"Eine Trivialisierung des Problems"

Die Organisationsberaterin Mag. Dagmar Untermarzoner über Anspruch und Wirklichkeit von Wissensmanagement in den heimischen Unternehmen.

Frau Dr. Untermarzoner, wie kommen Firmen überhaupt auf das Thema Wissensmanagement?

Die Anlaßfälle sind ganz verschieden und reichen von Fusionen, wo es darum geht, zwei Wissensbestände zusammenzuführen, ohne dass wichtige Teile davon verloren gehen über Krisen und finanzielle Verluste durch fehlendes Know-how bis zur Expansion in neue Märkte mit der Frage, wie können wir vorhandenes Wissen transferieren, was können wir verwenden, was brauchen wir darüber hinaus zusätzlich? Schließlich gibt es oft auch Marketinggründe im Sinn von „Wir machen das jetzt, weil die anderen es auch machen.“ Oft ist es hier ein interner Organisationsentwickler oder ein Consulter, der das Thema pusht und einen Vorstand findet, der sein OK gibt.

Die Anlaßfälle sind also ganz unterschiedlich?

Ja. Vordergründig erscheinen Probleme im Zusammenhang mit Wissen in seinen verschiedenen Dimensionen meistens auf der Ebene der Person, aber in den seltensten Fällen ist es ein Kommunikationsproblem, meistens ist es ein Organisationsproblem, z.B. keine klare Strategie.

Was sind typische Schwierigkeiten beim Wissensaustausch?

Wenn es um Erfahrungswissen geht, dann muß ich mit dieser Person in persönlichen Kontakt treten. Alles andere halte ich für eine Marketinggeschichte der Beratungsunternehmen. Vor allem ist es eine Trivialisierung des Problems, Wissensmanagement zu sagen und Datenbanken zu meinen. Denn in Datenbanken findet man höchstens Lebensläufe mit Arbeitsschwerpunkten, Projekterfahrungen und eine Stichwortsuche wie bei einer Bibliothek. Wobei ich das keinesfalls abwerten möchte. Man sollte es nur nicht verwechseln. Denn im besten Fall hat man dann eine Information über den Wissensträger, aber nicht das Wissen selbst. Die zentrale Schwäche zeigt sich, wenn man die betreffende Person anruft. Dann steht man nämlich häufig vor dem Problem, dass es heißt: „Tut mir leid, keine Zeit, ich habe so viel zu tun“. In den abgemagerten Unternehmen fehlt vielen schlicht die Zeit für den neuerdings geforderten Wissensaustausch, selbst wenn sie wollten. Aber oft wollen die Mitarbeiter auch gar nicht, schließlich betrachten viele ihr Wissen als eine Art Schutz bei der nächsten Restrukturierung.

Das nächste praktische Problem ist: Subjektive Einschätzungen und vor allem „implizites Wissen“ sind wahnsinnig schwer zu verschriftlichen. Versuchen Sie z.B. einmal, in wenigen Worten zu beschreiben, wie Sie tauchen gelernt haben. Selbst wenn Sie es schaffen, produktiv und attraktiv wird so ein Prozeß erst, wenn beide Akteure zu dem Thema tatsächliches Erfahrungswissen haben und das auch zur Erfüllung ihrer Aufgaben brauchen. Wenn ich tauchen kann und Sie nicht, und wir reden darüber worauf es beim Tauchen ankommt, ist es für mich relativ langweilig und für Sie auch und ich würde wohl nicht auf die Idee kommen, Ihnen eine Checkliste zu den 10 wichtigsten Fehlern beim Tauchen zu schicken, denn ich erwarte mir nicht dieselbe Art an Expertenwissen zurück. D.h. der Austausch muß für beide attraktiv sein.

Gibt es weitere Schwierigkeiten?

Ein weiteres Hindernis ist: Wenn Sie für sich z.B. Gesprächsprotokolle mit Kunden anlegen und Ihre persönlichen Einschätzungen und Erfahrungen festhalten, würden Sie wahrscheinlich Bedenken haben, das einfach aus der Hand zu geben. Denn wenn das ein Dritter bekommt, bei dem man nicht weiß, wie der damit umgeht, würde ich mich in diesem Fall sicher mehr dem Kunden verpflichtet fühlen. Solche Informationen werden daher höchstens in einem persönlichen Gespräch transportiert, in dem bereits eine Vertrauensbasis herrscht. Und in aller Regel mit einem Kontrakt, wie mit diesen Infos umzugehen ist, der da lautet: „Das erzähle ich Dir, aber sonst keinem“. Die Aufforderung „Gehet hin und teilet eurer Wissen“ trifft in der Praxis also auf eine ganze Reihe bereits strukturell angelegter Widersprüche, z.B. Offenheit versus Vertraulichkeit.

Kann man Erfahrungswissen überhaupt übermitteln?

Ja, aber es ist schwer. Es geht nicht trivial. Die eine Voraussetzung ist wie gesagt „practise“, ein gemeinsames Arbeitsfeld, das klassische Meister-Schüler-Prinzip, mit Zusehen und Mitgehen, oft ergänzt duch Reflexionsprozesse, bei denen man dann über das Gesehene, Erlebte redet. In Amerika gibt es z.B. ein Programm zu der Frage, wie bildet man gute Top-Manager aus, wo die Teilnehmer zwar auch Seminare machen, vor allem aber vier Wochen lang mit dem Big Boss mitgehen. Der einhellige Tenor der ersten Teilnehmer war: „Es ist unglaublich, was wir allein durch das Dabeisein über Management gelernt haben."

Frau Dr. Untermarzoner, vielen Dank für das Gespräch.

03.2000

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Mag. Dagmar Untermarzoner, Lemon Consulting