Manager unter Beschuss

Wie schaffen es Top-Manager, ihr Unternehmen zwischen kurzfristiger Shareholder-Value-Maximierung und Langfristigkeit auf Kurs zu halten?

Der allgemeine Befund lautet: Die Aktienkurse der meisten börsennotierten Unternehmen haben in den letzten Jahren stark gelitten, ihre Verschuldung ist durch Zukäufe und Fusionen aufgrund des Drangs nach raschem Wachstum stark gestiegen, zig-tausende Mitarbeiter haben durch Kostensenkungsprogramme ihren Job verloren, der verbliebene Rest jagt zunehmend gehetzt, gestresst und frustriert den als unrealistisch angesehenen, von oben vorgegebenen, kurzfristigen Renditezielen nach, während scheinbar abgekoppelt von diesen Entwicklungen die Vorstandsgehälter im selben Zeitraum enorm gestiegen sind. Auf die Frage „wie kommt das?“ gibt es eine weithin favorisierte Antwort: Schuld ist das Shareholder-Value-Konzept.

Buhmann Shareholder Value

Da tun sich zwei interessante Fragen auf. Erstens: Reicht diese monokausale Zuschreibung, um all die oben genannten Entwicklungen hinreichend zu begründen oder gibt es für die Probleme, die Unternehmen heute haben, auch noch andere plausible Erklärungen? Zweitens: Wie kommt es, dass in den zurückliegenden Jahren beileibe nicht alle börsennotierten Unternehmen nach dem selben Strickmuster verfahren sind und man bei genauerem Hinschauen zahlreiche Manager entdeckt, die ihre Unternehmen auch unter Börsebedingungen gut und erfolgreich steuern? Wie geht denn das?

Nicht im Sinne des Erfinders

Tatsache ist, dass sich die Rahmenbedingungen, unter denen Unternehmen heute agieren müssen, geändert haben. Eine dieser Rahmenbedingungen ist das Shareholder-Value-Konzept, das nach Ansicht von Robert Dickler, Professor für Management und Finance an der Imadac University, in seiner praktischen Anwendung eigentlich eine Pervertierung des ursprünglichen Konzepts darstellt, wie es von Prof. Alfred Rappaport entwickelt wurde. Betonte Rappaport stets, dass sich Unternehmen darum zu bemühen hätten, eine „nachhaltige, langfristigen Wertsteigerung“ anzustreben, so haben die heutigen Proponenten des Shareholder Value am Kapitalmarkt vor allem eines im Sinn: die kurzfristige Maximierung der Aktionärsrendite, bestehend aus Kursentwicklung und Dividende. Das Konzept, so wie es praktisch angewendet wird, legt dem Top-Management also nahe, die Steigerung des Unternehmenswertes, genauer gesagt die Steigerung der Eigenkapitalrendite, als primäres Ziel zu betrachten und ihre Entscheidungen danach auszurichten.

Der Kapitalmarkt ist nicht alles

Diese Erwartungshaltung der Investoren ist aber nur eine Veränderung unter vielen. Die Liberalisierung ganzer Branchen hat die Wettbewerbssituation und das Verhalten der Marktteilnehmer teils radikal verändert, die zunehmende Globalisierung heizt die Konkurrenz weiter an, die Planungssicherheit nimmt ganz generell immer weiter ab und wird verschärft durch „lokale“ Ereignisse, die mitunter massive Auswirkungen auf die Weltwirtschaft zeitigen können. Auch wenn diese Faktoren sich gegenseitig beeinflussen und verstärken, das Unternehmensumfeld besteht aus mehr als dem Kapitalmarkt.

