"Brav wirtschaften reicht Kapitalgebern nicht"

Till Reiter, geschäftsführender Gesellschafter der Schuhmanufaktur "Ludwig Reiter" über seine Erfahrungen in Bezug auf Nachfolge im Familienunternehmen, Sanierung, Venture Capital, kurz- und langfristigen Wachstumsstrategien und den erfolgreichen Aufbau einer exklusiven Marke.

Seit wann existiert die Firma "Ludwig Reiter"?

Das Unternehmen gibt es seit 1885. Es wurde von meinem Urgroßvater gegründet und dann vom Großvater und Vater weitergeführt. Jetzt leiten es meine zwei Brüder und ich in vierter Generation. Bis auf eine Phase von ungefähr 10 Jahren war das Unternehmen immer gänzlich im Familienbesitz. In der besagten Zeit hatten wir zuerst einen Anteilseigner aus dem Venture Capital Bereich, der seinen Anteil nach einigen Jahren an die Firma Palmers weiterverkauft hat. Diesen Anteil haben wir dann wir mit einem anderen Finanzpartner, der derzeit noch mit einer kleinen stillen Beteiligung im Unternehmen ist, wieder zurückgekauft. Ende dieses Jahres wird auch diese Beteiligung abgeschichtet.

War immer schon klar, wer von den Kindern das Unternehmen übernimmt?

Nein, das war gar nicht klar. Ich war eigentlich die letzte dafür in Frage kommende Person, habe aber den Fehler gemacht, als erster mit dem Studium fertig zu sein. Ich habe VWL studiert und wollte eher in Richtung Nationalökonomie weitermachen. Dazu wäre es toll gewesen, in Amerika ein Postgraduate zu machen, aber das lag damals jenseits des Leistbaren. Das war die Zeit, als der Dollar bei 25 Schilling lag. Nachdem ich mir aber in den Kopf gesetzt hatte, nach Amerika zu gehen, bin ich dann nicht ganz zufällig in einer Schuhfabrik in der Nähe von Boston gelandet. So war ich zumindest einmal auf Besuch im MIT und habe dann bei einem entfernten Onkel, der in Syracuse, New York, Ökonomie unterrichtet hat, Lehrveranstaltungen als Gast besucht.

Diese Schuhfabrik war zwar noch älter und verlotteter als unsere, hat aber sehr erfolgreich gearbeitet, was mich auf den Gedanken gebracht hat, dass wir das mit der eigenen Firma auch schaffen müssten. Nachdem meine Brüder nach dem Studium zuerst ihre eigenen Wege gegangen sind, arbeiten wir inzwischen zu dritt im Unternehmen. Der ältere Bruder macht die Bereiche Finanzen, Organisation, IT, Personal, der Jüngere verantwortet die Geschäftsumbauten, was inzwischen eine Dauerbeschäftigung geworden ist, und ich mache die Geschäftsführung, Verkauf, Produktion und Produktentwicklung, was eigentlich meine Lieblingsbeschäftigung ist. Das Verwalten liegt mir nicht, das macht Gott sei Dank mein Bruder. Insofern ist es eine sehr angenehme Arbeitsteilung, weil jeder die Dinge macht, die er gern macht und die Dinge nicht machen muss, die ihn nerven, sich aber auf die anderen verlassen kann.

Als ich damals mit dem Studium fertig war, war aber noch völlig unklar, ob die Brüder auch mal ins Unternehmen kommen würden. Es war überhaupt unklar, wie es mit dem Unternehmen weitergeht, weil es in einer schwierigen Phase war und es ein Glück ist, dass es überhaupt gelungen ist, den Betrieb wieder auf gesunde Beine zu stellen.

Das Kerngeschäft waren immer rahmengenähte Herrenschuhe?

Ja, wobei dieser Typ Schuhe in den 70er-Jahren fast ausgestorben war. Schuhhersteller dieser Art gab es früher viele, auch in Wien. Unser Unternehmen hat nur deswegen überlebt, weil der Vater sich in den 60- und 70er-Jahren auf eine spezielle Zielgruppe, nämlich alte Leute und Leute mit Fußproblemen, konzentriert hat und diese Gruppe rahmengenähte Schuhe auch zu schätzen gewusst hat, auch als es nicht mehr modern war. Das Problem war nur, dass diese Zielgruppe erstens nicht sehr kaufkräftig war und zweitens immer kleiner wurde. Bekannt waren die Produkte damals unter der Marke "Fox Medana", die mein Großvater kreiert hat. Zum Problem wurde dann, dass die Marke auf eine bestimmte Zielgruppe festgefahren war und man sich in diesem Fall sehr schwer tut, andere Zielgruppen damit anzusprechen. Daher war es völlig unmöglich, unter dieser Marke die sich in den 80er-Jahren entwickelnde Yuppieszene, die die neue Kernzielgruppe wurde, anzusprechen.

