Selbstverantwortung in Unternehmen

In vielen Unternehmen ist es mit der Selbstverantwortung nicht weit her, statt dessen dominiert das Spiel mit dem Abschieben von Verantwortung samt zugehöriger Opferhaltung.

Menschen, die nach oben wollen, wollen laut Selbstbekundung gerne "mehr Verantwortung", was Dr. Reinhard Sprenger in seinem Buch "Das Prinzip Selbstverantwortung" zu der Frage veranlaßt, "Woher nehmen sie diese?" und zu der pointierten Antwort führt: "Sie nehmen sie den Mitarbeitern weg". Auf diese Weise bestätigen sich die Führungskräfte einerseits ihre eigene Wichtigkeit und Unersetzlichkeit, beklagen sich aber im selben Atemzug lautstark über die Unwilligkeit ihrer Mitarbeiter, "Verantwortung zu übernehmen", während sie blind dafür sind, wie sie durch ihr eigenes Rollenbild und Verhalten diese "symbiotische Beziehung" mit erschaffen und am Leben halten.

Was genau hat es mit der Aktualität des Themas Selbstverantwortung – speziell in Unternehmen – auf sich? Liegt es an einem veränderten Menschenbild oder an veränderten Anforderungen, dass die Unternehmen im vergangenen Jahrzehnt begonnen haben, vermehrt von "Empowerment" zu schwadronieren und von der "Verlagerung der Verantwortung nach unten" zu räsonieren? Und wie kommt es, dass so viele Unternehmen damit nicht recht vom Fleck kommen?

Natürliche Gegnerschaft

Hierarchisch strukturierte Unternehmen mit klaren Zuständigkeiten – und damit auch klaren "Unzuständigkeiten" – und Selbstverantwortung passen an sich schon schlecht zusammen, haben sie doch Umgebungen geschaffen, in denen es sich alle Beteiligten gemütlich eingerichtet haben. Die Führungskräfte gefallen sich in ihrem traditionellen Rollenverständnis als "Entscheider" und "Problemlöser" und viele der im Unternehmensalltag immer wieder entmündigten Mitarbeiter genießen es durchaus, "denen da oben" die Verantwortung zuzuschieben, die diese bereitwillig übernehmen, um ihnen dann im Zweifelsfall auch die Schuld zuschieben zu können. Nach dem Motto: "Der Vorstand macht keine gescheiten Vorgaben!" Und macht er sie dann doch, heißt es: "Die da oben haben doch keine Ahnung!" Bewegt man sich dann auch noch – wie bei internationalen Unternehmen üblich – in einer komplexen Matrixorganisation mit "Mehrfachzuständigkeiten", ist der Begriff der "organisierten Unverantwortlichkeit" durchaus passend. Viele sind involviert, aber wer ist wirklich zuständig? Die typische Antwort quer durchs Unternehmen: "Keine Ahnung!"

Schon die Umgangssprache unterscheidet laut Sprenger die aktive Verantwortung, die jemand trägt von der passiven Verantwortung, zu der jemand gezogen wird. Die erste Grundhaltung – "die Aufgabenverantwortung" - definiert bestimmte Zuständigkeiten für Aufgaben und Funktionen, insbesondere auch für die Folgen und Nebenfolgen des Handelns. Zumindest in der Theorie. In der Praxis grassiert die Verantwortungsverschiebung bis hinauf in die Unternehmensspitze. Dort verweist man gerne auf "die Kurzfristorientierung der Kapitalmärkte" und die Renditeerwartungen der Eigentümer – aber die Frage sei gestattet: Wer wenn nicht die Vorstände hat die Aufgabe, Stellung zu beziehen und die Neben- und Spätfolgen aufzuzeigen? Stattdessen legitimiert man so die eigene Mentalität des "Hinter mir die Sinnflut" und untergräbt damit die Idee einer langfristigen Verantwortung auch und gerade für die langfristigen Konsequenzen der getroffenen Entscheidungen. Doch bevor diese schlagend werden, hat man – dank kurzer Managerverträge –  das leck geschlagene Schiff ja schon längst wieder verlassen.

Die zweite Grundbedeutung – "die Rechenschaftsverantwortung", das "zur Verantwortung gezogen werden" – verweist auf den zweiten Begriffsinhalt, den Anklagecharakter, der in vielen Unternehmen dominiert. Hier kommt Verantwortung vor allem als Suche nach "Schuldigen" daher, bei der primär gefragt wird: Wer ist für diesen Fehler, für die Zielverfehlung verantwortlich?" Dr. Sprenger: "Ursachenanalyse dient (hier) nicht der Ursachenklärung, sondern der kollektiven Ent-Lastung durch individuelle Be-Lastung." Wenn man "weiß, wer es war", sind alle anderen aus dem Schneider. Verantwortung wird dadurch zum Wanderpokal: Wer ist verantwortlich? Auf jeden Fall jemand anderer! Verständlich, dass hier keiner Verantwortung haben will. Klar ist auch, dass die Selbstverantwortung des Einzelnen, verstanden als "die Bereitschaft, Handlungsspielräume im Licht von Gefahren und Chancen eigenaktiv auszufüllen und, auch dort Verantwortung wahrzunehmen, wo sie nicht vorher in einer klar abgegrenzten Aufgabenverantwortung normiert ist" in solch einer Umgebung keinen fruchtbaren Boden findet. "Mobilisierung des Mitarbeiterpotenzials" wirkt hier eher als Drohung.

Link:  Interview mit Dr. Reinhard Sprenger

Wo ist das Selbst bei der Selbstverantwortung?

