Die Krux mit der Strategie

Nach einem Jahrzehnt mit Schwerpunkt auf Optimierungen und Produktivitätssteigerung gewinnen Fragen strategischer Natur wieder deutlich an Boden. Auf sie klare Antworten zu finden, ist für Manager aber schwieriger denn je.

Die Erwartungen an eine "gute" Strategie sind hoch: Sie soll Orientierung geben und die Kräfte bündeln, indem sie klar macht, wofür das Unternehmen steht, wohin es steuert und wie es diesen Weg zu bewältigen gedenkt. Klingt gut, hat aber ein paar Haken:

  • Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat vielen Managern eindringlich vor Augen geführt, dass die angenommenen Entwicklungen oft nur wenig mit den tatsächlichen Entwicklungen und Einflüssen gemein hatten. Der weitverbreitete Glaube an die Planbarkeit und Berechenbarkeit auch nur der näheren Zukunft wurde dadurch massiv erschüttert. Als Beleg dafür genügt oft schon die Erinnerung an die Strategiepläne von vor drei Jahren.
  • Gleichzeitig, so die Überzeugung des Unternehmensberaters Dr. Reinhart Nagel, Autor des Buches "Systemische Strategieberatung", wächst der Druck auf die Unternehmensleiter, zu strategischen Fragen antwortfähig zu sein: "Bei den großen Unternehmen kommt der Druck vor allem von Seiten der Eigentümervertreter, sprich Analysten, durch Fragen in Richtung: Was planen Sie nach dem Costcutting? Bei den Klein- und Mittelbetrieben bringt Basel II die Eigentümer/Geschäftsführer unter zunehmenden Legitimationsdruck, indem die Hausbanken plötzlich beginnen, bei bisher problemlosen Betriebsmittelkrediten genau nachzufragen: Wie schätzen Sie Ihren Markt aktuell und künftig ein? Wo sehen Sie für Ihr Unternehmen die besten Chancen? Hier kommt verschärfend hinzu, dass zwar jedes Unternehmen, das seine Überlebensfähigkeit einige Zeit unter Beweis gestellt hat, implizit über eine Strategie verfügt, diese aber gerade bei KMUs nur selten explizit formuliert ist. Eine Strategie zu verfolgen, ist eine Sache, sie klar formulieren zu können, eine ganz andere."
  • Eng mit diesen Entwicklungen verbunden ist eine gewisse Krise der bislang vorherrschenden Strategiekonzepte selbst. Basieren sie doch wesentlich auf drei durchaus zweifelhaften Grundannahmen: Die erste Annahme unterstellt, dass das für eine strategische Neuausrichtung nötige Wissen vollständig mobilisierbar sei. Soll heißen: Wenn man es nur richtig anstellt – und die passenden Instrumente verwendet - findet man alle Daten und Informationen, die man braucht. Die zweite Annahme unterstellt so etwas wie berechenbare Grundregeln der Marktdynamik. Beides, so der Schluss, braucht man nur richtig zu analysieren, dann lassen sich daraus verlässlich Erfolgsstrategien ableiten. Dazu gesellt sich die dritte nicht minder problematische Annahme, der Part der Unternehmensleitung bestehe darin, die Strategie festzusetzen, während deren Umsetzung dann Aufgabe der zweiten und dritten Ebene sei. Kommt es zu Problemen, dann liegt das demgemäß an unfähigen Mittelmanagern oder unwilligen Mitarbeitern, hat aber nichts zu tun mit dieser spezifischen Art der Strategieentwicklung.

Das nicht sehr ermutigende Zwischenresümee: In immer mehr Märkten und Umfeldern werden die Entwicklungen unkalkulierbarer und unsicherer und Festlegungen daher schwieriger und risikoreicher. Als wäre das nicht genug, basieren nicht wenige der Hilfsmittel, die bislang bei der Erarbeitung neuer Strategiekonzepte eingesetzt wurden, auf Annahmen, die mit der heutigen Marktrealität nur mehr bedingt zu tun haben.

Neue Optionen durch revidierte Annahmen

Was aber heißt das nun für das Management? Die erste konkrete Konsequenz ist, dass der Prozess der Strategieentwicklung selbst viel stärker in den Blick gerät. Da die Qualität einer Strategie auf der Qualität der Annahmen beruht, die das Management hat, ist es für die Güte der dann entwickelten strategischen Optionen ganz entscheidend, diese Annahmen offen zu legen und besprechbar zu machen. Etwa Annahmen in Bezug auf die Bereiche:

  • In welchem Markt sind wir tätig?
  • Welche Spielregeln herrschen hier?
  • Wen sehen wir als unsere vorrangigen Konkurrenten an?
  • Wer sind unsere Kunden und was brauchen die?
  • Wie entwickelt sich die Technologie und welche Auswirkungen hat das auf unser Geschäft?
  • Wie verändern sich die gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen? usw. 

Es geht um die Klärung der Fragen:

  • Von welchen Überzeugungen in bezug auf unser Geschäft lassen wir uns eigentlich leiten und worauf gründen sich diese Einschätzungen?
  • Gibt es noch andere mögliche Überzeugungen und was hieße das für uns?
  • Was wissen wir und was vermuten wir nur?
  • Angenommen, eine bestimmte Entwicklung träfe nicht zu, an welchen Signalen würden wir das denn überhaupt erkennen?

Antennen nach draussen

Der eine Effekt dieses "sich selbst beim Beobachten zu beobachten" ist nach Ansicht von Mag. Michael Schulte-Derne von der Beratungsfirma Conecta "eine höhere Sensibilität der Organisation nach außen." Ein anderer Effekt ist laut Schulte-Derne, dass so unterschiedliche Sichtweisen und Interessen und damit Konflikte deutlicher zutage treten, deren Austragung - wenn ein respektvoller Umgang damit gelingt – erst dazu führen, zu einer wirklich gemeinsam getragenen Sicht der Dinge zu gelangen. Andernfalls zeigen sich die unterschiedlichen Auffassungen, wie jeder Manager aus eigener Erfahrung leidvoll weiß, eben später im Zuge der Umsetzung der beschlossenen Strategie bzw. in Form ihrer Nicht-Umsetzung.

Kürzer getaktet

Eine weitere Konsequenz ist, dass Manager strategische Fragen häufiger als früher in den Blick nehmen. Statt der einmal jährlich stattfindenden Strategieklausur gibt es – je nach Branche unterschiedlich – möglicherweise halbjährliche oder gar vierteljährliche Strategietage, um sich bewusst Raum zu geben, die relevanten Einflussfelder in den Blick zu nehmen. "Das bedeutet nicht, ständig die Strategie über den Haufen zu werfen, sondern vielmehr, periodisch zu besprechen, wo man auf Kurs ist, wo es Abweichungen gibt und woran das denn liegen könnte. Eine Abweichung kann auch dadurch entstehen, dass es bisher nicht gelungen ist, die Aufmerksamkeit und das Handeln der Mitarbeiter dahin zu lenken, wo man hin will. In dem Fall hapert es an der Verzahnung von Strategie und operativem Geschäft. Eine Strategie ist nur dann hilfreich, wenn sie neben der Richtung auch sagt, was zu ihrer Realisierung getan werden soll, d.h. sich im Tagesgeschäft bemerkbar macht", so Monika Herbstrith, Geschäftsführerin von "Impuls & Wirkung". Das betont auch Manfred Köteles, Geschäftsführer von Bacher Systems, wenn er mit Peter Drucker meint: "Erfolg ist nicht das Ergebnis brillanter Strategien, sondern das Ergebnis einer brillanten Umsetzung von Strategien."

Welche Fragen Sie sich stellen könnten:
  • Haben wir derzeit eine in klaren Worten beschreibbare Strategie?
    (im Sinn von: Dort wollen wir hin, darauf wollen wir uns konzentrieren. Dafür stehen wir und das wollen wir folgendermaßen erreichen ...)
  • Wo und wie passiert Strategieentwicklung derzeit?
  • Wer ist dafür zuständig, wie läuft das konkret ab?
    (Nachdenken im stillen Kämmerlein, Delegation an Experten, jährliche oder halbjährliche Strategieklausuren des Führungskreises etc.?)
  • Wer im Unternehmen kennt diese Strategie?
  • Wie wird sie kommuniziert?
  • Steuert sie tatsächlich unser operatives Geschäft?
    Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht?

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