Veränderung braucht Stabilität

Kurt Guwak, HR-Manager in der BA Unicredit Group, über die schwierige Balance von Veränderung und Stabilisierung sowie die Gefahr der Veränderungsmüdigkeit bei sich ständig abwechsenden Veränderungsprojekten.

Herr Guwak, ist die Frage nach den Grenzen der Wandelbarkeit für Unternehmen überhaupt ein Thema?

Auf jeden Fall. Wenn man sich bei Veränderungsprozessen anschaut, wo es eckt, ist es in aller Regel genau diese Ebene, weil viele Personen in diesen Veränderungsprozessen mehr oder weniger ausgeprägte Widerstände entwickeln, zumindest ein hohes Trägheitselement. Daher laufen diese Prozesse bei weitem nicht so reibungslos wie sie geplanter Weise und rationaler Weise müssten und könnten.

Mein Eindruck ist, viele Manager sehen das, haben aber einen ungeheuren Ergebnis- und Zeitdruck .

Damit ist das Spiel eröffnet. Was mir persönlich in den letzten Jahren wichtig geworden ist, ist zum einen die Sichtweise, dass der Wandel und die Veränderungsfähigkeit eine notwendige Seite der Medaille ist, dass die Fähigkeit, der Veränderung Widerstand entgegen zu setzen, aber genauso notwendig ist. Jede Organisation lebt ja davon, dass die Mitarbeiter Dinge morgen genauso machen wie heute. Wenn sie das nicht machen würden, hätten wir das permanente Chaos. Beides ist für Organisationen überlebenswichtig. Jede Veränderung braucht wie ein Bissen Brot die Stabilisierung, um dann zu halten, was verändert wurde.

Aber kommt man überhaupt noch zum Stabilisieren?

Ich habe auch kein komplettes und umfassendes Erklärungsmodell. Ich kann nur ein paar Punkte herausgreifen, die mir wichtig geworden sind. Also einmal diese balancierte Sicht. Das zweite ist meine Erfahrung, dass es tatsächlich so etwas wie einen Gewöhnungsprozeß gibt. Wenn wir heute reorganisieren, kaufen, verkaufen, fusionieren, dann regt das keinen mehr auf. Es ist ein Stück Routine geworden. Wenn ich an die ersten organisatorischen Restrukturierungsmaßnahmen denke, das hat noch enorme Aufregungen, Befürchtungen und Kassandrarufe ausgelöst, weil das damals so ein unerhörter Vorgang war.

Die andere Erfahrung ist: Am Beginn der Veränderungen in den 80er- und 90er-Jahren haben wir gemerkt, dass viele Mitarbeiter mit dem plötzlich entstehenden Veränderungstempo emotional nicht mitgekommen sind. Sie haben oft gesagt, „Ich verstehe ja rational, dass wir da was machen müssen, aber muß das wirklich so radikal und schnell passieren? Was früher war, das war doch nicht alles so schlecht.“ Wir haben damals bei Mitarbeiterbefragungen sehr deutlich gesehen, dass die Identifikation mit dem Unternehmen bei vielen zunehmend verloren gegangen ist. Es gab aber auch die anderen, die gesagt haben, "Super, endlich tut sich was!" Eine wichtige Schlußfolgerung aus der Analyse der Situation war, zu verstehen, dass Menschen verschieden sind in ihrem Anspruch nach Stabilität/Sicherheit versus Veränderungen/Bewegung und dass jedes Unternehmen beides braucht.

Wie haben Sie das damals herausgefunden?

Als ich noch Personalchef bei der ABB war, haben wir z.B. in einer Mitarbeiter-Befragung mit einem Kulturtypen-Modell gearbeitet und gesehen, dass wir vereinfacht gesagt zwei Kulturtypen - grundsätzliche Werttypen - haben: einerseits den individualistischen Typ, der veränderungsorientiert ist und sagt: "Freie Bahn den Tüchtigen, jeder hat seine Chance, endlich tut sich was, alles ist verhandelbar, freies Spiel der Kräfte". Das ist eine Wertestruktur, die sich mit schnellerwerdenden Veränderungen leicht tut. Der andere Typus, der hierarchistische Typ, hat eher Grundsätze wie: "Jeder hat seinen Platz, man hat seine Pflicht zu erfüllen, es gibt Grundsätze und Regeln, die gelten und denen man entsprechen muß".

Bei der Befragung hat sich gezeigt, dass entgegen den Erwartungen im Management fast die Hälfte der Mitarbeiter hierarchistisch geprägte Typen waren, die mit den Veränderungen große Schwierigkeiten hatten. Das war ein wichtiger Lerneffekt im Management, das bis dahin die Veränderungen gepusht und oft mit Abwertungen auf diesen Widerstand reagiert hat. Unter dem Schock, wie groß diese Gruppe eigentlich war, wurde bei den folgenden Diskussionen dann vielen klar, dass das Leute sind, in denen ganz zentrale Potentiale des Unternehmens liegen, Assets, die für das Unternehmen sehr wohl sehr attraktiv sind: eine Wertestruktur, die mit einer für das Unternehmen attraktiven Arbeitsethik verbunden ist, die sehr genau arbeiten und auf Qualität achten. Das sind die Leute, die auch wenn die Situation schlimm ist, das Unternehmen nicht im Stich lassen, während die Individualistischen sich schnell nach etwas anderem umschauen und nur eine geringe Bindung zum Unternehmen aufweisen.

Der individualistische Typ ist eigentlich der, den Unternehmen unter dem Schlagwort "Empowerment" und "unternehmerisch denken" favorisieren und heranziehen. Damit schießen sie sich aber möglicherweise selbst ins Knie...?

Ja, das glaube ich auch. Wobei man schon sagen muß, von welcher Art Unternehmen man redet. Vielleicht ist das für einen reinen Consulter ok, auch für einen reinen PC-Händler, für ein Unternehmen wie die ABB mit möglicherweise langjährigen Projektdurchlaufzeiten und komplexen langjährigen Kundenbeziehungen war es aber nicht egal. ob das jemand seit 3 Jahren macht oder seit 10 Jahren. In andere Branchen hat jemand, der etwas seit 10 Jahren macht, vielleicht sogar einen Nachteil. Wir haben uns daher gefragt, wie können wir mehr Struktur, Sicherheit, Stabilität in die Organisation hineinbringen, ohne starr zu werden und die Veränderung zu bremsen.

Ein Gedanke war, andere Karrierewege sichtbar zu machen, da entsteht Struktur, die Orientierung gibt. Ein anderer Aspekt war: Sicherheit gewinnen aus der unmittelbaren Führungsbeziehung. Durch eine Profit-Center-Organisation ändert sich unten relativ wenig, die Basisstrukturen sind deutlich stabiler als die übergeordneten Strukturen wie Bereiche oder Geschäftsfelder. Die entstehen meist längere Perspektiven, da habe ich wieder ein Stück Stabilität. Es gibt keine Patentrezepte, aber in jeder Organisation gibt es Ansatzpunkte, wo ich Kontinuität pflegen kann, ohne die Entwicklungsfähigkeit der Organisation zu stören. Im Gegenteil, ich stütze sie, weil ich damit die Basis schaffe, auf der Veränderung überhaupt erst möglich wird. Weil ich damit die Angst senke, den Widerstand abbaue und die Leute ermutige mitzutun.

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