  Beispiel C/O/N/E/C/T/A.

Seit 1995 gab es bei der Beratungsfirma Conecta zwei an sich klare Verantwortungsbereiche. Ing. Karl Prammer war aufgrund seiner früheren Tätigkeit im Informations- und Organisationsbereichs eines großen Unternehmens verantwortlich für alle EDV-Belange. Dr. Susanne Mingers, zuvor Assistentin bei Prof. Willke in Bielefeld, einem der Vordenker im Bereich des Wissensmanagements, bekam dem entsprechend die Rolle, sich um das Wissensmanagement der Conecta zu kümmern. Beide waren in diesen Managementaufgaben sehr engagiert und nach geraumer Zeit sehr unzufrieden, ähnlich wie ihre restlichen Kollegen. Fazit: So konnte es nicht weitergehen mit der Wissensorganisation im Unternehmen.

Das Wissen kommt nicht ins Fließen

Symptome für das unbefriedigende Wissensmanagement der Beratungsfirma waren:

     

  • Der Info- und Wissenstransfer unter den Beratern ließ trotz aller Bemühungen nach wie vor sehr zu wünschen übrig. Die nicht unbeträchtliche Zeit, die damals schon dafür aufgewandt wurde, wurde von allen Beteiligten als nicht sehr produktiv erlebt.
  • Die einzige ergiebige Form des Know-how-Austausches war, wenn zwei Berater zufällig gemeinsam in einem Projekt arbeiteten, am Abend zusammen saßen und sich gegenseitigen von ihren anderen Projekten und Entwicklungen erzählten. Wer hier nicht dabei war, blieb davon weitestgehend ausgeschlossen.
  • Es kam immer wieder zu Mehrfacherfindungen. Das von einem Berater mit viel Aufwand erstellte und erprobte Seminardesign wurde kurz darauf von einem Kollegen wieder neu entwickelt, da die rechte Hand nicht wusste, was die linke tat. Der Zugang zu vorhandenem Material war alles andere als leicht. Jeder hatte seine Unterlagen, Folien und Projektbeschreibungen auf dem eigenen Computer gespeichert und unter selbst definierten Kategorien abgelegt. Folien zu einem bestimmten Thema gab es daher in mehreren Variationen, ebenso wie Layouts von Angeboten oder Handouts. Signal dafür waren wiederkehrende Unmutsäußerungen der Büromitarbeterinnen, die dialoge wiederholten sich: „Sollen wir das schon wieder neu machen? Das gibt es doch schon. Aha. Das wusste ich nicht.“
  • Bereits implementierte Wissensmanagement-Tools wie der „Microaufsatz“, die „Conecta-Tollbox“ oder die „Conecta-Hilite“ wurden kaum bis gar nicht genutzt und verstaubten.
  • Der Umgang mit PC und Laptop war höchst unterschiedlich. Manche Berater verweigerten sich mehr oder weniger überhaupt, „warum funktioniert das nicht wie eine normale Schreibmaschine?“, die zunehmende Vernetzung, das Einklinken via Laptop und Handy, die Einwahl von unterschiedlichen Standorten etc. bereitete einigen Beratern jede Menge Kopfzerbrechen und war von ständigen Unmutsäußerungen begleitet.
  • Und dann gab es da zwei zunehmend frustrierte Verantwortliche, die den Eindruck hatten, wie die Hamster im Kreis zu rennen, immer noch etwas nachzulegen, die Dinge weiterzuentwickeln, noch komfortabler zu gestalten und die bei den Kollegen trotzdem auf keine wirkliche Akzeptanz stießen.

„Wir haben wir uns irgendwann einmal überlegt: Was würde wir, wenn so ein Fall bei einem Kunden auftreten würde, als Berater tun? Dann wurde uns schnell klar, dass es zwar unzweifelhaft einen Mangel gab, aber dieser Mangel ist nicht gemeinschaftlich. Jeder Berater, so schien es zumindest, brauchte was anderes. Da ist uns klargeworden, dass das, was wir angeboten haben, nicht genügend attraktiv war. Es waren Einzelpunkte für Einzelne attraktiv, aber eben nicht in der Gemeinschaft, es gab nicht genügend Gemeinsames. Das hatte zur Folge, dass wir jedes Mal wie die Hamster gelaufen sind, weil jemand gerufen hat, das brauche ich unbedingt, nur – wenn wir es dann mit viel Aufwand gemacht hatten und den Kollegen präsentierten, dann riefen sofort einige andere, „das brauche ich aber nicht, das nütze ich sicher nicht, mir ist ganz ein anderer Punkt wichtiger“, beschreibt Karl Prammer das damalige Dilemma.

