Unternehmensidentität

Wie Manager den inneren Mustern des eigenen Unternehmens auf die Spur kommen können.

Was macht Identität aus? Identität, so beschreiben es die Autoren des neu erschienenen Buchs "Selbststeuerung in Unternehmen",  ist ein subjektives Gefühl von etwas Wiederkennbarem, über lange Zeiträume hinweg Gleichbleibendem. Eine Selbstbeschreibung von dem, "was unser Unternehmen im Kern ausmacht". Jedes Unternehmen prägt im Laufe der Zeit seine eigene, individuelle Identität aus. Es entwickelt eine Unverwechselbarkeit und Einmaligkeit, geprägt durch den Umgang mit seinen relevanten Umwelten und deren Bedürfnissen sowie durch die Art, wie es sich dafür organisiert.

Auch wenn es auf den ersten Blick paradox anmutet: Um diese eigene Identität zu bewahren, müssen sich Unternehmen permanent verändern und anpassen. Unternehmen sind zwar durch ihre Vergangenheit festgelegt, aber eben nicht zu 100 Prozent determiniert. Sie müssen sich immer wieder an geänderte Rahmenbedingungen anpassen und können in einem kreativen Prozess für sich ein neues Zukunftsbild entwerfen. Sie können ihre Relationen zur Umwelt – seien es Kunden, Lieferanten, Eigentümer, Manager, Mitarbeiter – immer wieder neu austarieren. Dabei folgen sie ihren historisch gewachsenen Erfolgsmustern, die ausschlaggebend dafür sind, wie Steuerungs- bzw. Veränderungsimpulse wahrgenommen und verarbeitet werden.

"Unternehmensidentität" konstituiert sich auf drei Ebenen:

  • erstens aus der Qualität der verschiedenen Relationen zu den für das Unternehmen wichtigen Umwelten, vor allem der länger dauernden. Diese Beziehungen müssen, um identitätsstiftend zu wirken, über längere Zeiträume konstant gehalten werden. Relevante Umwelten sind z.B. Kunden, Lieferanten, Banken. Stellen Sie sich beispielsweise ein Unternehmen vor, das seit über 10 Jahren vier große Stammkunden betreut, die zusammen gut 70 Prozent des Umsatzes ausmachen. Zudem weist das Unternehmen kaum Fluktuation auf, wodurch die "relevante Umwelt Mitarbeiter" ebenfalls sehr stabil bleibt. Durch diese Konstellation hat das Unternehmen ganz spezifische identitätsbestimmende Strukturen und Spielregeln etabliert. Die Beschreibung der Qualitäten dieser Relationen ergibt bereits ein sehr starkes Bild der Unternehmensidentität. Hilfreiche Fragen wären hier z.B.: Was kennzeichnet die Beziehung zu diesen Kunden? Was macht die Beziehung so stabil? Wie sieht die Historie der Beziehungen aus? Wer will mehr von wem – wer ist der Mächtigere? Natürlich sind Menschen (Führungskräfte, Mitarbeiter) als "Handlungsträger" auch eine (sehr) "relevante Umwelt" des Unternehmens. Entsprechend prägend können daher auch manche Persönlichkeiten für die Unternehmensidentität (gewesen) sein – etwa Gründer, Manager, Kunden, Eigentümer. Dennoch sind auch sie nur eine von vielen "Umwelten" des Unternehmens, wenngleich eine sehr relevante.
  • zweitens aus den inneren Strukturen, einschließlich der Unternehmenskultur, welche die Handlungsmöglichkeiten auf eine sinnvolle Anzahl reduzieren und eine gewisse Gleichartigkeit und Erwartbarkeit der Verarbeitung von Irritationen gewährleisten. Diese inneren Strukturen (Werte, Normen, Subsysteme, Aufbauorganisation, Prozesse, IT...) bilden sich im Laufe des Lebens des Unternehmens heraus und haben naturgemäß das Bestreben, so zu bleiben wie sie sind. Sie zeigen Beharrungsvermögen.
  • drittens aus dem Sinn, der über die Überlebensfähigkeit hinaus auch die Originalität des Unternehmens erfasst. Dieser Sinn – und darin liegt die besondere Herausforderung für das Management – lässt sich nicht analytisch erfassen. Er lässt sich höchstens "erspüren". Manchmal über den Umweg scheinbar "unsinniger" Entscheidungen oder Verhaltensweisen. Beispielsweise der Weigerung eines mittelständischen Unternehmens, trotz bestechender Argumente keine Produktion im Ausland zu errichten, bis klar wurde, dass eines der tief verwurzelten Sinnmerkmale dieses Unternehmens, an dem eisern festgehalten wurde, hieß: "Wir wollen ein bedeutendes Unternehmen in dieser Region sein". Daher wurde auch nur in der Heimatregion investiert, selbst um den Preis kaum mehr konkurrenzfähiger Kostenstrukturen. Eine andere, fast schon paradox anmutende Möglichkeit, dem Sinn auf die Spur zu kommen, liegt in oft unvermutet auftretenden "Sinn-Krisen" von Unternehmen. Identitätskrisen, die sich genau dann einstellen, wenn der bisherige Sinn nicht mehr trägt, weil z.B. die Gründervision bereits verwirklicht wurde. So gibt es in einem amerikanischen Film eine Szene, in der die ersten Siedler gemäß dem Motto "Going West" schließlich den Pazifik erreichen, bis zur Hüfte ins Meer waten und mit verlorenem Blick in die Ferne starren. Der Weg scheint zu Ende. Vision erfüllt, was nun?

