Wie viel Wandel halten Sie aus?

Je häufiger Veränderungsprozesse in Unternehmen angestoßen werden und je schneller sie vonstatten gehen, desto brisanter wird die Frage: Wie viel Veränderung und Wandel ist für Menschen, aber auch für Organisationen überhaupt leistbar? Fragen gibt es in diesem Zusammenhang eine ganze Menge, praktische Antworten aber erst in Ansätzen.

Vor zwei Jahren war die Firma noch ein eigenständiger Mittelbetrieb, vor einem Jahr wurde sie von einem Großunternehmen übernommen, welches heuer selbst wieder aufgekauft wurde. Da nicht jeder der angestammten Geschäftsbereiche zu den "Kernaktivitäten" des aktuellen Mutterkonzerns gehört, findet sich ein Teil der Belegschaft des ursprünglichen Unternehmens seit einem Monat outgesourct als eigenständige kleine GmbH wieder.

Wer bewegt sich schneller?

Auch wenn derart rasch wechselnde Eigentümerstrukturen mitsamt den damit einher gehenden Umbauten im Unternehmen nicht die Regel sind, eines ist heute bereits deutlich sichtbar: Die von Mitarbeitern früher oft beklagte Unbeweglichkeit vieler Firmen ("bürokratisch", "veränderungsresistent", "ein unbeweglicher Tanker") verkehrt sich zunehmend ins Gegenteil. Litten Manager und Mitarbeiter in der Vergangenheit eher unter der Unbeweglichkeit von Organisationen, so haben heute immer mehr Menschen große Mühe, mit den "plötzlich wild gewordenen" Organisationen mitsamt ihren Zusammenschlüssen, Ausgliederungen, Restrukturierungen, Prozessoptimierungen und sonstigen Change-Programmen Schritt zu halten.

Damit stehen Unternehmen vor zwei neuen Herausforderungen: Einerseits gilt es Wege zu finden, um unterschiedliche Rhythmen und Geschwindigkeiten von Person und Organisation einander anzugleichen, damit es nicht zu "Herzrhythmusstörungen" mit möglicherweise fatalem Ausgang kommt, zum anderen gilt es Antworten darauf zu finden, wie schnell und wie oft Wandel überhaupt als gesund anzusehen ist und wann er für Personen und Organisationen zur Überlastung führt.

Auch Organisationen können kollabieren

Bereits die Frage – wie viel Wandel tut Organisationen eigentlich gut – bedarf einer differenzierten Betrachtung, die über ein allzu simples "Veränderung ist gut, mehr Veränderung ist besser" -Schema hinausgeht. Der vorherrschende Eindruck in den dynamischsten Branchen scheint ja zu sein: Was heute so ist, kann morgen schon ganz anders sein. ("Welches Organigramm wollen Sie sehen? Das von dieser Woche oder das von letzter Woche?") Die positive Seite daran ist, dass dieser Pol der Flexibilität und Beweglichkeit organisatorischer Regeln und Strukturen tatsächlich hilft, immer wieder aufs neue die nötige Passung zwischen Unternehmen und sich wandelnden Märkten sicherzustellen.

Genau so wichtig für das Funktionieren einer Organisation ist aber auch der entgegengesetzte Pol, jener der Stabilität und Kontinuität. Kurt Guwak, HR-Manager der Bank Austria, weist denn auch auf einen Aspekt hin, der angesichts eines übertriebenen "Veränderungswahns" leicht übersehen wird: "Es ist für ein Unternehmen ebenso entscheidend, dass die Mitarbeiter bestimmte Dinge morgen genauso tun wie sie es heute tun, sonst ist es um die Qualität im Leistungsprozess schlecht bestellt." Zum anderen, so Mag. Heinz Jarmai von der Beratergruppe Neuwaldegg, laufen Unternehmen bei zu starker Betonung der Veränderungs-Seite Gefahr, zu kollabieren. Interne Veränderungen wie etwa die Festlegung neuer Arbeits- und Rollenanweisungen oder der Umbau der EDV-Systeme brauchen schlichtweg ihre Zeit. Solche Systeme können nicht beliebig oft gewechselt werden. Wird – um ausnahmsweise das alte Maschinenbild zu bemühen - an zu vielen Schrauben gleichzeitig gedreht, steigt die Gefahr, dass die Räder nicht mehr ineinandergreifen, die Abstimmung nicht mehr klappt und plötzlich alles stillsteht.

Zu allem Überfluss ist Wandel immer "kontextabhängig": Wandel in einem konkursgefährdeten Unternehmen meint anderes als Wandel in einem jungen Start-up mit explosivem Wachstum. Dementsprechend führen in einem Kontext erfolgreich angewandte Vorgangsweisen im anderen Kontext nur selten zum gleichen Erfolg.

Die andere Seite: die Menschen

Klar ist, dass Tempo und Häufigkeit von Veränderungen in Organisationen zunehmen und diese Entwicklung bereits auf Organisationsebene eine Fülle von Herausforderungen mit sich bringt. Weit weniger klar ist aber, was diese Tempoverschärfung bei den betroffenen Menschen für Auswirkungen zeitigt, zumal auch grosse Veränderungsprozesse keineswegs von allen Mitarbeitern dasselbe Mass an Veränderung fordern. Manche Arbeitsbereiche bleiben vielleicht von den Veränderungen vollkommen unberührt. Zum anderen macht es einen grossen Unterschied, ob es um eine Veränderung im Sinn einer Weiterentwicklung und Anpassung oder um einen wirklich tiefgehenden Wandel im Sinn eines Bruchs und Musterwechsels geht (Wenn ich gestern noch allein in einem Büro gesessen bin und ab heute in einem Team arbeite, bin ich dadurch schon automatisch ein anderer geworden?).