So geht´s nicht. Wie geht´s sonst?

Was also tun? Der erste Schritt war die Entscheidung der beiden Verantwortlichen, Wissensmanagement und EDV-Funktion künftig aus einer Hand kommen müsse, um die eingesetzte Energie gezielter zu investieren und Doppelgleisigkeiten auszuschließen. Der zweite Schritt bestand darin, eine gemeinsame Reflexionsrunde mit allen Kollegen zu inszenieren, ihnen die Analyse der derzeitigen Situation zu präsentieren, darüber einmal Einigkeit herzustellen, dann als Gruppe zu überlegen, was für alle attraktive Ziele wären und gemeinsam geplante realistische Umsetzungsschritte zu planen, um in diesem Prozess endlich jenes Maß an Verbindlichkeit herzustellen, das für ein funktionierendes Wissensmanagement Voraussetzung ist.

Der dritte Punkt hieß: Wir brauchen ein funktionales Transformationsinstrumentarium. Wie sollte dieser Prozess angelegt werden? Auch hier brauchten die beiden Berater die Welt nicht neu zu erfinden. Wieder die Frage: Wenn wir einen Kunden beraten würden, was würden wir ihm in dieser Situation anbieten? Die naheliegende Antwort hieß „unser selbstreferenzielles Projektmanagement“. Darauf aufbauend entwickelten sie „die Conecta-Wissensmanagement-Prozessschritte“, beginnend mit dem „case for action“, einer Beschreibung der Ausgangssituation mit den zu lösenden Problemen. Gefolgt vom Punkt „Definition von Wissensvision und Wissenszielen“, der Analysephase „Wissensbestand und Wissensaktivitäten erheben“, der „Konzeption und Durchführung von Wissensmanagementaktivitäten“ sowie der „Auswertung des Prozesses“, dessen Ergebnisse den „case for action“ für die nächste Runde bilden.

Mitmachen schärft das Bewusstsein

In dem Workshop mit den Kollegen wurde, aufbauend auf der Unterscheidung Konzeption und Entscheidung, ein Entscheidungsgremium eingerichtet, dem alle geschäftsführenden Gesellschafter und Trainer als Entscheider und alle Mitarbeiter als Berater angehörten. Susanne Mingers und Karl Prammer gaben ihre Entscheiderrolle an das Entscheidungsgremium ab, bildeten ein kleines Projektteam und holten sich vom Entscheidungsgremium den Auftrag, auf Basis gemeinsam erstellter Wissensziele Konzepte samt Alternativszenarien zu erarbeiten, deren Umsetzung dann aber allen gemeinsam oblag.

Punktuell gab es dazu immer wieder gemischte Teams für Spezialaspekte wie Corporate Design, bei denen einzelne Kollegen miteingebunden wurden. So wurden schrittweise alle Conecta-Berater zumindest einmal in ein Teilprojekt zu dem Thema Wissensmanagement involviert, um sie für das Thema und die Schwierigkeiten bei der Umsetzung zu sensibilisieren.

Gehörige Unruhe entstand gleich wieder, als bei beiden als Ergebnis einer Analyse eine Liste mit den jeweiligen Kundenverantwortungen auf den Tisch legten. Zwar wusste jeder, dass es jeweils einzelnen Beratern zugeordnete Kundenverantwortungen gab, ebenso wie man wusste, dass die Verteilung dieser Kundenverantwortung - obwohl offiziell „alle gleich waren“ - sehr unterschiedlich ausgeprägt war. Aber als dann schwarz auf weiß zu sehen war, dass die Liste bei den einen 2,5 Seiten lang war, bei anderen jedoch nur wenige Zeilen, gingen die Wogen hoch. Heute ist das Thema gegessen, damals barg es jedoch noch jede Menge Zündstoff.