Doch selbst wenn dem so ist und Verantwortung in Unternehmen gerne an andere weitergereicht wird, um eines kommt man nicht herum: "In die Verantwortung zu gehen", "sich für etwas verantwortlich zu fühlen und es zu seiner eigenen Angelegenheit zu machen" ist immer und ausschließlich eine persönliche Entscheidung: Sie haben die Wahlfreiheit. Sie wählen immer - ob Ihnen das gefällt oder nicht. Daher haben Sie auch die Freiheit, etwas, das Sie bislang gewählt haben, jetzt und hier wieder abzuwählen. Möglicher Weise wollen Sie das nicht und Sie haben gute Gründe dafür, aber der entscheidende Punkt ist: Sie können es. Wie gesagt, es ist Ihre Wahl. Jede Wahl hat bestimmte Auswirkungen, die wir mit unserer Wahl gleichzeitig mitwählen. Auch Nicht-Wählen, Festhalten, Unbeweglichkeit hat seinen Preis. Nur wollen wir den oft nicht als Resultat unserer eigenen Entscheidung anerkennen. Dazu befleissigen wir uns einer seltsam eindimensionalen Sicht: Wir möchten den eigenen Job nicht riskieren oder aufgeben, weil uns der Preis zu hoch erscheint, sind aber auf der anderen Seite bereit, einen Job auszuüben, der uns vielleicht schon lange nicht mehr gefällt, langweilt oder überfordert oder einen Chef oder Kollegen zu erdulden, die uns das Leben zur Hölle machen. Diesen Preis sind wir bereit zu zahlen, den anderen nicht. Soweit ok, würden wir nicht dazu neigen, den Aspekt der eigenen Wahl auszublenden und die Verantwortung der Umwelt zuzuschieben: "wenn es nach mir ginge, dann… Ich würde ja gerne, aber…. Das geht nicht, weil….. Die Fähigkeit der Menschen, Mängel zu ertragen ist größer als die Bereitschaft, Mängel abzustellen. Entsprechend verbreitet sind – so die Erfahrung des Trainers und Beraters Werner Schmidt – "Jammerzirkel", auf Management- ebenso wie auf Mitarbeiterebene, in denen ausführlich über die Ungerechtigkeit der Welt lamentiert wird, jedoch ohne die erkennbare Bereitschaft, etwas an dem derzeitigen Zustand zu ändern.

Love it, change it oder leave it!

So abgedroschen der Spruch auch klingen mag, so wenig wird er in der Praxis befolgt. Dabei fehlt es weder an dem nötigen Wissen, noch am notwendigen Können, sondern am wirklichen Wollen. Wir sind schlicht und einfach zu feig, wir scheuen häufig das Risiko, uns möglichem Gegenwind auszusetzen, würden wir klar Stellung beziehen. Dabei wäre, um nochmals Sprenger zu zitieren, der Satz "was kann ich dafür…" nur um ein kleines Wort zu erweitern: "Was kann ich dafür …. tun?" Selbstverantwortung ist also weder abrufbar noch irgendwie "machbar". Letztlich bleibt sie immer Initiative und verantwortliches Handeln des Einzelnen, denn Eigenintiative ermächtigt sich – wie das Wort schon sagt - selbst. Sie fragt nicht nach Erlaubnis. Falls sie Erlaubnis braucht, ist sie keine mehr. Selbstverantwortung ist eine innere Einstellung, Sie ist nicht übertragbar. Aufgaben können Sie delegieren, Verantwortung nicht. Verantwortung ist eine Aktion des Mitarbeiters, eine Ermächtigung aus sich selbst heraus.

Wie erhalten Sie Unzuständigkeit aufrecht?

Faktum ist: Die meisten Entscheidungen in Unternehmen werden tendenziell ein bis zwei Ebenen höher getroffen als es aus sachlichen Gründen geboten wäre. Probleme mit der Selbstverantwortung im Unternehmen sind daher ein Indiz für ein korrespondierendes Rollenverständnis der Führungskräfte. Das Problem wird immer dann pronlongiert, wenn Führungskräfte Entscheidungen für ihre Mitarbeiter treffen, die diese gut selbst treffen könnten. Beginnen Führungskräfte, damit aufzuhören und die Verantwortung dort zu belassen, wo sie hingehört, wehren sich viele Mitarbeiter gegen diese "Zumutung": "Das ist Aufgabe des Managements, dafür werden die schließlich bezahlt." Aufgabe der Führung ist es so verstanden, Bedingungen zu schaffen, damit Mitarbeiter, die entscheiden sollen, das auch können. Z.B. indem Mitarbeiter über die notwendigen Informationen verfügen, das was sie verantworten, auch wirklich beeinflussen können (Stichwort: Verantwortungsstrecke muss gleich Beeinflussungsstrecke sein) oder auch, dass sie die Ergebnisse ihres Handelns sehen können. Auf Seite der Führungskraft bedingt dies jedoch Vertrauen in die Mitarbeiter und ihre Fähigkeit, gute Entscheidungen zu treffen. Jemanden achten heißt in diesem Sinn vor allem: Nicht retten! Führen heißt mithin, dem Mitarbeiter zu zeigen, dass es in seiner Macht liegt, das Problem zu lösen. Es bedeutet ein Ende der Symbiose, bei der die Führungskraft der Überzeugung huldigt: "Lieber Mitarbeiter, du kannst die Situation nicht überschauen, das kann nur ich, daher wirst du scheitern, wenn du nicht tust, was ich sage." Zentrale Kernkompetenz einer Führungskraft ist in diesem Fall zu wissen, wie man jemanden einlädt, seine eigenständigen Fähigkeiten zu re-aktivieren, ohne selbst Angst zu haben, als entscheidungsschwach zu gelten, wenn die Mitarbeiter tatsächlich selbstverantwortlich agieren.

Link:  Interview mit Werner Schmidt

...zurück zum Seitenanfang

Teilen: