Besserwisser-Funktionen entfallen

DI. Johann Tikart machte seit Ende der 80er-Jahre aus dem Waagen-Hersteller Mettler-Toledo in Albstadt, Deutschland, ein Vorzeigeunternehmen, in das bereits Heerscharen von Managern gepilgert sind, um die von ihm entwickelten Management- und Organisationskonzepte vor Ort zu studieren und abzukupfern. Seit 1997 arbeitet Johann Tikart als selbständiger Berater und unterstützt nun andere Unternehmen bei der Umsetzung dieser Prinzipien.

Was war in den 80er-Jahren der Anlaß zur Neuorganisation von Mettler-Toledo?

Ich hatte damals folgende Situation: es gab eine programmgesteuerte Produktion, die auf dem modernsten Stand der Technik war, mit modernster EDV-Unterstützung, und es gab vom Markt her den Druck zu einer ständigen Ausweitung des Produktionssortiments. Das führte dazu, dass die Produktionsplanung, die genau definierte, wieviel Stück von welchem Modell innerhalb der Planungsperiode zu produzieren waren, immer unzuverlässiger wurde. Je mehr Modelle, umso weniger genau konnte man sagen, wann man was in welcher Stückzahl braucht. Man machte aber trotzdem die Vorhersage, weil das ganze Modell darauf basierte. Die Konsequenz war, dass die Modelle, deren Absatz nicht so stattfand wie gedacht, das Lager füllten, andererseits die Geräte, die sich besser verkauften als erwartet, nicht lieferbar waren. Die Folge war: hohe Lager, eine schlechte Lieferfähigkeit und jeden Tag Ärger mit Fehlteilen.

Ein System, das in einem stabilen Markt gut funktioniert hatte?

Genau. Und nun ging es darum, den Menschen klarzumachen, dass sich das Umfeld geändert hatte und wir uns mittlerweile in einer unerträglichen Situation befanden. Ich sage immer ein bißchen dramatisierend: Nur aus Not, Leid und Schmerz finden Menschen überhaupt die Kraft, neu zu denken und neu zu handeln. Wenn das nicht vorhanden ist, dann kann es zwar auch sein, dass man etwas neues probiert, "weil alle davon reden", "weil es in ist", "weil man sich als innovativ zeigen möchte", was auch immer. Aber das ist dann auch der Grund, warum viele scheitern. Denn Schwierigkeiten treten bei der Umsetzung immer auf, das ist unvermeidlich, und wenn dann nicht die drängende Notwendigkeit vorhanden ist zu sagen, es MUSS gelingen, dann zieht man sich wieder zurück, und sagt, na ja, so schlecht war das Alte auch nicht.

Das Neue war in Ihrem Fall die "absatzgesteuerte Produktion"?

Genau. Mettler-Toledo produziert seit Ende der 80er-Jahre nur mehr das, was bereits verkauft ist. Eine Lagerhaltung gibt es nicht mehr, Abteilungen wie Marketing, Einkauf oder Produktionsplanung wurden damals aufgelöst. Jedes der über 400 Waagenmodelle wird heute unabhängig von der Stückzahl garantiert innerhalb von 5 Tagen geliefert.

Die klassische Hierarchie ist ja eine Mißtrauenskultur, die dazu führt, dass viele Menschen damit beschäftigt sind, anderen die Arbeit vorzudenken, vorzuplanen, zuzuteilen und zu überwachen. Da entstehen enorme Kosten ohne irgendeinen Beitrag zur Wertschöpfung. Ich nenne das "Blindleistungen". Dem habe ich eine Vertrauenskultur entgegengesetzt und so die vielfältigen Mißtrauenskosten eliminiert. Ich habe das "das Prinzip der Selbststeuerung" genannt: Das Geschehen vor Ort wird von den Menschen gesteuert, die dort tätig sind. Damit entfallen alle „Besserwisserfunktionen“. Die freiwerdenden Mitarbeiter habe ich umgeschichtet in den Bereich "neue Produkte" – da waren dann insgesamt 40% der Mitarbeiter eingesetzt - und über die Marktclustersuche waren dann so viele Ideen da, daß die 40% gar nicht ausgereicht haben.

Welche Rolle spielen Teams bei Ihrem Ansatz?

Eine ganz zentrale Rolle. In der Produktion bei Mettler habe ich damals die klassische Arbeitsteilung aufgehoben. Die Aufträge werden nun von eigenverantwortlichen Teams ausgeführt, wobei jeder Monteur den gesamten Prozess verantwortet, also seine Waage herstellt, verpackt und etikettiert. Die ganzheitliche Arbeit schafft Verantwortung für das Endprodukt. Im Team ist die volle Sachkompetenz vorhanden, um den kompletten Prozess in Eigenverantwortung auszuführen.

Aber - die nominelle Bildung eines Teams bewirkt noch gar nichts. Es kommt auf die Zusammensetzung an. Die Summe der Fähigkeiten muss die notwendige Teamaufgabe abdecken können. Damit wende ich mich auch gegen den herkömmlichen Ansatz der Gruppenarbeit. Da erwartet man ja, das jeder das gleiche kann und die Leute möglichst vielseitig einsetzbar sind. Nein, ich erwarte, dass jeder was anderes kann, so dass sie sich gegenseitig ergänzen. Und wenn ein Team Lücken hat, ist es Verantwortung des Prozessverantwortlichen, diese Lücken zu erkennen und zu schließen.

Wie kommt es, dass an Ihrem Modell interessierte Manager nach einem Besuch bei Mettler-Toledo begeistert wegfahren und dann im eigenen Unternehmen mit der Umsetzung hängenbleiben?

Vereinfacht gesagt liegt es daran, dass die Menschen, die Macht haben etwas zu verändern, halt auch die größten Ängste in diesen Veränderungsprozessen haben. Es könnte ja auch schiefgehen. Also probiert man ein bisschen. Aber wenn man wirklich auf den Menschen setzt, dann kann man das nicht halbherzig tun. Die Mitarbeiter glauben das dann nicht, sondern empfinden das als Heuchelei. Daraus folgt: Wer die Macht hat zu ändern,  der muss sich erst einmal mit sich selber auseinandersetzen, d.h. er muss selber lernen, seine eigenen Ängste, seine eigenen Vorurteile und sein Mißtrauen zu überwinden. Und er muss lernen, auch mit Enttäuschungen zu leben, ohne in die alten Machtinstrumente zu verfallen.

11.1998

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