Konflikte sind unausweichlich

Weithin bekannt, aber viel zu selten genutzt werden "Ich-Botschaften" und "aktives Zuhören" als hochwirksame Methoden, aufgeheizte Gesprächssituationen zu entschärfen, die Interessen hinter den Standpunkten ans Tageslicht zu bringen und damit die Basis für spätere Konfliktlösungen zu legen.

Jeder Mitarbeiter bringt seine persönlichen Voraussetzungen in die Arbeitssituation mit:

     

  • auf der Ebene seiner Wertvorstellungen (z.B. "Man soll den Leuten nicht den kleinen Finger geben, sonst nehmen sie die ganze Hand." "Unternehmer sind....", "Mitarbeiter sind.....")
  • auf der Ebene von persönlichen Zielen und Bedürfnissen (z.B: "Ich erwarte, dass meine Leistung in zwei Jahren durch die Erteilung einer Prokura belohnt wird.")
  • auf der ebene von Handlungsalternativen (Z.B. "Ich habe das bis jetzt so gemacht und das hat immer gut funktioniert.")

Auf jeder dieser Ebenen können und werden zwischen verschiedenen Menschen Unterschiede entstehen, in schwacher oder starker, kurzer oder lang dauernder Ausprägung.

Abwehr-Reaktionen

"Mir wird schon ganz unwohl, wenn ich den Typ nur von weitem sehe, geschweige denn, wenn ich mit ihm reden muss." Wer kennt nicht solche oder ähnliche Gefühle, welche einen tatsächlichen oder auch nur einen imaginären Kontakt mit Menschen begleiten. Wenn Situationen Angst, Unlust, Ärger, Missmut oder Unbehagen auslösen, besteht die Tendenz, solche negativen Gefühle möglichst schnell wieder aus der Welt zu schaffen, indem wir den Auslöser "beseitigen" oder die Situation meiden, somit zuerst Scheinlösungen versuchen. Solche Abwehrreaktionen lassen sich in der Praxis in vielen Variationen beobachten, wobei man sie in drei Gruppen zusammenfassen könnte:

Kampf: der Versuch, den Gegner zu "zerstören", sei es durch direkte physische oder psychische Angriffe, oder durch indirekte Angriffe wie Verleugnung, Sabotage, Erpressung, Falschinformationen etc.

Flucht: alle Formen des Ausweichens, vom Vermeiden des persönlichen Kontakts, über Krankheit, internen Stellenwechsel bis hin zur Kündigung.

Sich abfinden: verdrängen, überspielen ("Ist eh nicht so schlimm"), kompensieren ("Dann konzentriere ich mich halt auf etwas anderes") resignieren ("In ein paar Jahren wird er eh pensioniert").

Nicht Interessen prallen aufeinander, sondern Realisierungsversuche

In Konflikten prallen meist nicht Bedürfnisse, Anliegen, Ziele aufeinander, sondern bereits Lösungs- oder Realisierungsversuche bezüglich dieser Bedürfnisse, Anliegen, Ziele, Werte.

Konfliktpartner müssen daher lernen, dass es für jedes Bedürfnis, jedes Ziel mehrere gangbare Lösungsansätze gibt. Gelingt die Umsetzung dieses Gedankens, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass jeder seine Ziele erreicht, statt eine Gewinner-Verlierer-Situation zu schaffen, wodurch der Konflikt prolongiert wird.

Für einen Mitarbeiter, der unbezahlten Urlaub verlangt, ist z.B. nicht der Urlaub selbst das Bedürfnis, sondern dahinter steht der Wunsch, eine persönliche Weiterbildung zu realisieren. Insofern könnte "unbezahlter Urlaub" ein Lösungsversuch für das Bedürfnis, Weiterbildung, Weiterkommen sein. Das Nein des Vorgesetzten ist ein Lösungsversuch für sein Bedürfnis "Sicherstellung der Arbeitserledigung". Für ihn ist die störungsfreie Weiterführung der Arbeit in seiner Abteilung wichtig. Gelingt es, die eigentlichen Bedürfnisse zu eruieren und offen zu legen, könnten die Beteiligten z.B. eine Lösung finden, die beiden Anliegen gerecht wird. Die Beziehung bleibt intakt und keiner wird in eine Abwehrhaltung gedrängt.

Voraussetzung dafür ist eine Grundhaltung im Sinn von: Ich will, dass die Bedürfnisse aller Beteiligten respektiert werden und es keine Verlierer gibt.

Zur Konfliktlösung bedarf es vor allem zweier grundlegender Fähigkeiten:

Erstens die Fähigkeit jedes Partners, dem anderen, klare, verständliche Botschaften seiner Sicht, seiner Lage, zu senden, ohne dabei automatisch eine Wertung, einen Versuch der Belehrung oder Bekehrung einzuschließen: Ich-Botschaften!
Zweitens das dauernde Bemühen, die Botschaften des anderen zu verstehen, ohne damit bereits Einverständnis auszudrücken, um auf Basis dieses gegenseitigen Verstehens gemeinsame Problemlösungen in Gang zu setzen: aktives Zuhören!

Ich Botschaften als beschreibende Darstellung der eigenen Situation, Gedanken, Bedürfnisse, Gefühle sollen dem Empfänger helfen, die Lage des Sender möglichst so zu erfassen, wie der Sender selber sie erlebt.

Aktives Zuhören als Gegenstück zur Ich-Botschaft will dem Sender durch eine entsprechende Rückmeldung die Sicherheit geben, dass der Empfänger seine Botschaft auch so verstanden hat, wie er sie gemeint hat.

Je konfliktgeladener die Situation, desto größer die Gefahr von Missverständnissen, die Erzeugung negativer Gefühle und das Auftreten von Abwehrreaktionen und desto häufiger "vergessen" auch gut ausgebildete Führungskräfte aufs Zuhören und Nachfragen.

Als Beispiel einen Gesprächsausschnitt zwischen dem Chef, Herrn N und seiner Sekretärin, Frau O, die eben gekündigt hat (aus Kälin/Müri: Sich und andere führen; Ott Verlag, 1990):

N: "Ich habe Ihre Kündigung erhalten und bin einerseits erschrocken darüber, weil ich das überhaupt nicht erwartet habe und andererseits etwas bedrückt, weil ich Sie nur ungern verlieren würde.“ (N versucht, in einer „Ich-Botschaft“ möglichst vorwurfslos seine Situation darzustellen und Frau O damit einzuladen, auf ihn einzugehen) „Können Sie mir Näheres über die Gründe Ihres Entschlusses sagen?"

O: "Ja, sehen Sie, ich möchte einfach noch andere Erfahrungen machen, eine neue Umgebung kennen lernen." (Frau O ist hier nicht ganz offen, sie schiebt einen harmlosen Grund vor)

N: "Verstehe ich das richtig: die Arbeit hier bietet Ihn nicht genügend Vielfalt und Lernmöglichkeiten?" (N versucht, durch aktives Zuhören Frau O zu signalisieren, dass er ehrlich bemüht ist, ihre Problem zu verstehen, ohne sie dabei irgendwie zu beeinflussen)

O: "So extrem würde ich das nicht sagen. Aber ich hatte in den vergangenen Monaten oft das Gefühl, gegenüber meiner Kollegin etwas die Nummer 2 zu sein und die übrigbleibenden Arbeiten erledigen zu dürfen." (Frau O beschreibt nun schon exakter ihr eigentliches Problem).

N: "Sie fühlen sich in der Aufgabenzuteilung nicht immer gleich behandelt wie Ihre Kollegin?" (Weiteres aktives Zuhören bestätigt den Empfang und gibt Frau O zusätzliche Sicherheit, weiterzureden.

O: "Ja, genau so ist es. Und bei der Geschichte mit der neuen Schreibmaschine war das genau wieder dasselbe. Die Kollegin ist verantwortlich für die Prüfdung und Beurteilung. Ich darf im besten Fall mal auf der Maschine schreiben. ( Jetzt Hat Frau O ihr Problem konkretisiert und damit eine gute Grundlage für eine Problemlösung geschaffen)

N: (Bestätigt noch einmal kurz und leitet eine Problemlösung ein): "Am Fall der Maschine haben Sie die ungleiche Behandlung noch mal deutlich erlebt. Ich sehe jetzt Ihre Schwierigkeit, auf die ich vorher nicht geachtet habe. Ich möchte Sie einladen, mit mir zusammen eine Lösung zu finden, damit Sie in Zukunft sich nicht mehr untergeordnet fühlen und andererseits unsere Zusammenarbeit doch weitergehen kann. Wäre Sie bereit, den Versuch zu machen?" (N versucht, das Anliegen seiner Mitarbeiterin und seine eigenen Bedürfnisse, nämlich Frau O nicht zu verlieren, klar zu definieren. Das Problem ist damit erfasst und der Weg zu alternativen Lösungsvorschlägen, deren Bewertung, Entscheidung und Realisierung offen.)

Positive Aspekte dieser Herangehensweise:

     

  • Die grundlegenden Bedürfnisse werden geklärt, damit wird sicher gestellt, dass das richtige Problem gelöst wird. (In der Praxis wird häufig mit großem Aufwand das falsche Problem gelöst).
  • Nichts schafft so viel Vertrauen und damit Bereitschaft zu konstruktiven Lösungen, wie wenn ein Mensch sicher ist, dass der andere ihm zuhört und ihn wirklich verstanden hat. Einverständnis ist dabei keinesfalls zwingend nötig.
  • Es wird vermieden, dass durch gegenseitige Vorwürfe, Angriffe, verdeckte oder offene Kritik, Suche nach Schuldigen usw. negative Gefühle produziert und damit Abwehrreaktionen forciert werden. Damit unterbleiben Eskalationen des Konflikts, während die Verfunkt verfügbar bleibt.
  • Durch das Erleben konstruktiver Konfliktbewältigungen werden Beziehungen stabilisiert und sind damit bei wieder auftretenden, nicht vermeidbaren Störungen, weniger anfällig.

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