Ein anschauliches Beispiel liefert Walter Steidl, Finanzvorstand der Generali-Vienna-Group: „Die Versicherungsbranche war bis 1994 eine geschützte Werkstätte. Wir durften keine Rabatte geben, alle Tarife waren reglementiert und es gab eine stabile Aufwärtsentwicklung im Markt. Ich nenne das Schönwettermanagement. Dann kam die EU und die Liberalisierung und dann haben wir begonnen, Marktwirtschaft zu lernen. Marktwirtschaft hieß damals, gleich einmal Rabatte zu geben. Dann gab es dummerweise zwei gute Jahre, wodurch vieles übertüncht wurde. Und dann haben wir irgendwann gemerkt, dass die Dinge nicht mehr zusammenpassen. Durch die Kapitalmarktkatastrophe wurde eigentlich nur die Schwäche im eigenen Kerngeschäft deutlich. Unzureichende Preise wurden lange durch gute Kapitalerträge ausgeglichen. Deswegen ist heute der Druck in Richtung Personalabbau und Sanierung so groß. Das ist das Nachholen der Hausaufgaben, die wir schon früher hätten machen müssen.“

Der Eigentümer zuerst?

Der Kapitalmarkt ist also ein Einflussfaktor unter vielen. Und das die Erwartungen des Kapitalmarktes forcierende und die Maximierung der Eigenkapitalrendite als oberstes Unternehmensziel propagierende Shareholder-Value-Konzept ist ein Steuerungskonzept unter vielen. Und zwar eines der zahllosen einseitigen Steuerungskonzepte, die Manager der Illusion anheim fallen lässt, die Reduzierung auf ein übergeordnetes Ziel könnte die Widersprüche, die jeder Organisation systemimmanent sind, auflösen. In diesem Fall die Idee, die Ausrichtung des Unternehmens an einigen finanziellen Zielgrößen wäre quasi automatisch zum Wohle des Unternehmens. Genau darin liegt aber der fatale Denkfehler.

Das Unternehmen zuerst?

Von der Kapitalmarktlogik her mag Kapitalgewinn der alleinige Zweck sein, aus Sicht des Unternehmens ist Gewinn Mittel zum Zweck. Ein nötiges Mittel zum Zweck der Überlebenssicherung der Organisation. So wie der Körper zur Aufrechterhaltung des Stoffwechsels Atemluft braucht, braucht die Organisation zur Lebenserhaltung ausreichende eigene und fremde finanzielle Mittel. Aber – eine Organisation ist nicht nur ein ökonomisches System, sie ist auch ein soziales System, das einen Daseinszweck braucht, einen Sinn und Werte, die über das Bild der Geldmaschine weit hinausreichen, damit Menschen bereit sind, das für das bestmögliche Funktionieren der Organisation erforderliche Verhalten bereit zu stellen. Organisationen sind eben nicht nur eine mittels Aktien handelbare Ware, was sich z.B. daran zeigt, dass große Konzerne im Familienbesitz regelmäßig explizite Regeln über die Verwendung des Gewinns aufstellen, um sicherzustellen, dass zuerst das Wohl des Unternehmens kommt und dann erst das Wohl der Eigentümer.

Die – auch kurzfristigen - Interessen des Eigentümers als eine wichtigen „Stakeholders“ müssen selbstverständlich berücksichtigt werden, gewinnen sie aber die Oberhand, dann ist das keineswegs automatisch vorteilhaft für die Überlebenssicherung des Unternehmens. Im Gegenteil: Die zahllosen Fälle konkursreifer Klein- und Mittelbetriebe, die durch eine exzessive Entnahmepolitik der Eigentümer ausgeblutet wurden, veranschaulichen den Konflikt von Finanzinteressen einerseits und Unternehmensinteresse andererseits das aufs Treffendste.

Sowohl als auch

Erfolgreiche Manager zeichnen sich durch genau diesen Balanceakt aus. Der entscheidende Unterschied der Steuerungsansätze, meint Prof. Rudolf Wimmer von der Universität Witten Herdecke, liege genau darin, dass diesen Managern klar sei, dass es in Konfliktsituationen darum gehe, abwägen, statt auf ein Konfliktregelungskriterium und eine Entscheidungsregel wie „Priorität hat der Shareholder Value“ zurückzugreifen. Diese Manager verfügen-  bewusst oder unbewusst - über ein Organisationsverständnis, aus dem heraus sie den Druck von Seiten des Kapitalmarktes akzeptieren, aber so weit abpuffern, dass sie gleichzeitig die legitimen und notwendigen Bedürfnisse der Organisation im Blick behalten. Die typische Antwort auf die Frage „Wie würden Sie in diesem Fall entscheiden?“ lautet: Das kommt darauf an! Expandieren durch Zukauf? Ja klar, wenn sich eine günstige Chance bietet, die die eigene Strategie unterstützt. Aber sicher nicht um jeden Preis! Kosten sparen? Ja, natürlich, aber nicht bei strategisch wichtigen Investitionen, auch dann nicht, wenn dadurch im Moment das Ergebnis belastet wird. Und schon gar nicht mit der Rasenmähermethode.

Schlüsselkompetenz: paradoxes Management

Die zentrale These lautet daher: Gute  - im Sinn von langfristig erfolgreiche Unternehmen leitende - Manager schaffen es, dieses systemimmanente Dilemma jeder Organisation, d.h. die widersprüchlichen Anforderungen unterschiedlicher Systemlogiken von Finanzwirtschaft und Realwirtschaft sowie unterschiedlicher Stakeholder auszuhalten und zu balancieren. Das mag anstrengend sein, aber genau das ist ihr Geschäft. Die schlechten - im Sinn von kurzfristig erfolgreiche, mittelfristig geschädigte Unternehmen leitende-  Manager lösen diese Widersprüche hingegen einseitig zugunsten einer Seite auf - derzeit meist zugunsten der Finanzmarkterfordernisse - und forcieren damit Strategien und Verhaltensweisen, die das Unternehmen sukzessive ausbluten lassen. Wie das geht, ist mittlerweile hinlänglich bekannt.

Etwa durch:

     

  • das Ausnützen aller Bilanzierungsspielräume,
  • überteuerte oder schwer verdauliche Zukäufe,
  • hastiges Abstoßen von „nicht zum Kerngeschäft passenden Unternehmensteilen, auch wenn hier Perlen mit großem Wachstumspotenzial schlummern mögen (Diversifizierung ist bei Analysten verpönt),
  • Kostensenkungsprogramme mit dem Ziel, bestimmte Kennzahlen nach oben zu pushen;
  • Outsourcing, um Fixkosten zu sparen, auch wenn damit künftig wichtiger werdende Schlüsselkompetenzen verloren gehen (z.B. bei der IT im Bankenbereich)
  • das Abstossen von Geschäftsbereichen, die „underperformen“, auch wenn man damit den Marktaufbau der vergangenen Jahre mit einem Schlag zunichte macht
  • Aktienrückkaufprogramme auf Kredit, u.v.m.

 

Solch eine für Unternehmen fatale Einseitigkeit ist aber kein spezifisches Phänomen des Shareholder-Value-Konzeptes. Es gibt sie auch in die andere Richtung, die in Österreich sicher genauso verbreitet ist wie der Shareholder Value Ansatz in Amerika: Die ausschließlich Betonung von Organisation als sozialem System mit einer überbordenden Mitarbeiterorientierung. Sie bringt Unternehmen genauso in gefährliche Schieflagen, wie zahlreiche heimische Beispiele in den vergangenen Jahrzehnten eindruckvoll bewiesen haben.

So verwundert es denn auch nicht, wenn der Amerikaner Jim Collins bei seiner mehrjährigen Analyse jener Unternehmen, die schon seit Jahrzehnten in ihren Märkten die führende Stellung verteidigen, zu dem Ergebnis kommt: „Entgegen der herrschenden betriebswirtschaftlichen Lehrmeinung war die Maximierung des Aktionärsvermögens keineswegs die dominante Triebkraft bzw. das Hauptziel in der Geschichte der visionären Unternehmen. Vielmehr verfolgten sie ein ganzes Bündel von Zielen, und Geld machen war nur eines davon. Natürlich streben sie nach Gewinn, doch orientieren sie sich ebenso an einigen Grundwerten und einem übergeordneten Zweck jenseits des Gewinnstrebens. Und doch erwirtschafteten diese Unternehmen paradoxerweise einen höheren Gewinn als die gewinnorientierteren Vergleichsunternehmen.“

Autor: Peter Wagner, 08.2003

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