"First Things First, Second Things Never"

Alle Achtsamkeit und Professionalität in die wichtigen und dramatischen Entscheidungen investieren!

Einleitend knüpfe ich zur Erinnerung an Kernaussagen in den beiden vorangegangenen Teilen dieser Artikelserie "Entscheiden in Organisationen" an. Im Beitrag 1 habe ich Entscheiden als das Herzstück von Führung bezeichnet. "Wird gut entschieden, dann ist sonst wenig wichtig. Wird nicht gut entschieden, dann ist alles andere unwichtig." Drei Grundfertigkeiten, die helfen, den "Raum des Entscheidens" gut und verantwortungsvoll auszuschöpfen, sollten als rote Fäden alle folgenden Beiträge durchziehen:

  1. Erstens gilt es, mit der janusköpfigen Eigenart von Risiko ausgewogen zurecht zu kommen. Wo es keine Unwägbarkeiten und Risiken gibt, gibt es in der konkreten Organisation auch nichts zu entscheiden. Oder, auf die individuelle Führungskraft gemünzt: Wer nichts riskiert, wird einfach nur älter.
  2. Zweitens macht es einen relevanten Unterschied sich anzugewöhnen, nicht die Hammerfallsekunde der Entscheidung überzubewerten, sondern den Prozess des Entscheidens verantwortlich (mit-) zu gestalten, weil jede Entscheidung nur so gut sein kann wie der Prozess (mit seinen fünf charakteristischen Phasen), der sie hervorbringt und der ihr folgt.
  3. Drittens gilt zu akzeptieren - besonders an Personal- und Top-Verantwortliche adressiert - dass ein Verbessern des Entscheidens in Organisationen simultan auf den drei Systemebenen Organisation – Team – Personen (in Rollen) konzipiert werden muss, wenn es dem Anspruch einer nachhaltigen Organisationsentwicklung genügen soll.

Der zweite Beitrag stand unter der Leitidee "Wer gut entscheidet, kann nichts falsch machen." Was können jede Führungskraft und jeder Unternehmer selbst tun, um durch gezieltes Lernen On-the-Job ihr Potenzial gut zu entscheiden voll auszuschöpfen? Stichworte waren: sich selbst beobachten und reflektieren - Achtsamkeit für die "inneren persönlichen Auslöser und Muster" entwickeln; in den persönlichen Vorlieben und Abneigungen als Entscheider ein gutes Vorbild geben; erkennen, dass die nicht getroffenen Entscheidungen die Teuersten sind und befriedigend spüren, wie getroffene Entscedungen Energie und Platz für neue Erfahrungen schaffen; Entscheiden als einen durch viele Balanceakte bestimmten Prozess verstehen und einen neuen, aufschlussreichen Blick auf das eigene Zeitmanagement gewinnen! Und ich habe Ansatzpunkte angeboten, wie Sie als Führungskraft Ihre nachhaltige Produktivität erhöhen können, indem Sie Ihre Phantom-Arbeitslast (ein sehr überzeugendes Konzept von Paul/Stroh!) reduzieren. Das Fazit war: Je mehr Menschen in Unternehmen gezielt Mitverantwortung übernehmen – und genau darum geht es in einem gut gestalteten Prozess des Entscheidens – desto gesicherter ist ihre gemeinsame ökonomische Zukunft in einer Zeit zunehmend steigender Unwägbarkeiten und Risiken.
 
Im vorliegenden dritten Beitrag werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Entscheidungen mit der Risiko-Brille. Aber vorher lohnt noch eine Vergewisserung, ob ein tieferer Blick auf das Handwerk des Entscheidens für Sie überhaupt ergiebig sein kann. Sind Sie mit Ihrem eigenen Handeln und dem Handeln der Teams und Mitarbeiter in Ihrem Verantwortungsbereich im Wesentlichen zufrieden? Dann können Sie die weitere Lektüre an dieser Stelle beruhigt einstellen! Effizientes und effektives, aktuell befriedigendes und Zukunft sicherndes Handeln sind die realen untrüglichen Beweise dafür, dass das vorangegangene Entscheiden – das selbstverständlich-implizite gewohnheitsmäßige wie auch das bewusste und achtsam gestaltete – qualitativ in Ordnung gewesen sein muss. In diesem Fall kann ich Ihnen vergewissern, dass sowohl Ihr selbstverständlich operierender Autopilot als auch Ihr bewusst zugeschalteter Pilot angemessen funktionieren. Umgekehrt lohnt sich der Blick auf die wichtigsten aktuellen Entscheidungen mit der Risiko-Brille für Jeden, der sehr konkrete oder auch diffuse Unzufriedenheit registriert. Wenn Sie deshalb – vielleicht – Initiativen anstoßen wollen, dass in Ihrem Verantwortungsbereich in höherer Qualität und schneller, kostengünstiger, befriedigender und entspannter gehandelt wird, dann werden Sie diesen Anspruch am wahrscheinlichsten über wirkungsvollere Prozesse des Entscheidens realisieren.
 
Entscheiden ist der kontinuierliche Prozess des Abarbeitens einer Risikobilanz
Im Kern geht es beim Entscheiden um das fortlaufende Abarbeiten einer Risikobilanz des Nutzens von Möglichkeiten / Chancen auf der linken Seite der Bilanz und des Reduzierens der Gefahren des Scheiterns auf der rechten Seite der Bilanz. Slywotzky (2007) hat darüber ein sehr anregendes, pragmatisches Buch geschrieben.2 Er plädiert überzeugend dafür, dass es möglich und anzupacken ist, die größten Gefahren im Geschäft in die größten Chancen umzuwandeln. Ergänzend gefällt mir Arie de Geus' Definition sehr gut3. Wenn man von einfachen Routineentscheidungen absieht, dann "ist das Entscheiden ein sozialer Prozess. Das ist ein Prozess von Leuten, die reden und reden und reden. (...) Das Treffen der Entscheidung besteht darin, in der Gruppe – in einem sozialen und linguistischen Prozess – neue Lösungen für neue Situationen zu suchen. (...) Das Treffen von Entscheidungen ist ein Lernprozess." Der sehr oft nachhaltig besser und schneller ablaufen kann, wenn er bewusst und gezielt gestaltet und verantwortet wird – was nicht die Regel ist. 

First Things First, Second Things Never
Peter Drucker's vor vielen Jahrzehnten ausgesprochene Empfehlung - "First Things First, Second Things Never" - passt nahtlos auf das Handwerk des Entscheidens. Ich schließe mich der Empfehlung vorbehaltlos an: Investieren Sie alle Zeit und Achtsamkeit in die wichtigen und dramatischen Entscheidungen! Und keine Zeit in belanglose. Was sind die wirklich wichtigen Entscheidungen? Sie sind leicht über die Verbindung von zwei Merkmalen zu identifizieren: Einerseits ist die Bedeutung des Themas / der Entscheidung für das Unternehmen (den Geschäftsbereich, die Abteilung) und das verantwortliche Team sehr hoch und andererseits ist es auch der Risiko- und Unsicherheitsgrad.

Warum die drei Entscheidungsprozessarten Personal – Strategie – Krise Ihre größte Aufmerksamkeit verdienen ...
... und wie diese drei Prozesskategorien sich wechselseitig zu einer nachhaltigen Erfolgsdynamik anspornen oder wie sie, was in der Praxis natürlich auch zu beobachten ist, in eine teuflische Abwärtsspirale umkippen.

Der erste Blick sollte auf die sorgfältige Gestaltung aller Prozesse und Einschätzungen, die zu hervorragend guten Personalentscheidungen führen, gerichtet sein; auch deshalb, weil sie die beste Grundlage für die strategischen Entscheidungen und die in eventuellen Krisen notwendigen Entscheidungen schaffen. Der sehr erfolgreiche mittelständische Unternehmer Norbert Zimmermann bekräftigt: "Die Personalentscheidungen halte ich für die wichtigsten überhaupt. Denen gebe ich hohe Priorität, da nehme ich mir viel Zeit."4

Wie in jedem Mannschaftssport greift der ausschließliche Blick auf die einzelne Person zu kurz. Die zusätzliche Frage muss immer wieder lauten: Wer stärkt uns auch im Team? Es gilt, das Team so zu formen, fordern und fördern, dass es zu immer besseren Entscheidungsprozessen fähig wird. Noch einmal Norbert Zimmermann: "Der spezifische Lernprozess, der mich zu besseren Entscheidungen befähigt hat, führte über einen gelebten Teamansatz, über die Erfahrung, Themen im Team aufzubereiten. Akzeptierte Unterschiedlichkeiten der einzelnen Teammitglieder (Anmerkung: besonders interessant sind da die unterschiedlichen Präferenzen im Umgang mit Risiken!) so zu durchmischen, sodass in Summe etwas Produktives raus kommt. Wie lässt man Kräfte wirken im Entscheidungsprozess, vor allem in der Vorbereitungsphase?" Das Motto lautet: People and Team First, Strategy Second.

Strategische Entscheidungen und strategische Projekte haben besonders hohe Hebelwirkung. Sie geben Rahmen und Richtung für viele Folgeentscheidungen in der ganzen Organisation vor. Besonders anspruchsvoll ist es, rechtzeitig die Notwendigkeit bzw. das passende Zeitfenster für strategische Weichenstellungen zu erkennen. (Diese "windows of opportunity" können im Druck des operativen Alltags leicht der Aufmerksamkeit entgehen). Hohe wechselseitige Wertschätzung und Vertrauen im Team und regelmäßige Auszeiten für den gemeinsamen Blick aus "strategischer Flughöhe" sind die wirkungsvollsten Zutaten eines umfassend verstandenen Risikomanagements. Motto: "Strategy is more important than ever before." (Jeff Immelt)

Realisten wissen drittens natürlich, dass Krisen immer auftreten, früher oder später. Früher und öfter als Folge eigener Fehlentscheidungen in Bezug auf Personal / Team und / oder Strategie. Später und seltener als Folge nicht beeinflussbarer externer Auslöser wie Markteinbrüchen etc. Entscheidungen in der Krise sind fordernde Grenzerfahrungen, weil mehr Druck, intensivere Gefühle und größere Gefahren des Scheiterns im Spiel sind. Andererseits bergen sie zwei besonders wertvolle Chancen: Erstens sich mit der Wirklichkeit radikaler konfrontiert zu sehen, d.h. sich notwendigen Veränderungen in Bezug auf Personal oder Strategie zu stellen, die man in Business-as-usual-Zeiten nicht gewollt oder gewagt hatte. Zweitens die Krise als Bewährungsprobe anzunehmen, aus der man persönlich und strategisch aufmerksamer und widerstandsfähiger hervorgeht. In der Krise zeigt es sich, ob es Ihnen gelingt, die drei wichtigsten Entscheidungsarten in Ihrer Organisation zu einem neuen Wachstumskreis zu verbinden oder ob Sie in einen Teufelskreis abdriften / abstürzen. Die Krise und Zeiten des Orientierungsverlustes bieten hierfür die dritte und letzte Gelegenheit. Es gibt nach meiner Erfahrung zwei nachhaltig wirksame Hebel, wo es gerade in der Krise um die selten praktizierte und gerade deshalb besonders ergiebige Weichenstellung geht, mehr (Qualität) zu investieren und bewusst nicht nur dem allgemein bekannten Abbau- und Überwintern-Reflex zu folgen. Wenn es Ihnen gelingt, erstens die Krise gezielt als hervorragende Chance für Führungskräfte- und Leadership-Entwicklung wahrzunehmen, und zweitens das Entscheiden in Ihren Kernprozessen, wie z. B. der Strategie- und / oder Neuproduktentwicklung, zu verbessern, erzeugt dies mit höchster Wahrscheinlichkeit einen Kreislauf des Qualitätswachstums in allen drei Domänen. Übrigens: Es könnte sein, dass mancher Leser bei sich denkt: Okay, diese Aussagen treffen auf den Verantwortungsbereich weniger Top Führungskräfte zu, aber wohl nicht auf die vielen Führungskräfte der nächsten hierarchischen Ebenen. Dem widerspreche ich dezidiert. In den letzten Jahrzehnten ist ein unaufhaltsamer Trend zu beobachten, dass immer mehr Führungskräfte in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen gefordert sind strategisch zu denken und handeln.

Das eigene bestmögliche Überleben in der Organisation
Last but not least, hätte ich einen vierten bzw. den für Führungskräfte tatsächlich wichtigsten Entscheidungsprozess beinahe unter den Tisch fallen lassen: Was muss ich tun und lassen, um in meiner konkreten Organisation gut zu überleben und eine gute Zukunft zu haben, falls ich das möchte? Darauf werde ich in einem späteren Beitrag eingehen. Für den Moment biete ich Ihnen einen kurzen entlastenden, aber vielleicht nicht wirklich ultimativ befriedigenden Hinweis an. Wer sich den drei oben angeführten bedeutungsvollsten Kategorien des Entscheidens verantwortungsvoll stellt, braucht sich vermutlich um diesen vierten parallel mitlaufenden wichtigen Prozess des Entscheidens keine grauen Haare wachsen lassen.

Anmerkungen:

  1. Der Titel ist eine Verbeugung vor dem großen amerikanisch-österreichischen Managementdenker, ja vielleicht dem größten des letzten Jahrhunderts. Peter Drucker hat mich vor 45 Jahren als BWL-Student beeindruckt und sein zeitlos-tiefes Verständnis von Management beeindruckt mich heute noch mehr. Jedenfalls schätze ich ihn als den einzigen Managementdenker und –schreiber, der Decision Making durchgängig und konsequent als das Kernelement von Management versteht. Eigentlich müsste ich ihn in diesem kleinen Beitrag mit weiteren Zitaten würdigen.
  2. Slywotzky, Adrian (2007): The Upside. The 7 Strategies for turning big threats into growth breakthroughs. New York.
  3. Othmar Sutrich: prendre des décisions c'est apprendre, Seite 36-43 in: profile 16 (2008)
  4. Interview Norbert Zimmermann "Flop des Jahres und Meisterstücke" durch Harry Allabauer und Othmar Sutrich, Seite 9-19 in profile 16 (2008).

Über den Autor: Seit mehr als 10 Jahren entwickelt der Othmar Sutrich gemeinsam mit einer Reihe von Kollegen Schritt für Schritt ein Konzept für "Besser Entscheiden in Organisationen". Es umfasst Instrumente und Methoden, Übungen, Designs und Arbeitsformate für Führungskräfte und Projektmanager, für Coaches und Trainer, für Personal- und Organisationsentwickler.

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Dkfm. Othmar Sutrich, Sutrich Organisationsberatung