"Sie müssen die Leute erobern"

Dr. Rudolf Scholten über das Dilemma von Assistenzjobs, die indirekte Macht eines Ministersekretärs, das System zur Sanierung eines Kunstbetriebs und die Unterschiede zwischen Minster- und Vorstandsposten.

Herr Dr. Scholten, hat sich Ihr Führungsverständnis im Lauf der Jahre verändert?

Ich habe ein grundsätzliches Problem mit der üblichen Führungsterminologie, weil sie immer so eine paramilitärische Grundhaltung unterstellt und – ich meine das gar nicht ideologisch, sondern rein pragmatisch – Militär hält Hierarchieprinzipien nur durch, weil es unter der Simulation einer Notsituation agiert. Aber diese Notsituation ist eben nicht die typische Realität. Wir operieren ja nicht ständig auf sinkenden Schiffen. Daher glaube ich, dass es in der Führung viel eher darum geht, sich daran zu orientieren, wie Menschen mögen, dass man mit ihnen umgeht. Und das ist im Privaten sehr ähnlich wie im Berufsleben: Wenn Sie zu Ihren Freunden unfreundlich sind, werden die ähnlich reagieren wie Mitarbeiter, zu denen Sie unfreundlich sind. Und wenn Sie wollen, dass Ihre Freunde Ihre Entscheidung teilen, müssen Sie genauso darum werben, wie Sie das in Ihrem Arbeitsumfeld bei Ihren Mitarbeitern tun müssen. Natürlich gibt es aufgrund der formalisierteren Situation einige Unterschiede zwischen Beruf und Privatleben, aber die Prinzipien sind die gleichen.

Beruflich habe ich grob gesprochen die ersten acht Jahre meiner beruflichen Tätigkeit hier in der Kontrollbank verbracht, als persönlicher Mitarbeiter des damaligen Generaldirektors Helmut Haschek. Ich hatte hier schon während des Studiums (Jus und Volkswirtschaft) 1976 zu arbeiten begonnen und in einer Gruppe mitgearbeitet, die sich mit internationalen Finanzierungen befasst hat. 1984 bin ich ins Kabinett des damaligen Finanzministers Vranitzky gewechselt und ihm kurz darauf ins Bundeskanzleramt gefolgt. Dort war ich bis Ende 87. Dann folgten drei Jahre als Generalsekretär bei den Bundestheatern und ab 1991 bis 1997 die Zeit als Regierungsmitglied. Danach kam ich in die Kontrollbank zurück.

In der ersten Berufsphase waren Sie Assistent des Vorstandes?

Ja, wobei man nicht vergessen darf, dass die Kontrollbank eine zwar wichtige Bank, aber keine große Organisation war und ist. Wir sind heute ca. 360 Mitarbeiter. Das Dilemma von persönlichen Assistenzjobs ist meistens, dass man zwar sehr viel erlebt, aber alles aus einer Perspektive sieht, die eigentlich für die Organisation sehr untypisch ist. Man sieht quasi mit der Brille eines Vorstandsvorsitzenden, der man aber nicht ist und auch nicht so schnell werden wird. Daher war es ein sehr gescheites Prinzip von Haschek, dass seine Assistenten gleichzeitig eine Linienfunktion haben mussten und so war ich neben der Assistenztätigkeit mit internationalen Finanzierungen beschäftigt.

Was sind typische und alltägliche Aufgaben eines Vorstandesassistenten?

Wir haben damals Vorträge vorbereitet, naturgemäß seine Termine, ihn zu Terminen begleitet und diese nachbearbeitet. Dann gab es Sonderprojekte, beispielsweise Ausarbeitungen zu bestimmten Fragen. Er war in der Hinsicht aber keineswegs extravagant, insofern hat die Arbeit als Assistent auch gut mit einer Linienfunktion im Rahmen der internationalen Emissionen zusammengepasst.

Trifft man in so einer Assistentenrolle selbst Entscheidungen oder ist man das Sprachrohr der Entscheidungen des Vorstandes?

Das kann ich besser beschreiben anhand der Zeit, als ich als Mitarbeiter von Dr. Vranitzky im Finanzministerium und dann im Bundeskanzleramt war. Auf der einen Seite hat die Tätigkeit nach außen hin so einen mystifizierten Ruf des enormen Einflusses, was falsch ist. Andererseits ist es im gleichen Ausmaß falsch, wenn man diese Tätigkeit auf die berühmte Kofferträgerfunktion reduziert. Entscheidungen im strengen Sinn des Wortes, nämlich der Letztverantwortung, treffen Sie sehr wenig. Beeinflussen tun Sie aber sehr viel, weil Sie Informationen für Entscheidungen liefern. D.h. Sie sind im Haus eine Drehscheibe, die häufig die Grundlagen, die die Beamten erarbeiten, in die Sprache und Denkform der Politik übersetzen. Insofern beeinflussen Sie Entscheidungen natürlich sehr.

Hinzu kommt ein zweiter Punkt: Ein Minister und erst recht ein Bundeskanzler arbeitet unter sehr starkem Zeitdruck. Der Sekretär des Bundeskanzlers hat zwar keinen unmittelbaren Einfluss auf den Bundeskanzler, aber er hat ein Privileg, das er allen anderen Menschen voraus hat: Er kann sich aussuchen, wann er mit dem Bundeskanzler spricht. D.h. Sie können für bestimmte Themen einfach einen Augenblick abwarten, wo Sie wissen, dass die entsprechende Entspannung und damit Aufmerksamkeit für das Thema vorhanden ist. Das Umfeld, in dem Entscheidungen diskutiert werden, ist ja nicht unwesentlich für das Resultat. Dieses Wissen haben Sie als Mitarbeiter des Bundeskanzlers allen anderen Menschen voraus: Wenn Sie als "Normalmensch" einen Termin beim Bundeskanzler haben, haben Sie keine Ahnung, ob Sie auf ihn stoßen zu einem Zeitpunkt, wo er sich z.B. danach sehnt, dass Sie möglichst schnell fertig sind, weil er etwas anderes zu tun hat, oder an einem Tag, an dem schon sieben Sachen daneben gegangen sind und er die achte schon nicht mehr hören kann, oder an einem Tag, an dem es ihm hervorragend geht und er sich auf die nächsten Initiativen freut, die er starten kann. Auf diese Bandbreite von chancenlos und chancenreich allein aufgrund des Umfeldes, in dem eine Entscheidung platziert wird, haben Sie als Mitarbeiter großen Einfluss.

Was braucht es, um in diesem Job erfolgreich zu sein?

Ich denke, der Schlüssel für die erfolgreiche Erledigung dieses Jobs ist, dass man zwar die Intensität dieser Erfahrung und das Privileg der Unmittelbarkeit genießt, sich aber nie mit dem Entscheidungsträger verwechselt. Viele Ministersekretäre und Mitarbeiter von Vorstandsvorsitzenden haben sich ihre Karriere vermasselt, indem sie größenwahnsinnig geworden sind und sich mit demjenigen verwechselt haben, dessen Sekretär sie sind. Dazu kommt in einem Ministerium naturgemäß, dass Beamte im Laufe ihres Lebens viele solcher Leute durchmarschieren gesehen haben und wenn ihnen da einer auf blöd kommt, reagieren sie entsprechend. Dann ist schnell der Punkt erreicht, an dem man als Kabinettsmitarbeiter nichts mehr im Haus durchsetzen kann.

Wie arbeitet man sich in einem Ministerbüro ein?

So wie anderswo auch. Sie müssen die Leute erobern. Wenn Sie als neuer Sekretär des Ministers hinkommen, müssen Sie sich schrittweise eine Vertrauensposition aufbauen, wo die Beamten wissen, dass sie Ihnen vertrauen können, weil Sie die Dinge so transportieren, wie sie gemeint sind und nicht irgendwelche Intrigen spinnen.  Sie treffen auf eine Gruppe von Menschen, die einen bestimmten Stil, eine Richtung gewöhnt sind und nun kommt ein neuer Minister mit neuen Ansprüchen. Und nun müssen Sie sozusagen eine fußballgewohnte Partie motivieren, Basketball zu spielen. Das gelingt Ihnen nicht, indem Sie sagen, "es ist mir egal was Sie denken, das wird jetzt gemacht", sondern indem Sie diese Leute motivieren, ihren gigantischen Know-How-Schatz zu öffnen für das gegenteilige Projekt dessen, was sie vor kurzem umzusetzen hatten. Und das sind ja keine charakterlosen Leute. Also muss man sie dazu motivieren, einmal auszuprobieren, ob nicht Baketball auch lustig wäre und darauf achten, dass sie damit erste positive Erfahrungen machen, und damit eher bereit sind, das neue Spiel weiterzuspielen. Auf jeden Fall geht es nicht mit (auch verbaler) Brachialgewalt. Das ist meist das Ende der Geschichte. Aber natürlich versucht man manchmal auch, dieses Verfahren ein bisschen zu beschleunigen.

Wie beschleunigt man konkret?

Durch gute Vorbereitung. Wobei ein großer Unterschied besteht zwischen dem Beeinflussen von großen Organisationen und dem Umgang in einer überschaubaren Organisation wie der Kontrollbank. In der Kontrollbank ist es eindeutig so, dass der Grad an Vorbereitung, an fachlichem Wissen, an Professionalität, die Geschwindigkeit prägt, in der Sie Entscheidungen durchsetzen und umsetzen können. In großen Organisationen hingegen wird das viel mittelbarer und psychologischer. Wenn Sie als Unterrichtsminister versuchen, Lehrer zu motivieren, dann stehen Sie als Minister 100.000 Lehrerinnen und Lehrern gegenüber. Da sind Sie sehr schnell auf die Zwischenträgerebenen und auch die Massenmedien angewiesen. Dort funktioniert das auf viel diffuseren Wegen.

Nach der Zeit als Ministersekretär kam der Wechsel zum Bundestheaterverband. Wieso dieser Wechsel?

Weil mir die Leitung angeboten wurde, als der Robert Jungblut in Pension gegangen ist. Da habe ich nicht lange überlegt, denn das Angebot fand ich sensationell. Der Bundestheaterverband war damals noch die zentrale kaufmännische Direktion für Staatsoper, Burgtheater und Volksoper. Mich hat Theater immer sehr interessiert, wohl wissend, dass mein Teil das Kaufmännische und die Organisation ist. Ich habe nie versucht, der bessere Theaterdirektor zu sein, aber nichtsdestotrotz war das Produkt des Unternehmens höchst spannend.

Dort waren Sie gerade mal drei Jahre?

Ja, nur wusste ich das ja bis auf die letzte Woche vor dem Wechsel ins Ministerium nicht. Kurz vor diesem Wechsel hatte ich eigentlich gerade darüber nachgedacht, dass ich mich langsam um eine Vertragsverlängerung bemühen müsste.

Die Leitung des Bundestheaterverbandes war die erste Führungsposition, oder?

Ja. Was damit anders wurde, kann ich sehr klar beschreiben, da mir das sehr schnell sehr bewusst wurde. Gleich in den ersten Tagen gab es eine Reihe sehr schwieriger Themen, beginnend mit einem Skandal beim Kartenverkauf, der in meiner ersten Arbeitswoche vom Rechnungshof aufgedeckt wurde. Kurz nach meinem Start wurde der Leiter der Rechtsabteilung verhaftet. Wenn Ihnen das als 32-jährigem und nach fünf Tagen im Amt passiert, sind Sie in einer Notsituation.

Der wirkliche Unterschied besteht darin, dass Sie als Mitarbeiter letztlich immer mit einem Schutzschild arbeiten. Wenn es zu stürmen beginnt, steht immer noch jemand vor Ihnen, der den Wind zuerst abbekommt und Sie erwischt es bestenfalls sekundär, indem Sie von dem, der vorne steht, Vorwürfe bekommen. Aber der Wind schlägt Ihnen nicht unmittelbar selbst ins Gesicht. Wenn Sie aber die Organisation leiten, trifft Sie der Wind voll. Plötzlich stehen Sie nicht mehr neben dem Minister, der ein Fernsehinterview gibt, bei dem Sie hoffen, dass er gut vermitteln kann, woran Sie gearbeitet haben, sondern nun geben Sie selbst das Interview. Bei dieser Krisensituation gleich zu Beginn wusste ich z.B., dass zwei Stunden nach einer Entscheidung der ORF im Haus sein wird und ich die Entscheidung öffentlich begründen musste. Und natürlich ist Ihnen bewusst: Wenn Sie die Entscheidung ungeschickt begründen, ist das halbe Spiel verloren. Eine andere Situation, wo das ebenfalls spürbar wurde, war eine Vollversammlung des Unternehmens, das damals ja rund 3500 Mitarbeiter hatte. Auf einmal schreiben Sie den Redetext nicht mehr für jemand anderen, sondern Sie halten die Rede selbst. Und Sie wissen genau, wenn etwas schief läuft, ist die Stimmung für Monate im Eimer, denn Sie können nicht alle 14 Tage Vollversammlungen abhalten und alle Mitarbeiter direkt adressieren. In solchen Situationen wird deutlich spürbar, dass sich etwas verändert hat.

Mit 32 Jahren den Bundestheaterverband zu leiten, war sehr jung für die Position.

Ja. Wobei ich den großen Vorteil hatte, dass ich durch die Zeit bei Vranitzky immer jemanden hatte, den ich beobachten konnte. Sei es in der Handhabung bestimmter politischer Mechanismen oder im Umgang mit schwierigen Situationen. So wissen Sie nach einiger Zeit einfach, was es bedeutet, wenn ein Thema plötzlich öffentlich brisant wird. Und Sie wissen, dass Sie in einem Unternehmen mit 3500 Mitarbeitern viel von dem was Sie tun und erreichen wollen, nur mehr mittelbar an diese 3500 Mitarbeiter vermitteln können. Wenn Sie auf der anderen Seite beispielsweise bei einer Sitzung die Nerven wegschmeißen, wissen das in kürzester Zeit sehr viele Leute. Ebenso, wenn Sie unvorbereitet, teilnahmslos oder desinteressiert in einem Meeting sitzen. Die meisten Mitarbeiter bilden sich ihre Meinung über Sie aus Erzählungen, aus Berichten, zum Teil auch aus dem, was sie über Massenmedien erreicht.

Man kann das ja an sich selbst überprüfen: Wie viele persönliche Meinungen hat man von Menschen, die man noch nie im Leben leibhaftig erlebt hat? Trotzdem hat man das Gefühl, sie einschätzen zu können, weil man über Medien oder die Schilderungen anderer Menschen Bilder vermittelt bekam. Und wenn man dann auf diese Personen trifft, brauchen die sozusagen sehr viele Gelegenheiten, um die Quasi-Vorurteile zu widerlegen, oder auch, um sie zu bestätigen. Auf jeden Fall sitzen diese Bilder sehr fest.

Was war eigentlich Ihre Hauptaufgabe im Bundestheaterverband?

Ich war Generalsekretär und Leiter der kaufmännischen Direktion. Die einzelnen Häuser hatten damals noch keine kaufmännischen Leiter, sondern nur künstlerische Leiter. Alles was sich in Geld ausgedrückt hat, lief über die Zentrale. Die Herausforderung war, dass der Abgang der Bundestheater in den Jahren zuvor deutlich gestiegen war und es die öffentliche Erwartung gab, das einzufangen, ohne die künstlerischen Leiter in ihren Entwicklungsmöglichkeiten und ihrem kreativen Potenzial einzuschränken. Das ist uns tatsächlich gelungen.

Wie haben Sie das angestellt?

Ich habe ein im Detail schwieriges, aber abstrakt gesprochen sehr einfaches System gehabt, von dem ich nach wie vor überzeugt bin. Man kann, organisationstheoretisch gesprochen, einen Betrieb, der nicht eindeutig kaufmännische Ziele hat, durchaus kaufmännisch führen. Dazu habe ich mir den Betrieb buchstäblich als System konzentrischer Kreise aufgezeichnet: Im innersten Kreis befindet sich die unmittelbare künstlerische Arbeit des Regisseurs mit den Schauspielern und Sängern, sozusagen alles, was auf der Bühne passiert. Probebetrieb und Vorstellungen. Die Ausstattung gehört schon nicht mehr in den innersten Kreis.
Ich verwende hier immer einen Vergleich, den manche Menschen unpassend finden, aber da ich mit einer Ärztin verheirat bin, weiß ich, dass der Vergleich richtig ist. In einem Spital ist es sehr ähnlich. Auch ein Spital hat nicht primär kaufmännische Ziele, aber so wie beim Theaterbetrieb kann man auch nicht sagen, Geld spiele keine Rolle. Was Sie daher tun müssen, ist, die ärztliche oder künstlerische Tätigkeit genau auf den Bereich einzugrenzen, wo sie stattfindet und diesen innersten Kreis dann nahezu ökonomiefrei stellen. Zumal die Ausgaben, die im innersten Bereich produziert werden können, im Verhältnis zum Gesamtbudget gar nicht bedeutsam sind. Sie prägen aber das gesamte künstlerische oder medizinische Profil dieser Institution. Und das eigentliche Modell, das ich nur jedem, der in so einem Betrieb arbeitet, empfehlen kann, ist, dass man die nächsten, schon ein wenig von der unmittelbaren künstlerischen Arbeit entfernten Bereiche durch starke und schnell höher werdende Begrenzungen von der Okonomiefreiheit des innersten Kreises trennt.

Plastisch ausgedrückt: Wenn ihre Buchhaltung mit denselben Methoden arbeitet wie der Regisseur auf der Bühne, sind Sie geliefert. Wenn es Ihnen hingegen gelingt, dass bereits die Theaterwerkstätten nach ganz anderen Prinzipien arbeiten wie die Künstler auf der Bühne, haben Sie gewonnnen, denn dann haben Sie 90% der Kosten unter Ihren Einfluss gebracht.
Richtig ist, dass immer wieder kunstfernere Bereiche für sich die gleichen Flexibilitäten verlangen wie die, die im Auge des Taifuns agieren. Genau da müssen Sie extrem konsequent sein, denn wenn Sie beginnen, Ausnahmen zu machen, ist es vorbei. Dann haben Sie das Ganze nach kurzer Zeit nicht mehr unter Kontrolle.

Nach diesem Prinzip ist es damals gelungen, dass die Künstler das Gefühl hatten, dass sie auch in der Zeit, in der wir objektiv gesehen sehr viel eingespart haben, in den Betrieben sehr gut arbeiten konnten. Wir haben ihnen ja tatsächlich nichts weggenommen. Und den Menschen rundherum haben wir auch nichts weggenommen, sind aber mit dem Geld wesentlich strikter umgegangen.

Wie kamen Sie auf dieses Modell?

Das entdecken Sie sehr schnell. Sie kommen etwa schnell drauf, dass ein nennenswerter Posten bei den Bundestheatern die Transportkosten sind. Kein entscheidender Posten, aber auch kein unwichtiger. Ebenso sehen Sie schnell, dass Ihr Transportwesen mit 30-40 Transportern einer mittleren Spedition entspricht. Nun mögen diese Mitarbeiter für sich in Anspruch nehmen, Theatertransportmitarbeiter zu sein, aber in Wahrheit ist das eine normale Spedition mit einem speziellen Kundenkreis, der spezielle Bedürfnisse hat: nämlich Theaterbetrieben, bei denen z.B. Pünktlichkeit enorm wichtig ist.

Wir sind weiters draufgekommen, dass die Transporte sehr viele Leerfahrten hatten, weil die großen Kulissentransporter nur vo0n der Polizei genehmigte Strecken befahren dürfen. Wenn ein Transporter zur Volksoper gefahren ist, um dort etwas hinzubringen und danach etwas vom Burgtheater abzuholen war, ist dieser Transporter von der Volksoper zurück ins Arsenal gefahren, wo die Werkstätten angesiedelt sind, und von dort zum Burgtheater, weil er aus polizeilichen Gründen gar nicht querfahren durfte. Genauso wurde sichtbar, dass wir mit den großen Transportern teilweise Minimalgüter transportiert haben, was nicht nur Leerfahrten ausgelöst hat, sondern auch Stehzeiten, da der Transporter ja nicht gleich wieder im Arsenal umgedreht hat, sondern der Fahrer üblicherweise zuerst mal eine Pause gemacht hat. Durch den einfachen Ankauf einiger kleiner Lieferautos haben wir sofort beträchtliche Einsparungen erzielt. Auf ähnliche Weise sind hunderte andere solcher Verbesserungen gelungen, die alle mit Kunst nichts zu tun haben, sondern mit dem Organisieren diverser Dienstleistungen.