Eine wichtige Erfahrung bei der neuen Vorgangsweise erwies sich die klare Formulierung des case for action. Susanne Mingers: „Hier passiert der eigentliche Tabubruch. Hier werden die Punkte, die nicht funktionieren, auch klar beim Namen genannt. Da haben wir bei uns wie auch bei unseren Kunden erlebt, dass dieses Negativ-Benennen einer der schwierigsten Punkte ist. Aber wenn das nicht passiert, passiert der notwendige Tabu-Bruch nicht. Man benennt dann nicht, wenn jemand kein Wissen weitergibt, man benennt nicht, dass bei den Treffen manche Leute nicht erscheinen, man spricht nicht aus, was nicht funktioniert. Das muss aber offengelegt werden, sonst kann man daran nicht arbeiten. Dann arbeitet man mit viel Aufwand ins Leere.“

Auf ein Neues!

Der Neustart mit der neuen Projektstruktur erfolgte 1997. Bis Ende 2001 gab es drei Durchläufe vom case for action bis zum Review. Einer der ersten Änderungen war das Erlassen einer neuen gemeinsamen Verzeichnungsstruktur. Auch hier gab es zu Beginn wieder Vorbehalte, dennoch hieß es diesmal, „O.k. Jetzt probieren wir es einfach einmal“. Und siehe da: In einem dreiviertel Jahr arbeiteten zumindest 13 Personen nach der neuen Verzeichnisstruktur. Ab nun hieß der Dachordner Conecta-Klienten, auf der nächsten Ebene gab es die einzelnen Klienten, wieder eine Ebene tiefer gab es nun jeweils Ordner für Information, Angebot, Projekt. Dazu kamen klar festgelegte Themenordner, in denen sich jeweils Material, Musterdesigns und Musterangebote fanden. Dazu gab es eine „Schublade“, einen Ordner, in dem nur der Themenverantwortliche arbeiten durfte sowie eine Themenbox, wo alle Material hineinlegen konnten, aus dem der Themenverantwortliche dann machte, was immer er damit machen wollte. Simpel, aber benutzerfreundlich. Vor allem aber endlich einheitlich. Diese Struktur mit diesen drei Ebenen war sowohl auf dem Server der EDV in der Zentrale als auch auf den einzelnen Berater-Laptops vorinstalliert. Was darunter passierte, war wieder jedem selbst überlassen.

Kurz nach Einführung der Themenverantwortlichen zeigte sich, die Idee ist gut, aber nach welchen Spielregeln soll das laufen? Karl Prammer: „Es gab Fragen wie: Bin ich als Themenverantwortliche/r nur Administrator von Folien, oder darf ich hier eine Masterfolie machen? Also haben wir Spielregeln definiert. Dann haben wir gelernt, dass die ursprünglich 18 Themen zuviel waren, also sind wir auf 10 zurückgegangen. Und so hat sich das immer weiterentwickelt. Usw.“

Die Einführung der Verzeichnisstruktur erwies sich im Rückblick als kleiner aber wichtiger Schritt, bei dem erstmals das Gefühl entstand, es funktioniert doch! Aber nur dann, wenn ich es nicht nur den Zuständigen umhänge, sondern das muss ich selber mittragen.

Weitere wichtige Maßnahmen waren in den vergangenen drei Jahren:

     

  • Die Neuorganisation der Wissenstage
  • Die Ausstattung der Laptops mit interner Funk- und externer Handy-Vernetzung
  • Die Erstellung einer Wissenslandkarte
  • Die Herausgabe eines Wissensmanagement-Handbuchs, das jährlich aktualisiert wird
  • Die Einführung von Zielvorgaben und Bezahlung für die Funktionswahrnehmung von Themenverantwortlichen und Wissesmanagementfunktion
  • Die Trennung von Wissenstagen und Theoriezirkeln
  • Aufbau einer Homepage u.v.m.

Ab dem Jahr 2000, so das Resümee von Susanne Mingers und Karl Prammer, wurde das Wissensmanagement „zum mühsamen Selbstläufer mit einem Fragezeichen und einem Rufzeichen – Selbstläufer einerseits, weil jetzt die Beteiligung aller vorhanden ist. Selbstläufer mit Fragezeichen, weil dieses Bewusstsein, dass das was kostet, dass man dafür etwas tun muss, ständig gepflegt werden muss.

02.2002

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