Werte verankern

Was Führungskräfte dazu beitragen können, dass die Werte des Unternehmens tatsächlich gelebt und glaubwürdig vertreten werden sowie in kritischen Situationen als Orientierung dienen.

Wer sich auf anspruchsvolle Werte festlegt, muss auch in der Lage sein, danach zu leben, sonst bekommt er schnell ein Glaubwürdigkeitsproblem. Entscheidend für die Glaubwürdigkeit ist immer das konkrete Verhalten. Werte sind überhaupt erst dann überzeugend, wenn man an ihnen festhält, auch wenn die äußeren Umstände dagegen sprechen und sich mögliche Nachteile ergeben. Der deutsche CDU-Politiker Dr. Wolfgang Schäuble hat auf die Frage, wie Werte glaubhaft gelebt werden können, einmal mit drei Begriffen geantwortet: "Nähe, Diskurs und Vorbild".

Werte lassen sich nicht "herunterbrechen" und durch "Kommunikationskaskaden" quasi verteilen. Werte leben nur dann, wenn sie im Arbeitsalltag erlebbar sind, wenn es eine Übereinstimmung von Reden und Tun gibt, an der Unternehmensspitze ebenso wie bei der unmittelbaren Führungskraft und den Kollegen.

Leben wir die Werte auch?

Werte ohne Übersetzung in konkrete Verhaltensweisen bleiben nur nebeliges Blabla. Also gilt es, im Unternehmen in einen Dialog einzutreten und in einen Diskurs einzutreten. Etwa: Wie wirkt es sich bei uns aus, wenn wir z.B. den Wert "Integrität" täglich leben wollen? Was genau verstehen wir darunter? Was bedeutet Integrität für die Arbeit jedes einzelnen Mitarbeiters? Welche Prozesse und Strukturen müssen wie verändert werden, damit sie wertekonform sind? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Kommunikation im Unternehmen, für das Führungsverhalten, für den Umgang mit Lieferanten und Kunden etc.? Wo liegen mögliche Spannungsfelder zu anderen wichtigen Werten, gibt es mögliche Wertekonflikte? Was wären typische Situationen, wo dieser Werte bedroht sein könnte und wie gehen wir dann damit um?

Solange solche Fragen im Unternehmen nicht beantwortet sind, liegt der Verdacht nahe, dass die proklamierten Werte in der Praxis keinerlei Auswirkungen haben werden. Dabei geht es aber nicht um eine bis ins Detail festgeschriebene Definition, sondern um einen klar definierten Rahmen, eine Verhaltensschablone, die trotz aller möglichen Unschärfen als Orientierung dient und deren Tauglichkeit immer wieder diskutiert und auf den Prüfstand gestellt wird. Es geht darum, mit den Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen und an bestehenden Werthaltungen anzuknüpfen. Z.B. mit den Fragen: Welche Werte bestimmen Ihre Arbeit? Welche Werte sollten sie bestimmen? Welche Werte nehmen Sie bei Ihren internen und externen Kunden wahr sowie bei anderen Anspruchsgruppen? Sind diese Werte für alle Bereiche sinnvoll, also generalisierbar oder sehr spezifisch?

Leitfragen wären hier:

     

  • Durch welche Handlungen, durch welches Verhalten wird der betreffende Wert überzeugend vertreten?
  • Welche Handlungen, welches Verhalten verletzen diesen Wert?
  • Wodurch lässt es sich ermöglichen, dass die Mitarbeiter dem Wert gemäß handeln?
  • Was verhindert oder erschwert, das sich die Mitarbeiter dem Wert gemäß verhalten? Wie lässt sich das ändern?
  • Wodurch lässt sich verhindern, dass die Mitarbeiter gegen den Wert verstoßen?