Wenn die Transportmitarbeiter verstehen, dass sie Spezialbedürfnisse in ihrer Kundschaft haben, aber selbst nach den Prinzipien einer kaufmännisch orientierten Spedition fahren müssen, dann ist der Rest relativ einfach.

Ich gehe aber nicht davon aus, dass die Mitarbeiter diese Haltung damals schon alle drauf hatten?

Nein, aber sie haben schon gewusst, dass es so wie bisher nicht mehr lang funktionieren wird. Daher waren alle Methoden, das Minus aus zu deren Sicht vertretbaren Konditionen einzufangen sehr chancenreich, zumal wir versucht haben, eine Situation zu schaffen, wo sie sich darauf verlassen konnten, dass die Situation dann halbwegs stabil bleibt.

Plötzlich dann der Wechsel ins Ministeramt.

Da hatte ich den Vorteil, dass ich die prinzipiellen Mechanismen der Politik und Bürokratie aus der Zeit mit Vranitzky schon gekannt habe und beim Bundestheaterverband gelernt hatte, wie es ist, wenn man selbst vorne steht und die Interviews geben muss. Das war zwar nicht leicht, weil die Themen ganz andere waren, aber es hat nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert. Natürlich können Sie in den seltensten Fällen den Beamten erklären, wie das, was sie tun, richtiger zu tun wäre. Auf der anderen Seite ist es so, dass die Beamten sehr wohl akzeptieren, dass sehr viele dieser Themen eine Bandbreite an Entscheidungen zulassen und dass die Politik eben Einfluss darauf nimmt, wo sie innerhalb dieser Bandbreite hinwill. Ob man Sie ausrutschen lässt oder nicht, hat wie gesagt, viel damit zu tun, ob Sie Ihre Gegenüber und deren Argumente ernst nehmen oder nicht. Wenn Sie das tun, erreichen Sie ein relativ kooperatives Klima.

Wie kann man sich die konkrete Steuerung vorstellen? Es gibt verschiedene Bereiche im Ministerium mit den Sektionsleitern an der Spitze, und mit diesen Sektionsleitern redet man sich zusammen?

Das ist sehr unterschiedlich. Ich zumindest habe die meiste Zeit mit den Abteilungsleitern verbracht, das ist eine Ebene weiter unten. Man muss darauf achten, dass sich der jeweilige Sektionschef nicht übergangen fühlt, aber zugleich ist es wichtig, dass man unmittelbar mit den Abteilungsleitern agiert, da dort meist das unmittelbare Fachwissen angesiedelt ist, während die Sektionschefs notwendigerweise schon Generalisten sind. Im Finanzministerium ist das einfach übersetzbar: Sie haben einen Sektionschef für das Steuerwesen, der weiß viel über alle möglichen Steuern, aber über die Details der Umsatzsteuer natürlich weniger als der zuständige Abteilungsleiter für Umsatzsteuer.

Wenn man neben dem Kunstministerium noch das Unterrichtsministerium leitet, dann das Wissenschaftsministerium, dann das Verkehrsministerium, wie wird man da schnell arbeitsfähig?

Es gibt ein Grundprinzip, das jeder leugnen wird und das doch jeder anzuwenden versucht und das lautet: Sie müssen sich auf einzelne Fragen konzentrieren und akzeptieren, dass Sie nicht alles unter Kontrolle haben können. Wenn Sie beginnen würden, im Schulbereich von der Einschulung der Volksschüler bis zur Reform von HTL-Abschlüssen alles gleichzeitig anzugehen, dann mag das politisch heroisch sein, aber zugleich Selbstmord und ein schlechter Dienst an den Themen obendrein, weil Sie sie in der Fülle weder lösen, noch transportieren, noch politisch durchsetzen können. Sie müssen sich also einzelne Themen heraussuchen, von denen Sie das Gefühl haben, dass Sie die wirklich wollen, denn die müssen sie dann auch mit aller Emotion verteidigen und vertreten können, und auf die müssen Sie sich konzentrieren.