Bei Ihrem Einstieg standen Sie also vor der Entscheidung, wohin die Reise gehen soll?

Genau. Die Idee war schon beim Vater vorhanden, aber er hat nicht erkannt, warum ihm die Leute dieses Produkt nicht abkaufen. Er wollte nicht wahrhaben, dass das einfach mit der Positionierung der Marke zusammenhing. Fox Medana hatte er schon in den 60er- und 70er Jahren mit einem nach heutigen Begriffen sehr modernen System aufgezogen. Mit so Dingen wie Corporate Design, Franchising, Merchandising. Die Begriffe gab es damals nicht, aber er hat diese Konzepte verwirklicht. Aber dann zu sagen, das funktioniert nicht mehr, ist schwer. Also habe ich eine ganz neue Herangehensweise gesucht, auf die bisherige Marke verzichtet und die Entscheidung getroffen, uns als das zu verkaufen, was war immer waren: Die Firma Ludwig Reiter, denn das war immer unser Firmenname gewesen.

Ende 1984 bin ich in die Firma eingestiegen und kurze Zeit später tauchte der neue Name dann quasi aus dem Nichts auf. Das war natürlich nicht leicht für meinen Vater und da gab es auch Reibereien, aber ich habe immer darauf bestanden: Wenn ich es machen soll, dann will ich es auch so machen, wie ich es für richtig halte. Gott sei Dank hat das funktioniert.

Wie stand es damals um das Unternehmen? War es in der Gewinnzone?

Nein, die Situation war durchaus dramatisch. Eigentlich wollten die Banken die Bude dichtmachen. Das Unternehmen hatte ursprünglich eine sehr gute Substanz gehabt und daher hat es sehr lange gedauert, bis der Mitte der 70er-Jahre beginnende Rückgang schließlich in wirtschaftliche Not gemündet hat. Aber irgendwann kam es dann dazu, dass die Krankenkasse Konkursanträge gestellt hat und Löhne nicht mehr ausbezahlt werden konnten.

Wie haben Sie sich da herausgezogen? Selbst wenn man gute Ideen hat, muss man dafür Geld investieren, das einem die Banken nicht mehr geben. Dazu kommt der Zeitdruck.

Geschafft haben wir es mit Fleiß, Sparsamkeit und Glück. Die damalige Hausbank war der Meinung, das kein Mensch eine Schuhproduktion in Wien braucht und das Unternehmen, wenn überhaupt, nur eine Chance hat, wenn es sich rein auf den Handel konzentriert. Ich habe aber gerade an der Produktion festgehalten, denn in den Filialen mit den damaligen Standorten habe ich langfristig keinen Sinn gesehen. Dafür waren die Banken nicht bereit, Geld zu geben. Ich habe es aber geschafft, in der entscheidenden Phase plötzlich mit Aufträgen prominenter Firmen daher zu kommen, von Handelspartnern wie Knize oder Braun am Graben in Wien oder Eduard Meier in München, der ersten Riege der Herrenausstatter und Firmen, die man als Bank nicht ignorieren konnte: Also hieß es: Gut, dann produziert die Aufträge halt noch, dann schauen wir weiter. Dann folgte ein langsamer, mühevoller Prozess, um die Strukturen und das Unternehmen als solches zu sanieren. Da wir selbst kein frisches Kapital einschießen konnten , konnte das auch nur schrittweise erfolgen. Ende der 80er-Jahre kam es dann zum Einstieg der Venture Capital Gesellschaft.

Welche Ideen ergaben sich aus dem Vergleich mit Amerika, waren das Rationalisierungsmöglichkeiten in der Produktion?

Nein, die Produktion war nie wirklich das Problem. Das Problem lag im Verkauf und hier in der Wahl des richtigen Ansatzes. Natürlich braucht man, um verkaufen zu können, gute Produkte. Aber umgekehrt gilt: Die guten Produkte nützen einem nichts, wenn man nicht auch im Verkauf erfolgreich ist. Ich bin kein geborener Verkäufer, das ist nicht meine Lieblingsbeschäftigung, aber es ist ungeheuer wichtig, das wirklich selbst zu tun, um ein Gespür für den Markt zu entwickeln, auf Großhandelsebene, bei Handelspartnern bis hinunter auf Konsumentenebene. Denn nur von da kommt der Erfolg. Nicht aus der Finanz oder Verwaltung, sondern aus dem Verkauf.

