Was ist Strategie?

Das ständige Wettrennen um mehr Effizienz garantiert laut Michael Porter noch keinen Erfolg. Anlässlich der 100 Jahr-Feier der Harvard Business School veröffentlichte der Harvard Business Manager u.a. noch einmal die von Porter 1996 formulierten fünf Thesen zur Erzielung eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils.

Natürlich hat der Wettbewerb in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten stark zugenommen, doch exzessiver Wettbewerb ist nach Ansicht von Michael Porter keineswegs ein unvermeidliche Resultat, sondern häufig ein selbst verschuldetes Problem. Nämlich das Ergebnis der Unfähigkeit vieler Unternehmen, klar zwischen operativer Exzellenz und Strategie zu unterscheiden, die das Ziel verfolgt, dem Unternehmen einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. In seinem bekannten Beitrag "Was ist Strategie?" beschreibt Porter seine diesbezüglichen Überlegungen anhand von fünf Thesen, die im folgenden kurz zusammengefasst werden (ausführlich nachzulesen in der Jubiläumsausgabe des HBM vom April 2008):

These 1: Operative Exzellenz allein reicht nicht

Ein Unternehmen wird seine Mitwerber nur übertreffen, wenn es sich von ihnen abheben und diesen Abstand dauerhaft halten kann. Operative Exzellenz hingegen bedeutet ganz allgemein, die gleichen Dinge besser zu tun als die Konkurrenz. Das schließt Effizienz mit ein, ist aber nicht darauf beschränkt. Im Gegensatz dazu beruht eine einzigartige strategische Positionierung darauf, etwas anderes zu tun als die Konkurrenz.

Bereits die Unterschiede hinsichtlich der operativen Exzellenz zwischen den Unternehmen können enorm sein. So sind manche besser darin, mehr aus ihren Produktionsfaktoren herauszuholen, indem sie modernste Techniken einsetzen, Verschwendung eliminieren, Mitarbeiter besser motivieren oder bestimmte Arbeitsabläufe geschickter organisieren, wodurch sie auch rentabler agieren. Eine ständige Verbesserung der operativen Exzellenz ist sicher notwendig, doch für gewöhnlich reicht sie nicht aus, da sich auch die meisten Mitbewerber ständig um diese Verbesserungen bemühen und die meisten dieser Maßnahmen leicht zu kopieren sind. Viele der hier eingesetzten Verbesserungsmethoden verbreiten sich – nicht zuletzt durch die Unterstützung von Beratern – schnell in der gesamten Branche. Zudem ist zu beobachten, dass Benchmarking durch sein inhärentes Nachahmen zu einer zunehmenden Angleichung der Geschäftsstrategien führt.

These 2: Strategie basiert auf Einzigartigkeit

Eine Strategie, die zu einem klaren Wettbewerbsvorteil führt, besteht darin, anders zu sein. D.h. bewusst eine Kombination von Tätigkeiten zu wählen, die für den Kunden einen einzigartigen Mix von Werten erzeugt. Eine strategische Positionierung kann laut Porter anhand von drei Kategorien vorgenommen werden, die sich wechselseitig keineswegs ausschließen, häufig sogar kombiniert werden:

Produkt- oder Servicevarianten: Erstens kann eine Marktposition darauf basieren, dass ein Unternehmen nur einen Teil des in einer Branche üblichen Sortiments an Produkten oder Leistungen anbietet. Porter nennt dies eine "variantenbezogene Positionierung", da es hier um die Wahl von Produkt- oder Servicevarianten geht statt um Kundengruppen. Eine solche Positionierung ist dann sinnvoll, wenn ein Unternehmen bestimmte Produkte oder Leistungen aufgrund spezieller Kompetenzen besser erbringen kann als andere und so für einen eng begrenzten Bereich von Services eine überlegene Wertschöpfungskette aufweisen. Ein bekanntes und oft zitiertes Beispiel wäre Southwest Airlines mit seiner Konzentration auf preiswerte Kurzstrecken-Direktflüge zwischen mittelgroßen Strecken und großstädtischen Nebenflugplätzen.

Kundenbedürfnisse: Die zweite Basis für Positionierung besteht darin, die meisten oder alle Bedürfnisse einer spezifischen Kundengruppe zu befriedigen. Diese "bedürfnisbezogene Positionierung" entspricht mehr der traditionellen Grundidee, einem bestimmten Kundensegment gerecht zu werden. Infrage kommt diese Positionierung, wenn es Kunden mit unterschiedlichen Bedürfnissen gibt und diese am besten mit einer Reihe speziell zugeschnittener Angebote befriedigt werden können. Ein Beispiel dafür wäre Ikea mit seiner Konzentration auf junge Käufer, die gutes Design zu niedrigen Preisen wünschen. Manche Kundengruppen sind etwa preisbewusster als die übrigen, wünschen sich andere Produktmerkmale oder verlangen mehr Hilfe und Service.

Kundenzugang: Das dritte Kriterium für eine Positionierung besteht darin, Kunden danach zu segmentieren, wie sie am besten anzusprechen sind. Auch wenn die Bedürfnisse zweier Gruppen gleich sind, unterscheiden sie sich möglicherweise darin, auf welche Art und Weise sie anzusprechen sind. Porter spricht hier von "zugangsbezogener Positionierung". Dabei hängt die Art des Zugangs vom Standort des Kunden ab oder von seiner Größe – oder von allem, was eine bestimmte Kombination von Aktivitäten nötig macht, um ihn auf die beste Weise zu erreichen.

These 3: Trade-offs sind unabdingbar

Eine einzigartige strategische Position garantiert noch keinen dauerhaften Vorteil, denn eine lukrative Wettbewerbsposition lockt Konkurrenten an. Sei es, indem sie die Strategie des erfolgreichen Unternehmens zu kopieren versuchen, oder indem sie versuchen, zweigleisig zu fahren, d.h. sich die Vorteile der erfolgreichen Position anzueignen und gleichzeitig die bisherige Position zu bewahren. Z.B. versuchen dies Fluglinien, indem sie einen eigenen Billigzweig aufbauen. Das Problem dabei: Eine strategische Position ist auf Dauer unhaltbar, wenn nicht im Vergleich zu anderen Positionierungen Abstriche gemacht werden. Denn eine einzigartige Position erfordert auch ein einzigartiges Vorgehen in Bezug auf Produktgestaltung, Betriebsausrüstung, Fähigkeiten, Mitarbeiterverhalten und Managementsystem. Umso wichtig ist es für die Strategie, hier eine Wahl zu treffen. Die Essenz der Strategie besteht darin zu entscheiden, was "nicht" zu tun ist.

These 4: Die Strategie muss abgestimmt sein

Während es bei operativer Exzellenz darum geht, eine hervorragende Leistung bei einzelnen Tätigkeiten oder Funktionen zu erreichen, geht es bei der Strategie darum, die Tätigkeiten richtig zu kombinieren. Tatsächlich ist ein abgestimmtes Gesamtsystem wesentlich entscheidender für den Wettbewerbsvorteil, als die meisten Manager glauben, weil dies die Einzigartigkeit einer Marktposition stärkt. Insofern kann es in die Irre führen, den Erfolg von Unternehmen mit spezifischen Stärken, Kernkompetenzen oder kritischen Ressourcen zu erklären. Die Liste der Stärken umfasst viele Funktionen und eine Stärke geht in die andere über. Eine Fülle von Tätigkeiten strategisch aufeinander abzustimmen, ist aber nicht nur eminent wichtig, um einen Wettbewerbsvorteil zu erringen, sondern auch, um ihn nachhaltig zu sichern, da es für Rivalen schwerer ist, eine ganze Folge ineinander verzahnter Tätigkeiten imitieren zu müssen als lediglich das bestimmte Vorgehen in einem besonderen Bereich.

Der Zeithorizont für eine strategische Positionierung sollte darum zehn Jahre oder mehr betragen und nicht nur eine Planungsperiode umfassen. Demgegenüber sind häufige Positionsänderungen sehr kostspielig. Denn es müssen nicht nur einzelne Tätigkeiten umgestaltet werden, sondern das ganze Geschäftssystem muss neu abgestimmt werden. Strategie sorgt also dafür, dass alle Tätigkeiten eines Unternehmens aufeinander abgestimmt sind. Ihr Erfolg hängt davon ab, dass viele Dinge – nicht nur einige wenige – gut gemacht werden und sich wechselseitig ergänzen. Ohne ihre Feinabstimmung ergibt sich keine unverwechselbare Strategie und schwerlich eine dauerhafte Marktstellung.

These 5: Manager müssen strategisch denken

Gefahr für eine Strategie, so glauben viele Manager, taucht meist von außerhalb auf durch technische Neuerungen oder die Konkurrenz, doch die größte Bedrohung für die Strategie kommt meist von innen. Manager gerieten in den vergangenen Jahren mehr und mehr unter Druck, messbare Verbesserungen zu erzielen. Programme zur Steigerung der operativen Exzellenz erzeugen meist beruhigende Ergebnisse, aber nicht unbedingt überdurchschnittliche Renditen und erst recht nicht langfristige Wettbewerbsvorteile. Unter allen negativen Einflüssen ist der Drang nach Wachstum für die Strategie vielleicht am gefährlichsten, scheint eine klare Positionierung das Wachstum doch scheinbar zu beschränken. Daher versuchen viele Manager, diese Grenzen aufzuweichen, wodurch sie die strategische Position ihre Unternehmens nach und nach verwischen. Die Folge sind größere Sortimente und neue Produktmerkmale, das Nachahmen von Serviceleistungen, das Kopieren von Prozessen und sogar Akquisitionen. Generell, so Porter, heißt das richtige Rezept aber: Unternehmen sollten sich darauf konzentrieren, ihre strategische Position zu festigen, statt sie auszudehnen und damit zu beeinträchtigen.

Quelle: HBM, April 2008

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