Wie schaut der konkrete Arbeitstag des Ministers aus?

Im nachhinein, wenn man alte Kalender durchschaut, kommt man drauf, wie viel Zeit man mit Dingen verbringt, die aktuell unumgänglich scheinen, aber im Nachhinein betrachtet sinnlos waren. Das hat damit zu tun, dass ein Minister unter einander widersprechenden Prinzipien arbeitet: Einerseits gibt es sehr viele Anlässe, wo die Präsenz eines Ministers gefordert wird. Von den berühmten Eröffnungen bis zu verschiedenen Konferenzen oder Verhandlungen gibt also eine ganze Zahl von Anlässen, wo eigentlich nur ihre physische Präsenz notwendig ist und Sie nicht viel zu tun haben, außer anwesend zu sein. Gleichzeitig gibt es viele Dinge, bei denen Ihnen die Zeit davon rennt und mit denen Sie sich liebend gerne genauer beschäftigen würden.

Ich habe immer gesagt, wenn ein Minister einen Herzinfarkt bekommt, dann deshalb, weil der ständige Wechsel zwischen irgendwo sitzen und warten, dass es später wird und andererseits der Zeit in Minutensequenzen nachzulaufen – schnell noch dringend drei Leute anrufen, dabei muss man schon wieder weg – enorm aufreibend ist. Es ist ein endloses Auf und Ab, jeden Tag aus Neue. Das ist noch viel anstrengender und mühsamer als  durchgängig ein hohes Tempo zu laufen. Dazu kommt, dass Sie dadurch gezwungen sind, sich an der Vorbereitung anderer zu orientieren und manchmal versuchen müssen, dünnes Eis als feste Plattform zu verkaufen. Keine Zeit mehr zu haben, sich auf Themen gründlich vorzubereiten, frustriert Sie auf Dauer ebenfalls.

Was war dann die Aufgabe, als Sie zur Kontrollbank zurück kamen?

Im Wesentlichen war die Bank damals im Begriff, sich von einem quasi Monopolbetrieb mit starker Achse zum Staat umzustellen hin zu einem privaten Dienstleistungsbetrieb, der unter mannigfaltige Konkurrenz gestellt ist, im Wesentlichen in- und vor allem ausländische Kreditversicherer, die heute viel von dem anbieten, was traditionell nur Exportversicherer angeboten haben. Diesen Kulturwandel habe ich nicht begonnen, aber miterlebt.

Politiker und Top-Manager - wie fällt der Vergleich aus?

Das Leben heute ist viel angenehmer, aber ich bin sehr glücklich, es erlebt zu haben. Es ist wie bei einer sehr aufregenden und anstrengenden Reise: Wenn Sie nach Hause kommen, haben Sie sicher nicht als erstes den Wunsch, die Reise sofort zu wiederholen. Aber Sie freuen sich, es erlebt zu haben. Ich möchte die Zeit nicht missen, aber ich habe auch nicht den Ehrgeiz, das zu wiederholen.

Was lernt man in der Politik, wovon man dann in der Privatwirtschaft profitieren kann?

Ich glaube, dass die Krisenintensität von politischen Jobs wesentlich größer ist als die allermeisten privatwirtschaftlichen Jobs. Wobei Krisen nicht heißt, dass es immer negativ ist, aber diese Ausnahmemomente, wo kurz alles still steht und man sich fragt, "was machen wir jetzt", sind wesentlich häufiger. Da lernt man etwas sehr angenehmes, eine gewisse Gelassenheit. Gelassenheit im Sinn der Sicherheit, dass man das schon hinbekommen wird.

Herr Dr. Scholten, vielen Dank für das Gespräch.

06.2006

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Dr. Rudolf Scholten, Vorstand der Österr. Kontrollbank AG