Hebel einer erfolgreichen Strategie-Implementierung

Dipl.Bw. Jürgen Bauer, MBA, Direktor Regionalleitung Ost beim Logistikkonzern Gebrüder Weiss, über die zahlreichen konkreten Implementierungsschritte einer Mitte des Jahrzehnts entwickelten Strategie und seine wichtigsten Lernerfahrungen.

Wie lautet die Strategie der Firma Gebrüder Weiss?

Gebrüder Weiss ist ein zu 100 % im Familienbesitz stehendes österreichisches Privat-unternehmen im Transport und Logistikbereich mit Wurzeln, die bis ins 14. Jhdt. zurückreichen. Im Jahr 2008 hat Gebrüder Weiss einen Umsatz von fast einer Milliarde Euro bei einem Personalstand von 4.500 Mitarbeitern an 137 Standorten weltweit erzielt. Die Firma sieht sich als Regional Player im Bereich Zentral- und Osteuropa mit weltweiten Verbindungen im Bereich Air und Sea. Das Unternehmen verfolgt einerseits eine langfristige Wachstumsstrategie, die hauptsächlich durch organisches Wachstum erreicht, jedoch durch strategische Akquisitionen und Joint-Ventures ergänzt wird. Zum anderen baut Gebrüder Weiss auch mit Tochterunternehmen und Logistiklösungen die Breite des Leistungsspektrums aus, die Mehrwert für den Kunden schaffen. Im Mittelpunkt all dieser Aktivitäten stehen die Kundenzufriedenheit und ein möglichst tiefes Eindringen in die Wertschöpfungskette des Kunden. Die Strategie von Gebrüder Weiss lässt sich mit vier wesentlichen Punkten beschreiben:

  1. Unabhängigkeit: Unabhängigkeit als Basis für den Erfolg, um Entscheidungen nachhaltig treffen zu können und nicht von kurzfristigen Ertragszielen von Investoren, Aktionären und Banken abhängig zu sein.
  2.  Best in class: Es geht nicht darum, der Umsatzstärkste zu sein oder die meisten Standorte weltweit zu haben, sondern im Kernmarktgebiet Zentral- und Osteuropa vom Markt als der qualitativ beste Logistikdienstleister gesehen zu werden.
  3. Vom Transport zu Logistiklösungen: Das erklärte Ziel von Gebrüder Weiss ist es, bis zum Jahr 2015 die Wertschöpfung aus dem Bereich Logistik auf 50 % der Gesamtwertschöpfung zu steigern.
  4. Regional Player mit weltweiten Verbindungen: Im Kernmarkt Zentral- und Osteuropa sieht man sich auf Augenhöhe mit den Global Players und fordert diese durch Qualität und Flexibilität heraus. Weltweit ergänzt man diesen starken Heimmarkt mit eigenen Niederlassungen in wirtschaftlich für Gebrüder Weiss relevanten Ländern wie China, Japan, USA,VAE und Indien.

Was war das Ziel des Change Prozesses NOW 2010, der Mitte des Jahrzehnts zur Umsetzung der damals definierten Strategie gestartet wurde?

Es war vorherzusehen, dass die Margen in den klassischen Transportprodukten sinken würden, da die Dienstleistungen durch die allgemeine Verwendung technischer Unterstützung wie Barcode, tracking & tracing etc. in der Branche immer vergleichbarer mit dem Mitbewerb wurden. Kaufentscheidungen vom Kunden würden nur mehr vom Preis bestimmt werden und Gebrüder Weiss drohte, seinen Vorsprung als Vorreiter im Hinblick auf IT und Qualität im Kernmarkt Zentral- und Osteuropa zu verlieren. Zusätzlich herrschte eine sehr personenbezogene Organisationskultur, die ihren großen Vorteil im außergewöhnlich hohen Engagement der Mitarbeiter hatte, jedoch sehr anfällig für Qualitätsschwankungen, uneinheitlichen Marktauftritt und der Einhaltung von Regeln und Standards war. Schwächen orteten wir ebenfalls bei der Abwicklung von komplexen Logistikdienstleistungen für internationale Konzerne, deren Headquarters für Logistik außerhalb Österreichs beheimatet waren. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte gab es dringenden Handlungsbedarf, um die Basis für einen modernen Logistikdienstleister der Zukunft zu schaffen. Der Prozess begann Ende 2004 und wurde mit maximal fünf Jahren begrenzt, wobei zu Beginn die Meilensteine für die ersten beiden Jahre definiert wurden. Damals noch in der Funktion als Niederlassungsleiter Wien (heute Regionalleiter Zentral- und Osteuropa) erläuterte ich im ersten Schritt die Situation mit dem Vorstand, stellte dann unterstützt von einem externen Berater selbst Überlegungen an und erarbeitete Anfang 2005 mit der nächsten Ebene eine gemeinsame Vision 2010. In einer Großveranstaltung im April 2005 wurde der Prozess NOW 2010 allen Führungskräften, Betriebsräten und einigen Mitarbeitern präsentiert.

2005 hatten Sie das bis zu diesem Zeitpunkt beste Unternehmensergebnis der Firmengeschichte. Wie groß war da die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich auf Veränderungen einzulassen?

Ich glaube, dass die Führungskräfte der nächsten Ebene schon den Sinn dahinter gesehen haben. Sagen wir so, im ersten Meeting war niemand dabei, der sagte, alles wäre ein Blödsinn oder wir bräuchten den Prozess nicht. Es war für die Leute bereits sichtbar, dass wir zwar spitze in der Abwicklung waren, aber jeder merkte auch in seinem Bereich, wie die Gesamtqualität plötzlich abstürzte, wenn gewisse Leistungsträger ausfielen. Die Leute haben ein gutes Gespür dafür, was zu tun ist. Und für viele ist es dann, wenn man es offiziell kommuniziert, das Zeichen: Ok, jetzt tun wir da wirklich etwas.

Gut, wenn Ihr direktes Führungsteam Ihre Sicht teilt, aber wie rüttelt man den ganzen Laden auf?

Im Januar 2005 gab es den Workshop mit der nächsten Führungsebene und dann im April eine Großveranstaltung mit allen Führungskräften, Betriebsräten und einem Teil der Mitarbeiter der Niederlassung, in Summe rund 80 Mitarbeitern. Dazu luden wir eine Top-Managerin unseres wichtigsten Kunden ein, die sehr eindrucksvoll beschrieb, wie internationale Unternehmen entscheiden, worauf es ihnen ankommt, was ihre Erwartungen sind und wie sie die künftigen Anforderungen sehen. Wenn ein wichtiger Kunde so etwas erzählt und dann auch unverblümt sagt, was notwendig ist, wenn wir weiterhin Logistikpartner bleiben wollen, dann hat das eine andere Wirkung als wenn die Leute das nur vom eigenen Management hören.

Vor allem hat der Auftritt des wichtigen Kunden bei allen Führungskräften ein Verständnis für die Veränderungs-Notwendigkeit erzeugt, während vorher dieses Verständnis eher bei jenen vorhanden war, die täglich mit Anforderungen von internationalen Großkunden konfrontiert wurden. Für viele war es wichtig, mal von außen zu hören, dass sich die Welt schneller dreht als sie bisher geglaubt hatten. Nach diesem Kundenauftritt habe ich dann anhand einiger weniger Folien demonstriert, was mit unserem Ergebnis passieren würde, wenn wir einen oder mehrere unserer wichtigsten Kunden verlieren würden. Das war für viele schockierend und hat das Gefühl für die Notwendigkeit einer Veränderung noch einmal markant erhöht. Von der Form her haben wir damals sowohl Zukunftskonferenzen als auch RTSC-Konferenzen (Real Time Strategic Change) mit allen Führungskräften, Stabsstellen und Key-Playern der Wiener Niederlassung abgehalten.

Wir hatten damals in Ostösterreich insofern eine spezielle Situation, als wir hier mit zwei Anforderungen gleichzeitig konfrontiert waren. Einerseits ging es um die Realisierung der Strategie mit stärkerem Fokus hin zum Gesamt-Logistikanbieter, zum anderen um die Übersiedlung von fünf Standorten in Wien an einen neuen gemeinsamen Standort in Maria Lanzendorf bei Wien, was an sich schon ein riesen Projekt war. Wir haben uns dann kurzfristig, ca. ein halbes Jahr vor der Übersiedlung am 1.Juli 2006 fast nur mehr auf die technischen Prozesse konzentriert und erst wieder ein paar Monate nach der Übersiedlung angefangen, am Gesamtprozess zu arbeiten. Es war wichtig, den OE-Prozess an einem bestimmten Punkt vom Übersiedlungsprojekt zu trennen, damit die Leute sehen, dass der Change mit der Übersiedlung nicht abgeschlossen ist. Beim technischen Projekt ging es vor allem um die technischen Prozesse, die wir gebraucht haben, um am neuen Standort operativ live zu gehen, also IT-Prozesse, Speditionsprozesse, neue Systeme. Es haben zwar einige Mitarbeiter weiter am Change-Prozess NOW 2010 gearbeitet, aber für die Meisten stand das kurz vor der Übersiedlung nicht im Vordergrund.

Bei Strategieprozessen macht die oberste Führungsebene zwar mitunter noch Workshops unter Einbindung der nächsten Ebene, um die Strategie mit ihr "durchzudiskutieren", aber bereits auf den nächsten Ebenen setzt es dann aus. Dort heißt es meist nur: So schaut die Strategie aus, setzt das jetzt in euren Bereichen, Abteilungen um.

Genau das haben wir mit unseren Großkonferenzen vermieden, denn dort hatten wir alle Hierarchieebenen im Raum. Wenn Strategien top-down heruntergebrochen werden, ist es immer so, dass das manche gerne tun, manche nicht und manche nur die Hälfte rüberbringen. Meiner Meinung nach haben sich hier Großkonferenzen sehr bewährt, weil dort alle Beteiligten dieselben Informationen bekommen und in einem Raum gleichzeitig darüber diskutieren. Dadurch entstehen keine Gerüchte und keine Halbwahrheiten. Selbst dann hat sich gezeigt, dass es nicht überall gleich gut lief, diese Information auch auf die Ebene aller Mitarbeiter hinunterzubringen. Manche Führungskräfte haben dann intensiv mit ihren Mitarbeitern gearbeitet, manche nicht, selbst da gab es Qualitätsunterschiede. Aber zumindest waren alle Hierarchieebenen der Führungskräfte im gleichen Prozess involviert und es gab hier keine Differenzen an Informationen. Wenn eine Großkonferenz ordentlich moderiert wird, ist es von der Zeit her der gleiche Aufwand, ob man mit 12 Führungskräften oder mit 70 arbeitet, sie bringt jedoch große Vorteile.

Gab es bei der Umsetzung der Strategie bis hinunter zur Basis denn gar keine Probleme?

Doch. Wir konnten zwar in der Organisation ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen, haben eine Führungskoalition gebildet, eine Vision und Strategie entwickelt und diese unter Verwendung aller zur Verfügung stehenden Mittel kommuniziert, aber der Funke sprang nicht auf die gesamte Organisation und alle Mitarbeiter an der Basis über. 2008 haben wir daher damit begonnen, zwei weitere Methoden einzuführen, die den Change-Prozess beschleunigen und das Empowerment der Mitarbeiter erhöhen sollten. Diese Methoden waren Action Learning und Appreciative Inquiry. Ziel war, mit diesen beiden Methoden den Change-Prozess auf eine breitere Basis zu stellen, den Mitarbeitern aktives Mitarbeiten zu ermöglichen, die vertikale Kommunikation zu verbessern, Ängste vor der Veränderung abzubauen und damit den Change-Prozess wieder in Gang zu bringen. Diese Ziele haben wir, neben anderen positiven Nebeneffekten, durch Anwendung der oben genannten Methoden in hohem Maße erreicht.

Die Instrumente wie Appreciative Inquiry und Action Learning wurden bewusst für den Change Prozess eingesetzt?

Ja. Eben um prozessorientierte Projekte weiterzutreiben und die Leute zu sensibilisieren. Denn technische Lösungen sind das Eine, aber das Lösungsbedürfnis überhaupt zu erkennen oder beim Kunden die angestrebte Beratungsqualität tatsächlich zu zeigen – weg vom Produktverkäufer hin zum Berater für Logistiklösungen – dazu gehört auch viel Gespür. Und gerade die Action Learning Projekte, wo die Leute etwas untersuchen und verändern sollen, vermitteln den Beteiligten ein sehr gutes Gespür, einerseits von dem, was außerhalb von Gebrüder Weiss passiert und andererseits, wie die gesamte Prozesskette innerhalb der Organisation funktioniert. Wir haben heute wesentlich mehr Mitarbeiter als früher, die Prozesse über die gesamte Organisation kennen und nicht mehr nur für ihre Detailbereiche. Durch das Action Learning konnten sich die Mitarbeiter auch selbst mit den einzelnen Aspekten der neuen Strategie auseinandersetzen. Wir haben damals auch an die 200 Mitarbeiter befragt und da hat sich gezeigt, dass das subjektive Gefühl der Einbindung signifikant höher war als vor dem Einsatz dieser Methoden. Ein für mich großer Unterschied gegenüber früher sind auch die Abteilungsbesprechungen. Vor dem Projekt waren sie sehr stark auf das Aufzeigen von Fehlern und das gegenseitige Zuweisen von Schuld fokussiert, während sie heute deutlich auf das Suchen von gemeinsamen Lösungen abzielen. An dieser grundsätzlichen Lösungsorientierung der Leute erkenne ich den größten Unterschied.

Wie hat sich die Strategie am Markt ausgewirkt?

Der Anteil der Logistiklösungsgeschäfte ist natürlich gestiegen. Wenn Leute dafür sensibilisiert werden, dass das der Fokus ist und wenn sie in diese Richtung auch weiter qualifiziert werden und sich in Projekten damit auseinandersetzen, dann schauen sie auch viel stärker auf das Gesamtbild beim Kunden als auf die Einzelleistung, die sie dort verkaufen können. Wenn jemand mit einem gesamtheitlichen Ansatz sich mit der Situation des Kunden auseinandersetzt, kann er ihn ganz anders beraten und er wird ihm völlig andere Dinge anbieten als, wenn er ihm nur einen Transport verkaufen will. Unser Ziel im Konzern ist, dass bis 2015 ca. 50 % des Umsatzes aus Logistiklösungen kommen.

Wenn Sie mit anderen Managern über Strategie sprechen und die Sie fragen würden, worauf es aus Ihrer Erfahrung bei der Umsetzung vor allem ankommt, was würden Sie sagen?

Auch wenn das banal klingen mag, ich glaube, eine Strategie muss einmal grundsätzlich gut sein, damit sie die Leute verstehen und akzeptieren. Die Mitarbeiter haben ein sehr gutes Gespür, was passt und was nicht und wenn etwas nicht passt, ist es extrem schwer zu implementieren, egal wie gut Sie es machen. Bevor eine Strategie kommuniziert wird, sollte das Top-Management sich das zehnmal überlegen und hinterfragen und sich zuerst einmal gemeinsam mit der nächsten Ebene seriös mit dem Thema befassen. Eine meiner Lessons Learned der vergangenen Jahre ist, so viele Hierarchieebenen wie möglich gleichzeitig einzubinden. Dazu eignen sich aus meiner Sicht am besten moderierte Großkonferenzen, wo man das sofort auf eine breitere Basis gestellt bekommt und eventuelle Einwände und Bedenken direkt diskutiert werden. Denn wenn in Firmen neue Strategien auf klassische Art "kommuniziert" werden, entstehen sofort Gerüchte und es kursieren Halb- und Falsch-informationen, durch die sehr viel Energie auf allen Seiten verloren geht. Das kann man durch Großkonferenzen weitest gehend ausschalten.

Was umfasst für Sie eigentlich eine Strategie?

Wenn ich es auf unser Unternehmen beziehe, dann sind in einer Strategie einmal die Kerngeschäftsfelder zu definieren: Wo wollen wir hin, sowohl in Produkten als auch geographisch und in welcher Wertschöpfungstiefe? Dann gehört für mich sehr stark dazu, dass man sich über die Firmenkultur bewusst Gedanken macht: Soll die so bleiben oder sind Punkte dabei, die man verändern will? Und dann ist die Frage, auf welchen Zeithorizont die Strategie bezogen ist. Vieles wird unter dem Begriff Strategie subsummiert, obwohl es nur kurzfristige Ziele sind.

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Jürgen Bauer MBA, Regionaldirektor CEE beim Logistikkonzern Gebrüder Weiss