Gab es bereits die passenden Schuhe, die man nur anders vermarkten musste oder kam es hier zu einer Neuentwicklung im Design?

Es war ein wenig so, als würde man ein über die Jahrhunderte immer mehr verschandeltes Objekt restaurieren. Die Produkte waren da, sie waren allerdings von der Form, den Materialien, den Details her etwas verkrustet. Wir hatten noch die alten Leisten, die wir schon in der Zwischenkriegszeit verwendet haben. Eine Grundattitüde meines Vaters - "Alles aufheben, man könnte es ja noch einmal brauchen" - hat sich hier als ganz wichtige Erfolgsgrundlage erwiesen. Der Leisten ist die plastische Form aus Holz, die nicht nur die optische Erscheinung des Schuhs definiert, sondern auch die Passform. Die Leisten der 60er- und 70er Jahre waren ganz andere als jene, die die Yuppiegeneration mochte und hier erwies es sich als extrem hilfreich, die eleganten, schlanken Formen der 20er und 30er Jahre zur Verfügung zu haben. Natürlich mussten wir viele Details verändern und verbessern, auch die Materialien, aber diese alten Leisten bildeten die Grundlage. Die größte Hürde war, die Lieferanten dazu zu bringen, uns wieder zu beliefern, obwohl sie unsere finanziellen Probleme kannten.

Was heißt das konkret? Man fährt hin und versucht sie von der neuen Idee zu überzeugen?

Ja, wobei auch da das überzeugendste Argument der Verkaufserfolg ist. Wenn man den Lieferanten sagen kann, dass man bereits Aufträge von diesen und jenen prominenten Handelshäusern in der Tasche hat, erkennen sie natürlich auch, dass sich da auch für sie selbst wieder ein Markt auftut.

Wie bekommt man als "Sohn vom Chef" im Betrieb die nötige Akzeptanz?

Da was eigentlich nie ein Problem, weil ich erstens nie den Sohnemann herausgekehrt habe, zweitens durch meine Erfahrungen in Amerika nicht ganz ahnungslos war und drittens wohl auch alle gehofft haben, dass ich etwas zusammenbringe, zumal allen klar war, in welchen Schwierigkeiten wir gesteckt haben.

Wie haben Sie die neue Zielgruppe genau definiert?

Wie haben sie insofern nie genau definiert, weil sie in gewisser Weise sehr heterogen ist. Aber Grundvoraussetzung ist die Bereitschaft, für ein Qualitätsprodukt wie gute Schuhe viel Geld auszugeben. Ich habe am Beginn vom Markt keine Ahnung gehabt und war selbst nicht Teil dieser Zielgruppe. Die wesentliche Erfahrung in Amerika war, dass man in einem Land, das für mich damals der Inbegriff des Fortschritts und der Modernität war, auch mit einer alten Fabrik gute Geschäfte machen konnte. Die haben jeden Tag 1200 Paar Schuhe verkauft und sie waren bei weitem nicht die einzige derartige Fabrik in der Gegend. Ich war ganz erstaunt und habe mich gefragt, wer die Schuhe alle kauft, worauf mir erklärt wurde: "Wenn du heute als Mann eine Krawatte trägst, brauchst du dazu auch einen rahmengenähten Schuh." Anders als heute war damals die Krawatte für viele Berufe noch zwingend, also konnte man sich leicht ausrechnen, wie viele rahmengenähte Schuhe da gekauft wurden. In Österreich war das nicht so und ist teilweise leider heute noch nicht der Fall. Aber ich habe mir gedacht, wenn das in Amerika so ist, kann das bei uns auch so sein oder zumindest so werden. Wie das aber in der Praxis funktioniert, wer diese Leute sind, wie man an sie herankommt -  davon hatte ich zu Beginn keine Ahnung. Ich bin dann aus der Not getrieben, weil Verkaufen wie gesagt nicht meine große Leidenschaft war, in die Stadt gefahren und habe geschaut, wo es Geschäfte gibt, die so etwas verkaufen könnten und mit diesen Geschäftsführern gesprochen. Erstaunlicherweise bin ich bei vielen nicht nur auf Interesse, sondern auf Begeisterung gestoßen.

Kamen Sie da bereits mit neuen Modellen?

Ja, aber ich kam nicht mit typisch amerikanischen, sondern schon mit Wiener Modellen. Vergleichbar waren die Kriterien Qualität und Eleganz, aber auch Modernität. Nur bin ich eben nicht als Fox Medana aufgetreten, sondern als die Firma Ludwig Reiter. Natürlich haben die Leute dann nachgefragt und sich gewundert: "Von wo kommen Sie? Aus Wien? Wieso habe ich dann noch nie von Ihnen gehört? Ah, die früheren Fox, jetzt verstehe ich!" Der Punkt ist: Wenn ich von vornherein als Fox Medana aufgetreten wäre, hätte man mich höchstens ausgelacht, aber als sie erst einmal die Produkte gesehen und verstanden hatten, welche Philosophie und Zielsetzung dahinter stand, war die Geschichte kein Nachteil mehr, sondern wurde wieder zum Vorteil: Ah, ein alt eingesessenes Familienunternehmen, das für Qualitätsarbeit steht. Das könnte klappen.

Die Schuhe wurden von Anfang an als Marke Ludwig Reiter verkauft. Kleine Episode: Ich habe mich damals auf Drängen der Bank auch von einem Wifi-Marketingberater beraten lassen. Dabei ging es um die Marke, die Verwendung des alten Namens und die Figur mit dem Pferd -  und der Marketingexperte hat das in der Luft zerrissen: "Das ist doch völlig unmöglich, Ludwig Reiter, wer soll das sein? Da können Sie sich ja gleich Pepi Huber nennen. Das muss ein Name sein, mit dem man etwas assoziiert." Das fand ich aber nicht authentisch und glaubwürdig, zumal Authentizität meines Erachtens nach genau das ist, was die Leute wollen. Wir sind daher als das auf den Markt gegangen, was wir sind. Ein kleines, altes Familienunternehmen mit Name Ludwig Reiter und langer Tradition in der Herstellung rahmengenähter Schuhe. Das war glaubwürdig und hat damals genau den Nerv getroffen. Es war das, was die Leute gesucht haben.

Wie verlief die Entwicklung in den ersten Jahren? Wo haben sie am meisten gelernt?

Es gab so viele Situationen. Die wichtigste Lernphase war vielleicht, als ich begonnen habe, unsere Produkte auch im Ausland zu verkaufen und dabei das Glück hatte, an sehr wohlwollende Vertriebspartner zu kommen, bei denen ich viel gelernt habe. Die Geschichte war folgendermaßen: Als ich in Wien ein paar gute Kunden beisammen hatte, hat der Herr Niedersüß von Knize gemeint: "Verkaufen Sie nicht so viel in Wien, gehen Sie lieber in den Export." Als ich ihn dann gefragt habe: wie man das macht, hat er mir zwei ältere Herren, zwei Italiener, vermittelt, die als Vertreter in Deutschland unterwegs waren und die mich dann, eigentlich um dem Herrn Niedersüß einen Gefallen zu tun, an die Hand genommen und den Markt mit mir aufgebaut haben. Da habe ich enorm viel gelernt. Darüber, wer die wichtigsten Leuten sind, was die richtigen Geschäfte sind und wie man die richtigen Geschäfte identifiziert. Denn die richtige Positionierung ist enorm wichtig. Man kann sich den ganzen  Markt kaputt machen, wenn man die Leute nicht in der richtigen Reihenfolge anspricht und sich in einem neuen Markt zunächst einmal an der falschen Adresse positioniert.

Stellen Sie sich vor, es kommt eine neue Top-Marke nach Wien, eröffnet einen neuen Laden und wird aufgrund eines schlechten Ratgebers auf die Mariahilfer Strasse verwiesen, denn dort macht man die höchsten Quadratmeterumsätze, was ja auch stimmt. Aber wenn man eine wirkliche Premiummarke sein will, kann man das als dritten oder vierten Standort machen, aber nicht als ersten. Da müssen Sie, auch wenn es zunächst einmal unbequem und teuer ist, auf den Kohlmarkt gehen. In jeder Stadt gibt es Einzelhändler, die die erste Riege sind und welche, die die zweite Riege sind und wenn Sie da bei der ersten Riege einmal gut ankommen, wird die zweite Riege auch bald Interesse zeigen, doch umgekehrt gilt das nicht. So etwas müssen Sie halt wissen. Diese Herren haben uns dann auch Kontakte nach Italien und in die Schweiz vermittelt. Das erste eigene Geschäft im Ausland folgte dann einige Jahre später in München. Dann kam Frankfurt, Hamburg, Berlin und Zürich. In Italien bin ich gerade wieder dabei, den Markt auf der Handelspartnerebene aufzubereiten. Wir waren in Italien jahrlang sehr erfolgreich mit den Sportschuhen, konnten uns aber nie mit klassischen Schuhen etablieren. Das lag an dem dortigen Vertreter, der wollte das einfach nicht. Jetzt habe ich das selbst in die Hand genommen.

Wie kam es dann zu der Entscheidung, einen Finanzpartner hereinzuholen?

Das Ärgste haben wir aus eigener Kraft überwunden. Wir waren nach einigen Jahren wieder halbwegs gesund auf den Beinen, aber ich habe in der Phase viele Gespräche mit der Banken- und Finanzszene geführt. Dabei kam ich in Kontakt mit einem Herrn, der damals den ersten Venture-Capital-Fond in Österreich aufgebaut hat. Typischerweise investieren diese Firmen natürlich in High-Tech-Abenteuer und IT-Firmen, aber er hat an der Idee einen Narren gefressen, sich als Tüpfelchen auf dem i noch eine Beteiligung an einem typischen Marken-Unternehmen ins Portfolio zu holen. Eines Tages hat er dann gemeint: "Sie wollen doch noch mehr aus dem Unternehmen  machen, oder? Es ist ja ganz nett, dass es ihnen gelungen ist, das Familienunternehmen aus dem Ärgsten rauszuholen, aber es muss doch noch weitergehen. Wachstum, Internationalisierung, etc." Ich habe mir natürlich gedacht: Ja, warum nicht? Dass das keine langfristigen Investoren sind, sondern dass die nach ein paar Jahren wieder aussteigen wollen und dass dieses eher kurzfristige Interesse der Investoren für so ein Unternehmen nicht sehr gesund ist, habe ich damals mangels Erfahrung nicht gewusst. Also sind sie mit 20% eingestiegen.

Wie wirkt sich so ein Kapitalgeber auf das Unternehmen aus?

Die Zusammenarbeit mit Kaitalgebern ist nett und man kann viel lernen, aber der Ernst tritt dann zutage, wenn der Anteil verwertet werden soll. Im Grund habe ich ja nichts dagegen, wenn uns jemand zu Wachstum drängt und dabei vielleicht auch noch unterstützt, aber die Frage ist, wie langfristig darf ich das betrachten. Es ist nun einmal so, dass ein kurzfristiger Erfolg nicht immer auch ein langfristiger ist.

Haben Sie sich etwas kaputt gemacht, weil sie es zu kurzfristig angelegt haben?

Ja, natürlich. Bei der ersten Venturebeteiligung mit 20% haben wir mit dem Geld die finanzielle Struktur des Unternehmens soweit bereinigt, dass wir dann wirklich Skonto zahlen konnten. Aber darüber hinaus blieb nicht viel zum Investieren. Ein Venturefond will ja nichts aus den laufenden Erträgen generieren, sondern daraus, dass sich die Substanz des Unternehmens so verbessert, dass man dann einen höheren Anteilswert beim Verkauf erzielen kann. Brav zu wirtschaften ist da zu wenig. Dazu braucht man eine Story, die Phantasie hat. Also haben wir z.B. in Deutschland eine Vertriebsgesellschaft gegründet, was eine Menge Geld gekostet, aber nichts gebracht hat. Es klang halt toll, dass man eine eigene Tochtergesellschaft in Deutschland hat. Und das wenige Jahre, bevor wir zur EU gekommen sind. So ein Blödsinn! Dann haben wir eine zweite Schuhfabrik in Oberösterreich gekauft, was wirtschaftlich ein Desaster war. Trotzdem bin ich heute nicht unglücklich darüber, weil wir von dort viel Produkt-Know-How bekommen haben.

Als Palmers die Beteiligung übernommen und eine Kapitalerhöhung durchgeführt hat, womit sie 50% am Unternehmen hielten, war es ähnlich: Palmers hatte ein großes Faible für Franchising, da Wolford zu dem Zeitpunkt mit Franchising enorm erfolgreich war, was sich inzwischen auch etwas geändert hat. Franchising ist scheinbar toll, weil man ohne eigenen Kapitaleinsatz unheimlich schnell ein beachtliches Wachstum generieren kann. Dass einem das nachher fürchterlich auf den Kopf fallen kann, weil Sie dann auf der ganzen Welt Franchisegeschäfte haben, die mitunter von unbedarften Leuten geführt werden, die die Marke beschädigen, wenn sie pleite gehen, wird gerne übersehen. Und wenn Sie sich keine schlechte Nachrede leisten können, müssen Sie dort dann selbst eingreifen, womit Sie sich eine Menge Probleme ans Bein binden. Wir hatten zeitweise fast dreißig Geschäfte in kleinen Städten wie Baden, Mödling – wozu?

Das frische Geld von Palmers wurde also für solche Investitionen wieder verbraten?

Genau. Wir hatten plötzlich unheimlich viel Kapital zur Verfügung. Also fragt man sich: Was machen wir jetzt damit? Das zu beantworten ist gar nicht so leicht, wenn man konservativ denkt. Palmers war damals in einer Phase, wo sie alles gekauft haben, was irgendwie interessant war. Don Gil, Adlmüller usw. Durch den Kauf von Adlmüller, für den wir Schuhe geliefert haben, kamen wir in Kontakt und als die Ventureleute mit unserem Anteil  auf den Markt gegangen sind, hat Palmers zugeschlagen.

Wollen bei drei Brüdern nicht alle Geschäftsführer sein?

Es kommt darauf an, was Sie unter Geschäftsführung verstehen. Wenn Sie damit meinen, dass jeder einen großen Schreibtisch und eine eigene Sekretärin haben muss, dann verträgt das Unternehmen das nicht. Aber Sie können ein Unternehmen auch mit drei Geschäftsführern führen, wenn das Unternehmen nur aus diesen drei Personen besteht. Wenn man sich die Aufgaben vernünftig teilt und jeder weiß, was er zu tun hat und was nicht, geht das sehr gut. Was Sie meinen, ist natürlich völlig richtig und oft ein häufiges Missverständnis: Ein Unternehmen ist nicht dazu da, dass ich es als Vehikel für meine eigenen wirtschaftlichen und persönlichen Bedürfnisse gebrauche, sondern ich muss mich dem Unternehmen zur Verfügung stellen, ich muss dem Unternehmen dienen. Und wenn ich das nicht kann, muss ich es bleiben lassen, auch als Familienmitglied. Ich habe nicht das Recht darauf, als Familienangehöriger dem Unternehmen zur Last zur fallen, wenn ich ihm nicht nütze. Das muss man auch klar vermitteln und zum Ausdruck bringen. Die Frage ist immer: Kann dieser Mensch für das Unternehmen etwas nützliches tun. Wenn ja, wird man ihn sich wahrscheinlich auch leisten können. Nicht umgekehrt: Kann ich mir leisten, da noch einen Familienangehörigen mitzuschleppen, für den ich mir dann überlegen muss, was er bei uns tun könnte. Offen ist noch, was passiert, wenn die nächste Generation mit ins Spiel kommt.

Wie haben Sie sich von Palmers wieder verabschiedet?

Die Lösung war im Grunde genommen ganz einfach. Wir hatten ursprünglich die Fabrik im 17. Bezirk. Die haben wir auf Drängen von Palmers verkauft, sind nach Wiener Neudorf gesiedelt und haben dort einen Teil des Palmers-Betriebsgeländes gekauft. D.h. wir waren dort Immobilienmiteigentümer, zumal wir davon ausgegangen sind, dass das eine sehr langfristige Verbindung sein wird. Dann kam es zur Trennung. Uns war es lästig, dass Palmers in der Firma Miteigentümer war und Palmers war es lästig, dass wir bei seiner Immobilie Miteigentümer waren. D.h. im Grunde haben wir das abgetauscht. Wir sind dort nicht mehr Eigentümer, sondern Mieter, dafür ist Palmers kein Anteilseigner mehr. Dazu musste gar nicht besonders viel Geld in Bewegung gesetzt werden. Palmers selbst wurde inzwischen verkauft und gehört jetzt zwei deutschen Fonds.

Welche Rolle spielen heute die Banken?

Wir sind momentan in der glücklichen Lage, dass wir mit Banken überhaupt keine Probleme haben, weil wir nicht von ihnen abhängig sind. Es gibt ja den bösen Spruch: "Von einer Bank bekommt man nur dann Geld, wenn man nachweisen kann, dass man es nicht braucht." Es ist zwar gegen alle gängigen Lehrmeinungen, aber eine gute Eigenkapitaldecke ist ungeheuer wichtig und dazu muss man halt Jahre und Jahrzehnte lang sparsam sein, keine Entnahmen tätigen und keine dummen Investments machen. Das bringt auf lange Sicht viel mehr.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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