Strategieansätze im Überblick

Alles, was Sie sich im Strategieteam nie zu fragen getraut hätten: SWOT-Analyse, BCG-Matrix, Five Forces sowie Kernkompetenzen und Dynamic Capabilities.

"In Wirklichkeit hatten wir keine Strategie, außer dass wir sehen wollten, ob wir in den USA etwas verkaufen konnten … Herr Honda war besonders optimistisch für die großen Motorräder. Die Form der Handgriffe sah aus wie die Augenbrauen des Buddha, was er als starkes Verkaufsargument empfand … Während unserer ersten acht Monate … hatten wir nicht versucht, die 50cc Supercubs zu verkaufen … wir benutzten sie in Los Angeles selbst für unsere Besorgungen. Sie erregten eine Menge Aufsehen … aber wir zögerten, sie anzubieten, weil wir nicht unser Image auf einem Macho-Markt beschädigen wollten. Aber als unsere größeren Maschinen begannen schadhaft zu werden, hatten wir keine Wahl. Wir ließen die 50cc Motorräder auf den Markt."

So beginnt eine spektakuläre Erfolgsstory – die Geschichte des Aufstiegs von Honda auf dem amerikanischen Markt. Wie viele Erfolgsstories folgt sie so gar nicht den Regeln, die andere für Erfolg aufgestellt haben. Wahrscheinlich ist sie daher den Autoren von "Strategy Safari", den prominenten Professoren Henry Mintzberg, Bruce Ahlstrand und Joseph Lampel, so ans Herz gewachsen. Denn dieses Buch ist eine sehr leichtfüßige Reise durch die Geschichte des strategischen Denkens der letzten Jahrzehnte, und je absurder eine Geschichte wird, desto größer der Spaß, den die drei Professoren daran haben.

Mit einer Unbekümmertheit, wie sie sich nur kurz vor der eigenen Pension einstellt, konstruiert Mintzberg zusammen mit seinen Kollegen strategische Denkschulen. Und so jagen sie durch die Wildnis der Wissenschaft, verhaften dort und da einige Autoren, deren Theorien sie interessieren, und erklären die überraschten Forscher zur "Schule" – ganz nach dem Satz aus einem Woody-Allen-Film, den sie auch zitieren: "Ich lag in einem warmen Bett, und plötzlich bin ich Teil eines Plans." In einigen Fällen müssen dabei auch Wissenschaftler, die ihre jeweiligen Theorien als schärfste Widersprüche empfinden, gemeinsam die "Schul-"bank drücken. Wie subjektiv dieses Verfahren ist, darüber äußern sich die drei wiederum mit entwaffnender Offenheit. Im Endeffekt wird die "Strategy Safari" zu einer spannenden und erkenntnisreichen Reise voller Déja-vus und Aha-Effekte.

Die 10 Schulen

1. Die Designschule: "(Diese Schule) vertritt ohne Zweifel den einflussreichsten Blick auf den Prozess der Strategiebildung … Professoren, Consultants und Planer weltweit haben zahllose Pinwände und Flipcharts mit ihrer berühmten Idee der SWOT-Analyse gefüllt". Im Kern verfolgt diese Schule die Idee einer Passung zwischen der Organisation, ihren Stärken und Schwächen und den Chancen und Risiken ihres Umfelds (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats = SWOT). Diese Passung erforscht das Management Team in einem Denkprozess und entwickelt daraus einfache, konsistente Strategien. Die Frage bliebt offen: Wie, bitte, erkennt eine Organisation die eigenen Stärken und Schwächen?

2. Die Planungsschule: Diese Autoren übernehmen den Grundprozess der Designschule und brechen ihn in zahllose genau geplante Schritte und Checklisten herunter. So entsteht "Unternehmensstrategie durch Waschzettel"; der Strategiebildungsprozess muss durch einen Controllingprozess ergänzt werden, und schließlich muss man auch das Planen planen. In vielen Unternehmen blähten sich nun die Planungsabteilungen so auf, dass sie am Ende die gesamte Strategiebildung übernommen hatten – bis Jack Welch kurz nach seinem Amtsantritt 1980 als CEO von General Electrics die Planungsabteilung kurzerhand auflöste und dabei die gesamte Planungsschule in ernsthafte (aber ungeplante) Schwierigkeiten brachte. 

3. Die Positionierungsschule: Rund um die Zentralfigur Michael Porter hat sich die vielleicht meistdiskutierte Schule etabliert. Sie geht von der Annahme aus, dass einige wenige Variablen (wie z.B. Marktanteil, Wachstum, Produktvolumina etc.) entscheidend sind für die Position, in der sich ein Unternehmen auf seinem jeweiligen Markt befindet. Zur Bestimmung dieser Position entstanden so populäre Instrumente wie die BCG-Matrix (also die Position des Unternehmens nach Marktanteil und Wachstumspotenzial), oder Porters "Five Forces", die eine Branche bestimmen (nämlich die Verhandlungsmacht von Kunden und von Lieferanten, die Eintrittsbarrieren für neue Mitbewerber, die Ersetzbarkeit des eigenen Angebots und die Intensität des Wettbewerbs). Sobald es gelungen ist, diese Position zu bestimmen, kann das Unternehmen sich positionieren, d.h. auf eine bessere Position zusteuern. Dazu stehen aber jeweils nur einige wenige Grundstrategien zur Verfügung, wie z.B. Kostenführerschaft, Differenzierung (also Abhebung vom Wettbewerb durch besondere Qualität o.a.) oder Fokus (z.B. auf eine bestimmte Nische). Viel Aufwand, viel Analyse, für einige wenige standardisierte Lösungen!

4. Die unternehmerische Schule: Wenn Wissenschaftler beschreiben, wie Unternehmer Strategien kreieren, ergibt sich meistens ein Sammelsurium an Geschichten, aber wenig roter Faden. Witzig ist immerhin, wie unsere drei Professoren "Visionary Leadership" beschreiben ("Der Wirkstoff (Vision) wird in eine Nadel (Worte) gefüllt und den Mitarbeitern injiziert. Das bringt diese dazu, mit großer Energie auf und nieder zu hüpfen."). Wenn Unternehmer Strategie machen, ist dies oft intuitiv und wird meistens mit viel Nachdruck und gleichzeitig Flexibilität umgesetzt. Das ist attraktiv, muss aber zur Person des Unternehmers passen und wird ab einer gewissen Firmengröße schwierig. Und was, wenn der Unternehmer einen Herzinfarkt erleidet?

5. Die Kognitive Schule ist nichts anderes als ein Konstrukt der drei Autoren, und so konstruiert ist sie, dass sie auch noch aus zwei "Flügeln" bestehen muss. Unsere Professoren treibt dabei das Interesse, in die "Black Box" des Erdenkens von Strategien einzusehen – woran allerdings, wie sie selbst schreiben, auch die Kognitive Schule bisher gescheitert ist. Und so finden wir in dieser Schule einige durchaus interessante Beobachtungen, wie z.B. eigene mentale Grundeinstellungen Entscheidungen beeinflussen, wie sich Nicht-Entscheidungen nach einer Weile als Entscheidungen präsentieren etc., aber ansonsten wenig Beiträge zu Strategiebildung als solcher.

6. Die Lernschule ist einer der beiden Favoriten unseres Trios. Nachdem sie schon bisher ausführlich die Illusion kritisiert haben, man könne im Voraus mithilfe von Planung oder Analyse ideale Strategien ersinnen und umsetzen, zeigen sie nun, wie Strategiebildung und vor allem Umsetzung in der Praxis auch funktioniert. Die oben zitierte Honda-Geschichte ist hier ein willkommenes Beispiel. Zur Untermauerung unterscheiden sie zwischen "absichtlichen" ("deliberate") und "entstehenden" ("emergent") Strategien und einem "Gewächshaus-" und einem "Grassroot"-Modell der Strategiebildung. Im Gewächshaus wachsen die Tomaten nach Plan, im freien Feld entstehen Pflanzen und können dann gepflegt, gegessen oder auch ausgerissen werden. Dass allerdings auch noch das extrem einflussreiche Werk von Gary Hamel und C.K. Prahalad einen Platz in dieser Schule zugewiesen bekommt, ist erstens inhaltlich nicht besonders überzeugend und grenzt zweitens an eine bewusste Unterlassung – diese beiden hätten mit ihrem Konzept der Kernkompetenzen und der Dynamic Capabilities durchaus eher ein eigenes Kapitel verdient als so manche andere.

Hamel und Prahalad zeigen, wie Unternehmen ihre Entwicklung von einigen wenigen zentralen Kompetenzen aus betreiben, etwa Sony mit seiner Kompetenz, Dinge kleiner zu machen. Eine Kernkompetenz im Sinne der Erfinder ist allerdings nicht gleich alles, was ein Unternehmen besonders gut kann, sondern sie muss so unwiederholbar sein, dass sie dem Unternehmen einen langfristigen Wettbewerbsvorsprung bietet.

7. Die Machtschule versteht Strategiebildung als einen politischen Verhandlungsprozess, aus dem dann Ziele und Strategien quasi als Nebenprodukt entstehen – können ("Micro-Power"). Bei "Macro Power" geht es um jenen Einfluss, den eine Organisation auf ihr Umfeld (Wettbewerb, Markt, Regulatoren, Medien, Staat, Gesellschaft) ausüben kann. Dieser Zweig der Machtschule erhält in den letzten Jahren Auftrieb, da sie auch das weitgehend neue Feld der "coopetition" untersucht, also die Zusammenarbeit von Mitbewerbern, z.B. in strategischen Allianzen, Joint Ventures oder Sourcing.

8. Die Kulturschule sieht Strategie als ein Produkt der Unternehmenskultur. Aber wie produziert eine Kultur Strategie? Brauchen ‚exzellente‘ Unternehmen "Schlüssel-Werte", wie Tom Peters ("In Search of Excellence", 1982) behauptet hat? Kommt es auf die Passung zwischen Kultur, Struktur, Strategie, Umfeld usw. an? Und ist Kultur schließlich die letzte Barriere, die es dem Wettbewerb verbietet, ein erfolgreiches Unternehmen zu kopieren? Kultur ist jedenfalls eine zähe Materie, und das macht es der Kulturschule schwer, Veränderungen in der Strategie nachzuvollziehen. Somit erklärt diese Denkschule "zu leicht, was ist, anstatt sich der wesentlich härteren Frage zu stellen, was werden kann."

9. Die Umweltschule (oder zumindest deren radikalere Vertreter) betrachtet Unternehmen als biologische Organismen, denen von ihrer feindlichen Umwelt eine Nische zugewiesen wird, in der sie sich für eine gewisse Zeit behaupten, bevor sie "ausselektiert" werden. Auf jeden Fall kann das Management dieser Organismen wenig eigene Entscheidungen treffen, es kann eigentlich nur reagieren. Mit erkennbarer Ungeduld wischen unsere Professoren diese Denkschule zur Seite, bevor sie sich ihrem zweiten Favoriten widmen, nämlich der

10. Konfigurationsschule: Der Grundgedanke ist hier, dass erfolgreiche Organisationen bestimmte Eigenschaften und Prozesse zum richtigen Zeitpunkt so kombinieren, dass sich diese Konfiguration optimal zusammenfügt und in das jeweilige Umfeld (Wettbewerb, Markt etc.) passt. In diesem Geist hat Henry Mintzberg selbst seine bekannten fünf Strukturformen verfasst. Um diese Konfigurationen sinnvoll anbieten zu können und gleichzeitig die Notwendigkeit zur Veränderung anzuerkennen, hat diese Schule die Idee des "Quantum Change" ersonnen: Organisationen funktionieren für gewisse Zeiträume weitgehend stabil (und können währenddessen eine bestimmte Konfiguration beibehalten); alle paar Jahre müssen sie einen Quantensprung vollziehen, um eine neue Konfiguration zu finden. Konsequenterweise entwickelte sich aus dieser Schule heraus eine Fülle von Change Management Ansätzen. Etwas merkwürdig bleibt, wie freimütig die Autoren bekennen, dass die Konfigurationen dieser Schule meist ziemlich holzschnittartig bleiben, und wie wenig sie dies daran hindert, sich selbst in dieser Schule positionieren.

Zusammengefasst - die zentralen Thesen

  • Es lohnt sich, strategisches Denken in Denkschulen zusammenzufassen, um damit einen Überblick über dieses vielfältige Feld herzustellen.
  • Die Designschule, die Planungsschule, die Positionierungsschule und teilweise die unternehmerische Schule bieten Grundmodelle an, wie Strategiebildung funktionieren sollte.
  • Eine Anzahl weiterer Schulen versucht eher zu beschreiben, wie Strategiebildung im wirklichen Leben entsteht. Dabei verrennen sich manche und bleiben uns zumindest vorerst konkrete Ergebnisse schuldig.
  • Erfolgreiche Strategien entstehen eher (so wie bei Honda) „im Gehen“ und dann, wenn Unternehmen gut in ihr Umfeld passen.

Autor: Mag. Stefan Doblhofer

Dieser Beitrag ist Teil des von Mag. Stefan Doblhofer im Juli 2008 im Goldegg Verlag erschienenen Buches "Management Navigator"

...zurück zum Seitenanfang

 

Teilen:

Mag. Stefan Doblhofer