Beispiel für die Beschreibung der Identität

Ein eigentümergeführtes Unternehmen im Sportbereich ist seit einigen Jahren sehr expansiv und dynamisch unterwegs. 1956 als kleines Einzelhandelsgeschäft in einer großen Wintersportregion gegründet, wurde es 1989 vom Sohn des Gründers übernommen. Inzwischen gibt es das Hauptgeschäft, welches 2001 abgerissen und neu errichtet wurde, einen Shop direkt am Gletscher und in 200 km Entfernung einen weiteren Shop auf einem anderen Gletscher. Zudem gab es bereits einige Expansionsversuche ins Ausland, die zwar erfolgversprechend anliefen, dann aber wieder abgebrochen wurden.

Die langfristig identitätsstiftenden Qualitäten der Relationen zu den wichtigsten Umwelten lassen sich folgendermaßen beschreiben: Zwischen dem Unternehmen und ...

  •  ... Kunden: hoher Spaßfaktor
  •  ... Eigentümer: setzt permanent visionäre Impulse und bringt sie auch auf Schiene
  •  ... Mitarbeitern: hohe Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen und hohe Loyalität zum Eigentümer, hohe fachliche Qualifikation
  •  ... Joint Ventures: in der ersten Phase immer sehr inspirierend und erfolgreich, in der Umsetzung folgt aber oft der Abbruch.
  •  ... Einkaufsgenossenschaft: ausgeprägtes Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz.
Wichtige innere Strukturen:
  • Subsysteme (Teile): Hauptgeschäft und die einzelnen Shops
  • Prozesse: sehr flexible, den Kundenbedürfnissen angepasste, IT-gestützte Abläufe
  • Normen: Nichts darf ein Misserfolg sein! "Wir sind immer erfolgreich". "Fehler sind keine Schande, sondern eine Lernchance"
  • Werte (Kultur): Neugierde, Hinausgehen, Lernen. Aufgeschlossenheit für Experimente, mit der Bereitschaft und dem Bewusstsein, eventuell auch zu scheitern. "Wir sind die Verrückten" – wir sind anders als die anderen
    Der Sinn des Unternehmens beschreibt sich durch: "Wir gehen in die Welt hinaus und erobern sie" und "Tourismus ist unser Kerngeschäft"

Die Kenntnis dieses Umstandes - das Aufrechterhalten von Identität in sich wandelnden Umwelten bedarf ständiger kleiner wie großer Veränderungen – und das Wissen um die drei Ebenen der Unternehmensidentität liefern Managern auch konkrete erste Hinweise auf mögliche spätere "Hebelpunkte", um wirkungsvolle Impulse zu setzen:

  • Aktionen, die auf eine Veränderung oder auch auf das Bewahren bestimmter Relationen (Beziehungen) abstellen
  • Aktionen, die auf die Veränderung oder auch das Bewahren innerer Strukturen abzielen - und wohl am schwierigsten
  • Aktionen, die auf eine Veränderung oder auch das Bewahren des »Sinns« abzielen
Beispiel für .... Veränderungen von Relationen zwischen Teilen:

Die bisherige Relation zwischen Fertigungswerk und Montagewerk war: Die Montage nimmt die Produkte des Fertigungswerkes ab. Was zählt, ist hohe Liefertreue. Die Relation zwischen Fertigungswerk und Montagewerk ändert sich massiv mit der Einführung einer neuen, an Marktpreisen orientierten Verrechnungspreispolitik und der Erlaubnis, künftig die benötigten Produkte auch am freien Markt einkaufen zu dürfen. Die Relation verändert sich von "zwei Glieder in der Prozesskette, mit hoher Abhängigkeit der nachgelagerten Montage von der Lieferfähigkeit der Fertigung" hin zu einer klar definierten "Kunden Lieferanten Beziehung". Diese Veränderung bewahrt die guten Kundenbeziehungen des Unternehmens nach außen, weil die Preise marktgerecht bleiben.

Beispiel für ... Veränderungen zwischen Teil und Ganzen:

Die Selbständigkeit einer Business Unit wird eingeschränkt, indem Buchhaltung und Finanzierung als zentrale Funktion in der Holding etabliert wird. Die Qualität der Relation zu den Banken, die durch "größtmögliche Unabhängigkeit von den Banken" gekennzeichnet ist, bleibt dadurch stabil, weil sie nun mit einem Gesamtüberblick gesteuert wird.

Beispiel für ... Veränderungen von inneren Strukturen:

Eine SAP Einführung: verändert viele Prozesse entsprechend den IT-Anforderungen. Gleichzeitig wird die bestehende Linienorganisation in eine Matrixorganisation umgewandelt. Dadurch entstehen intern neue Kommunikations- und Entscheidungswege. Die Kundenrelation, die sich durch hohe Flexibilität auszeichnet, bleibt dadurch erhalten.

Beispiel für ... Veränderung von Sinn:

Ein Unternehmen verändert sein zentrales Credo von "Wir erobern die Welt" hin auf "Wir empfangen die Welt bei uns Zuhause und verteidigen die erkämpfte Position" (Aktionen: kein Budget mehr für weitere Expansion, sondern Investitionen in die Erhaltung der bestehenden Märkte). Ein anderes Unternehmen verändert seine Kernidentität von "Wir sind ein erfolgreicher Anlagenbauer/Spezialanfertiger" durch den Wechsel in die Massenproduktion (Aktionen: Die Ansprache neuer Kundengruppen und die Investition in Massenfertigungsanlagen).

Leitfragen zur Unternehmensidentität

  • Was sind die – aus Sicht des Unternehmens - wichtigsten Umwelten? (z.B.: Kunden, Kundengruppen, Lieferanten, Eigentümer, Banken, Region, Behörden, …)
  • Wie sind die Relationen jeweils zu diesen wichtigen Umwelten ausgeprägt? Was ist das langfristig Konstante in diesen Beziehungen? (z.B.: zu Kunden: Hochpreisprodukte, langfristige Kundenbeziehungen, 70% Stammkundenanteil;  zu Lieferanten: primär über günstigsten Einkaufspreis bestimmt, wenig Bereitschaft entgegenkommend zu sein; zu Mitarbeitern: hohe Fluktuation, Mitarbeiter sind nicht gut bezahlt)
  • Welche Stakeholder richten welche Erwartungen, Hoffnungen, Befürchtungen ans Unternehmen?
  • Wie sind die inneren Strukturen ausgeprägt? (z.B.: Aufbauorganisation: Matrix; Prozesse: spezifische Formen des Wertschöpfungsprozesses, IT Prozesse; Normen: Du musst immer der Schnellste sein; Unternehmertum ist wichtiger als langwierige betriebswirtschaftliche Analyse; Subsysteme: sehr unabhängige regionale Landestöchter; Holding mit allen Funktionen ausgestattet)
  • Wie ist der Sinn des Unternehmens ausgeprägt?
    - in seiner Funktionalität nach außen? (z.B.: Wir schließen global Schnittstellen in der Transportkette; In inspirierenden Partnerschaften schaffen wir nachhaltig Erfolg)
    - in seinem Eigensinn (für sich selbst)? (z.B.: wir wollen regional bedeutend sein; wir wollen die Welt erobern, wir wollen eine basisdemokratische Führungsstruktur).

Quelle: A. Exner, H. Exner, G. Hochreiter: Selbststeuerung von Unternehmen; Campus Verlag, 2009

...zurück zum Seitenanfang

Teilen: