Klappt virtuelle Kooperation? Teil I

Ein ungewöhnliches Experiment in Italien liefert erste Anhaltspunkte für die soziale Gestaltung virtueller Kommunikation und Kooperation.

Um herauszufinden, in welchen  Bereichen sich die Prozesse und Dynamik von Virtuellen Teams von traditioneller Teamarbeit unterscheidet, wurde im Rahmen der Summerschool des Interaction Design Instituts Ivrea, Italien von der Wiener Beratungsfirma GHO dynamic strategies im September 2001 unter dem Titel „XLab - Experience Lab“ ein 14tägiger Workshop durchgeführt. Dabei wurden die TeilnehmerInnen in den ersten vier Tagen in die Situation virtueller TeleworkerInnen versetzt, um die spezifischen Phänomene bei der Kooperation in diesem Medium direkt erleben und anschließend gemeinsam aufarbeiten zu können.

Der konkrete Ablauf des Xlabs

Ankunft und Einrichten des Settings: Die sechs TeilnehmerInnen, interneterfahrene Interaction Designer aus Amerika, Europa und Asien, bekamen im Rahmen eines Rollenspiels den Auftrag, gemeinsam eine virtuelle Organisation aufzubauen und ein Konzept für ein gemeinnütziges Produkt zu entwerfen, das sich zukunftsträchtig am Markt behaupten kann. Ein Trainer übernahm die Rolle des Investors, des Auftraggebers, der am Ende der viertägigen Simulation, ein Ergebnis erwartete.

Bei der Bewältigung dieser Aufgabe waren die TeilnehmerInnen ausschließlich auf die Kooperation im Virtuellen Raum angewiesen. Sie hatten weder persönlich noch virtuell Gelegenheit, sich vor dem Start am Computer persönlich kennen zu lernen. Als Softwarelösung wurde dazu eine Groupeware gewählt, in der synchrone Kommunikation mittels Chatfunktion und die Möglichkeit, gemeinsam und zeitgleich an grafischen Entwürfen zu arbeiten, kombiniert wird.

Nachdem die TeilnehmerInnen einzeln begrüßt, in das Rollenspiel eingeführt und notwendige technische Details geklärt waren, wurden die TeilnehmerInnen an vier unterschiedliche Standorte in den nahe gelegenen Bergen gebracht. Dann startete der erste Kontakt zwischen den TeilnehmerInnen - und zwar online, im Netz!

Phase 1: „Experience“

In den darauffolgenden vier Tagen erlebten die TeilnehmerInnen einen Teamentwicklungsprozess, der in mancherlei Hinsicht ähnlich wie der in einem „normalen“ Projektteam verlief. In mehreren zentralen Punkten wurden aber entscheidende qualitative Unterschiede zu den Phänomen und Dynamiken in Gruppen, die sich von Angesicht zu Angesicht sehen können, deutlich.

Die anfängliche Phase war von Unsicherheit geprägt. Zusätzlich zu der Verunsicherung, die jeder kennt, der Mitglied eines neugegründeten Teams mit einem anfangs diffusen und allgemein gehaltenen Auftrag ist, hatten hier die TeilnehmerInnen aber auch noch die schwierige Situation zu meistern, dass sie auf viele gewohnte Mechanismen, die uns in neuen sozialen Situationen Sicherheit geben, verzichten mussten:

     

  • Es ist nicht möglich, sich eine erste soziale Orientierung über den visuellen Eindruck, welcher aus dem  Geschlecht, Alter, Bekleidungsvorlieben, u.U. regionalem Hintergrund etc der anderen Mitglieder entsteht, zu verschaffen. Von den anderen TeilnehmerInnen erfährt man nur das, was diese explizit und willentlich über sich mitteilen. Dabei ist man darauf angewiesen, in die Richtigkeit der gegebenen Information zu vertrauen, ohne sich unkompliziert rückversichern zu können - und Vertrauen ist in virtuellen Teams ein zentrales, aber nicht von vornherein gegebenes Gut!
  • Möglichkeiten über die Mimik und Gestik der anderen TeilnehmerInnen zu einer Einschätzung über deren Zustimmung oder Ablehnung zu einem Vorschlag zu gelangen, fehlen völlig.
  • Wenn auf eigene Beträge und Fragen keine Reaktion erfolgt, bleibt immer unklar, ob das daran liegt, dass der Beitrag übersehen wurde, dass die anderen gerade mit etwas anderem befasst sind (etwa technischen Problemen), oder dass die anderen vielleicht gar nicht mehr hinter dem Computer sitzen etc. Anwesenheit ist in normalen Gruppen ein einfaches Faktum (nicht ganz: auch hier kann Diskussionsbedarf entstehen, ob rein körperliche Anwesenheit reicht, oder ob nicht auch aktive Beteiligung gefordert ist). In virtuellen Teams dagegen ist sie ein permanenter Unsicherheitsfaktor.

 

Damit ist in der virtuellen Kooperation zusätzlich zu den üblichen Mühen des Anfangs das Problem der geringen sozialen Resonanz zu bewältigen. Vertrauen aufzubauen, wird damit um einiges schwieriger.

Identität:

Eine besondere Bedeutung für die Arbeit in virtuellen Teams hat der Aufbau einer Gruppenidentität. Um den individuellen Isolationsgefühlen entgegenzuwirken, wurden schnell Initiativen gesetzt, um Gemeinsamkeit herzustellen. Dabei wurde auch auf Mechanismen, die aus dem „realen Leben“ bekannt sind zurückgegriffen. So wurde  in einer verunsichernden Situation, als die Gruppe auf das Zwischenfeedback durch den Investor wartete, gemeinsam gesungen. Singen bedeutet in einem Chat, dass der Text eines allen bekanntes Liedes gemeinsam geschrieben wird. Auch wenn das als nur unbefriedigender Ersatz für reale Musik erscheinen mag, leistete dieses Singen dennoch eine ähnliche Funktion. Herauszufinden, welche Rituale und Mechanismen im Virtuellen Raum als adäquates Äquivalent für die zahlreichen vielfach unbewussten Kooperationsrituale in realen Teams geeignet sind, ist eine zentrale Herausforderung für alle Manager von Virtuellen Teams.

Macht und Einfluss:

Ein wichtiges Thema für die Entwicklung des Virtuellen Teams war auch das Herauskristallisieren von Einflussunterschieden und informeller Führung. Einflussunterschiede sind in virtuellen Teams besonders schwer identifizierbar, da Machtzuschreibungen auf Grund anderer Mechanismen entstehen, als wir es von realen Gruppierungen kennen: Das Ausmaß der Präsenz, die produzierte Datenmenge (Schreibarbeit an gemeinsamen Texten und Wortmeldungen im Chat) und die Prägnanz im Ausdruck, scheinen hier besonders wichtige Einflussfaktoren zu sein.

Konflikte:

Natürlich gab es auch in der virtuellen Kooperation Konflikte: Unterschiedliche Vorstellungen über das Projektergebnis bzw. über den optimalen Weg dorthin, der Umgang mit Verbindlichkeit, Aushandlungsprozesse über die Wertigkeit unterschiedlicher Anteile am Endergebnis etc. waren auch im XLab wichtige und konfliktreiche Themen.

Die Kommunikation im Virtuellen Raum scheint zwar auf Grund der Schriftlichkeit objektiver und klarer, ist aber in Wirklichkeit auf Grund des Fehlens von nonverbalen Rückversicherungsmöglichkeiten viel störungs- und damit auch konfliktanfälliger. Eine ironische Bemerkung, die im face-to-face-Kontakt durch ein freundliches Augenzwinkern abgeschwächt wird,  kann in der virtuellen Kooperation leicht als Boshaftigkeit oder Zynismus verstanden werden. Die in Chats üblichen „Emoticons“ - das sind im Internet verbreitete Grafische Darstellungen von Gemütszuständen z.B.

:-) für „Zufrieden“

;-) für „Zwinkern“

sind hier nur ein unzureichender und grobschlächtiger Ersatz für den Facettenreichtum nonverbaler Ausdrucksmöglichkeiten. Zusätzlich birgt der auch aus Emails bekannte häufig salopp bis flapsige Tonfall, der ein Kulturphänomen der neuen Medien zu sein scheint, das Risiko von Konflikten in sich.

Neben diesen kommunikationstheoretischen Ursachen gibt es aber auch weitere Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit von Konflikten in virtuellen Teams erhöhen: So besteht ein hohes Risiko, dass parallel gearbeitet wird, ohne es zu bemerken. Einerseits durch die immense Menge an schriftlichem Material, das erzeugt wird, wodurch es schwierig ist, den Überblick zu behalten, andererseits entfallen die zahlreichen und in ihrer Bedeutung vielfach unterschätzten informellen Abstimmungsmechanismen, die in der vermeintlich unproduktiven Zeit in der Kaffeeküche, beim Zigarettenrauchen oder beim Kopierapparat stattfinden.

Auf der anderen Seite bleiben Konflikte im virtuellen Raum leicht verborgen. Durch die schriftliche Kommunikation besteht eine gewisse Tendenz zur Versachlichung, die es schwierig macht, einen Konflikt als solchen überhaupt wahrzunehmen. Weiteres ist es in der virtuellen Kooperation relativ leicht, sich bei unliebsamen Themen zu entziehen: Während es im direkten Kontakt schwierig sein kann, sich einer emotional nachdrücklich eingeforderten Auseinandersetzung zu entziehen, ist das bei virtuellen Teams viel einfacher, auf unangenehme Fragen gar nicht oder nur ausweichend zu reagieren, oder im Extremfall einfach offline zu gehen.

Abgeschlossen wurde der erfahrungszentrierte Experience-Teil Labortory mit der Präsentation der  Ergebnisse, die die TeilnehmerInnen in den letzten vier Tagen erarbeitet hatten.

06.2002

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