Spieglein, Spieglein..

Ulrich Königswieser und Ebru Sonuc beschreiben die belebende Wirkung einer Kulturanalyse im Zuge eines Fusionsprozesses.

Das österreichische Unternehmen Trodat übernahm im Frühling 2000 im Zuge seiner Wachstumsstrategie den britischen Konkurrenten Dormy, der – obwohl ein kleineres Unternehmen – auf der Insel eine dominante Marktstellung einnimmt. Im Zuge der Fusionsgespräche wurde der Übernahmekandidat hinsichtlich des strategischen "fits" untersucht, und es wurde eine Architektur geschaffen, die den Mergerprozeß unterstützen sollte.

Trodat engagierte hierfür einen erfahrenen Fachberater von Ernst & Young Unternehmensberatung. Er machte die Verantwortlichen darauf aufmerksam, daß neben der strategischen, rechtlichen und strukturell-ökonomischen Bewertung eine Analyse der beiden Management-Kulturen einen wesentlichen Faktor zum Gelingen des Vorhabens darstellt und schlug dafür die Beratergruppe Neuwaldegg vor. Trodat griff diese Anregung auf, da nicht allzu lang davor Übernahmeerfahrungen mit einer deutschen Firma aufgrund massiver Unterschiede zwischen den beiden Unternehmenskulturen große Enttäuschungen verursacht hatten.

Bitte keine Enttäuschungen mehr!

Die Zielsetzung der "Cultural Due Diligence" bestand darin, Chancen, Risiken, Stärken und Schwächen zu identifizieren, die sich aus einer Zusammenarbeit im Fusionsprozeß aufgrund der Unterschiedlichkeiten der beiden (Unternehmens)kulturen ergeben könnten. Darüber hinaus sollten konkrete Handlungsempfehlungen gegeben werden, die im weiteren Fusionsprozeß zu beachten wären, damit die Umsetzung des Vorhabens von beiden Unternehmen auf allen Ebenen getragen würde.

Die Kulturdiagnose bei beiden Firmen sollte noch vor Vertragsabschluß erstellt werden, damit sie zusammen mit den Ergebnissen der anderen Voruntersuchungen kurz nach der Unterzeichnung beiden Managementteams, die in den Fusionsprozeß involviert waren, vorgestellt werden konnten.

In der Konzeptions- und Analysephase gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Fachberater, dem internen Projektleiter und der Beratergruppe Neuwaldegg. Pro Unternehmen wurden etwa sieben bis zehn qualitative Einzel- und zum Teil auch Gruppeninterviews durchgeführt. Alle Interviews bezogen sich neben der Erhebung der Gesamtsituation auf folgende Themenfelder: Führung; Normen; Innovation und Proaktivität; Umgang mit Konflikten; Teamarbeit; Kundenorientierung; Erfahrungen aus dem laufenden Fusionsprozeß; Veränderungsfähigkeit; Kommunikation; Entscheidungsfindung; Erwartungen und Befürchtungen hinsichtlich der Fusion; Motivation und Erfolgspotential; Fremd- und Selbstbild; Bilder und Metaphern zum Prozess.

Zeig her die Tabus

Die Gespräche fanden zuerst beim österreichischen und dann beim englischen Unternehmen statt. Die ersten Ergebnisse wurden – noch vor dem ersten offiziellen Zusammentreffen der beiden Managementteams nach der Vertragsunterzeichnung (der sog. "1st Convention") – einem engen Kreis vorgestellt und besprochen. Eine komprimierte Version sollte im ersten Teil der 1st Convention präsentiert und dann von den Managementteams gemeinsam diskutiert und reflektiert werden.

Bei solchen Rückspiegelungen von Ergebnissen geht es um die Enttabuisierung von Themen, die insgeheim alle Beteiligten des Systems beschäftigen, aber nie offen besprochen werden. Die Bilder und Zitate aus den Interviews werden – anonymisiert – als Aussagen aus dem System den Beteiligten präsentiert und mit diesen in der Großgruppe besprochen. Das bewirkt einen Effekt des Wiedererkennens – was das Unternehmen, aber auch die eigene Person betrifft. Und das wiederum erzeugt ein starkes Wirgefühl und ein offenes Gesprächsklima, das neben den Erfolgsthemen auch die konfliktträchtigen besprechbar macht.

Deutlich war, daß der Fusionsprozess das zu übernehmende Unternehmen um vieles mehr beschäftigte, als den österreichischen Übernehmer, für den die Fusion nur einen Teilaspekt seiner Gesamtsituation darstellte. Nach unserem Eindruck glaubten die Österreicher, kaum mit massiveren Identitätsveränderungen rechnen zu müssen.

Was im Projekt geschah – der Prozess

Am Tag der 1st Convention bildeten wir je zwei Teams, jeweils mit Mitgliedern der beiden Nationen Österreich und England gemischt. Die erste Aufgabe bestand darin, die vermuteten Vorurteile der jeweils anderen Gruppe (was vermuten wir, was die anderen über uns denken?) jeweils dem Fremdbild der eigenen Gruppe (was denken die anderen tatsächlich über uns) gegenüberzustellen. Die Ergebnisse wurden wechselweise präsentiert und diskutiert; dieser Schritt half, einige latente, aber auch offene Konfliktpotentiale anzusprechen und die Bedeutung kultureller Unterschiede für die weitere Zusammenarbeit deutlich zu machen.

Danach wurden die Ergebnisse der Diagnose vorgestellt. Diese lösten bei den Betroffenen starke Reaktionen aus. Vor allem die plastisch bildhaften Darstellungen aus den Interviews, mit denen wir unsere Diagnoseaussagen unterstrichen, waren Anlaß zu heftigsten Diskussionen und Emotionen. Die größte Betroffenheit lösten die Ängste aus, die aus den im englischen Unternehmen phantasierten Beziehungssymbolen sprachen. Zwei Beispiele: "Wir sind wie ein gejagtes Reh, das gerade gefallen ist und vom Wolf die Zähne an der Kehle spürt." Oder: "Wie sind wie ein Baby, das eine gute Mutter sucht und eine böse Stiefmutter bekommt." Gerade diese kontrovers, aber konstruktiv geführte Diskussion ermöglichte im weiteren Verlauf eine fruchtbare Auseinandersetzung mit den mentalen Bildern der Teammitglieder. Dieser Bewusstseinsprozeß aber – und vor allem das Durcharbeiten der Ängste – bildete eine wichtige Vertrauensbasis für das geplante gemeinsame Vorhaben. Am zweiten Tag  wurden gemischte Teams gebildet, die für die Übergangsphase mit funktionalen Aufgaben betraut werden sollten. Diese Projektteams bildeten somit den Grundstein für die künftige Zusammenarbeit der beiden Unternehmen.

Verändern müssen sich beide

Auch wenn die Konfliktpotentiale in der Diagnose aufgezeigt und bearbeitet wurden, so ist dennoch anzunehmen, daß die Teams im Zuge der operativen Zusammenarbeit genau an den aufgezeigten Problempunkten auf Schwierigkeiten stoßen werden. Für den weiteren Fusionsprozeß empfahlen wir Maßnahmen, von denen wir annahmen, daß sie den Umgang mit den Unterschieden erleichtern könnten.

Die Reflexion der unterschiedlichen Unternehmenskulturen löste nicht nur im neuen System Trodat und Dormy Lernimpulse aus, sondern auch in der jeweiligen Gesellschaft, unabhängig von der Fusionsdynamik. Die Organisation A erkannte, daß eine Fusion als veränderte Struktur markante Auswirkungen auf die Kultur und damit Identität beider Unternehmen mit sich bringen muß, wenn die Integration gelingen soll.

03.2001

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Mag. Ulrich Königswieser
Ebru Sonuc