Werte brauchen Durchgängigkeit

Kernwerte eines Unternehmens beanspruchen allgemeine Gültigkeit. Beziehen sie sich nur auf einen begrenzten Bereich, bedroht dies ihre Glaubwürdigkeit: Wenn sich ein Unternehmen beispielsweise zu "Fairness" bekennt, kann das nicht nur für den Umgang mit Kundenreklamationen gelten. Dann geht damit auch der Anspruch einher, alle Mitarbeiter fair zu behandeln, von den Aushilfskräften bis zum Vorstand, den Lieferanten faire Konditionen einzuräumen und die Interessen der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Zudem ist noch im Einzelnen zu klären, was dieser Kernwert Fairness in dem spezifischen Unternehmen im Einzelnen heißt: z.B. in Hinblick auf Entlohnungssysteme (gleiches Geld für gleiche Arbeit?), Leistungsbeurteilung, etc.

Sensible Werte identifizieren

"Sensible" Werte sind jene Werte, gegen die grundsätzliche nicht verstoßen werden darf, weil sie das gesamte Wertegefüge erschüttern und die Reputation schwer in Mitleidenschaft ziehen würden. Mache Verfehlungen liegen auf der Hand, etwas wenn das Unternehmen Gesetze bricht. Bei anderen erscheint die Reaktion der Öffentlichkeit aus Unternehmenssicht vielleicht überkritisch, weil das Unternehmen in bester Absicht gehandelt hat und sich keiner Schuld bewusst ist. So wurde etwa Nestle in den 70er-Jahren heftig dafür attackiert, weil es Milchpulver in afrikanische Staaten lieferte, das den Frauen helfen sollte, ihre Kinder mit allen wichtigen Nährstoffen zu versorgen. Die Firma wurde dafür verantwortlich gemacht, dass die Milch vielfach nur mit verschmutztem Wasser angerührt werden konnte und viele Säuglinge infolge dessen krank wurden oder sogar starben. Es kam zu Boykottaufrufen, worauf das Unternehmen begann, sich mit den Kritikern an einen Tisch zu setzen und neue Positionen zu entwickeln.

Ähnlich sensible Themen sind Kinderarbeit, die Ausbeutung von Frauen, Klimaschutz, Rassismus, Tierversuche oder Bestechung. Für werteorientierte Unternehmen ist es unbedingt erforderlich, diese Bereiche zu identifizieren und klare Verhaltensstandards zu entwickeln. Vor allem aber ist entscheidend, was passiert, wenn die Mitarbeiter sich daran halten und der Firma daraus mögliche ökonomische Nachteile erwachsen. Aktuelles Beispiel dafür sind die neuen Verhaltensregeln bei Siemens und die Frage, was passiert, wenn dadurch Aufträge in Ländern, in denen Bestechung oder "Gastgeschenke" "zum guten Ton gehören" und den dortigen kulturellen Gepflogenheiten entsprechen, verloren gehen.

Missverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit

Der Knackpunkt ist immer die Frage: Was sticht? Z.B. Wenn es um die Akquisition von Aufträgen geht, die Verhandlung mit Lieferanten, den Extrawunsch eines Kunden? Kann man als Mitarbeiter den propagierten Werten im Alltagsgeschäft überhaupt folgen? Kann man sie dort leben oder handelt man sich damit Nachteile ein? Passen Strukturen, Prozesse, Anreiz- und Bewertungssysteme dazu oder erfordern und belohnen diese ein ganz anderes Verhalten? Wenn ja, wie wird damit (strukturell) umgegangen? Was passiert, wenn diese Diskrepanzen angesprochen werden?

Mindestens ebenso wichtig ist eine klare Antwort auf die Frage: Was tun wir, wenn es hier Unklarheiten gibt, widersprüchliche Aussagen, Entscheidungen und Handlungen, die gegen diese Grundwerte verstoßen? Was passiert, wenn Werte verletzt werden? Wird das aufgegriffen, diskutiert, weiter bearbeitet, gibt es Konsequenzen oder werden Personen, die darauf aufmerksam machen oder auf Klärung drängen, vertröstet, abgewimmelt oder müssen sogar Nachteile in Kauf nehmen?

Generell gilt: Finger weg von Werten, die nicht einzuhalten sind. Nichts vermiest Leuten die Arbeit mehr als eine quasi ins System eingebaute Doppelmoral.

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