Ob Veränderung oder Wandel, jede Unternehmensleitung weiß aus eigener Erfahrung, dass Veränderungen in den Strukturen und Prozessen der Organisation nicht automatisch Veränderungen auf Ebene der handelnden Personen nach sich ziehen. Ein häufiger Schluss ist dann: "Menschen mögen keine Veränderung. Mehr Veränderung mögen sie daher schon gar nicht." Entsprechend dieses statischen Menschenbildes sucht man dann in den Firmen nach den neuesten Rezepten, wie man den von den "Veränderungspromotoren" als nötig erachteten Wandel den restlichen Mitarbeitern schmackhaft machen und sie trotz "innerer Widerstände" zu Veränderungen in ihren Denk- und Verhaltensweisen bewegen kann.

Menschen sind...

Nun gibt es aber durchaus berechtigte Zweifel an der Richtigkeit dieses Menschenbildes. Erstens gibt es bei jedem Veränderungsprojekt Befürworter und Unterstützer, die sehr wohl Veränderung wollen und möglicherweise "schon lange darauf gewartet haben, dass endlich etwas geschieht." Ein modifizierter Schluss ist daher: "Es gibt eben unterschiedliche Typen. Die einen lieben den Wandel, die anderen haben Angst davor." Passend dazu versucht man dann beim Start von Veränderungsprojekten, möglichst viele Unterstützer zu mobilisieren, um den grossen Teil der Abwartenden zum Mittun zu bewegen und so eine kritische Veränderungsmasse zu erreichen.

Ein anderes, dynamischeres Menschenbild hingegen beschreibt der Berater Mag. Erich Kolenaty, wenn er meint: "Ich glaube nicht, dass die Menschen wollen, dass es so bleibt wie es ist. Ich glaube, dass sie wollen, dass es sich bewegt, wie sie es sich denken. Menschen denken sich durchaus dynamisch, im Sinn eines Veränderungs-, eines Reifungsprozesses, im Sinn einer Karriere." Ein in der Managementliteratur immer wieder zitierter Ausspruch meint ähnliches: "Menschen wehren sich nicht gegen Veränderung, sondern dagegen, verändert zu werden."

Damit verbunden ist ein "leicht" anderer Zugang der Veränderungsmanager, den man in etwa so charakterisieren könnte: Statt Überredung geht es um Aushandlungsprozesse, basierend auf Transparenz und offener Informationspolitik zu den Fragen:

  • Warum ist diese Veränderung gerade jetzt notwendig?
  • Warum haben wir uns zu genau diesem Vorgehen entschieden?
  • Welche Hoffnung und Zielsetzung verbinden wir damit?
  • Welche Erwartungen an die Mitarbeiter sind damit verbunden?
  • Welche Erwartungen haben diese ans Unternehmen?
  • Was kann das Unternehmen tun, um den Erwartungen der Mitarbeiter auch unter den geänderten Bedingungen gerecht zu werden?

Welche Annahmen sind nützlicher?

Das vorherrschende Organisationsbild legt diesen Aushandlungsprozess aber nicht gerade nahe, lautet es doch: Organisationen bestehen aus Menschen! Menschen sind sozusagen die Elemente der Organisation. Ändert sich das Ganze, hat das zwangsweise auch Auswirkungen auf seine Teile. Eine andere Perspektive ist die in systemischen Ansätzen vertretene Unterscheidung in Person – Organisation.

Gemäss diesem Organisationsbild bestehen Unternehmen eben nicht aus Menschen, sondern aus Interaktions- und Kommunikationsmustern. Dr. Ruth Seliger, Geschäftsführerin von Train Consulting, charakterisiert diesen Unterschied pointiert mit den Worten: "Menschen sind Menschen und Organisationen sind Organisationen." Auch wenn es für viele erst einmal fremd klingen mag, aus systemischer Sicht sind Organisationen somit "Umwelt" von Personen.

Die höchst praktische Auswirkung dieser Unterscheidung besteht darin, dass dadurch neben Organisation und Person plötzlich ein drittes Element in den Blick gerät: die "Koppelung", die Verbindung zwischen Person und Organisation, die es im Fall einer Veränderung neu zu gestalten gilt. Denn ebenso wie Organisationen entscheiden, ob und wie sie sich verändern, wenn sich ihre relevanten Umwelten (Kunden, Gesetzeslage, Technologien, gesellschaftliche Werthaltungen etc) ändern, entscheidet auch jede einzelne Person, ob und wie sie auf Veränderungen reagiert, wenn sich "die relevante Umwelt Organisation" ändert.

Welch eminente Bedeutung diese Koppelung von Person und Organisation hat, erlebten beispielsweise viele der – seit Jahren starken Veränderungen unterworfenen – Telekommunikations- und Softwareunternehmen, die einerseits genau solche Mitarbeiter brauchen, die offen und flexibel und "empowered" mit Veränderungen umgehen, damit aber gleichzeitig eben auch Mitarbeiter eingestellt haben, die ebenso flexibel und offen die Beziehung zum Unternehmen gestalten und gegebenenfalls blitzschnell das Unternehmen wechseln. In diesem Fall – und diese Situation nimmt in unserer Gesellschaft rasant zu – heißt Wandel: Die Person bleibt unverändert (bzw. folgt ihrem eigenen Entwicklungsweg) und der Wandel passiert in der Art ihrer Beziehung zu den Unternehmen, indem sie immer häufiger und schneller das Unternehmen wechselt. Wandel ist eben keine Einbahnstrasse.

Autor: Mag. Peter Wagner

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