Verzögern oder Gas geben?

Wie setzt man Personalentwicklungsinstrumente so ein, dass die Chancen steigen, die erhofften Effekte zu erzielen und negative Effekte möglichst ausbleiben?

„Der richtige Mitarbeiter am richtigen Platz“. Wer kennt den Slogan nicht. Klingt gut, macht Sinn, scheint ganz einfach. Schwierig wird es erst bei genauerer Betrachtung. Auf der einen Seite die „Stelle“, die Funktion: Was muss eine Mitarbeiterin hier genau tun? Welche Aufgaben sind zu erledigen? Welche am häufigsten, welche sind am wichtigsten? Welche Verhaltensweisen sind da erforderlich, weil erfolgsversprechend? Auf der anderen Seite die Person: wie finde ich heraus, welche Aufgaben und Tätigkeiten ihr am meisten liegen? Und für Vorgesetzte besonders wichtig: Wie kann man „Verhalten“ auf eine Art besprechen, dass sich Mitarbeiter nicht auf den Schlips getreten fühlen?

Ende der 90er-Jahre war die Wüstenrot Bausparkasse auf der Suche nach einem Instrument, das diesen Anforderungen gerecht werden sollte: Es sollte die Auseinandersetzung fördern mit den eigenen Aufgaben, sei es auf Managementebene, sei es auf Mitarbeiterebene und es sollte als Türöffner dienen für eine Reflexion und anschließende Gespräche über eigene Verhaltenspräferenzen und Werte. Die Entscheidung fiel schließlich für „Insights“ und aus der Vorgangsweise bei der Implementierung dieses Instruments lassen sich einige „Erfolgsfaktoren“ destillieren, die für die Einführung neuer Management- und PE-Instrumente generell von Nutzen sein könnten:

Signal von oben

Den ersten Schritt zur Einführung des neuen Instruments setzte der damalige Bereichsleiter Personal und heutige Personalvorstand Mag. Helmut Köllensperger. In einem ersten Schritt testete er das Instrument an sich selbst, füllte die Fragen aus, bekam einen schriftlichen Report und verteilte ihn dann mit der Aufforderung „Lest Euch das mal durch und dann reden wir darüber“ an seine unmittelbaren Mitarbeiter. Erklärtes Ziel war, zu überprüfen, ob es eine hohe Übereinstimmung geben würde zwischen den Ergebnissen des Reports und dem Erleben im Alltag. Diese Offenheit und das Interesse an Rückmeldungen führten zu einem regen Meinungsaustausch und weckten das Interesse der Gesprächspartner, das Instrument selbst einmal auszuprobieren. Kurz darauf fiel die Entscheidung, das Instrument einmal im kleinen Rahmen auszuprobieren.

Zuerst ein Pilot

Das erste Einsatzgebiet von Insights war der Ausbildungsbereich. Sowohl auf der Managementebene in der Führungskräfteentwicklung als auch auf Mitarbeiterebene bei der Grundausbildung im Vertrieb. Zu Beginn der Lehrgänge füllten die Beteiligten die Fragebögen aus, ein bis zwei Tage später erhielten sie den Report und eine Woche darauf kam es zu einem ausführlichen Auswertungsgespräch mit einem Personalentwickler. Wenn gewünscht, unter Hinzuziehung des direkten Vorgesetzten, um mit ihm gezielte Unterstützungsmaßnahmen zu vereinbaren.

Auf eine durchaus reale Gefahr beim Einsatz von Potenzialanalyse-Instrumenten weist der Personalentwickler Mag. Manfred Gerharter hin,  wenn er meint: „Solche Reports werden schnell als  „Gutachten“ interpretiert im Sinn von: Aha so bin ich also. Ein grüner Typ, Mist. Ich wäre lieber ein roter, was muss ich tun, um ein roter Typ zu werden? Um diese Etikettierungen zu vermeiden, ist es extrem wichtig, sich genügend Zeit für die anschließenden Gespräche zu nehmen“. Schon allein das legt nahe, solche Instrumente schrittweise einzuführen, sonst fehlen die Resourcen für die Auswertung, die Reports verschwinden in der Schublade und das Instrument hat in kürzester Zeit eine schlechte Nachrede. Ein weiterer Vorteil der Verknappung: Was nur wenige dürfen, ist natürlich viel attraktiver als etwas, das alle „müssen“. Es entsteht eine Sogwirkung. „Ich will das auch machen“.

Neue Sprache, neue Gesprächsqualität

Der Report enthüllt also keine „Wahrheit“, sondern erspiegelt bestimmte Vorlieben und Präferenzen wider. Vor allem aber fungiert er als Türöffner, um Verhalten zum Thema zu machen. Mag. Wieland, zu Beginn der Einführung Leiter dieses Projektes und mittlerweile Leiter der neu aufgebauten Funktion Unternehmensentwicklung:  „Eine ganz wesentliche Erkenntnis ist für viele, dass dadurch sehr klar wird, wie unterschiedlich die Menschen sind, dass sie ganz unterschiedliche Präferenzen haben und dass daher mein Verhalten ganz unterschiedliche Reaktionen zeitigt. Der Effekt ist, dass die Führungskräfte in ihrem Verhalten den Mitarbeitern gegenüber und die Mitarbeiter ihren Kunden gegenüber verständnisvoller und damit flexibler werden. Jeder „Typ“ hat bestimmte Vorlieben und Abneigungen, die in bestimmten Situationen vorteilhaft, in anderen hinderlich sind.

Es geht also genau nicht darum, Menschen umzubauen, sondern darum, die eigenen Möglichkeiten bewusster einzusetzen.“

Während also, um bei der hier stark verkürzten Typologie zu bleiben, ein „roter Typ“ vielleicht sehr dynamisch und forsch auf Neukunden zugeht und schnell zu einem Abschluss kommt, dafür aber oft die Nachbetreuung vernachlässigt, widmen „grüne Typen“ dem Aufbau tragfähiger persönlicher Beziehungen viel mehr Aufmerksamkeit, haben dann aber eher Angst, „durch das Drängen auf einen Abschluss die Beziehung zu gefährden“.

Klar ist, dass diese Sichtweise die Versuchung, einen Mitarbeiter mit Performance-Problemen sofort in ein Training abzukommandieren, signifikant sinkt, während maßgeschneiderte Unterstützung für den einzelnen Mitarbeiter durch „coachende“ Führungskräfte ebenso signifikant steigt.

Diagnose als Heilung

Gleich zu gleich gesellt sich gern. Die Gültigkeit dieses Spruchs lässt sich in Unternehmen leicht verifizieren. Führungskräfte suchen nach erfolgsversprechenden Nachfolgern (die Besten sind zufällig so wie man selbst). Teams suchen nach Mitgliedern, die „zu ihnen passen“. Möglicher Teameffekt: Alle sind nett zueinander, nur werden keine Entscheidungen getroffen. Kommt dann jemand ins Team, der auf Entscheidungen drängt, fliegt er - als dominanter Knochen punziert – hochkant wieder hinaus oder wird in massive Konflikte verwickelt. Akzeptanz und Wertschätzung für den Nutzen der Unterschiede kann da wahre Wunder wirken. Oft reicht schon eine kurze Analyse der Team-Zusammensetzung für massenweise Aha-Erlebnisse, das Teamtraining kann man sich häufig sparen.

Der Startschuss für die Einführung des neuen Instruments fiel Ende 1999. Erste Zielgruppe waren die internen Trainer sowie in Folge die Teilnehmer der Vertriebschulungen sowie die Führungskräfte. Alle auf freiwilliger Basis. Je klarer den Beteiligten der Nutzen wurde - sei es als Unterstützung bei den Mitarbeitergesprächen, sei es als Hilfe im Verkaufsprozess - desto stärker wurde die Nachfrage. Bisher sind rund 300 der knapp 1000  fest angestellten Mitarbeiter darin geschult. Heuer, zwei Jahre nach dem Start, scheint die kritische Masse endgültig überschritten zu sein.  Das Instrument erlebt einen wahren Boom.

Schnell + flächendeckend = Risiko

Die schnelle, flächendeckende Einführung von PE-Instrumenten benötigt einen großen Resourcenaufwand. Der Legitimations- und Erfolgsdruck auf die Initiatoren steigt dadurch gewaltig an. Damit nötige Abstriche beim Zeit- und Geldbudget  (im vorliegenden Fall etwa bei der Dauer der Feedbackgespräche) vermindern die Akzeptanz bei den Betroffenen. Sie „müssen“ das jetzt machen, statt in der eigenen Auseinandersetzung damit Nutzen und Vorteile für sich selbst zu erkennen und im besten Fall aktiv für sich einzufordern. Der Effekt: push statt pull. Einige wenige drängen, viele fühlen sich gedrängt.

Bei schneller flächendeckender Einführung fehlt meist die Zeit, das Instrument in kleinem Rahmen auszuprobieren, durchzurütteln, auf die eigene Organisation abzustimmen und vor allem mit anderen, vorhandenen Instrumenten abzugleichen. Auftauchende Widersprüche werden beiseite geschoben statt bearbeitet. Stattdessen wird der Druck weiter erhöht, damit auch die Widersprüche, wodurch sich das Projekt letztlich selbst killt. Es "versandet".

10.2002

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